Bekenntnisfreie Schule im bekenntnisfreien Staat

In der vierten Ausgabe der Publikationsreihe "Konfessionsfrei Kompakt" beschäftigt sich der Zentralrat der Konfessionsfreien im Rahmen seines strategisch angelegten Projekts https://www.artikel-140.de unter Mitwirkung der Bundesfachgruppe Gesamtschulen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) angesichts der tiefen Strukturkrise des Religionsunterrichts eingehend mit dem Thema bekenntnisfreie Schule und konfessionellen Religionsunterricht. Mit nachvollziehbarer Begründung wird die Änderung der Länder-Schulgesetze und Verwaltungsbestimmungen mit dem Ziel gefordert, dass öffentliche, staatliche getragene Schulen gemäß Art. 7 Abs. 3 GG als bekenntnisfrei gelten und daher keinen konfessionellen Religionsunterricht anbieten müssen. Dafür hatte sich im vergangenen Jahr auch bereits der Arbeitskreis Säkularität und Humanismus der SPD auf seiner Jahrestagung vom 13.- 15. September 2024 einstimmig ausgesprochen.

In der Publikation wird eingangs die diesbezügliche rechtliche Lage kurz dargestellt und hervorgehoben, dass aktuell in fast allen Bundesländern – mit Ausnahme von Bremen, Berlin und Brandenburg – der Bekenntnisfreiheit der Schulen die jeweiligen Landesgesetze entgegenstehen. Sodann werden "zehn Probleme des konfessionellen Religionsunterrichts" dargestellt:

In dem Zusammenhang wird zunächst der deutsche Sonderweg erläutert. Denn in vielen europäischen Ländern wird Religion neutral – also nicht konfessionsgebunden – im Ethik- oder Werteunterricht vermittelt. Als weiteres Problem werden pädagogische und integrationspolitische Schwierigkeiten identifiziert, die die religiöse Trennung von Schüler*innen hervorruft. Dadurch wird ein interreligiöser Austausch verhindert und Stereotype perpetuiert:

"Diese religiöse Trennung ist nicht mehr zeitgemäß. So wie es keinen ,SPD-‘, ,CDU-‚‘ oder ,AfD-Politikunterricht‘ geben darf, in dem ,bekennende‘ Parteimitglieder ihre Überzeugungen an die Kinder von SPD-, CDU- oder AfD-Wählern vermitteln, sollte auch Religion unparteiisch und neutral vermittelt werden."

Ferner wird hervorgehoben, dass die Note im Religionsunterricht zwar keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vermittelt, aber dennoch versetzungsrelevant ist und sogar als Abiturprüfungsfach gewählt werden kann. Im Weiteren wird auf den hohen schulorganisatorischen Aufwand im Hinblick auf die Vielzahl von Religionsunterrichten – in Hessen sind es 13 verschiedene – hingewiesen, nicht ohne zugleich darzulegen, weshalb multikonfessionelle Modelle wiederum gegen die rechtlichen Anforderungen an eine klare Bekenntnisorientierung verstoßen. Einen Neutralitätsverstoß erkennt ifw-Beirat Hartmut Kreß in der Art und Weise der Ausübung der staatlichen Aufsichtspflicht:

"Kreß zeigt das Problem unter anderem beim bekenntnisgebundenen Islamunterricht auf. Die staatliche Konstruktion von Beiräten und staatlich gegründeten Stiftungen, wie sie in Baden-Württemberg mit der Stiftung Sunnitischer Schulrat zur Organisation des Religionsunterrichts sunnitischer Prägung als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen vorgenommen wird, verstoße gegen die verfassungsmäßige Neutralität. Der Staat wolle sich zum Zweck eines bekenntnisgebundenen Islamunterrichts islamisch-religiöse Ansprechpartner schaffen, die er in der Logik christlicher Kirchenstrukturen konstruiere, obwohl der Islam historisch wie auch theologisch ganz anders verfasst sei. Darüber hinaus repräsentieren die vom Staat beteiligten Islamverbände keineswegs die gesamte muslimische Gemeinschaft. Kreß bemängelt, dass der deutsche Staat mit solchen Konstruktionen ,im Übermaß‘ in den muslimisch-religiösen Binnenbereich hineinwirke und die kollektive Religionsfreiheit von Muslimen verletze. Es handele sich rechtsgeschichtlich um einen Rückfall sogar hinter die Prinzipien der Weimarer Verfassung von 1919 – hier werde ein ,landesherrliches Kirchenregiment revisited‘ im 21. Jahrhundert praktiziert."

Kreß hat sich bereits 2022 umfassend mit der Frage "Religionsunterricht oder Ethikunterricht?" im gleichnamigen Buch beschäftigt, das in der Schriftenreihe des ifw (Schriften zum Weltanschauungsrecht) im Nomos-Verlag erschienen ist. Die Publikation kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Zudem wird die fortschreitende Entkirchlichung betont, die einen Rückgang der Teilnehmerzahlen nach sich zieht und die Legitimation des konfessionellen Religionsunterrichts zunehmend in Frage stellt. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass formale Hürden den Abmeldeprozess vom Religionsunterricht teilweise erschweren. Darüber hinaus wird ein weiteres Problem darin gesehen, dass Religionslehrkräfte eine Lehrerlaubnis von Kirchen oder Verbänden benötigen, welche aus theologischen Gründen – und somit letztlich nicht nach objektiven Kriterien – verweigert werden kann. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass der Religionsunterricht erhebliche Kosten verursacht, die jedoch nicht transparent ausgewiesen werden.

Am Ende werden vier Zukunftsoptionen vorgestellt:

  1. Einführung eines gemeinsamen bekenntnisfreien Ethikunterrichts für alle.
  2. Ein verpflichtender Ethik-/Religionskundeunterricht neben einem fakultativen Religionsunterricht.
  3. Fortbestand des Religionsunterrichts mit weiteren Konfessionen.
  4. Multikonfessionelle Modelle, die jedoch verfassungsrechtlich problematisch sind.

und ausgeführt:

"Aus pädagogischen, integrationspolitischen, verfassungsrechtlichen, fiskalischen und schulorganisatorischen Gründen sollten die Bundesländer die Option (1) der bekenntnisfreien Schulen nicht blockieren, sondern ermöglichen und stärken."

Um Fortschritte bei der Herstellung von Transparenz über den fiskalischen Aufwand zu erzielen, wird den Landesregierungen und -parlamenten ein umfassender Fragenkatalog, der in der Publikation eingesehen werden kann, vorgelegt.