Beamtinnen mit Kopftuch? Berliner Grüne beantragen Abschaffung des Neutralitätsgesetzes

Im Berliner Abgeordnetenhaus beantragt die Grünen-Fraktion die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes. Das Gesetz behindere "den Zugang von Frauen, die sich für das Tragen eines Kopftuches entschieden haben, zu Berufen im öffentlichen Dienst und macht dies teilweise unmöglich." Die Sprecherin für Antidiskriminierung der Grünen-Fraktion Tuba Bozkurt findet: "Das wäre ein Riesengewinn, wenn wir auch in Berlin Polizistinnen mit Kopftuch hätten".

Diese Ansicht teilt ifw-Beirätin Seyran Ateş nicht und attestiert im Gespräch mit der WELT den Grünen Politiker*innen eine regelrechte "Kopftuch-Islam-Obsession". Sie sieht darin insbesondere auch einen Bruch zu deren sonstigen Haltung bei den Themen Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterrollenzuschreibungen. Die Ethnologieprofessorin Susanne Schröter hält den Vorstoß für "grundfalsch". Ebenso bewertet das Burkhard Dräger, der innenpolitische Unionsfraktionssprecher der Berliner CDU: "Wenn Berliner Polizeibeamte mit Kippa oder Kreuz in Neukölln hoheitliche Maßnahmen gegenüber migrantischen Jugendlichen aus einer muslimischen Umgebung auslösen, dann werden diese Beamten eher als Vertreter ihres Glaubens und nicht dieses Rechtsstaates angesehen. Und deswegen ist es einfach grundfalsch, derartiges in Erwägung zu ziehen."

Bozkurt ist ferner der Ansicht, dass ein "faktisches Berufsverbot" bestünde: "Hoch qualifizierte Frauen dürfen ihren Beruf nicht ausüben, weil sie ein Kopftuch tragen." Diese Aussage ist indes nicht korrekt. Ifw-Beirat Johann-Albrecht Haupt führte dazu bereits 2023 aus: "Zu den bei der Berufswahl bedeutsamen Zugangsvoraussetzungen gehört nicht, dass sie keiner Religion angehören dürfen, sondern lediglich – ich sage bewusst: lediglich –, dass Sie bei der Dienstausübung keine religiös konnotierte Kleidung tragen dürfen. Das ist eine vergleichsweise geringfügige, zeitlich begrenzte Beschränkung der freien Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG); eine für alle geltende legitime Beschränkung, die gerechtfertigt ist durch das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität des Staates und seiner Amtsträger. Die Beschränkung diskriminiert nicht und sie schließt Musliminnen auch nicht von bestimmten Berufen aus."

Deutliche Kritik äußert auch der Arbeitskreis Säkulare und humanistische Sozialdemokrat:innen Berlin (AK SHS) und lehnt die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes in einer Pressemitteilung ab. Dort heißt es u.a.: "Erst recht [zuvor wird auf die Situation an Schulen eingegangen] gibt es keinerlei Grund, die Regelungen des Neutralitätsgesetzes, die in Einrichtungen von Justiz und Polizei bei hoheitlicher Tätigkeit das Zeigen religiöser Symbole verbietet, abzuschaffen. Rechtspflege, Justizvollzug und Polizei treten zu weiten Teilen den Rechtsunterworfenen hoheitlich gegenüber. In dieser Situation als nicht oder anders religiös gebundene Person religiösen Zeichen ausgesetzt zu sein, ist nicht hinnehmbar. Die Religiosität anderer zu tolerieren ist zwar ein Zeichen guten Zusammenlebens. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen sich deren herausragender Religionsbekundung auch dann aussetzen müssen, wenn die religiösen Menschen ihnen hoheitlich und potentiell mit Zwang gegenübertreten."