Staatsminister a.D. Rolf Schwanitz: Das Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe ist ein Weckruf an den Bundestag

In einem Kommentar für das Portal "Säkulare Sozialdemokrat_innen" vom 27. Februar 2020 sieht Rolf Schwanitz in dem Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe einen Weckruf an den Bundestag. Es müsse eine "harte und selbstkritische Nachbetrachtung" erfolgen. Denn 360 Abgeordnete hätten mit dem verfassungswidrigen Brand-Griese-Vogler-Terpe-Antrag "das Selbstbestimmungsrecht, das Herzstück unserer Grund- und Menschenrechte, millionenfach missachtet und gebrochen". Rolf Schwanitz ist Bundessprecher der "Säkularen Sozialdemokrat_innen", Beirat im Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und Staatsminister a.D. im Bundeskanzleramt und Parlamentarischer Staatssekretär a.D. im Bundesministerium für Gesundheit.

Schwanitz: "Dieses Urteil muss ein Anlass sein, für eine harte und selbstkritische Nachbetrachtung im Parlament. Denn jene 360 Abgeordnete, die am 5. November 2015 den verfassungswidrigen Brand-Griese-Vogler-Terpe-Antrag zum Gesetz erhoben, haben damit das Selbstbestimmungsrecht, das Herzstück unserer Grund- und Menschenrechte, millionenfach missachtet und gebrochen. Die Karlsruher Richter haben diesen Verfassungsbruch mit der härtesten Sanktion belegt, die unser Rechtsstaat in solchen Verfahren vorsieht: die sofortige Außerkraftsetzung, die für Nichtigerklärung des verfassungswidrigen Gesetzes. Für einige Betroffene kam selbst dieser konsequente Richterspruch zu spät, denn sie sind verstorben bevor das Verfassungsgericht nach mehr als vier Jahren das Verbotsgesetz aufheben konnte. Die Umstände ihres Todes sind uns nicht bekannt. Ihnen hat das Gesetz aber die freie Selbstbestimmung am Lebensende dauerhaft genommen – eine schmerzhafte, leidvolle und bleibende Grundrechtsverletzung, die wegen des erlittenen Todes heute nicht mehr korrigiert werden kann."

Schwanitz: "Für den Gesetzgeber bedeutet diese Neutralitätspflicht vor allem, dass er jedem Versuch widerstehen muss, dem Land per Gesetz einen spezifischen weltanschaulichen oder religiösen Stempel aufzudrücken. Und genau das war mit dem nun aufgehobenen Verbotsgesetz geschehen. Das weltanschauliche Neutralitätsgebot des Staates gilt ohne Zweifel auch für die Legislative und die Abgeordneten haben sich als individuelle Verkörperung des Gesetzgebers daran auch zu halten. Der Entscheidungsmaßstab der Abgeordneten darf in solchen Fällen deshalb weder ein religiöses Dogma, die eigene verinnerlichte Weltanschauung, noch der Wunsch einflussreicher und nahestehender Religionen sein. Der zulässige Entscheidungsmaßstab liegt ausschließlich bei den Grundrechten selbst, so wie sie in den Artikeln 1 bis 19 sowie bei der Orientierung auf den demokratischen Rechtsstaat im Artikel 20 des Grundgesetzes festgehalten sind."

Zum Artikel: "Das Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe: Ein Weckruf an das Parlament"