IFG-Anfrage: Kirchliches Arbeitsrecht: Teilnehmerkreis und Stellungnahmen von BundesverfassungsrichterInnen bei den „Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche“

Adressat der Anfrage: Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Link zur offiziellen Anfrage: LINK

Datum: 07.08.2019

Inhalt der Anfrage

1. Einladungsschreiben der Veranstalter der "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" am 18./19. März 2019 an BundesverfassungsrichterInnen und die sich daran anschließende Korrespondenz.

2. Genehmigungen von Dienstreiseanträgen der BundesverfassungsrichterInnen zur Teilnahme an den "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" am 18./19. März 2019 in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg", Falkenweg 6, 45478 Mülheim an der Ruhr.

3. Stellungnahmen, Vortrags- und Gesprächsnotizen derjenigen BundesverfassungsrichterInnen, die an den "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" im Jahr 2019 teilgenommen haben, u.a. von der Bundesverfassungsrichterin Christine Langenfeld (vgl. https://www.fr.de/wirtschaft/lockruf-richter-12745928.html)

Status der Anfrage

Anfrage erfolgreich. Am 09.09.2019 übersandte das BVerfG die folgenden Dokumente:

  1. Antwortschreiben der BVerfG-Verwaltung vom 09.09.2019 (3 S.) auf die IFG-Anfrage des ifw vom 07.08.2019 (Aktenzeichen 1451/1 - 1187/19).
  2. Anzeigen von drei Dienstreisen der Bundesrichter Prof. Dr. Christine Langefeld vom 10.01.2019, Peter Müller vom 15.01.2019 und Prof. Dr. Peter Michael Huber vom 16.01.2019 (alle dem Zweiten Senat zugehörig).
  3. Einladungskarte "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" am 18./19. März 2019 in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" (Bistum Essen) ohne Datum. Programmankündigung von BVR‘in Prof. Dr. Christine Langenfeld
  4. Einladungskarte und Programmübersicht "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" am 18./19. März 2019 in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" (Bistum Essen) ohne Datum. Programmankündigung von Peter Michael Huber zu "Siebzig Jahre Inkorporation: Die Stationen der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur Gegenwart" und BVR‘in Prof. Dr. Christine Langenfeld zu "Die nächsten hundert Jahre. Die inkorporierten Bestimmungen der WRV vor den Herausforderungen der Zukunft".
  5. E-Mail-Korrespondenz der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" (Bistum Essen) mit BVR’in Prof. Dr. Christine Langenfeld über das Vortragsthema und eine Fundstelle eines Zitats des früheren BVR Prof. Dr. Udo Di Fabio. E-Mails teilweise über Bundesverfassungsgericht, teilweise über Universität Göttingen aus 02/2019, 03/2019 und 09/2019.
  6. Ideenskizze (13. S.) von BVR’in Prof. Dr. Christine Langenfeld, ohne Titel, ohne Datum.
  7. Vortrag (24 S.) von BVR Prof. Dr. Peter M. Huber "70 Jahre Inkorporation.  Die Stationen der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur Gegenwart" in anschließend bearbeiteter Aufsatzform, ohne Datum.

Link zu den veröffentlichten Dokumenten (Vorträge aus urheberrechtlichen Gründen durch ifw geschwärzt, teilweise Schwärzungen aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen) bei FragdenStaat.de

ifw-Kommentar

Ausweislich des Artikels von Joachim Frank in der Frankfurter Rundschau (FR) "Chefarzt-Fall: Lockruf der Richter" vom 30.06.2019 (https://www.fr.de/wirtschaft/lockruf-richter-12745928.html) haben drei BundesverfassungsrichterInnen an den diesjährigen "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" teilgenommen, wo zwei von ihnen "deutliche Avancen" an die Kirchenfunktionäre machten, einen Grundsatzfall zum kirchlichen Arbeitsrecht "doch noch einmal nach Karlsruhe [zu] tragen". Unklar ist, um welche drei BundesverfassungsrichterInnen es sich dabei handelt.

Auf dem Bildmaterial der FR mit der Unterschrift "Umworben von Verfassungsrichtern: der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki" sind einzelne BundesverfassungsrichterInnen nicht zweifelsfrei zu erkennen. Damit wurden aus Sicht des ifw weitere Informationen des Bundesverfassungsgerichtes zur Aufklärung der Öffentlichkeit erforderlich.

Zum Hintergrund der Bemühungen der BundesverfassungsrichterInnen um die Vorlage eines Grundsatzfalles beschreibt der FR-Artikel Konflikte der kirchennahen Rechtsprechung des BVerfG mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg: "Spätestens jetzt wurde der arbeitsrechtliche Streit auch zu einem Kräftemessen zwischen Karlsruhe und Luxemburg um das Verhältnis des nationalen Rechts zum Europarecht…. Dagegen war für die Kirchen bei der Wahrung ihrer Privilegien auf Karlsruhe stets Verlass."

Das in der FR beschriebene Verhalten der BundesverfassungsrichterInnen gibt Anlass zur Besorgnis, dass möglicherweise im Zweiten Senat Befangenheit und Parteilichkeit zugunsten des kirchlichen Beschwerdeführers vorliegt.

In dem vom BVerfG offengelegten Dokument 7 widerspricht BVR Prof. Dr. Peter M. Huber dieser Deutung explizit in Fußnote 117: "Die in katholischen Kreisen geäußerte Vermutung, dass das Bundesverfassungsgericht das Verfahren des Chefarztes nutzen wolle, um ‚Pfeile‘ nach Luxemburg zu schicken, FR vom 28. Juni 2019, ‚Lockruf der Richter‘, ist abwegig und verkennt, wie viele Fälle mit entsprechendem Konfliktpotential in Karlsruhe anhängig sind."

Das ifw bat den Autor des FR-Artikels, Joachim Frank, um Stellungnahme, woraufhin dieser am 14.10.2019 per E-Mail mitteilte, dass er es aus Sicht von BVR Prof. Dr. Peter M. Huber zunächst nachvollziehen könne, wenn Huber "mit dem Finger auf katholische Mutmaßer" zeige. Jedoch ergänzt der FR-Autor unter anderem: "Ich habe mit mehreren hochrangigen, fachkundigen Teilnehmern gesprochen, die unabhängig voneinander genau das beschrieben, was ich geschrieben habe. Und danach gab es weitere Rückmeldungen bei mir – die das bestätigten."

Nach den in der FR kolporierten Äußerungen der BundesverfassungsrichterInnen legte die katholische Kirche im Chefarzt-Fall keine Verfassungsbeschwerde ein, hingegen die evangelische Kirche (Diakonie) im Fall Egenberger, was sich laut den in der FR geschilderten Überlegungen "viel besser" eigne, um die Definition eines angeblichen "Selbstbestimmungsrechts" der Kirchen durch das BVerfG und Sonderregelungen des kirchlichen Arbeitsrechts aufrechtzuerhalten. Zur Dimension des Falles: Es gibt etwa 1,3 Millionen Beschäftigte von Kirchen, Caritas und Diakonie, deren Status als Beschäftigte minderen Rechts aus kirchlicher Sicht beibehalten werden soll.

Ein Antrag auf Befangenheit von einem oder mehreren BundesverfassungsrichterInnen wurde bislang im anhängigen Verfahren nicht gestellt.

Es bestehen Zweifel, ob es geschmackvoll ist, wenn ein Richter in einem Zeitraum, in dem er damit rechnen muss, für einen derart bedeutsamen Fall zuständig zu werden, bei einer der betroffenen Parteien eingeladenerweise vorspricht. Oder wie wäre es im umgekehrten Fall zu interpretieren, wenn sich BundesverfassungsrichterInnen zum Gespräch beim Düsseldorfer Chefarzt (bzgl. Arbeitsrecht bei der Caritas) oder bei Frau Egenberger (bzgl. Arbeitsrecht bei der Diakonie) treffen würden?

Auf verschiedentliche Anregung wird das ifw jedenfalls anbieten, die BundesverfassungsrichterInnen zu einem säkularen Gespräch (analog zum kirchlichen Essener Gespräch) einzuladen. Wenn sie eingeladenerweise bei einer der betroffenen Parteien vorgesprochen haben, so sollten sie eingeladenerweise auch bei der anderen betroffenen Partei vorsprechen.

Zur Diakonie-Verfassungsbeschwerde hat das ifw zwei Gutachten beauftragt und im Oktober 2019 beim BVerfG eingereicht:
1. Unions- und Verfassungsrecht: Prof. Dr. Bodo Pieroth/Dr. Tristan Barczak, Universität Münster
2. Theologie und Rechtsgeschichte: Prof. Dr. Hartmut Kreß, Universität Bonn

Anmerkung zu den "katholischen Kreisen" (BVR Huber):

  • Joachim Frank, der Autor des Artikels in der Frankfurter Rundschau ist in der DuMont-Mediengruppe Chefkorrespondent des "Kölner Stadt-Anzeiger", der "Berliner Zeitung" und der "Mitteldeutschen Zeitung". Er wurde 1992 zum Priester geweiht (laisiert 2005). Er ist studierter Theologe und Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP), die mit der Deutschen Bischofskonferenz und dem Katholischen Medienverband den Katholischen Medienpreis verleiht. Die GKP wird wiederum über die Thomas-Morus-Akademie vom Diözesanrat im Erzbistum Köln getragen. Damit ist der Chefkorrespondent in seinem persönlichen Werdegang und seiner Karriere auf das Engste mit dem regelmäßigen Objekt seiner Berichterstattung verbunden – der katholischen Kirche und dem Erzbistum Köln. Er schreibt über das gesamte Spektrum an Kirchenthemen für die DuMont-Mediengruppe und veröffentlicht oft auch auf dem Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland www.katholisch.de.
  • Der Kölner Stadt-Anzeiger lässt jedoch seine Leserinnen und Leser regelmäßig und auch hier im Chefarzt-Fall (https://www.ksta.de/koeln/nach-zehn-jahren-erzbistum-koeln-beendet--chefarzt-fall--32793620) im Dunkeln und suggeriert dadurch bei Beiträgen ihres Chefkorrespondenten unvoreingenommenen, unabhängigen Journalismus. Das katholische Internetportal legt die Doppelfunktion von Joachim Frank in einer Beschreibungsbox unter dem Artikel offen (z.B. https://www.katholisch.de/aktuelles/standpunkt/darum-trauen-die-menschen-den-protestanten-mehr-zu-als-den-katholiken). Damit agiert die Redaktion des Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland in dieser Frage journalistisch sauberer als die Redaktion der DuMont-Mediengruppe.

Zur vorliegenden Frage der Verfassungsmäßigkeit des kirchlichen Arbeitsrechts:

  • In den Artikeln im Internetportal der katholischen Kirche wird Joachim Frank oft theologisch, z.B. im Arbeitsrecht und dem Chefarzt-Fall  "Der Weg des Düsseldorfer Falls durch die Instanzen weltlicher Gerichte kann somit ein geistlicher Prozess werden – auf der Suche nach jener Liebe, an der nach den Worten Jesu "alle erkennen werden, dass ihr meine Jünger seid" (Joh 13,35)." (Quelle. https://www.katholisch.de/aktuelles/standpunkt/rechthaberisches-nachhutgefecht)
  • Im KStA vertritt Joachim Frank dann die Kirchenpositionen ohne Bibelverse (Quelle: https://www.ksta.de/politik/chefarzt-nach-zweiter-heirat-gekuendigt-katholische-kirche-hat-rechtswidrig-gehandelt-31251758)
  • Bemerkenswert folgender Vorgang, der weniger mit Journalismus als mit Lobbyismus zu tun hat: In dem besagten Artikel vom 01.07.19 schafft der Chefkorrespondent Joachim Frank Fakten, in dem er den KStA nutzt, um mit anonymisierten Insider-Informationen in seinem Anliegen kirchenintern Partei zu ergreifen. Dabei attackiert er die Justitiarin des Kölner Erzbistums in Sachen Düsseldorfer Chefarztfall persönlich und spekuliert über die Verfassungsbeschwerde. "Das fuchste nun sowohl den Zweiten Senat in Karlsruhe als auch die Kölner Bistumsjustiziarin Daniela Schrader. Die von Kollegen als – zurückhaltend formuliert – überambitioniert beschriebene Juristin gilt als treibende Kraft des Verfahrens. Schon den ersten Gang nach Karlsruhe habe sie gegen erhebliche Bedenken durchgesetzt. Und auch jetzt, so ein Insider, wolle sie "die Sache durchziehen". Kardinal Rainer Woelki wiederum soll in gleichem Sinn auch von Karlsruhe aus bearbeitet worden sein. Doch dagegen hat sich Widerstand formiert, auch unter den Bischöfen. Nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger"…" (Quelle: https://www.ksta.de/politik/chefarzt-fall-koelner-erzbistum-erwaegt-erneut-verfassungsbeschwerde-32779884) Auch in diesem Artikel werden zwar Name und E-Mail-Adresse des Autors angegeben, nicht jedoch seine Tätigkeit für das Erzbistum Köln und seine mangelnde Distanz zum Gegenstand seines Kommentars.
  • Bereits einen Tag später, am 02.07.19 meldet Chefkorrespondent Joachim Frank, dass das Erzbistum Köln auf eine Verfassungsbeschwerde "verzichtet" (Quelle: https://www.ksta.de/koeln/nach-zehn-jahren-erzbistum-koeln-beendet--chefarzt-fall--32793620)  Das wirkt oberflächlich wie kritischer Journalismus. Aber auch hier nutzt er die Plattform im KStA gleichwohl für sublimen Kirchenlobbyismus. Bemerkenswert in dem KStA-Artikel ist es, wie er einen falschen Frame setzt und unkritisch von der "Reichweite des in der Verfassung verbrieften Selbstbestimmungsrechts der Kirche" spricht. Was heute u.a. von den Kirchen im Arbeitsrecht an Privilegien und religiösen Diskriminierungsmöglichkeiten der Angestellten und Bewerber genutzt wird, ist keineswegs in der Verfassung verbrieft. Art. 137 III WRV / 140 GG lautet: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Das ist Selbstverwaltung im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Der heutige umfangreiche Komplex kirchlicher Sozialeinrichtungen mit ihren großen arbeitsrechtlichen Problemen, wie sie auch im Chefarzt-Fall zu Tage traten, resultiert nicht zuletzt aus der kirchlichen Anmaßung, das Selbstverwaltungsrecht zu überdehnen, und so – allein auf dem Gebiet des Arbeitsrechts – für 1,3 Mio. Beschäftigte minderen Rechts zu sorgen. Hintergrund: https://weltanschauungsrecht.de/Selbstverwaltungsrecht
  • Dies ist ein Erklärungsansatz zu der Frage, was BVR Prof. Dr. Peter M. Huber in dem vom BVerfG offengelegten Dokument 7 mit den "katholischen Kreisen" gemeint haben mag.