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Strafprozess wegen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch in Gießen – Der Paragraph 219a StGB ist verfassungswidrig

Die Ärztin Kristina Hänel ist von der Staatsanwaltschaft Gießen nach § 219a StGB angeklagt worden. Die Verhandlung vor dem Amtsgericht ist am 24. November 2017. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Verbot, öffentlich die ärztliche Dienstleistung des Schwangerschaftsabbruchs anzubieten. Auf Hänels Webseite befindet sich in ihrem Leistungsspektrum unter der Rubrik "Frauengesundheit" das Wort "Schwangerschaftsabbruch". Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), bewertet die Norm des § 219a StGB anhand der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Kommentare der ifw-Beiräte Eric Hilgendorf und Reinhard Merkel, sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Ergebnis: § 219a StGB ist verfassungswidrig.

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§ 217 StGB „Sterbehilfeverhinderungsgesetz“ aufheben: FDP geht mit säkularer Position bei einer Jamaika-Koalition voran

Mit Blick auf die aktuellen Koalitionssondierungen haben die Rechtsexperten des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) die Positionen der im Bundestag vertretenen sechs Parteien zum § 217 StGB ausgewertet. In einer möglichen Jamaika-Koalition (CDU/CSU, FDP, Grüne) spricht sich die FDP für eine Rückgängigmachung der Verschärfung der Rechtslage zur Sterbehilfe aus. Die Argumente der anderen Parteien für eine indifferente oder entschiedene Beibehaltung des Paragrafen sind juristisch brüchig. Der liberale Vorschlag will bundeseinheitlich regeln, unter welchen Umständen die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung sanktionsfrei ist. Damit würde die neue Bundesregierung und der Bundestag vermeiden, dass die Strafnorm in Karlsruhe voraussichtlich als verfassungswidrig beurteilt wird.

Laut ifw ist der 2015 im Bundestag von der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion und Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken in das Strafgesetzbuch eingefügte § 217 eine der schwerwiegendsten Fehlleistungen des Gesetzgebers der letzten Jahre. Die Sterbehilfe-Strafnorm verletzt mindestens Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, Artikel 3, 8 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und das Gebot der ethischen Neutralität des Staates. Die ifw-Kommentare zu den Standpunkten der Parteien befinden sich am Ende dieses Beitrags.

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Warum Atheisten Kirchensteuer zahlen: Der Fall Herr K gegen die Bundesrepublik Deutschland

wegen: Abzug des besonderen Kirchgeldes seitens des Finanzamtes durch Verrechnung mit dem Steuererstattungsanspruch des Nichtkirchenmitglieds. 

Das besondere Kirchgeld ist eine spezielle Kirchensteuer für Kirchenmitglieder, deren Ehepartner keiner Kirche angehört ("glaubensverschiedene Ehe"). Herr K. ist aus der Kirche ausgetreten. Seine Ehefrau ist Mitglied der evangelischen Kirche und hat ein eigenes Einkommen. Eigentlich müsste sie deshalb nur die Kircheneinkommensteuer zahlen. Dennoch wird auch das sogenannte "besondere Kirchgeld" bei ihr berechnet. Die Kirche nimmt eine Vergleichsberechnung vor und der höhere Betrag wird festgesetzt. Das besondere Kirchgeld berechnet sich nach dem sogenannten "Lebensführungsaufwand" des kirchenangehörigen Ehegatten. Grundlage für die Berechnung dieses Lebensführungsaufwandes ist das "gemeinsam zu versteuernde Einkommen" des Ehepaares. Damit zahlt mittelbar auch das Nichtkirchenmitglied Kirchensteuer.    

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EGMR: Grundschulsystem in Irland (1970) schützte Schulmädchen nicht vor sexuellem Missbrauch

Die große Kammer des EGMR hat mit heutigem Urteil (Aktenzeichen 35810/09) mit 11 zu 6 Stimmen entschieden, dass die Struktur der Grundschulbildung in Irland in den 1970er Jahren es versäumte, ein Schulmädchen vor sexuellem Missbrauch durch ihren Lehrer zu schützen. Das strukturelle Versagen des irischen Staates stellt einen Verstoß gegen Artikel 3 EMRK (Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) und gegen Artikel 13 EMRK (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) dar, da der Staat weder in der Lage war, Frau O'Keeffe vor sexuellem Missbrauch zu schützen, noch ihr auf nationaler Ebene die Möglichkeit gab, Anerkennung dieses Versäumnisses auf nationaler Ebene zu erlangen.

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EGMR: Recht auf objektiven, kritischen und pluralistischen Weltanschauungsunterricht aus Art. 2 (1) EMRK

Der EGMR hat heute in der Rechtssache Folgerø et al. v. Norwegen (Nr. 15472/02) entschieden, dass das norwegische System der elterlichen Anträge auf Teilbefreiung ihrer Kinder vom Besuch eines integrativen Unterrichts für christliche Religion und andere Weltanschauungen ("Fach KRL") gegen Artikel 2 Nr. 1 EMRK (Recht auf Bildung, Recht der Eltern auf weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder) verstößt. Das System der von den Eltern zu begründenden Anträge auf Teilbefreiung vom KRL-Unterricht setzt die betroffenen Eltern einer schweren Belastung einschließlich der Gefahr einer unangemessenen Offenbarung privater Überzeugungen aus. Das Konfliktpotential eines Befreiungsantrags kann Eltern davon abhalten, Befreiungsanträge zu stellen.

Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die EMRK darauf abzielt, "nicht Rechte zu garantieren, die theoretisch oder illusorisch sind, sondern Rechte, die praktisch und wirksam sind".

Darüber hinaus war das Gericht nicht davon überzeugt, dass die von der Regierung angeregte Möglichkeit für Eltern, ihre Kinder an Privatschulen unterrichten zu lassen, den Staat von seiner Verpflichtung befreien könnte, den Pluralismus in staatlichen Schulen, die für jedermann zugänglich sind, zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund konnte trotz der vielen lobenswerten legislativen Zwecke, die mit der Einführung des integrativen Fachs "KRL" verbunden sind, nicht davon ausgegangen werden, dass Norwegen ausreichend darauf geachtet hat, dass die im Lehrplan enthaltenen Informationen und Kenntnisse objektiv, kritisch und pluralistisch im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 EMRK vermittelt werden. Dementsprechend führte die Weigerung, den antragstellenden Eltern für ihre Kinder eine vollständige Freistellung vom KRL zu gewähren, zu einem Verstoß gegen Artikel 2 Nr. 1. EMRK, Artikel 14 EMRK in Verbindung mit den Artikeln 8 und 9 EMRK.

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