Baurecht

I. Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse

Wie zahlreiche Rechtsmaterien berücksichtigt auch das öffentliche Baurecht religiöse Bedürfnisse. Das Bauplanungsrecht (Baugesetzbuch – BauGB – und Baunutzungsverordnung – BauNVO) verlangt die Berücksichtigung der Erfordernisse von Kirchen und anderen Religionsgesellschaften bei der Aufstellung der Bauleitpläne, § 1 V 2 Nr. 2 und 6 BauGB. Nutzungen für "kirchliche" Zwecke sind in den Bebauungsplangebieten gem. §§ 2-9 BauNVO generell oder ausnahmsweise zulässig. Dazu gehören auch Gemeindezentren und religiöse Sozialeinrichtungen. Dabei sind (nichtreligiöse) Weltanschauungsgemeinschaften wegen Art. 137 VII WRV/140 GG gleichzustellen (vgl. etwa). Nach den Vorschriften mögliche Einschränkungen bedürfen jeweils einer konkreten städtebaulichen Begründung. Das gilt auch für den nicht beplanten Innenbereich, § 34 BauGB.

II. Muslimische Bauvorhaben

1. Immer wieder haben Kommunen versucht, unter dem Druck organisierter Interessen die Errichtung islamischer Gebetshäuser und von Moscheen(komplexen) kommunalpolitisch und auch baurechtlich zu verhindern, wobei vor allem Minarette oft als störend empfunden wurden. Man hat dabei manchmal auch seltsame Vorwände gebraucht, bis zur sittlichen Gefährdung der Schülerinnen nahegelegener Schulen. Auch eine Störung des Ortsbilds durch ein Minarett oder des Straßenbilds durch eine auffallende, ungewohnte Architektur wurde geltend gemacht. Das sind jedoch keine städtebaulich begründbaren entgegenstehenden Interessen. Insbesondere gelten keine anderen Rechtsgrundsätze als für christliche Kirchen. Das populäre Argument, islamische Länder seien gegenüber christlichen Religionsgemeinschaften auch nicht so entgegenkommend, ist reine Polemik und läuft auf eine Paralyse der Weltanschauungsfreiheit hinaus. Ganz vereinzelt gibt es auch im juristischen Schrifttum gegenüber dem "muslimischen Kulturimport" erhebliche Vorbehalte. So macht Christian Hillgruber[1] einen abendländischen Kulturvorbehalt geltend, den er auch baurechtlich in Erwägung zieht (s. zur sog. Kulturadäquanz in Weltanschauungsfreiheit IV).

2. Das BVerwG hat 1992 entschieden, Betsaal und Koranschule mit Nebenräumen seien auch im Allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich allgemein zulässig und hat, wie in allen anderen Fällen auch, bezüglich der Immissionen – ausgehend vom genehmigten Nutzungsumfang – auf die konkreten Fallumstände und eine realistische Prognose abgestellt. Bei der Interessenabwägung hat das BVerwG zu Gunsten des Bauherrn berücksichtigt, dass sich dieser auf die freie Religionsausübung (Art. 4 I, II GG) berufen könne und das Morgengebet ein unverzichtbarer Bestandteil der islamischen Religionsausübung sei. Es werde nur etwa drei Monate jährlich vor 6.00 Uhr abgehalten und falle nur geringfügig in den schutzwürdigeren Nachtzeitraum. Um die spezielle Problematik des Muezzinrufs ging es nicht. Der BayVGH hat in einem Urteil von 1996 ausgeführt, ein Minarett habe einen mit dem Kirchturm vergleichbaren Symbolwert für den Islam und einen hohen Stellenwert für die Identität der einzelnen islamischen Gemeinde und sei grundrechtlich fundiert. Ein Minarett werde zwar von der nicht-muslimischen Bevölkerung zunächst als "fremd" empfunden, doch sei "fraglich, ob es sich bei diesem...Gesichtspunkt um einen Belang handelt, der im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung eine Rolle spielen kann". Jedenfalls hätte ein solcher Gesichtspunkt konkret im Bebauungsplanverfahren kein ausreichendes Gewicht.

3. Es gibt keine zuverlässigen Statistiken über die Zahl der Moscheen und muslimischen Gebetshäuser in Deutschland. Es dürfte bundesweit etwa 250 Moscheen mit Minaretten geben, darunter viele große mit großen Kulturzentren. Die Zahl der Bethäuser mag um die 3000 betragen (alles nur Größenordnung).

III. Bauordnungsrecht

Bei dieser ausschließlich landesrechtlichen Materie geht es um technische Fragen wie Brandschutz, Abstandsflächen usw. sowie das Genehmigungsverfahren. Für Religionsgemeinschaften ergeben sich dabei keine Besonderheiten. Soweit rein verfahrensrechtlich in einzelnen Bundesländern Religionsgemeinschaften mit Körperschaftscharakter bevorzugt werden (nur Zustimmungs- statt Genehmigungsverfahren), erscheint das nicht gerechtfertigt. Denn dass die Bauverantwortung der vielfältigen, auch kleinen, kirchlichen Bauherren generell weniger kontrollbedürftig sein soll als die privater Bauherren, ist nicht besonders plausibel. Auch gibt es zahlreiche kleine Religionsgemeinschaften mit Körperschaftscharakter und ist auch der Ausschluss von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften ohne Körperschaftscharakter kaum begründbar. Im Gebührenrecht gibt es auch hinsichtlich der Baugenehmigungsgebühr Ungereimtheiten.

>> Immissionsschutz; Körperschaftsstatus; Finanzielle Vergünstigungen.

Literatur:

  • BVerwG NJW 1992, 2170, U. v. 27.2.1992 – 4 C 50/89 (Islamischer Betsaal); BayVGH NVwZ 1997, 1016, U. vom 29. 8. 1996 (Minarett).
  • Gaudernack, Dorothea: Muslimische Kultstätten im öffentlichen Baurecht . Berlin 2011 (sehr eingehend zur Rspr.).
  • Hammer, Felix: Die Kirchen im staatlichen öffentlichen Baurecht, KuR 2000, 179-190 = Nr. 515, 1-12.
  • Hoppe, Werner/Beckmann Martin: Zur Berücksichtigung kirchlicher Belange in der Bauleitplanung, DVBl 1992, 188-195.
  • König/ Roeser/ Stock, BauNVO, 3. A. 2014, § 4.
  • Troidl, Thomas: Wie frei darf Religion sein? Moscheen zwischen Baurecht und Verfassung, 2012 www.schlachter-kollegen.de/.../Vortrag_KEB.pdf
  • Wieshaider, Wolfgang: Von Moscheenbau und Muezzinruf. Bau- und Immissionsschutzrecht als Schranken der Religionsausübung. In: In: Haratsch, A./ Janz, N./ Rademacher, S./ Schmahl, S./ Weiß, N. (Hg.): Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, Stuttgart u.a. 2001, 155-180.

  • [1] C. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 538/540, 546.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)