Sterbehilfe-Urteil des BVerfG: Eric Hilgendorf bewertet in der LTO die Nichtigerklärung von § 217 StGB als Befreiungsschlag

In der Legal Tribune Online (LTO) vom 27. Februar 2020 bewertet Eric Hilgendorf das Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15) zu § 217 StGB als Befreiungsschlag, gerade in Zeiten einer Tendenz zur Übertherapie am Lebensende. Mit dem Bekenntnis zur persönlichen Autonomie habe das Gericht Rechtsgeschichte geschrieben. Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Strafrechtsprofessor in Würzburg, Beirat im Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und Mitinitiator der Petition, die vor fünf Jahren 150 deutsche Strafrechtslehrer gegen die Neuregelung von § 217 StGB vorgebracht hatten.

In der LTO schreibt Hilgendorf: "Selten ist das Recht auf persönliche Selbstbestimmung, das eben auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umfasst, so emphatisch betont worden wie in der neuen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Mit diesem Bekenntnis zur persönlichen Autonomie hat das Gericht Rechtsgeschichte geschrieben."

"Zu den wichtigsten Folgerungen, die aus der Entscheidung zu ziehen sind, gehört, dass auch Schwerstkranke bis zuletzt Träger von Persönlichkeitsrechten und Menschenwürde sind, die nicht zum Spielball fremder Interessen werden dürfen. Das muss man so betonen, weil sich in den vergangenen Jahren eine sehr bedenkliche Tendenz zur Übertherapie am Lebensende herausgebildet hat. Das Urteil des BVerfG enthält die erforderlichen Argumente, um dem entgegenzuwirken."

In Zukunft müsse aber auch verhindert werden, "dass nach der Nichtigerklärung des § 217 StGB das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausschlägt. Niemand wird Sterbehilfeangebote nach Art eines "Mc Die" akzeptieren wollen, der ein schnelles und sozialverträgliches Ableben ohne größere Umstände in Aussicht stellt und sich diese Dienste gut bezahlen lässt."

 "Die Strafrechtswissenschaft steht vor der Aufgabe, das Konzept der Autonomie und ihre Voraussetzungen im Recht genauer zu beleuchten. Man wird davon ausgehen können, dass unter dem Grundgesetz eine Vermutung für Autonomie besteht. Aber wie erkennt man fehlende Autonomiefähigkeit? Und wo sind die Grenzen autonomer Entscheidungsmacht erreicht? Vielleicht können die Grundsätze fruchtbar gemacht werden, die im Rahmen der Einwilligung in einen Heileingriff und in den Behandlungsabbruch erarbeitet wurden. Darüber hinaus müssen psychiatrische Erkenntnisse über die Autonomiefähigkeit des Menschen stärker einbezogen werden."

Zum LTO-Artikel: "Selbst­be­stimmt bis in den Tod"