Alternative Fakten vom BFH zum besonderen Kirchgeld

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte in seinem Beschluss I B 28/18 festgestellt, das besondere Kirchgeld sei dann zulässig, wenn das Kirchenmitglied kirchensteuerfrei ist. Bei der Veröffentlichung dieses Beschlusses hat der BFH nun einen "Leitsatz" nachgeschoben, der anderes besagt: Es sei in der Rechtsprechung geklärt, dass das besondere Kirchgeld bei jedem Einkommen verfassungsgemäß sei. Erste Gerichte berufen sich darauf.

Anlass genug, diesen Beschluss und seine Grundlagen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Und das hat sich gelohnt: Die einschlägige Rechtsprechung des I. Senates des BFH beruht auf einem Falschzitat und dem Übersehen von Vorschriften, von der Vergleichsberechnung bis zur Abgabenordnung (AO). Der neue Leitsatz ist Desinformation pur. Eine Analyse der Redaktion des Informationsportals Kirchgeld-Klage.info. 

Einführung

Schon die Entstehung dieses Leitsatzes ist aufschlussreich.  

Bei glaubensverschiedener Ehe erheben viele Kirchen das besondere Kirchgeld, und zwar entgegen seiner verfassungsrechtlichen Grundlegung im Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60 auch dann, wenn der kirchenangehörige Ehegatte über ein eigenes Einkommen verfügt. Davon dürfte mehr als eine halbe Million Ehen betroffen sein.

Über dieses besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst wird seit Jahren gestritten. Der BFH hat in seinen Entscheidungen I R 44/05 ff. eine alternative Rechtsprechung entwickelt und das besondere Kirchgeld entgegen dem BVerfG bei jeder Einkommenshöhe erlaubt. Im Verfahren I B 28/18 wurde dem BFH vorgehalten, diese Rechtsprechung sei unbegründet und willkürlich, unterstützt durch einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter aufgrund seiner verschiedenen Funktionen in der evangelischen Kirche. Daraufhin ist der BFH in I B 28/18 auf das grundlegende Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60 eingeschwenkt und hat daraus, entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung, ausführlich abgeleitet: Besonderes Kirchgeld nur wenn kirchensteuerfrei. Diese neueste Rechtsprechung des BFH ist nun doch schon recht nahe an der originalen Vorgabe des BVerfG "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei".

Dieser Schwenk des BFH in Richtung BVerfG ist wohl nicht überall auf Wohlwollen gestoßen. Jedenfalls hat der BFH nun am 04.06.2020 diesen Beschluss  I B 28/18 doch noch veröffentlicht und dabei einen anderslautenden Leitsatz nachgeschoben, der im originalen Beschluss vom 13.02.2019 nicht enthalten ist: "Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Erhebung des besonderen Kirchgeldes auch dann verfassungsgemäß ist, wenn der kirchenangehörige Ehegatte über ein eigenes Einkommen verfügt."  Ähnliches hatte der bisherige Steuerreferent der EKD einen Monat vorher publiziert und mit dem Beschluss I B 28/18 begründet.

Nichts davon stimmt.

Der Leitsatz

Zunächst einmal ist dieser Leitsatz rechtlich unbeachtlich. Ein Leitsatz ist lt. Bundesgerichtshof (BGH) verfahrensrechtlich nicht Bestandteil der Entscheidung, sondern nur eine außergerichtliche Zutat zur Information der Öffentlichkeit ohne Rechtskraft.

Außerdem täuscht der Leitsatz über den Inhalt des Beschlusses I B 28/18.       
In dem Beschluss sagt der BFH zunächst, es sei kein Widerspruch zur Vorgabe des BVerfG "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei", wenn das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst erhoben werde, er, der BFH, habe ja in der Vergangenheit so entschieden. Diese frühere Rechtsauffassung schränkt der BFH sodann wegen der Vorgabe im Obiter dictum von BVerfG 1 BvR 606/60 "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei" auf den Fall ein, dass das Kirchenmitglied "kirchensteuerfrei" sei, z.B. weil sein Einkommen so gering ist, dass aufgrund von Freibeträgen o.ä. keine Einkommensteuer und damit keine Kircheneinkommensteuer (KiESt) anfällt.

Die "geklärte Rechtslage" in dem nachgeschobenen Leitsatz bezieht sich jedoch nur auf jene überholte frühere Rechtsauffassung des BFH und gibt somit den Beschluss I B 28/18 verfälscht wieder.

Wenn man den Rückblick auf die alte Rechtsauffassung dennoch als gültige Rechtslage betrachtet, dann ist der Beschluss verworren und widersprüchlich. Denn dann kann man sich heraussuchen, bei welcher Einkommenskonstellation das besondere Kirchgeld denn nun erhoben werden darf: Bei keinem Einkommen, wenn keine KiESt anfällt, bei "geringem" Einkommen, bei jedem Einkommen, auch bei einem nicht unerheblichen - man findet in I B 28/18 dann für alles eine Begründung.

Auch zur Bemessung des besonderen Kirchgeldes widerspricht sich der BFH innerhalb von I B 28/18: Lt. BVerfG dürfe sich die Bemessung des Lebensführungsaufwandes am Einkommen des anderen Ehegatten orientieren, was den Eigenverdienst des Kirchenmitglieds ausschließt. Dann aber sagt der BFH, der Lebensführungsaufwand dürfe am gemeinsamen Einkommen der Ehegatten quantifiziert werden - was diesen Eigenverdienst wieder einschließt.

Die Rechtslage

Der nachgeschobene Leitsatz täuscht auch über die Rechtslage. Die Rechtslage ist nicht "geklärt", und schon gar nicht im Sinne des Leitsatzes. Die BFH widerspricht sich selbst und hat zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst eine alternative Rechtsprechung entgegen der von BVerfG und BVerwG (Bundesverwaltungsgericht) betrieben.

Das BVerfG hat "insb." in seinem Urteil 1 BvR 606/60 von 1965 die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der kirchlichen Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe geklärt. Dabei hat das BVerfG das besondere Kirchgeld als Besteuerung des sog. Lebensführungsaufwandes nur für den Fall "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei" ermöglicht. Alles andere sind Falschzitate durch Weglassen ohne die Beweiskraft des Originals. Das gilt auch für Gesetzesvorlagen in den Landtagen zur Einführung des besonderen Kirchgeldes.

Das besondere Kirchgeld wird nur bei Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer erhoben. Bemessungsgrundlage ist lt. Kirchgeldtabelle immer das "gemeinsame Einkommen der Ehegatten". Das BVerfG hat in den tragenden Gründen des Urteils diese Besteuerungsgrundlage für den Fall eines  Eigenverdienstes untersagt: Bei einem eigenen Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten "muß" die Kirche genau dieses per KiESt besteuern; das Einkommen des konfessionslosen Ehegatten darf nicht hinzugerechnet werden, denn das Steuerverhältnis ist ein individuelles.

Das BVerwG hat 1977 in seinem Urteil VII C 48.73 festgestellt, dass bei der Anwendung des Hilfsmaßstabes "gemeinsam zu versteuerndes Einkommen" in der Kirchgeldtabelle berücksichtigt werden muss, dass die Besteuerung des Lebensführungsaufwandes vom BVerfG nur für das einkommenslose Kirchenmitglied ermöglicht worden war.

Der BFH hat 2005 in seinem Urteil  I R 76/04 das besondere Kirchgeld nur "insoweit" für verfassungsgemäß erklärt, als es sich gemäß BVerfG 1 BvR 606/60 auf das einkommenslose Kirchenmitglied bezieht. Der BFH hat 2013 im seinem Beschluss  I B 109/12 das Gleiche als "eindeutige Rechtslage" festgestellt und trotz entsprechenden Vortrags auch im Beschluss I B 28/18 nicht widerrufen.

Der EGMR stellt in seinem Urteil 10138/11 fest, dass das besondere Kirchgeld nur im Fall "no income" erhoben werden darf. So sei auch in den beiden o.a. Entscheidungen des BFH  I R 76/04 und I B 109/12 judiziert worden (Ziff. 12, 57, 58). Behauptungen, der EGMR habe das besondere Kirchgeld auch bei Eigenverdienst für rechtmäßig erklärt, entsprechen nicht dem Inhalt des Urteils.

Nur in seinen Urteilen I R 44/05 etc. von 2005/06 samt Folgebeschlüssen behauptet der BFH, dass das besondere Kirchgeld auch bei Eigenverdienst verfassungsgemäß sei. Auch die Bemessung am gemeinsamen Einkommen der Ehegatten sei dabei lt. BVerwG VII C 48.73 verfassungsgemäß - die o.a. Einschränkung des BVerwG auf das einkommenslose Kirchenmitglied hat der BFH übersehen.

Mit dieser Bemessung am gemeinsamen Einkommen wiederum begründet der BFH z.T. die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst, entgegen BVerfG (1 BvL 31/62) und Abgabenordnung (§§ 155 ff. i.V.m. §§ 37, 38 AO) - der Schwanz wedelt mit dem Hund.

Der BFH hat damit seine gesetzliche Bindung aus § 31 BVerfGG an die o.a. tragenden Gründe der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG "insb." in 1 BvR 606/60 missachtet. Im Verfahren I B 28/18 wurde ihm dies vorgehalten - der BFH hat nichts entgegnet.

Vergleichsberechnung übersehen

Der Beschluss I B 28/18 täuscht zudem darüber hinweg, dass der BFH eine zentrale Rechtsfrage des besonderen Kirchgeldes hat verschwinden lassen.

Die Heranziehung des Kirchenmitglieds zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst erfolgt bundesweit allein aufgrund der sog. Vergleichsberechnung: Der höhere Betrag entscheidet, ob im Einzelfall KiESt oder das besondere Kirchgeld festgesetzt wird.

Grund dafür ist, dass nach den KiStG bei glaubensverschiedener Ehe außer dem besonderen Kirchgeld gleichermaßen auch KiESt erhoben werden kann, sofern ein Eigenverdienst des Kirchenmitglieds vorliegt. Die KiStG enthalten dafür eigens eine Berechnungsvorschrift, mit der der individuelle Anteil des Kirchenmitglieds an der gemeinsamen Einkommenssteuer ermittelt wird. Diese Unbestimmtheit, zu welcher der beiden Steuern das Kirchenmitglied im konkreten Einzelfall denn nun heranzuziehen ist, wird nach dem Landesrecht durchweg mit der Vergleichsberechnung geklärt.

Derartige Bestimmungen müssen aber auch im Einklang mit der Verfassung stehen: "Insbesondere gehört zur Handlungsfreiheit auch das Grundrecht des Bürgers, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören." (BVerfG  1 BvR 413/60).

Kein Gericht hat je die Verfassungsmäßigkeit der Vergleichsberechnung bestätigt, sie wird lieber verschwiegen. Denn die Vergleichsberechnung entspricht ganz offensichtlich nicht der Verfassung. Man kann nicht mit einem Zahlenvergleich die verfassungsrechtlichen Klärungen des BVerfG zur kirchlichen Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe ad absurdum führen. Die Landesebene hat nach Art. 31 GG ohnehin keine Normverwerfungskompetenz gegenüber dem BVerfG. Es ist kein sachgerechter Besteuerungsmaßstab, einfach die höhere von zwei eigenständigen Steuern auszuwählen allein weil sie höher ist. Was eine sachgerechte kirchliche Besteuerung bei glaubensverschiedener Ehe ist, steht im Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60. Die ganzen Begründungsversuche der Kirchen über die Ehe als Gemeinschaft etc. pp. gehen sowieso fehl, weil seit 1958 die Individualbesteuerung gilt, gerade auch für die kirchliche Besteuerung (BVerfG, 1 BvL 31/62).  

Also hat der BFH die Vergleichsberechnung konsequent übersehen, auch dann, wenn dazu dezidiert vorgetragen wurde, wie z.B. im Verfahren I B 28/18. Folge: Die Rechtsprechung des BFH in I R 44/05 ff. geht an allen Kirchgeldsachen vorbei, in denen die Vergleichsberechnung die Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Kirchensteuerpflichtigen zum besonderen Kirchgeld anstelle der KiESt ist.

Damit das Übersehen der Vergleichsberechnung funktionierte, musste der BFH auch die Bestimmungen der KiStG zur KiESt bei glaubensverschiedener Ehe übersehen. Der BFH zieht in I R 44/05 etc. willkürlich nur diejenigen Bestimmungen des KiStG sowie der Kirchensteuerordnung (KiStO) heran, nach denen die Kirche das besondere Kirchgeld erheben "kann". Lt. BFH I R 44/05 etc. war das dort streitige Kirchgeld "nach diesen Bestimmungen" "zutreffend" festgesetzt - ein Selbstläufer. Der BFH behauptet ja auch nicht "rechtmäßig festgesetzt". - Nach dieser Rechtsprechung des BFH ist im Übrigen bei glaubensverschiedener Ehe mit Eigenverdienst immer nur das besondere Kirchgeld möglich und nie die KiESt - direkt entgegen den KiStG.

Das Übersehen einer offensichtlich einschlägigen Norm, wie hier u.a. der Vergleichsberechnung, bedeutet lt. BVerfG Willkür und nach ständiger Rechtsprechung des BFH Gesetzeswidrigkeit. Das gilt auch für Entscheidungen der unteren Gerichte, soweit sie dieser alternativen Rechtsprechung des BFH folgen.

Es hilft dem BFH auch nicht, dass er sich auf den Beschluss des BVerfG  2 BvR 591/06 von 2010 beruft. Dieser Beschluss beruht auf einem bewussten Falschzitat durch Weglassen der Klausel "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei" aus dem Obiter dictum von 1 BvR 606/60, auf das das BVerfG sich hier beruft. Das BVerfG hat hier nicht seine Rechtsprechung "fortentwickelt", sondern ausweislich des Textes eine unzutreffende Tatsachenbehauptung über seine frühere Rechtsprechung aufgestellt. Das BVerfG hat in 2 BvR 591/06 ebenso wie der BFH die Vergleichsberechnung übersehen und demzufolge überhaupt nicht die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld beurteilt, über die dort eigentlich zu entscheiden war. Lt. BFH I B 109/12 geht dem Falschzitat in 2 BvR 591/06 sowieso das korrekte Obiter dictum aus BVerfG 1 BvR 606/60 vor: "Die Rechtslage ist eindeutig": Besonderes Kirchgeld nur wenn einkommenslos.

Die Vergleichsberechnung wiederum hat lt. BFH keine steuerbegründende Wirkung, weil sie die strikte Trennung von KiESt und besonderem Kirchgeld durch das BVerfG je nach Eigenverdienst nicht aufhebt (Beschluss I S 24/13). Das hat der BFH aber nur gesagt, als es darum ging, den Kirchen eine Minderung ihrer KiESt-Einnahmen durch ein sog. "negatives Kirchgeld" zu ersparen. Schließlich war einer der beteiligten Richter jahrelang evang. Kirchengemeinderat in Fellbach und Mitglied der Regionalsynode. Dieser Richter hat auch den gegenläufigen Beschluss I B 28/18 unterzeichnet, der nun mit seinem nachgeschobenen Leitsatz den Kirchen das besondere Kirchgeld bei jedem Eigenverdienst sichern soll. Es dürfte um ca. 100 Mio. € p.a. gehen.

Abgabenordnung übersehen

Der BFH hat es auch noch geschafft, das zentrale Gesetz zur Erhebung von Steuern, die Abgabenordnung (AO), entgegen dem KiStG zu übersehen, und keinem Finanzgericht ist das aufgefallen.

Nach den KiStG der Länder ist für die Kirchensteuern die Abgabenordnung anzuwenden. Das BVerfG sagt dazu: "Die Gerichte sind bei der Kontrolle des Verwaltungshandelns an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG)" (1 BvR 520/83). Der Bundesfinanzhof hat die AO übersehen - das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen.

Entscheidend ist, dass die AO für die Entstehung eines Steueranspruchs voraussetzt, dass ein "Lebenssachverhalt" vorliegt, der einem im Gesetz aufgeführten "Tatbestand" zugeordnet ("subsumiert") werden kann (§ 38 AO). Am Beispiel: Wer ein Einkommen hat, fällt unter die Vorschriften zur Einkommensteuer, wer ein Auto besitzt unter die zur Kfz-Steuer. Dieser Grundsatz der sog. Tatbestandsmäßigkeit von Steuern gilt lt. BVerfG auch für die Kirchensteuern.

Hintergrund ist, dass die KiStG die Kirchen nur im Grundsatz "ermächtigen", bestimmte Steuern zu erheben. Gegenüber dem einzelnen Kirchenmitglied entsteht ein konkreter finanzieller Anspruch erst dann, wenn in dessen realen Lebensverhältnissen ein Tatbestand "verwirklicht" ist, an den das Gesetz den Steueranspruch der Kirche knüpft (§ 38 AO).

Bei Vorliegen eines eigenen Einkommens entsteht nach den KiStG gegen das Kirchenmitglied ein Steueranspruch auf KiESt, und bei glaubensverschiedener Ehe einer auf das besondere Kirchgeld. Sind beide Tatbestände verwirklicht wie bei der glaubensverschiedenen Doppelverdienerehe, so entstehen auch beide Steueransprüche.

Der BFH hat in I R 44/05  ff. diesen ersten Tatbestand und Steueranspruch zur KiESt entgegen dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit von Steuern (§§ 3, 38 AO) verschwinden lassen. Dies widerspricht zudem dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO): Ein nach dem Gesetz entstandener Steueranspruch muss realisiert werden. Der BFH hat das Gesetz nicht beachtet und somit gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen.

Verfassungsmäßigkeit erfunden

Es kommt noch schlimmer.

Der BFH konstatiert in I B 28/18, es komme allein auf seine verfassungsrechtliche Beurteilung an. Welche das ist, kann man sich in dem Beschluss I B 28/18 heraussuchen. Nach dem neuen Leitsatz ist es die in seinen Entscheidungen I R 44/05 ff., denn nur danach ist das besondere Kirchgeld angeblich auch bei Eigenverdienst verfassungsgemäß.

Der BFH hat dort den Fall des besonderen Kirchgeldes bei Eigenverdienst überhaupt nicht verfassungsrechtlich beurteilt, sondern nur stichwortartige Auszüge aus seinem Urteil I R 76/04 aufgelistet. Der BFH behauptet in den Urteilen I R 44/05 etc. nur kurz, dass "die genannten Bestimmungen" (also nur die zum besonderen Kirchgeld, ohne die zur KiESt, ohne Vergleichsberechnung) verfassungsgemäß seien, da sie nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG und einige weitere Artikel des GG verstießen. "Für die diesbezüglichen Einzelheiten" verweist der BFH auf sein Urteil I R 76/04.    
Dort steht aber, dass das besondere Kirchgeld auf das Urteil des BVerfG 1 BvR 606/60 zurückgeht und dass die Besteuerung des Lebensführungsaufwandes danach "insoweit" im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG unbedenklich sei, als sie sich auf ein Kirchenmitglied bezieht, das "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei" ist.            
Danach entsprechen "die genannten Bestimmungen" zum besonderen Kirchgeld lt. BVerfG und BFH gerade nicht der Verfassung, sofern anders als im Verfahren I R 76/04 ein Eigenverdienst des Kirchenmitglieds vorliegt.

Der BFH hat in I R 44/05 etc. Rechtssätze auf einen nicht vergleichbaren Sachverhalt (ohne/mit Eigenverdienst, ohne/mit KiESt, ohne/mit Vergleichsberechnung) übertragen, was nach seiner eigenen ständigen Rechtsprechung unzulässig ist.

Die "verfassungsrechtliche Beurteilung" des BFH in den Urteilen I R 44/05 etc. zu Art. 2 Abs. 1 GG besteht somit in ihrem Kern aus einem Falschzitat, das die verfassungsrechtlichen Grundlagen des besonderen Kirchgeldes bei Eigenverdienst in ihr Gegenteil verkehrt. Nur davon lebt das besondere Kirchgeld bei Eigenverdienst.

Anders als das KiStG (und die AO) unterscheidet der BFH nicht zwischen der Erhebung der Steuer durch die Kirche und der Heranziehung des Kirchensteuerpflichtigen. Die o.a. gefälschte verfassungsrechtliche Beurteilung der Bestimmungen zur Erhebung des besonderen Kirchgeldes durch die Kirchen sagt somit schon grundsätzlich nichts aus über die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen zur Heranziehung des Bürgers zu der Steuer.

Der Bürger hat "den grundrechtlichen Anspruch, nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist." (BVerfG, 1 BvR 413/60, Ziff. C I 1). Die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld anstelle der KiESt auf den Eigenverdienst nach Landesrecht erfolgt bekanntlich allein mittels der Vergleichsberechnung. Diese hat der BFH konsequent übersehen. Die angebliche "verfassungsrechtliche Beurteilung" des BFH (wie auch die des BVerfG in 2 BvR 591/06) geht daher am Thema vorbei; die o.a. Anforderung des BVerfG ist nicht erfüllt. Die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld aufgrund der Vergleichsberechnung verstößt mangels verfassungsrechtlicher Begründung gegen Rechte des Bürgers aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Nach der AO sind die beiden Fälle (ohne oder mit eigenem Einkommen) von Gesetzes wegen ungleich: Mal entsteht nur ein Steueranspruch, mal zweie. So ergibt sich das wie gezeigt nach § 38 AO aus den KiStG. Der BFH hat die beiden Fälle in I R 44/05 etc. aber gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, der bekanntlich gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln.

Das bedeutet: Die angebliche "verfassungsrechtliche Beurteilung" zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst durch den BFH (so I B 28/18) in I R 44/05 ff. basiert auf dem Übersehen von Vorschriften, ist mittels eines Falschzitates entgegen der Rechtslage frei erfunden, besagt nichts zur Heranziehung und ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Entgegen den tragenden Gründen und dem Obiter dictum des hier maßgeblichen Urteils des BVerfG 1 BvR 606/60 ist sie sowieso, was wiederum lt. BVerfG wegen Missachtung von Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung an Gesetz und Recht) Rechte der Kläger aus Art. 2 Abs. 1 GG (allg. Handlungsfreiheit) verletzt. Derartige Entscheidungen dürfen lt. BVerfG  2 BvR 1018/74 nicht weiter herangezogen werden. Dies alles ist vollumfänglich auf den Beschluss des BVerfG 2 BvR 591/06 übertragbar, der sich ebenso auf BFH I R 76/04 beruft und wie gesagt auch auf einem Falschzitat beruht.

So also wurde "in der Rechtsprechung geklärt, dass die Erhebung des besonderen Kirchgeldes auch dann verfassungsgemäß ist, wenn der kirchenangehörige Ehegatte über ein eigenes Einkommen verfügt." 

Fazit und Ausblick

Die alternative Rechtsprechung des BFH zum besonderen Kirchgeld bei Eigenverdienst in I R 44/05 ff. betrifft überhaupt nicht die Heranziehung des Bürgers zum besonderen Kirchgeld per Vergleichsberechnung. Sie geht an der Rechtslage realer Kirchgeldsachen vorbei.

Die alternative Rechtsprechung des BFH entspricht nicht rechtsstaatlichen Erfordernissen: Landesrecht und Bundesrecht übersehen, "verfassungsrechtliche Beurteilung" entgegen Art. 3 Abs. 1 GG und § 31 BVerfGG per Falschzitat erfunden. Die Rechtsfehler und Falschdarstellungen sind durchweg nur zum Vorteil der Kirchen; es sind sachfremde Erwägungen anzunehmen. Der nachgeschobene Leitsatz zu I B 28/18 krönt das Ganze.

Angesichts seiner permanent interessengeleiteten Rechtsprechung in Kirchgeldsachen ist der I. Senat des BFH als strukturell befangen anzusehen. Eine geordnete Rechtsprechung, womöglich sogar nach Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), scheint hier nicht gewährleistet zu sein, wie der Beschluss I B 28/18 demonstriert.

Das Durcheinander, das der I. Senat des BFH angerichtet hat, ließe sich sehr einfach durch die Beachtung der ursprünglichen Rechtssetzung des BVerfG insb. in 1 BvR 606/60 und durch eine dementsprechende verfassungskonforme Auslegung der KiStG lösen. Dazu wären Behörden und Gerichte eigentlich nach § 31 BVerfGG verpflichtet, und die Kirchen entsprechend, weil auch sie an die Verfassung gebunden sind.

Aber es geht ja um liebgewonnene Mehreinnahmen der Kirchen von vermutlich 100 Mio. € p.a., da muss das Recht schon mal hintanstehen. In finanzgerichtlichen Verfahren haben sich bereits Berichterstatter auf diesen Beschluss I B 28/18 und seinen Leitsatz berufen, teilweise verbunden mit der Anregung, man könne ja seine Klage zurückziehen. Nein, man sei nicht befangen. Vermutlich haben sich auch bereits die obersten Finanzbehörden der Länder entsprechend abgestimmt. Ob dahinter evident mangelnde Sorgfalt oder organisierte sachfremde Erwägungen z.B. auf Wunsch der Kirchen stehen, kann hier offen bleiben.

Klägern und Anwälten in Kirchgeldsachen ist jedenfalls zu empfehlen, sich die hier skizzierten Rechtsfragen etwas näher anzusehen, damit sie sich auf derartige Vorgehensweisen von Behörden und Gerichten einstellen können. Eine genauere Darstellung mit Nachweisen kann hier heruntergeladen werden.