Erster Erfolg eines Opfers klerikalen Missbrauchs vor dem Landgericht Essen
Bereits am ersten Verhandlungstag vor dem LG Essen hat das Gericht entschieden, dass dem Kläger wegen der erlittenen Missbrauchshandlung Schmerzensgeld vom beklagten Bistum Essen zusteht. Einzig die Höhe steht noch aus.
Der Kläger, Wilfried Fesselmann, fordert 300.000 Euro für den durch den damaligen Kaplan Peter H. erlittenen sexuellen Missbrauch. Für alle Prozessbeteiligten überraschend erschien der seitens des Bistums Essen als Zeuge benannte Peter H. Das Bistum bestreitet die Taten. Peter H. räumt ein, dass er den Jungen Alkohol gegeben habe und er mit dem Kläger nackt im Bett gelegen hat, stritt aber die Durchführung von Oralverkehr ab. Gleichzeitig räumte er aber Erinnerungslücken ein. Der WDR berichtet: "Für allgemeines Erstaunen sorgte seine lapidare Antwort auf die Frage des Gerichts nach der Einladung von Kindern in seine Dienstwohnungen: ,Da ist es halt mal zu Übergriffen gekommen.'"
Das Gerichte glaubte hingegen dem Kläger und sieht die Ausführungen zum Oralverkehr als "glaubwürdig und nachvollziehbar" an.
Die Taten hatten für den Kläger nach dessen Schilderung gravierende Folgen. Er gibt an, seit dem Übergriff an Angststörungen zu leiden, außerdem sei er durch den Missbrauch alkoholsüchtig geworden.
Das Gericht hat nun zu befinden, ob die Folgen auf den Missbrauch zurückzuführen sind, und es muss dann eine Schmerzensgeldhöhe festlegen. Bislang hat der Kläger vom Bistum 45.000 Euro erhalten – "eher Almosen", wie er die "Entschädigung" angesichts der gravierenden Folgen nachvollziehbar bezeichnet.
Zum Hintergrund des Täters schreibt der WDR:
"Nach mehreren Missbrauchsvorwürfen war H. Anfang der 1980er Jahre nach Bayern versetzt worden, um sich in Therapie zu begeben. Auch dort soll der Missbrauch weitergegangen sein. Insgesamt soll H. dutzende Kinder missbraucht haben. Er wurde in Bayern auch rechtskräftig verurteilt. 2010 wurde er aus dem kirchlichen Dienst entfernt."
Bemerkenswert ist, dass das Bistum die Missbrauchsvorwürfe bestritten hat. Für den bekannten Rechtsanwalt klerikaler Missbrauchsopfer Christian Roßmüller ist es zynisch, "'wenn ein Bistum Opfern wie Wilfried Fesselmann einerseits Glaubwürdigkeit bescheinigt – nämlich wenn es um Zahlungen aus dem kircheneigenen Fonds geht.' Und dann andererseits 'genau diese Glaubwürdigkeit anzweifelt, wenn hohe Forderungen über ein Zivilverfahren im Raum stehen.'"
Ausführlich berichtet die Rheinische Post über das perfide Vorgehen des Täters Peter H. und schildert die konkrete Tatgeschehnisse, wie sie der Kläger beschreibt:
"Was in der Wohnung des damals 36-Jährigen geschah, beschreibt Fesselmann vor Gericht so: 'Die erste halbe Stunde war er noch freundlich. Dann hat er Außentür und Wohnzimmer abgeschlossen, mir Schnaps mit Cola gegeben, seinen Arm um mich gelegt und gesagt er sei verliebt. Das fand ich damals schon total krank.' Mit Alkohol habe er ihn als Elfjährigen gefügig gemacht, zum Ausziehen und Oralverkehr genötigt. 'Ich war damals nicht aufgeklärt, ich wusste nicht, was geschieht', sagt der dreifache Familienvater heute. Am nächsten Morgen sei er in der Gästewohnung aufgewacht mit einem Notizzettel: 'Das bleibt unser Geheimnis, du kannst jederzeit wiederkommen.'"
Auch Kirche-und-Leben berichtet ausführlich über den Fall und geht insbesondere auch auf die gravierenden Folgen für den Kläger ein:
"Fesselmann benannte als Folgen der Tat unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung, Alkoholprobleme, Sexualstörungen und Panikattacken. Bereits als Kind habe er angefangen, Alkohol zu konsumieren, und sei wegen Konzentrationsschwächen vom Gymnasium abgegangen. Auch sei er in seiner Gemeinde von anderen Jugendlichen angefeindet und geschlagen worden, weil man ihn für den Weggang des beliebten Geistlichen verantwortlich gemacht habe. Später habe er seinen Job verloren, habe stark an Gewicht zugenommen und sei wegen gesundheitlicher und psychischer Probleme etwa 24 Jahre arbeitslos gewesen."
Zum Täter ist zu lesen:
"Insgesamt verging sich der frühere Geistliche an mindestens vier Orten in Nordrhein-Westfalen und Oberbayern an Minderjährigen. Nach mehrfachen Vorwürfen war er 1980 aus dem Bistum Essen ins Erzbistum München und Freising versetzt worden – nach seiner eigenen Aussage mit der Maßgabe, sich einer Therapie zu unterziehen."
Im Gerichtssaal entschuldigte sich Peter H. bei Fesselmann:"Ich möchte sagen, dass es mir sehr leidtut."
Dieser Fall macht erneut deutlich, dass es im Interesse der Betroffenen wäre, wenn die Kirche auf den gerichtlichen Weg verzichtet und stattdessen außergerichtliche Lösungen anstrebt, um psychische und finanzielle Belastungen der Opfer zu vermeiden. Darauf haben bereits im vergangenen Jahr der Staatsrechtslehrer Stephan Rixen und der ifw-Direktor Jörg Scheinfeld hingewiesen.