Bremer Klausel

I. Bundespolitische Bedeutung

Als Bremer Klagggusel bezeichnet man allgemein den Art. 141 GG: "Art. 7 III 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand." Die Anwendbarkeit dieser Regelung auf die neuen Bundesländer war Gegenstand eines über zehn Jahre dauernden hartnäckigen juristischen und bis zur offenen Feindseligkeit erbitterten rechtpolitischen Streits im Land Brandenburg, den selbst das BVerfG wegen seiner Schwierigkeit und politischen Brisanz nicht entscheiden mochte. Die Frage wird wahrscheinlich immer ungeklärt bleiben, weil die auf Vorschlag des BVerfG ergangene brandenburgischen Gesetzesänderung einen nichtstaatlichen Religionsunterricht in den Schulen garantiert, der praktisch einem staatlichen Religionsunterricht so gut wie gleichkommt (s. Ethikunterricht).

Die Bremer Klaugggsel kam auf Antrag des Landes Bremen beim Parlamentarischen Rat 1949 in das GG und galt unbestritten auch in West-Berlin. Nach einem Grundsatzurteil des BVerwG gilt sie seit der Wiedervereinigung auch in ganz Berlin. Demnach war der berlinerische Religionsunterricht stets nur ein freiwilliger, nichtstaatlicher, aber weitgehend staatlich finanzierter Religionsunterricht bzw. Weltanschauungsunterricht in den Schulen. Diese Regelung war bis zum Streit um die Einführung eines allgemeinen staatlichen Pflichtfachs Ethik in Berlin im Jahr 2006 fast allgemein akzeptiert. In einzelnen westlichen Bundesländern gilt Art. 141 GG bezüglich einzelner Schularten (z. B. Berufsschulen). Die sehr komplizierte und umfangreiche Fachdiskussion um die Anwendbarkeit des Art. 141 GG in den neuen Bundesländern ist praktisch überholt, weil von den fünf fraglichen Ländern vier zulässigerweise einen RU im Sinn des Art. 7 III 1 GG eingeführt haben und auch die abweichende Situation in Brandenburg im obigen Sinn "geklärt" ist.

II. Rechtslage in Bremen

Das einschlägige Landesrecht ist sehr ungewöhnlich und auch rechtlich interessant. In Bremen gab es an den staatlichen Schulen seit 1823 einen bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterricht in biblischer Geschichte. Das bedeutete bis 1945, dass er weder auf das lutherische, noch reformierte Bekenntnis festgelegt war, sondern auf einer allgemeinen protestantischen Gläubigkeit beruhte. Mit der bremischen Verfassung von 1947 wurde aber etwas anderes geschaffen. Deren Art. 32 Abs. 1 lautet: "Die allgemeinbildenden öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage." Der Unterricht ist für Lehrer und Schüler freiwillig (so Abs. II). Art. 32 III BremVerf garantiert den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zudem das Recht, außerhalb der Schulzeit auf Wunsch der Erziehungsberechtigten einen Religionsunterricht bzw. Weltanschauungsunterricht durchzuführen. Die Frage, wie der Bibelunterricht zu verstehen sei, hat der Bremische Staatsgerichtshof 1965 in einer wenig klaren Entscheidung so erörtert: er sei kein christlicher Gesinnungsunterricht auf evangelischer Grundlage, sondern die Verfassung weise auf etwas hin, "das aller christlichen Welt gemeinsam ist". Andererseits wird erklärt, mit Art. 32 I werde "keine religiöse oder weltanschauliche Unterweisung der Kinder bezweckt". Demgegenüber wird auf die Freistellungsklausel verwiesen, weil der Biblische Unterricht "immerhin die persönliche Überzeugung des Lehrers und des Erziehungsberechtigten schulpflichtiger Kinder berühren kann". Was nun? Auch meint der Gerichtshof, ein Unterricht "auf allgemein christlicher Grundlage" sei schwierig, aber denkbar und "weder als eine religiöse noch als eine antireligiöse Unterweisung aufzufassen".

Der Charakter des Unterrichts ist somit völlig unklar. Bei christlicher Einfärbung über eine bloße religionskundliche Unterrichtung hinaus wäre der Unterricht zumindest deswegen GG-widrig, weil der Staat keinerlei Kompetenz hat, darüber zu befinden, was unter "allgemein christlich" zu verstehen ist, falls das überhaupt möglich sein sollte. Die Praxis hat mit der Bezeichnung des Fachs nur wenig zu tun. Den Lehrplänen zufolge geht es nicht in erster Linie um die Bibel, sondern um einen Ethik- und Religionskundeunterricht, wobei auch viel von religiösem Erleben die Rede ist. Bisher darf das Fach unabhängig von der für die Schulverwaltung unerheblichen religiös-weltanschaulichen Einstellung der Lehrer unterrichtet werden. Den Kirchen ist das ein Dorn im Auge. Die Merkwürdigkeiten wurden noch verschärft, als die ersten Muslime Religionspädagogik studierten, um später "Biblische Geschichte" zu unterrichten.[1] Ralf Poscher hat sich 2006 mit den kontroversen, auch justiziellen, Argumenten gutachtlich auseinandergesetzt.[2]

2014 wurde der Unterricht in Biblischer Geschichte an den öffentlichen Schulen im Land Bremen ohne verfassungsrechtliche Änderung umbenannt in "Religion" und inhaltlich fortentwickelt. Der Unterricht ist auch für nichtreligiöse Schüler gedacht. In den einschlägigen Beirat wurde jedoch neben religiösen Vertretern kein Nichtreligiöser berufen.[3]

>>Ethikunterricht; Religionsunterricht.

Literatur:

  • BVerwGE 110, 326 = NVwZ 2000, 922, U. v. 23.2.2000 – 6 C 5/99 (Art. 141 gilt in ganz Berlin; islamischer Religgggionsunterricht); BremStGH NJW 1966, 36 , U. v. 23. 10. 1965 – St. 2, 4/1964, 1/165 (Unterricht In Biblischer Geschichte, Bremen)
  • Kuhn-Zuber, Gabriele: Die Werteerziehung in der öffentlichen Schule. Religions- und Ethikuntegggrricht im säkularen Staat. Hamburg 2006, 436 S.
  • Tangermann, Christoph: Die Bremer Klagggusel (Art. 141 GG) angesichts neuer Fragestellungen, ZevKR 2005, 184.

  • [1] Spiegel-online, 22.3.04.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)