Kirchentage

Kirchentage

I. Tatsächliches

1. Entwicklung und Funktion

Kirchentage, d. h. Katholikentage und Evangelische Kirchentage, gibt es in Deutschland seit 1848 als Laienbewegung, später auch in Österreich und der Schweiz. In Deutschland wurden während der Weimarer Zeit die evangelischen Kirchentage von den Landeskirchen durchgeführt. Nach dem 2. Weltkrieg fand der erste Evangelische Kirchentag in Westdeutschland 1949 statt, der erste Katholikentag schon 1948, d. h. vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes. Seitdem fanden sie in der Bundesrepublik (West) bzw. im vereinigten Deutschland regelmäßig im zweijährigen Wechsel statt. 1971 gab es ein Ökumenisches Pfingsttreffen, 1987 ein Katholikentreffen in der DDR und seit 2003 Ökumenische Kirchentage, nämlich 2010, 2015 und 2021. Veranstalter sind jeweils institutionell eigenständige Laienbewegungen, nämlich der Deutscher Evangelische Kirchentag bzw. das Zentralkomitee der Katholiken. Gastgeber sind die jeweiligen Landeskirchen bzw. Diözesen.

Die mehrtägigen Evangelischen Kirchentage bzw. Katholikentage werden in der Regel jeweils alle zwei Jahre in verschiedenen Städten abgehalten. Sie sind Glaubensfeste, die der Glaubensstärkung dienen (Gottesdienste, Bibelkreise, theologische und kirchenpolitische Fragen) und zahllosen kirchlichen Gruppen Raum bieten. Seit langem werden bis um die jeweils 2000 oder sogar mehr Veranstaltungen angeboten. Sie dienen auch, neben der Veranstaltung von oft zahlreichen Konzerten, der Erörterung von politischen, gesellschaftlichen bzw. Zeitfragen, insbesondere mit prominenten Rednern von innerhalb und außerhalb der Kirchen. Die betroffenen Städte beteiligen sich nicht nur mit finanziellen Zuschüssen, sondern auch mit der Zurverfügungstellung von öffentlichen Gebäuden, Plätzen für Großveranstaltungen und Sicherheits- und Ordnungsmaßnahmen (Polizei, Feuerwehr, umfangreiche Verkehrsplanung). Kosten entstehen auch durch Gemeinschaftsunterkünfte und anderes.

2. Finanzierung

Die seit langem weit überdimensionierten Kirchentage werden bis zur Hälfte und manchmal darüber hinaus mit öffentlichen Mitteln, das heißt Steuern aller Bürger, finanziert. Inhaltlich vergleichbare, wenn auch kleine Humanistentage hatten bisher keine Chance auf Förderung. Für die Kirchentage machen Städte bisher selbst bei desolater Haushaltslage viel Geld locker. Wichtig sind neben den öffentlichen Händen auch Großsponsoren. Das sei an Beispielen veranschaulicht.

Beim Kirchentag zum 500. Jubiläum der Reformation in Berlin und Wittenberg 2017 wurden an drei Tagen ca. 2400 Veranstaltungen angeboten. Lediglich ca. 22 % der Berliner waren damals Mitglied einer evangelischen Kirche, und in Sachsen-Anhalt war die Situation noch erheblich schlechter. Von den 21-23 Mill. Gesamtkosten musste die Allgemeinheit aller deutschen Steuerzahler über 50 % übernehmen. Nur ca. 3, 7 Mill. stammten aus kirchlichen Zuschüssen.[1]

Über den Katholikentag 2022 in Stuttgart mit über 1500 Einzelveranstaltungen war am 3.6.2022 in der Welt zu lesen: "Auf dem 102. Katholikentag ist vom katholischen Glauben wenig bis nichts zu spüren. Irgendwann weiß keiner mehr, ob man in der SPD-Zukunftswerkstatt, beim Diversity-Event von Google oder im Sommercamp der Grünen Jugend ist. Unser Autor hat sich das drei Tage angetan." "So krisenhaft wie die ganze Kirche", titelte der Tagesspiegel am 26.5.2022. Die Zahl der Dauerteilnehmer hatte sich vom Katholikentag Münster (2018) mit 50.000 nunmehr auf 19.000 reduziert, trotz Corona kläglich im Vergleich zu früheren Kirchentagen. Finanziert wurde der Katholikentag (in Mill. €) durch Eigenmittel (3,2), den Verband der deutschen Diözesen (1,8), der Diözese Rottenburg-Stuttgart (1,3), die Stadt Stuttgart (1,5), das Land Baden-Württemberg (2) und den Bund (0,5).[2] Man hat eine Pro-Kopf-Förderung von 217 Euro errechnet.[3]

Der evangelische Kirchentag 2023 in Nürnberg kostete ca. 22 Mill.€, von denen knapp die Hälfte durch die öffentlichen Hände aufgebracht wurden. Die hochverschuldete Stadt Nürnberg steuerte 4 Mill. bei.[4]

Eine detaillierte und sehr übersichtliche Dokumentation über die Subventionierung der Evangelischen Kirchentage, Katholikentage und Ökumenischen Kirchentage von 2000-2019 enthält die Webseite der Initiative 11 tes Gebot.[5]

Heute werden Kirchentage zunehmend auch kritisch gesehen, wie öffentliche Diskussionen etwa in Düsseldorf zeigen.[6]

II. Fragwürdige Legitimation

1. Innerkirchliche Kritik

Schon die innerkirchliche Berechtigung derart aufwändiger, überdimensionierter Großveranstaltungen ist fraglich. Anlässlich des Katholikentags 2022 hat sich der bekannte katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller gegenüber dpa wie folgt geäußert: "Kirchentage und damit auch Katholikentage sind Momentaufnahmen ohne nachhaltigen Einfluss auf das kirchliche Leben vor Ort in den Gemeinden" und. "Sie sind kostspielige Strohfeuer ohne Nachhaltigkeit." [7]

2. Rechtliche Kritik

Erstaunlich ist das weithin verbreitete Fehlen öffentliche und politische Kritik im Hinblick auf die Grundgesetz-Widrigkeit der öffentlichen Förderung, wobei man die Ordnungs- und Sicherheitsmaßnahmen zumindest teilweise ausnehmen könnte (vgl. z. B. Fußballspiele usw.). Die variable Gestaltung auch gesellschaftspolitischer Veranstaltungen mag zwar auch von Interesse für die allgemeine Diskussion sein. Aber die Kirchentage als solche sind, wie auch die jeweiligen Selbstdarstellungen betonen, aus religiösen Gründen organisierte Veranstaltungen. Die – nur formal von den Kirchen unabhängigen - Veranstalter erstellen in einem religiösen Rahmen ein vielfältiges, ggf. auch teilweise weltanschaulich plurales Programm. Sie entscheiden über die Themen und die agierenden Personen. Auch soweit sie religiös distanzierte Referenten einladen (Wissenschaftler und Politiker), tun sie das, um die religiöse Institution Kirchentag interessanter, realitätsnäher und weltoffener zu machen. Damit werden die religiösen Gesamtveranstaltungen nicht säkular. Der Staat, bestehend aus Bund, Ländern, Gemeinden und anderen öffentlichen Institutionen, hat aber einen rein säkularen Staatszweck. Daher darf er innerreligiöse Veranstaltungen grundsätzlich nicht fördern. Das gilt schon wegen des Rechtsgebots der Gleichbehandlung bzw. des Neutralitätsgebots. Vergleichbare Veranstaltungen wie Humanistentage müssten ebenfalls entsprechend ihrer (viel geringeren) Größe und Bedeutung gefördert werden, bei inhaltlich ähnlicher Struktur auch Veranstaltungen islamischer und anderer Verbände.

Wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot sind die Kirchentage jedenfalls derzeit nicht förderungsfähig. Hinzu kommt die erwiesene Überdimensionierung der bisherigen Kirchentage, die auch haushaltsrechtliche Probleme aufwirft. Die Frage der Feststellung der Vergleichbarkeit derartiger Veranstaltungen ist bzw. wäre nur schwierig zu beantworten, denn es fehlt überwiegend an hinreichend klaren und konkret rechtfertigungsfähigen Kriterien (wie etwa Teilnehmerzahl, öffentliche Wirksamkeit und Bedeutung, regionale Verbreitung, gesellschaftliche Nützlichkeit [darunter soziale Bedeutung, Integrationsnutzen, Nähe zum Grundgesetz, karitatives Engagement u. a.] ). Die Einzelkriterien sind für sich gesehen "bloße Leerformeln"[8] Die Gefahr der Diskriminierung bzw. Willkür und mittelbaren Einflussnahme ist daher groß. Reine Glaubensveranstaltungen wie große Gottesdienste und Bibelarbeit dürften bei der Gesamtabwägung zur Förderhöhe keine Rolle spielen.

Die Verschiedenheit der öffentlichen Förderer (Land, Stadt, Bund) macht die Beurteilung nicht leichter.

>> Glaubensfreiheit; Neutralität; Religionsförderung.

 


  • [8] So zu Recht Stefan Muckel/Lukas Hentzschel, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Finanzierung muslimischen Lebens in Deutschland, S. 6 (19) in: Friedrich Ebert Stiftung, Die Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland, Berlin 2018.

© Gerhard Czermak / ifw (2023)