Gott

I. Irritierender Begriff

In der Präambel des GG (alte und neue Fassung) heißt es: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...hat sich das Deutsche Volk...dieses Grundgesetz gegeben." Es handelt sich dabei um eine einfache Gottesnennung (Nominatio Dei), nicht um eine Anrufung Gottes (Invocatio Dei), wie meist ungenau gesagt wird. Diese Gottesklausel führt vor allem in der allgemeinen Diskussion immer wieder zu Irritationen. Vor allem dann, wenn es in der religionsrechtlichen und rechtspolitischen Diskussion an überzeugenden Sachargumenten fehlt, neigen Theologen und andere Nichtjuristen weitaus mehr noch als Juristen dazu, mit der Gottesklausel zu Gunsten einer besonders kirchenfreundlichen Rechtsanwendung und Politik Punkte zu machen. Denn, so argumentiert man, eine rechtliche Bedeutung muss die Gottesklausel ja haben, da sie sonst nicht in der Verfassung stünde.

II. Befürworter der Gottesklausel

Bei ihnen gibt es verschiedene Meinungsgruppen. Während die einen sagen, selbstverständlich handele es sich angesichts der Situation im Jahr 1949 um den christlichen Gott , sagt eine andere Gruppierung, angesichts der Pluralität des GG sei es der den Christen, Juden und Muslimen gemeinsame monotheistische Gott . Wieder andere erklären, es gehe nur um eine Chiffre für Transzendenz. Eine weitere Gruppierung meint, es solle lediglich eine Absage an den totalitären Staat zum Ausdruck gebracht werden und ferner, dass der Staat nicht Selbstzweck sei. Weiter wird erklärt, die Gottesnennung bedeute eine Absage an den Atheismus als Staatsreligion. Parallel zu solchen Aussagen erklären aber viele Autoren gleichzeitig, selbstverständlich dürfe man den Staat des GG nicht als christlichen Staat verstehen. Und die meisten Anhänger der Gottesklausel betonen, das Recht, nicht an irgendeinen Gott zu glauben, werde in keiner Weise tangiert, und eine Diskriminierung Andersdenkender liege ihnen völlig fern. Die Klausel betreffe sie auch gar nicht.

III. Der Präambel-Gott als Leerformel

Es zeigt sich somit, dass der Gottesbegriff der Präambel völlig diffus, also eine Leerformel ist und sich zur rechtlichen Konturierung nicht eignet. Daher haben auch Verfassungsjuristen kaum etwas mit dem Präambel-Gott anfangen können. Nach der klerikalen Nachkriegsära war sich auch der konservative Juristenstand (zumindest verbal) nahezu vollständig darin einig, dass der Staat des GG kein religiös oder gar spezifisch christlich definierter Staat ist, wenn man auch auf vielfältige Weise versuchte, kirchlichen Interessen einen Vorrang zu verschaffen. Trotz der Debatten in der Gemeinsamen Verfassungskommission um die Präambel des GG im Jahr 1993 und der durch ein Volksbegehren nachträglich erzwungenen einschlägigen niedersächsischen Landtagsdebatte 1994 finden sich selbst in Großkommentaren zum GG keine Aussagen, die einen eigenständigen rechtlichen Bedeutungsgehalt der Gottesnennung in Form einer zusätzlichen Auslegungsdirektive zum Ausdruck bringen. Bezeichnenderweise gibt es zum "Präambelgott" auch keine Rechtsprechung, sieht man einmal von der Entscheidung des BayVerfGH vom 2.5.1988 zum bayerischen Erziehungsziel "Ehrfurcht vor Gott" ab. Deren Eigenart kommt insbesondere in der These zum Ausdruck, dieses Erziehungsziel sei für Andersdenkende wegen der Glaubensfreiheit nicht verbindlich. Im Übrigen gilt auch in Bayern: Bundesrecht geht stets vor Landesrecht (Art. 31 GG). Das BVerfG hat zwar grundsätzlich den Rechtscharakter der GG-Präambel betont, aber trotz einer Überfülle religionsrechtlicher Entscheidungen noch nie eine Aussage zur Gottesklausel gemacht.

IV. Negative Aspekte.

1. Auch ohne Gottesklausel lässt das GG keinen Staatsatheismus zu und ist es betont aufgeschlossen für Religion und Weltanschauung. Da der Nennung Gottes durch Auslegung kein klarer Sinn über den aus dem eigentlichen Text des GG deutlich erkennbaren säkularen Grundcharakter einer r-w neutralen Verfassung hinaus entnommen werden kann, ist sie zumindest überflüssig. Gegen den Präambelgott sprechen vor allem folgende Punkte:

Die Abgrenzung zu jeder Form von Diktatur bedarf keines Gottesbezugs. Eine allgemeine Bezugnahme auf theologische Überlegungen steht im Wertungswiderspruch zum säkularen Grundcharakter des GG. Ein Verweis auf überpositive Prinzipien zur Fundierung des Menschenrechtsgedankens ist viel weniger präzise als das in Art. 2 II GG ohnehin enthaltene Bekenntnis zu "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten" als Grundlage von Gemeinschaft, Frieden und Gerechtigkeit. Da das Volk Verfassungssouverän ist (Art. 20 II 1 GG: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus"), ist Gogggtt als Souverän des weltlichen Staats abgelöst. Der religiöse Begriff "Gott" ist völlig diffus. Die Umfrageergebnisse differieren z. T. stark, obwohl jeweils repräsentativ angelegt. An den traditionellen persönlichen Gogggtt glauben nach der großen ALLBUS-Umfrage von 2012 nur 25% der Bevölkerung der Bundesrepublik (s. Kirchen- und Religionsstatistik). Die Gottesformel eignet sich allenfalls für eine bessere oberflächliche psychologische Integrierung des religiös fühlenden Teils der Bevölkerung, grenzt aber den großen Teil der sich nicht religiös verstehenden Bürger (etwa die Hälfte) zumindest tendenziell aus. Das wird vielfach als diskriminierend empfunden und ist daher legitimationshemmend.

2. Die Verwendung des Gottesbegriffs in der Verfassung führt zu deren religiöser Instrumentalisierung und degradiert gleichzeitig "Gott" zu einem leeren Wort, das einer verfassungskonformen Auslegung bedarf. Die Gottesklausel war übrigens weder in der Paulskirchenverfassung von 1849, noch in den Verfassungen von 1871 und der WRV enthalten. Auch die meisten Bundesländer und europäischen Staaten kennen sie nicht. Die Geschichte hat überdies gezeigt, dass der Name Gottes ständig missbraucht wird und keineswegs Diktaturen verhindert. Es wäre daher zumal angesichts der deutschen religionssoziologischen Situation nicht ein Akt der (untersagten) Religionsfeindschaft, sondern der Rechtskultur, wenn man die nur Missverständnisse produzierende Gottesklausel aus dem GG streichen würde.

V. Europäischer Streit

1. Wie wenig eine Gottesklausel zum Rechtsfrieden beiträgt, zeigen auch die heftigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Beratungen zum Entwurf einer europäischen Verfassung in den Jahren 2003/2004. Den konservativen Parteien und kirchlichen Interessenvertretern, insbesondere dem Vatikan, ging es dabei darum, durch eine Gottesklausel einen textlichen Ansatzpunkt für die Aufrechterhaltung einer religiösen Dominanz in der Politik zu erhalten. Angesichts des Standes der Säkularisierung selbst in den traditionell katholischen neuen Mitgliedsstaaten ist das kein Beitrag zur Erzeugung von gemeinsamem europäischem Bewusstsein. Spezifisch europäisch sind heute der säkulare, freie, demokratische und pluralistische Rechtsstaat mit freiem Meinungsbildungsprozess und vor allem der Idee individueller Grundrechte, nicht aber der Rekurs auf ein religiöses Prinzip, von dem gleichzeitig gesagt werden muss, dass es nicht für alle gilt.

2. Viele Religionsvertreter wollten das leider auch nach dem Scheitern ihrer hartnäckigen Bestrebungen (Verabschiedung des Entwurfs einer EU-Verfassung durch die Regierungsvertreter 2003) nicht einsehen. Dabei heißt es in der damals beschlossenen Präambel des Grundrechte-Teils ohnehin: "In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität." Nach der Ablehnung des Entwurfs durch die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden musste der Prozess der Verfassungsgebung erneut in Gang gesetzt werden. Aber auch jetzt tendierte insbesondere die kath. Kirche (wenn auch vergeblich) dahin, wieder einen politischen Machtkampf um das Wort "Gott" zu führen. Die dann 2007 im Vertrag von Lissabon (in Kraft seit 2009) beschlossene Präambel nahm ("lediglich") auf das "kulturelle, religiöse und humanistische" Erbe Europas Bezug, nicht aber speziell auf das "christliche".

Christentum und GrundgesetzLeitprinzipien des Grundgesetzes; Neutralität; Religionsrecht.

Literatur:

  • Bundestags-Drucksache 12/6000, S. 108 ff. (Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission v. 5.11.1993); Niedersächs. Landtag, 12. Wahlperiode, 106. Plenarsitzung v. 19.5.1994, Prot. S. 10001-10025.
  • Czermak, Gerhard: "Gott" im Grundgesetz? NJW 1999, 1300-1303 (Replik auf Ennuschat, NJW 1998,953.
  • Dreier, Horst, in: Dreier-GG I, 3. A. 2013, Präambel.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)