Rezension zu Kämper/Schilberg (Hg.): Staat und Religion in Nordrhein-Westfalen

Burkhard Kämper/Arno Schilberg (Hg.): Staat und Religion in Nordrhein-Westfalen, Münster 2019

Rezension von Dr. Gerhard Czermak, Friedberg/Bayern

Der thematisch umfassende Sammelband betrifft fast nur das religionsrechtliche Landesrecht in NRW. Er wurde herausgegeben von dem Katholiken Kämper und dem Protestanten Schilberg, beide Honorarprofessoren für Kirchen- bzw. Staatskirchenrecht  an der Juristischen Fakultät in Bochum und mit wichtigen Funktionen in ihrer Kirche betraut. Als Zielgruppe sind u. a. angegeben (in dieser Reihenfolge): die bischöflichen Generalvikariate und Landeskirchenämter, die regionalen Verbände von Caritas und Diakonie, sonstige kirchliche Rechtsträger, Staatskanzlei, Ministerien, Bezirksregierungen, Gerichte, die einschlägigen Institutionen an den sieben juristischen Fakultäten in NRW, Anwaltskanzleien. Bei den 45 Autoren handelt es sich meist um höher- und hochrangige Juristen aus Kirche und Staat, vereinzelt auch Theologen.

Mitfinanziert wurde das Werk von fünf Bistümern und drei evangelischen Landeskirchen sowie kirchlich orientierten Banken und Versicherern. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Band den rechtlichen Interessen Anders- und Nichtgläubiger (in Köln sind derzeit ca. 50 % konfessionsfrei) allenfalls teilweise gerecht wird. Dennoch ist es geboten, in aller Offenheit auch die positiven Aspekte des Bandes zu würdigen. Die umfangreiche Darstellung gibt einen Überblick über den großen, weitgehend unbekannten Umfang landesrechtlichen Religionsrechts (Art. 137 VIII WRV) am Beispiel des einwohnerstärksten Bundeslandes. Beispielhaft folgen Anmerkungen zu wichtigeren Beiträgen des Bandes.

Die einleitende Abhandlung der Herausgeber skizziert Grundzüge des landesrechtlichen Religionsverfassungsrechts und registriert eine ausgeprägte Kirchen- und Religionsfreundlichkeit der Landesverfassung, die "Ausdruck einer besonderen Wertschätzung gegenüber den christlichen Kirchen" sei, womit andere Religionsgemeinschaften nicht abgewertet würden. Das sei mit den grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar. Im Schulwesen werden sogar die stark verbreiteten öffentlichen Bekenntnisschulen (mit häufigem faktischem Besuchszwang wie zur Nachkriegszeit) nicht problematisiert. Zum Neutralitätsgebot wird lediglich festgestellt, es verlange eine sorgfältige Abwägung mit der christlich-abendländischen Tradition des GG (S. 22). Es folgen aber keine Ausführungen dazu.

Das Kapitel über religiöse Präsenz in der Öffentlichkeit bietet viele tatsächliche Informationen und belegt im Detail eindrucksvoll, welch starke Positionen die Kirchen immer noch haben. Damit wird den Kritikern des "geltenden" Religionsrechts indirekt aufgezeigt, in wie vielen Bereichen eine kritische Überprüfung erforderlich wäre. Ansatzpunkte dazu werden aber nicht angesprochen. Aus der Registrierung der religionssoziologischen Änderungen werden keine rechtspolitischen Konsequenzen gezogen. Religiös-weltanschauliche Gleichbehandlung wird nur verbal als geboten bezeichnet. Dennoch ist die Darstellung sehr informativ.

Zu den Staat-Kirche-Verträgen bieten ein evangelischer Kirchenvizepräsident und der Leiter des Katholischen Büros NRW auch viel Information. Zu rechtlichen Grundproblemen (insbesondere: Doppelnatur der Verträge) findet man freilich so gut wie nichts. Auffallend ist zu Beginn des evangelischen Beitrags die seit über 50 Jahren ad acta gelegte Behauptung von Beziehungen wie zwischen souveränen Staaten (!), während später richtig vom Vorrang der Verfassung ausgegangen wird. Im katholischen Beitrag ist erwartungsgemäß von Konkordaten die Rede, die völkerrechtliche Verträge mit dem Hl. Stuhl seien (was aber keineswegs selbstverständlich ist), während die viel häufigeren Verträge mit einzelnen Bistümern gar nicht erwähnt werden (s. zur Vertragsproblematik https://weltanschauungsrecht.de/Staatskirchenvertraege ).

Den Beitrag zum Islam bestreitet der Rechtsanwalt des Zentralrats der Muslime (ZMD) in Deutschland. Er vertritt generell islamische Forderungen, beklagt die andauernde Bevorzugung der christlichen Kirchen und kritisiert teilweise zu Recht verfassungswidriges oder doch rechtlich fragwürdiges Staatsverhalten. Dabei vertritt der ZMD, ein recht kleiner Sammel-Verband nichttürkischer Muslime, unter dem Blickwinkel des GG trotz verbaler Anpassungen auch recht problematische orthodoxe Positionen. Die Behandlung dieser Thematik durch diesen Autor ist nach Ansicht des Rezensenten ein weiterer Beleg für die Naivität und rechtlich-politische Blindheit großer Teile der Politik gegenüber den dominierenden islamisch-orthodoxen Richtungen. Der Beitrag ist gleichwohl lesenswert.

In einem Aufsatz zu den Verbindungsstellen zwischen Staat und Religion begrüßt eine Landtagsdirektorin besonders die Einflussnahme der Kirchen als wichtiger gesellschaftlicher Gruppen, da sie im Gegensatz zu anderen Gruppen hauptsächlich dem Gemeinwohl im Ganzen verpflichtet seien. Die Kirchen seien "unverzichtbare Verbündete", aber auch Mahner für Regierung und Parlament im Hinblick auf Menschenwürde und Sozialarbeit. Das gelte aber auch, wie die Autorin treuherzig schreibt, wenn es darum geht, "christliche Werte zu vermitteln" (S. 123).

Im umfangreichen Abschnitt über die Kirchenfinanzen wird die Ablösungspflicht der historischen Staatsleistungen als noch bestehend und die Leistungspflicht als nicht erloschen angesehen. Ein Problem wird im katholischen Beitrag nicht eingestanden, wobei die Einnahmen im Diözesanhaushalt nur einen sehr geringen Prozentsatz ausmachten. Im evangelischen Beitrag wird der Vorschlag des Leiters des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD hervorgehoben, die Leistungspflichten aus Art. 138 I WRV abzulösen bei einer nicht weniger als 20-30 jährigen Fortführung der bisherigen Zahlungen bei Verdoppelung des Betrags. Von staatlicher sonstiger Religionsförderung ist nur im katholischen Beitrag ganz kurz die Rede (S. 172). Dort wird festgestellt, der Staat dürfe Religionen fördern wie andere Institutionen auch, wenn das in Neutralität geschehe. Die teilweise umfangreiche staatlich-kommunale freiwillige und einseitige vielfältige Kirchenförderung (Subventionen) wird nicht einmal erwähnt. Da geht es etwa um Kirchentage, sogar Auslandsmission und Autobahnkapellen sowie örtliche kirchlichen Initiativen (Renovierungen u.a.).

Im ausführlichen Artikel einer Ltd. Ministerialrätin über kirchliche Kindertageseinrichtungen werden die für alle Kindergärten gedachten ministeriellen Bildungsgrundsätze von 2016 für Kinder bis 10 Jahre in Kindertageseinrichtungen und Schulen zitiert. Demnach haben die Kinder ein Recht auf [nur] religiöse Bildung. An erster Stelle ist Ehrfurcht vor Gott vornehmstes Ziel der Erziehung (so auch Art. 7 I NRW-Verf), wenngleich Andersdenkenden immerhin Respekt gebühre. Kritik daran meldet die Autorin nicht an.

Ebenfalls aufschlussreich ist die Darstellung des zuständigen Ltd Ministerialrats zur Thematik Religion in der Schule. Hinsichtlich des islamischen Religionsunterrichts wird das bisherige Beiratsmodell zur Bestellung der Lehrer kritiklos erörtert, obwohl es von vielen Verfassungsrechtlern aus mehreren Gründen angegriffen wurde. Ziel des Schulgesetzes und der Landesregierung sei es gewesen, als integrationspolitische Maßnahme die verschiedenen islamischen Richtungen zusammenzuführen. Dass die vier den bisherigen Beirat dominierenden orthodoxen Organisationen nur eine Minderheit aller Muslime darstellen und wohl keinen integrativen Fortschritt bedeuteten, erörtert der Verfasser nicht. Er weist auch nicht darauf hin, dass die vom Landtag 2019 beschlossene Änderung des Beiratsmodells, das keine vom Land (einvernehmlich) berufenen Beiräte mehr kennt, sondern nur eine "Kommission" aus Verbandsvertretern, genauso problematisch ist. Zum speziellen NRW-Problem der öffentlichen Bekenntnisschulen mit ihrem häufigen faktischen Zwangscharakter sagt der Autor immerhin, in den 78 Gemeinden ohne Gemeinschaftsgrundschulen sei das Angebot der Schulwahl "fragwürdig".

Der Band bietet darüber hinaus Darstellungen zu den wichtigsten Rechtsgebieten des Verwaltungsrechts, aber auch zum Arbeitsrecht. Die Themen reichen vom Hochschulwesen, Rundfunk und kirchlichen Krankenhäusern bis zu kirchlichen Friedhöfen und der kirchlichen Mitwirkung bei staatlichen Anlässen.

Alles in allem ist der Band zwar unter dem Neutralitätsgesichtspunkt einseitig, aber doch recht informativ. Die Texte präsentieren auch interessante Tatsachen, blenden aber rechtliche Kritik an gleichheitswidrigen Rechtstatbeständen so gut wie vollständig aus. Sie bestätigen, auch wegen der leitenden Positionen vieler Verfasser in staatlichen Einrichtungen, die Tatsache der engen, d. h. nicht neutralen, Verbindung von Staat und Kirchen. Gegen den Strich gelesen, findet man aus säkularer Perspektive zahlreiche Ansatzpunkte für eine juristische und rechtspolitische Kritik. Anerkennenswert sind die Einarbeitung auch neuester Literatur und ein ausführliches Stichwortregister.

Link zum Buch

Burkhard Kämper/Arno Schilberg (Hg.): Staat und Religion in Nordrhein-Westfalen, Münster 2019, 516 S., ISBN: 978-3-402-13404-7, EUR 39,90