Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz

Die folgenden Überlegungen kommen zu einem Ergebnis, das - mit einer modifizierenden Maßgabe - den Gesetzentwurf der Abgeordneten Künast, Sitte, Gehring u.a. (BT-Drs. 18/5375) unterstützt. Das schließt in der Sache die Zustimmung zu dem Grundgedanken des Entwurfs der Abgeordneten Hintze, Reimann, Lauterbach u.a. ein (BT-Drs. 18/5374); anderen Erwägungen dieses Entwurfs vermag ich hingegen nicht zuzustimmen. Die Entwürfe der Abgeordneten Brand, Griese u.a. (BT-Drs. 18/5373) sowie Sensburg, Dörflinger u.a. (BT-Drs. 18/5376) verdienen nach meiner Überzeugung insgesamt keine Zustimmung.

I. Strafrechtliche Grundlagen: Suizid als Unrecht im Rechtssinne?

 1. Die Frage nach der Strafwürdigkeit einer Hilfe zum Suizid setzt die Klärung der Vorfrage voraus, ob der Suizid selbst ein Unrecht im Rechtssinne ist. Zwar könnte die Suizidhilfe auch dann noch Unrecht (und ggf. strafwürdig) sein, wenn der Suizid seinerseits dies nicht wäre. Doch wäre in diesem Fall ihr eigener Unrechtsgehalt nicht aus dem Unrecht der unterstützten Handlung abzuleiten, wie das die §§ 26 und 27 StGB für die akzessorische Teilnahme des Strafrechts voraussetzen. Er müsste sich vielmehr aus einer anderen rechtlichen Grundlage ergeben. Auf die Frage, ob eine solche Grundlage denkbar ist, komme ich zurück.

2. Unrecht im Rechtssinne wäre die Selbsttötung nur, wenn der Suizident eine Rechtspflicht zum Leben hätte. Eine solche Pflicht könnte er gegenüber Dritten oder gegen sich selbst haben. Beides ist zu verneinen. Rechtspflichten gegen sich selbst sind schon prinzipiell ausgeschlossen. Denn sie setzten die Identität von Schuldner und Gläubiger der Pflicht voraus - eine normenlogische Unmöglichkeit.[1] Aber auch Dritten gegenüber kann niemand rechtlich zum Weiterleben verpflichtet sein. Das gilt insbesondere im Verhältnis des Individuums zum Staat. Eine zwangsrechtliche Pflicht zum Leben ist im freiheitlichen Verfassungsstaat illegitim. Seit über 150 Jahren wird das nicht mehr ernsthaft bestritten.[2]

Auch anderen Personen gegenüber scheidet eine solche Rechtspflicht aus. Gewiss mögen Garantenpflichten gegenüber Schutzbefohlenen in bestimmten Konstellationen eine Selbsttötung verbieten (Beispiel: Mutter erschießt sich neben ihrem Kleinkind, das dadurch der Gefahr des Verhungerns ausgeliefert wird) - aber, wie das Beispiel deutlich macht, nicht deshalb, weil nun der Suizid als solcher verboten wäre, sondern weil die konkrete Schutzpflicht (gegenüber dem Kind) selbstverständlich rechtlich geboten bleibt und der Garant bzw. die Garantin sie nur erfüllen kann, wenn er/sie am Leben ist. – Das alles steht außer Zweifel.

II. Die individuelle Hilfe zum Suizid: Unrecht?

Der mögliche Unrechtsgehalt einer Hilfe zum Suizid kann sich daher nicht akzessorisch aus dessen Unrecht ergeben; denn eben daran fehlt es. Er müsste als selbständiges Unrecht aus anderen normativen Grundlagen ableitbar sein. Ob dies möglich ist, muss zunächst im Hinblick auf die einzelne Suizidhilfe geklärt werden. Erst dann lässt sich sinnvoll die weiterreichende Frage beantworten, ob der "geschäftsmäßigen" (organisierten) oder der "gewerbsmäßigen" Suizidhilfe ein jeweils eigener und spezifischer Unrechtsgehalt zugeschrieben werden kann.

1. Zur Klarstellung: Die Rede ist im gegenwärtigen Zusammenhang stets von freiverantwortlichen Suiziden. Die Teilnahme an unfreien Suiziden ist im geltenden Strafrecht seit eh und je mit strengen Strafen bedroht: Als Totschlag, ggf. sogar Mord, sofern die Unfreiheit vom Helfer erkannt (direkter Vorsatz) oder doch für möglich gehalten und in Kauf genommen wurde (Eventualvorsatz); als fahrlässige Tötung, sofern sie ihm verborgen blieb, aber erkennbar war.

Anmerkung: Gelegentlich wird behauptet, so gut wie alle Suizide seien psychisch unfrei, da sie im Zustand extremer innerer Belastung und oft in depressiver Gemütsverfassung ausgeführt würden. Schon deswegen müsse jede Suizidhilfe verboten und mit Strafe bedroht werden. Das ist in mehrfacher Hinsicht verfehlt. Stimmte die Prämisse, dann wäre jede solche Hilfe, wie soeben ausgeführt, ohnehin längst strafbar. Freilich ist die Prämisse falsch, selbst wenn sehr viele Suizide tatsächlich im Rechtssinne unfrei sein sollten. Denn dies wären sie jedenfalls nicht einfach wegen der extremen inneren Belastung eines Suizidenten. (Beiläufig: In welcher anderen inneren Verfassung wäre es denn denkbar, das eigene Leben zu beenden?) Wäre die Behauptung richtig, so beträfe sie auch den jährlich vieltausendfach praktizierten Therapieverzicht mit lebensverkürzender Wirkung, dessen Zulässigkeit niemand bestreitet. Auch er ist aber unzulässig und seitens des (garantenpflichtigen!) Arztes strafbar, wenn er nicht freiverantwortlich erklärt wurde.

Zudem: Niemand würde ernsthaft in Betracht ziehen, die in einer solchen inneren Verfassung (Stress, Traurigkeit, etc.) ausgeführte Tötung einer anderen Person für schuldlos zu erklären, weil sie nicht frei- verantwortlich gewesen sei. Und wollte man deshalb die Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung anders behandeln als die der Fremdtötung (mit welchem Recht?), so hätte das in Fällen, in denen der Täter in einem Akt beides, Fremd- und Selbsttötung, zugleich ausführt, also bei den sog. Mitnahmesuiziden (etwa eines Vaters mit seinem Kind), die geradezu bizarre Konsequenz, dass jemand, der einem solchen Täter ein Hilfsmittel (z.B. Gift) verschaffte, wegen der Hilfe zur (angeblich unfreien) Selbsttötung des Vaters als Totschläger, wegen der zur (verantwortlichen) Fremdtötung des Kindes aber nur als Gehilfe zu bestrafen wäre. Dass dies nicht richtig sein kann, ist offensichtlich.

Schließlich: § 161 VersicherungsvertragsG (VVG) schließt die Leistungspflicht des Lebensversicherers aus, wenn der Versicherte durch Suizid ums Leben kam – es sei denn, der Suizid geschah "in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand". Die allermeisten der hierzu bislang ergangenen Entscheidungen bejahen die Freiverantwortlichkeit des jeweils fraglichen Suizids (s. Mönnich, Münchener Kommentar VVG, Bd. 2, 2011, Rn. 39 f. zu § 161).

2. Ob eine Suizidhilfe selbständiges (nicht-akzessorisches) Unrecht sein kann, mag unterschiedlich zu beantworten sein je nachdem welches ggf. zu schützende Rechtsgut und welche Form des Angriffs gegen dieses Rechtsgut qua Suizidhilfe jeweils in Frage steht. Zwei solcher Schutzgüter sind denkbar: (1.) das Leben des Suizidenten und (2.) gesellschaftliche Schutzinteressen. Und ebenfalls denkbar sind zwei Modi des Angriffs: (1.) die Verletzung und (2.) die Gefährdung des jeweils fraglichen Guts durch die Suizidhilfe. – Im Folgenden seien diese möglichen Varianten knapp erörtert.

a) Unrecht der Suizidhilfe als Verletzung des Lebens des Suizidenten? - Nein; rechtlich ist das nicht denkbar. Das folgt

(1.) aus dem Fehlen einer Rechtspflicht des Suizidenten zum Leben und

(2.) aus der Freiverantwortlichkeit seines Handelns. Diese schließt nach allgemeinen Prinzipien eine Zurechnung der (Mit-)Verursachung des Todes als selbständiger Tötungshandlung zum Helfenden aus. Das ist im übrigen auch die (unbestrittene) Grundlage der Abgrenzung einer strafbaren Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) von der straflosen Suizidhilfe.

b) Als Gefährdung des Lebens des Suizidenten? - Bei tatsächlicher Freiverantwortlichkeit des Suizids ist das, mit der soeben unter a) dargelegten Erwägung, erst recht ausgeschlossen. Eine ggf. verbotswürdige Gefährdung durch jede individuelle Suizidhilfe käme daher nur dann in Betracht, wenn jeder unterstützte Suizid das erhebliche Risiko enthielte, nicht freiverantwortlich zu sein. Eine solche von jedem Einzelfall abstrahierende Fiktion der Unfreiheit ginge weit an der Wirklichkeit typischer Suizide vorbei (s. oben die Anm. unter 1.). Ein gerade darauf gestütztes Totalverbot mit Strafdrohung wäre grob unverhältnismäßig und illegitim.

Daher kann die Notwendigkeit, die Frage der Freiverantwortlichkeit des Suizids in jedem Einzel- fall zu klären, nicht mit einer unplausiblen und deshalb unzulässigen rechtlichen Fiktion umgangen werden. Gewiss kann der Gesetzgeber unerlaubte Risiken kennzeichnen und verbieten; er kann und darf sie aber nicht erfinden.

c) Als Gefährdung gesellschaftlicher Schutzinteressen? - Gemeint sind Gefahren wie die einer allgemeinen Erosion des Respekts vor dem Leben, eines Risikos ständigen Missbrauchs oder einer gefährlichen "schiefen Ebene" ("slippery slope") hin zur Freigabe der Tötung auf Verlangen. Vor dem Hintergrund des Umstands, dass die Hilfe zum Suizid in Deutschland seit 1871 erlaubt ist und es daher derzeit gar nicht, wie oft gesagt wird, um ihre strafrechtliche "Freigabe" geht, sind solche Warnrufe schon auf den ersten Blick unplausibel. Angesichts des 150-jährigen Bestehens genau der rechtlichen Lage, von der die genannten Erosionsphänomene angeblich er- zeugt würden, müssten sie längst Wirklichkeit sein. Alle seriösen Untersuchungen hierzu zeigen, dass dies nicht zutrifft oder auch nur drohte.[3] Hier gilt erneut: Der Gesetzgeber darf kollektive Risiken definieren und ggf. unterbinden; erfinden darf er sie aber nicht.

III. Spezifische Verbotswürdigkeit der geschäftsmäßigen (organisierten) Hilfe zum Suizid?

Auch für diese Frage sind die oben für die individuelle Suizidhilfe getroffenen Unterscheidungen der Schutzgüter (Leben des Suizidenten / gesellschaftliche Schutzinteressen) und der möglichen Angriffsmodi (Verletzung / Gefährdung) zu beachten.

1. Verletzung des Lebensrechts des Suizidenten speziell durch den Umstand des Organisiert- seins der Suizidhilfe? – Nein. Ist die individuelle Unterstützung des freiverantwortlichen Suizids kein lebensverletzendes Unrecht, so kann sie nicht dadurch zu einem solchen werden, dass sie organisiert oder wiederholt erfolgt. Das ist evident und bedarf keiner weiteren Begründung.

Anmerkung: Trotz dieser Evidenz gibt die Überlegung Anlass für einen dringenden Appell an den Gesetzgeber. Möglicherweise empfinden viele Abgeordnete, die den Entwurf Brand, Griese u.a. unterstützen, die organisierte (anders als die individuelle) Suizidhilfe als eine Art öffentliches Ärgernis. Darüber mag man streiten. Solange die Ärzteverbände jede Suizidhilfe kategorisch ablehnen, wird man ein gewisses gesellschaftliches Bedürfnis nach der Tätigkeit dieser Vereine anerkennen müssen. Betrachtet man sie dennoch als Ärgernis, so mag man sie mit den dafür vorgesehenen rechtlichen Mitteln des Ordnungswidrigkeiten- und des öffentlichen Vereinsrechts bekämpfen. Aber das rechtfertigt es nicht, eine Handlung, die als einzelne kein Unrecht sein kann (und von Brand u.a. auch nicht dazu erklärt werden soll), plötzlich als Tötungsunrecht zu deklarieren, wenn und weil sie wiederholt werden soll! Die Addition von Null-Unrecht ergibt immer wieder nur Null-Unrecht. Das ist eine Frage der einfachen Logik. Der Entwurf Brand u.a. will den vorgeschlagenen § 217 gegen die organisierte Suizidhilfe in die Tatbestände der Tötungsdelikte einfügen. Damit würde dem StGB ein schwerer Systembruch im Bereich seiner gravierendsten Delikte eingeschrieben - das gesetzliche Statuieren einer Verletzung des Rechtsguts Leben, die (unstreitig!) keine ist und keine sein kann. Als Strafrechtstheoretiker erlaube ich mir, vor einem solchen Verstoß gegen die Minima rechtsdogmatischer Konsistenz nachdrücklich zu warnen.

2. Gefährdung des Rechtsguts Leben speziell durch die geschäftsmäßige Suizidhilfe? - Anders formuliert: Erhöht gerade die Organisiertheit der Hilfe zum Suizid das Risiko, dass bei unfreien Suiziden geholfen wird? (Denn die Hilfe zu freiverantwortlichen Suiziden kann, wie dargelegt, kein Unrecht sein.) Das käme allenfalls in Betracht, wenn der selbstverständlich immer zu gewährleistende (und zu fördernde) "Rücktritt" Sterbewilliger von ihrem Suizidwunsch dadurch psychisch erschwert würde, dass sie ihn gegenüber jemandem geäußert haben, der ihnen als Teil einer Organisation begegnet.

Schon die bemühte Künstlichkeit des Bedenkens zeigt, dass nichts für dessen Stichhaltigkeit spricht. Im Gegenteil. Organisationen und erst recht Ärzte können die Voraussetzungen legitimer Suizidhilfe weitaus kompetenter beurteilen und wären deshalb auch erheblich besser geeignet, ein solches generelles Risiko auszuschließen, als etwa laienhafte Verwandte, die um eine solche Hilfe gebeten werden (und diese ja auch nach Brand u.a. weiterhin straffrei sollen gewähren dürfen). Zudem wären Organisationen und Ärzte weit besser auf die strikte Einhaltung von Vorsichtskriterien zu verpflichten, wie sie der Entwurf Künast u.a. in seinen §§ 7 und 8 ganz zu Recht statuiert. Und sie wären insofern und mithilfe der in § 10 des Entwurfs Künast u.a. formulierten "Durchführungsbestimmungen" auch erheblich sicherer kontrollierbar.

3. Gefährdung gesellschaftlicher Schutzinteressen durch organisierte Suizidhilfe? - Oft wird gesagt, organisierte Formen der Suizidhilfe verschafften dieser den Anschein einer "sozialen Normalität" und machten sie dadurch "gesellschaftsfähig". Das ist eine befremdliche Behauptung. Die strengen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der organisierten bzw. ärztlichen Suizidhilfe, wie sie § 7 des Entwurfs Künast, Sitte u.a. festlegt, bekräftigen nachdrücklich, dass es dabei nicht um die Eröffnung "eines zweiten regulären Ausstiegs" aus dem Leben geht, "sondern um die Freihaltung eines Notausstiegs".[4] Und es sind gerade und nur die organisierten Formen dieser Hilfe zum "Notausstieg", die sich, anders als private Hilfen, zuverlässig kontrollieren lassen.

IV. Spezifische Verbotswürdigkeit der gewerbsmäßigen Hilfe zum Suizid?

1. Auch hier ist es geboten, nach den oben dargelegten Kriterien (Lebensschutz / Gesellschaftsschutz; Verletzung / Gefährdung) zu unterscheiden. Dann ergibt sich im Hinblick auf die Frage der Verletzung des Lebensrechts freiverantwortlich handelnder Suizidenten kein Unterschied zur individuellen und zur geschäftsmäßigen Hilfe. Allein der Umstand, dass jemand für eine unstreitig erlaubte Handlung Geld nimmt, kann diese Handlung nicht zur Tötungshandlung machen.

 2. Mit Blick auf das Risiko einer erhöhten Gefährdung des Lebens von möglicherweise unfrei handelnden Sterbewilligen mag man dies anders beurteilen. Wer den Sterbewunsch Anderer in der Absicht unterstützt, daraus Gewinn zu ziehen, mag ein eigenes Interesse an dem Suizid dieser Anderen verfolgen und deswegen die Bedingungen der Freiverantwortlichkeit nicht strikt genug überprüfen oder sogar (bewusst oder unbewusst) subtilen Druck auf den Sterbewilligen ausüben, seinen Sterbenswunsch nicht aufzugeben.

a) Diese Überlegung liegt § 4 des Entwurfs Künast, Sitte u.a. zugrunde. An der dort festgelegten Strafdrohung gegen gewerbsmäßige Suizidhilfe leuchtet ein, dass es vielen als öffentliches Ärgernis erschiene, wenn Privatpersonen ein anstößiges Gewinnstreben mit der Sterbensnot Anderer verwirklichen dürften. (Ärzte, die Suizidhilfe leisten, sind ein substantiell anderer Fall; dazu unten, V. 2.) Doch wäre dies ebenso wie bei der organisierten Hilfe lediglich eine Angelegenheit für das Ordnungswidrigkeiten- bzw. das öffentliche Vereinsrecht (s. oben IV. 1., Anmerkung). Auch wer aus anstößiger Geldgier eine Handlung vornimmt, die als unentgeltliche kein Unrecht sein könnte, macht sein Handeln damit offensichtlich nicht zu einem Töten. Es mag aus anderen Gründen rechtswidrig sein. Dann darf es aber nur nach diesen anderen Maßgaben und nicht als Tötungsdelikt bestraft werden. Denkbar wäre, es als eine wucherähnliche Tat zu verstehen: als Gewinnstreben im Modus einer gesteigerten sozialen Anstößigkeit. Dann dürfte man freilich (1.) den Tatbestand in § 4 des Entwurfs Künast u.a. nicht den Tötungsdelikten zuordnen und müsste (2.) seine Strafdrohung an § 291 (Wucher) und nicht an § 216 StGB orientieren. Das erstere wäre per Interpretation des Tatbestands, der ersichtlich nicht ins StGB eingefügt werden soll, ohne weiteres möglich; die Strafdrohung "bis zu drei Jahren" wäre jedoch zu hoch.

b) Nun spricht allerdings die Begründung zu § 4 im Entwurf Künast u.a. von einer Gefahr der Unterstützung unfreier Suizide; diese sei erhöht, wenn der Helfer eigene Interessen verfolge, und müsse deshalb strafrechtlich bekämpft werden (BT-Drs. 18/5375, S. 11). Damit statuiert der Entwurf tatsächlich den Tatbestand eines gegen das Leben gerichteten, aber freilich (hoch-)abstrakten Gefährdungsdelikts. Abstrakte Gefährdungstatbestände sind selbstverständlich nicht unzulässig. Als Strafdrohungen gegen Handlungen, die keine Rechtsgüter verletzen, sind sie aber nur dann legitim, wenn es keine milderen, ebenso wirksamen Möglichkeiten zur Verhinderung solcher Risiken gibt; dies gilt umso mehr, je abstrakter die typisiert unterstellte Gefahr ist. Damit ist der einzige Punkt markiert, worin ich dem Entwurf Künast u.a. nicht zustimmen möchte. Das Risiko der Unterstützung unfreier Suizide allein wegen eigener Gewinninteressen des Helfers ist erstens äußerst gering. Denn die Unterstützung unfreier Suizide ist, wie oben dargelegt, ohnehin mit strengen Strafen bedroht. Und zweitens ist dem verbleibenden Restrisiko durch verwaltungsrechtlich verhängte und sanktionierte Verbote wegen der präventiv operierenden Kontrollmöglichkeiten des Verwaltungsrechts sogar noch besser zu begegnen als mit dem Strafrecht. Daher lautet mein Vorschlag, die gewerbsmäßige Suizidhilfe im öffentlichen Vereinsrecht zu verbieten, Zuwiderhandlungen mit Sanktionen des Rechts der Ordnungswidrigkeiten zu belegen, sie aber nicht mit einer rechtsstaatlich zweifelhaften Strafdrohung zu bekämpfen.

V. Der ärztlich assistierte Suizid

1. Nachdrücklich zu begrüßen ist § 6 Abs. 2 des Entwurfs Künast u.a.. Danach kann die Hilfe

zum Suizid eine ärztliche Aufgabe sein und von gegenläufigen standesrechtlichen Regelungen

nicht wirksam untersagt werden. Dafür gibt es zwei profunde allgemeine Gründe.

(1.) Das Argument der letzten noch möglichen Hilfe. Menschen in auswegloser Not und für sie nicht mehr erträglichem Leid, für das keine andere Abhilfe mehr möglich ist als der von ihnen ersehnte Tod, kann so auf ihrem letzten Weg eine humane Hilfe mit den "sanften" Mitteln der ärztlichen Profession gewährt werden, die ihnen ein qualvolles Ausharrenmüssen bis zum letzt- möglichen Atemzug oder Gewaltakte gegen den eigenen Körper erspart. Die manchmal zu hörende Behauptung, ein solches Leid gebe es nicht, ist unwahr. Von außen zu definieren, dass der Leidende seinen Zustand gegen sein eigenes Erleben noch ertragen könne, und ihm die Konsequenz solchen Besserwissens aufzunötigen, ist in hohem Maße unmoralisch. Der Hinweis auf die (angeblich) stets gegebene Möglichkeit ausreichender Schmerzlinderung geht a limine fehl. Denn Leid ist nicht dasselbe wie Schmerz. Und das Leid Sterbender kann für diese selbst (und auf sie allein kommt es an!) auch dann unerträglich sein, wenn der Schmerz allein dies nicht wäre. – Deshalb darf gerade hier, bei den am schwersten Leidenden, dem Arzt die manchmal allein noch mögliche menschliche Hilfe, die zum Sterben, nicht mit Zwangsmitteln untersagt werden. Dass andererseits kein Arzt zu einer solchen Hilfe verpflichtet sein kann, ist selbstverständlich. § 6 Abs. 1 des Entwurfs Künast u.a. hält dies mit Recht fest.

(2.) Das Argument der nur so möglichen Suizidprävention. Bei Menschen, die zum Suizid entschlossen sind, denen aber tatsächlich noch anders geholfen werden kann, mag es gerade und nur der Weg zum Arzt sein, der ihnen diese Hilfe eröffnet und eine vorschnelle Verwirklichung ihres Suizidplans verhindert. Diese moralisch wie rechtlich gebotene Suizidprävention kann aber nur dann funktionieren, wenn Sterbewillige auch tatsächlich zu Ärzten gehen und sich nicht, wie in der großen Mehrzahl der jährlich über 100.000 Suizidversuche in Deutschland, vor Bahnen werfen, von Brücken springen oder dilettantisch und qualvoll vergiften. Zu Ärzten gehen sie jedoch nur dann, wenn sie wissen, dass ihnen dort mit ihrem Sterbewunsch nicht die Tür gewiesen wird, sondern ihnen, wenn sie keine Kraft mehr zum Ertragen ihres weiteren Lebens haben, mit gewaltlos humanen Mitteln ggf. auch zum Suizid geholfen wird. Niemand weiß genau, wie viele Tau- sende der suizidalen Gewaltakte jedes Jahr in Deutschland scheitern und schwerstverletzte Menschen zurücklassen. Und erst recht weiß niemand, wie vielen dieser Menschen suizidpräventiv hätte geholfen werden können, wären sie mit ihrer Bitte um Suizidhilfe zum Arzt gegangen und hätten dort eine wirksame Hilfe zum weiteren Leben erfahren. Dass ihre Zahl groß ist, darf aber als sicher gelten.[5] Höchstens dem oberflächlichen Blick erscheint paradox, was in Wahrheit das genaue Gegenteil ist: Nur der Arzt, der zuletzt auch zur Suizidhilfe bereit ist, kann suizidpräventiv wirken. Denn allenfalls an ihn wendet sich ein Verzweifelter, zur Selbsttötung fest Entschlossener. Und nur dann kann ein gegenläufiges Hilfsprogramm beginnen und am Ende vielleicht erfolgreich sein. Dass im Namen eines missverstandenen ärztlichen Ethos durch das Unterbinden jeder Möglichkeit einer ärztlichen Suizidhilfe jedes Jahr vieltausendfach die Chance einer effektiven Suizidprävention verhindert wird, ist ein schwer erträglicher Gedanke.

2. Mit diesen Erwägungen lassen sich schließlich zwei Bedenken beilegen, die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags gegen § 6 Abs. 2 des Entwurfs Künast u.a. erhoben hat: Dessen Anordnung, Hilfe zum Suizid könne eine ärztliche Aufgabe sein und von berufsrechtlichen Regelungen nicht wirksam untersagt werden, sei inkonsistent mit der Regelung in § 4 desselben Entwurfs, wonach die "gewerbsmäßige" Suizidhilfe verboten und strafbar sei. Denn Ärzte handelten im Rahmen ihrer Aufgaben nun einmal entgeltlich. Das ist ein Missverständnis dessen, was "gewerbsmäßige Suizidhilfe" in § 4 bedeutet. Ärzte, die in extremen Notfällen ihren Patienten zum Suizid helfen, leisten damit eine gänzlich arztspezifische Hilfe für schwerleidende Patienten. Sie besteht zunächst im intensiven Bemühen um Suizidprävention mittels berufsspezifischer medizinischer Kompetenzen. Erst und allenfalls am aus- weglosen Ende geht sie über zum Einsatz der dann freilich ebenfalls berufsspezifischen Fähigkeit zur Ermöglichung eines physisch und psychisch "sanften", medizinischen Suizids und damit zur Verhinderung von Gewaltakten Sterbewilliger gegen den eigenen Körper. Dass dies genuin ärztliche Hilfen für Schwerkranke sind, denen anders nicht geholfen werden kann, ist nicht zweifelhaft; deshalb dürfen dafür auch Gebühren verlangt werden. Das eben unterscheidet sie substantiell vom schieren "Geldverdienen durch Suizidhilfe", nämlich ohne die dafür geforderten berufs- spezifischen Kompetenzen. Nur dieses wird aber von § 4 des Entwurfs erfasst. Keine vernünftige Auslegung könnte dies verkennen. Im übrigen mag es zur Klarstellung in einem knappen Satz an § 4 angefügt werden: "Nicht von Absatz 1 erfasst ist die ärztliche Hilfe zur Selbsttötung."

Der zweite Einwand verweist auf das Fehlen legislativer Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für eine solche Regelung. Gesetzliche Grundlagen für die Berufsordnungen der Ärzte fielen in die Kompetenz der Länder, da sie weder der ausschließlichen noch der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterfielen (Art. 70 Abs. 1 GG). Das ist richtig. Doch sind hier zwei Ergänzungen notwendig. (1.) ist das standesrechtliche Verbot jeder ärztlichen Suizidhilfe in den Satzungen mancher Landesärztekammern verfassungswidrig. Es genügt weder dem grundrechtlichen noch dem im Demokratieprinzip verankerten Gesetzesvorbehalt für gewichtige Eingriffe in Grundrechte. Ein solcher profunder Eingriff in Grundrechte nicht nur der Ärzte (Art. 12 GG), sondern vor allem der sterbewilligen Patienten (Art. 2 Abs. 1 GG) sind aber die genannten Verbote. [6]

Von Verfassungswegen käme daher allenfalls ein Verbot durch die Landesgesetzgeber, nicht aber seitens der Ärztekammern in Frage. Doch wenn irgendwo, dann ist in diesem Fall ein zwingender Sachzusammenhang mit bundesgesetzlicher Regelungsmaterie gegeben: mit dem Straf- recht. Jede vermeidbar irrige Feststellung der Freiverantwortlichkeit eines Suizids lässt den helfenden Arzt strafbar werden; Erlaubnis und Verbot der Suizidhilfe sind allein durch die oft dünne Trennlinie der "Freiverantwortlichkeit" voneinander geschieden. Eben deren Feststellung gehört aber auch und insbesondere in den ärztlichen Kompetenzbereich. Daher wird dem Bundesgesetzgeber die Annexkompetenz zu einer Regelung wie § 6 Abs. 2 des Entwurfs Künast u.a. kraft zwingenden Sachzusammenhangs mit dem Strafrecht nicht verwehrt werden können.

VI. Schlussbemerkung

Nicht selten wird in der Öffentlichkeit behauptet, es gehe in der Debatte um den assistierten Suizid um eine Auseinandersetzung zwischen dessen Befürwortern als "Fetischisten der Autonomie" auf der einen Seite und "Ethikern" auf der anderen. Nichts könnte falscher sein. Die obigen Ausführungen (insbesondere zu V. 1.) sollten zeigen, dass die Zulässigkeit einer Hilfe zum Suizid in manchen Fällen höchster, auswegloser Not ein zwingendes Gebot der Ethik ist. Eine strikte Verweigerung, die Tausenden schwerleidender Menschen keinen anderen Weg mehr zu weisen vermag als den auf die Gleise der Bahn, wird dann objektiv unmoralisch. "Das letzte, was leidende Menschen in ihrer Not benötigen, ist das unbarmherzige Schwert des Strafrechts!" [7]

 


[1] Im Zivil-, v.a. im Erbrecht als "Konfusion" geläufig; sie führt bekanntlich eo ipso (logisch) zum Erlöschen der Forderung. – Moralische Pflichten des Menschen gegen sich selbst mag man mit Kant bejahen (freilich auch bestreiten). Kant hat die normenlogische Unmöglichkeit einer Identität von Verpflichtetem und Berechtigtem auch für die Ethik aber genau gesehen und sie mit seiner (etwas schief) sog. "Zweiweltenlehre" des Vernunftsubjekts ("homo phaenomenon" und "homo noumenon") zu vermeiden versucht. – Für das Recht ist dies ohne Belang.

[2] Nach einem berühmten Wort A. F. Berners aus seinem "Lehrbuch zum Deutschen Strafrecht" (1879) ist das Individuum "dem Staat und Anderen verpflichtet, solange es lebt; es ist ihnen aber nicht verpflichtet zu leben".

[3] S. nur Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing: Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, 2014, 53 ff.; Kuschel: der ärztlich assistierte Suizid, 2007, 144; Gavela: Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, 243; Henking, Juristische Rundschau, 2015, 174 (181); Sowada, Zeitschrift für Lebensrecht, 2015, 34 (40).

[4] Sowada (Anm. 3), 40, mit Zitat Duttge, Zeitschrift für Lebensrecht,  2012, 54.

[5] Wie Borasio et al. (Anm. 3, S. 58) mit Zahlen aus dem US-Bundesstaat Oregon, wo ärztliche Suizidhilfe gesetzlich erlaubt ist, eindrucksvoll belegen, werden "letztlich 80 % der Anfragenden vom Suizid abgehalten" – nämlich eben durch die fürsorgende Behandlung seitens eben der Ärzte, die sie zuvor um Suizidhilfe gebeten haben. Solche Erfahrungen darf der deutsche Gesetzgeber und sollten die deutschen Ärztekammern nicht ignorieren!

[6] Ausführliche und zutreffende verfassungsrechtliche Begründung hierfür bei Lindner, NJW 2013, 136 (138 f.); ähnlich VG Berlin (Unzulässigkeit eines generellen Verbots der Suizidhilfe durch Ärzte), ZfL 2012, 80.

[7] So mit großem Recht mein strafrechtlicher Kollege Duttge, ZfL 2012, 51 (54) – im übrigen ein strikter Gegner jeder Rechtfertigung der aktiven Tötung auf Verlangen. Zustimmend Sowada (Anm. 3), 43.