Der EGMR hat heute in der Rechtssache Folgerø et al. v. Norwegen (Nr. 15472/02) entschieden, dass das norwegische System der elterlichen Anträge auf Teilbefreiung ihrer Kinder vom Besuch eines integrativen Unterrichts für christliche Religion und andere Weltanschauungen ("Fach KRL") gegen Artikel 2 Nr. 1 EMRK (Recht auf Bildung, Recht der Eltern auf weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder) verstößt. Das System der von den Eltern zu begründenden Anträge auf Teilbefreiung vom KRL-Unterricht setzt die betroffenen Eltern einer schweren Belastung einschließlich der Gefahr einer unangemessenen Offenbarung privater Überzeugungen aus. Das Konfliktpotential eines Befreiungsantrags kann Eltern davon abhalten, Befreiungsanträge zu stellen.
Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die EMRK darauf abzielt, "nicht Rechte zu garantieren, die theoretisch oder illusorisch sind, sondern Rechte, die praktisch und wirksam sind".
Darüber hinaus war das Gericht nicht davon überzeugt, dass die von der Regierung angeregte Möglichkeit für Eltern, ihre Kinder an Privatschulen unterrichten zu lassen, den Staat von seiner Verpflichtung befreien könnte, den Pluralismus in staatlichen Schulen, die für jedermann zugänglich sind, zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund konnte trotz der vielen lobenswerten legislativen Zwecke, die mit der Einführung des integrativen Fachs "KRL" verbunden sind, nicht davon ausgegangen werden, dass Norwegen ausreichend darauf geachtet hat, dass die im Lehrplan enthaltenen Informationen und Kenntnisse objektiv, kritisch und pluralistisch im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 EMRK vermittelt werden. Dementsprechend führte die Weigerung, den antragstellenden Eltern für ihre Kinder eine vollständige Freistellung vom KRL zu gewähren, zu einem Verstoß gegen Artikel 2 Nr. 1. EMRK, Artikel 14 EMRK in Verbindung mit den Artikeln 8 und 9 EMRK.