Ein Fall von Knabenbeschneidung vor Gericht
Vor dem Amtsgericht Eilenburg muss sich seit dem 12.05.2025 ein Arzt aus Taucha wegen einer aus religiösen Gründen durchgeführten Knabenbeschneidung an einem fünf Wochen alten Baby strafrechtlich verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mediziner derzeit noch eine fahrlässige Körperverletzung vor. Im Raum steht inzwischen allerdings wohl auch eine etwaige vorsätzliche gefährliche Körperverletzung. Hintergrund dieser Entwicklung ist eine möglicherweise unterbliebene ordnungsgemäße Aufklärung der Erziehungsberechtigten. Der Prozess wird vom hpd und der Leipziger Volkszeitung vor Ort verfolgt.
Nach dem medizinisch nicht indizierten Eingriff erlitt das Baby Atemnot und musste im Krankenhaus stationär aufgenommen und behandelt werden. In den ersten beiden Hauptverhandlungstagen rekonstruierte das Gericht insbesondere mithilfe der Einvernahme der Eltern und der Großmutter des Kindes sowie der aufgezeichneten drei (!) Notrufe und der Vernehmung des Notarztes den Tatablauf. Der Arzt steht nicht das erste Mal wegen Komplikationen nach einer Beschneidung vor Gericht, verurteilt worden ist er indes bislang noch nicht.
Die bisherige Beweisaufnahme hat nach den Schilderungen der Prozessbeobachtung durch den hpd die Anklageschrift bestätigt:
"Übereinstimmend waren alle Zeugenaussagen im Ablauf der Ereignisse, die sich mit der Schilderung aus der Anklage deckte. Das Kind war von seinen Eltern sowie der Großmutter väterlicherseits in die Praxis gebracht worden. Die Mutter blieb im Wartezimmer, da sie nach eigenen Angaben Angst hatte und nicht sehen könne, wie ihr Kind leidet und weint. Das Kind wurde vom Vater und dessen Mutter in den Behandlungsraum gebracht. Die Großmutter entkleidete das Kind und hielt seine Beine auf Anweisung des Arztes fest, während dieser die Lokalanästhesie einleitete und kurz darauf die Vorhaut des fünf Wochen alten Kindes mit einer Winkelmann-Beschneidungsklemme amputierte. Nach dem Eingriff wurde das Kind im Wartsaal seiner Mutter übergeben. Erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte offenbar eine Information durch den Arzt: Sobald die Betäubung nachlasse, werde das Kind weinen. Nachdem die Mutter dem Jungen ein Fläschchen gegeben hatte, lief das Kind blau an, hörte auf zu atmen und bekam einen Krampfanfall. Die Familie bat mehrmals darum, dass ein Krankenwagen gerufen werde, doch der Arzt sprach sich zunächst dagegen aus. Als die Rettung schließlich doch gerufen wurde und kam, wurde das Kind ins St. Georg Klinikum Leipzig gebracht und dort weiter versorgt und behandelt."
Im Raum stehen einerseits etwaige Fehler bei der Narkose (Überdosierung/fehlende Aufklärung über etwaige Nebenwirkungen), aber inzwischen stellt sich andererseits offenbar auch die Frage, ob es überhaupt eine Aufklärung über die Folgen des Eingriffs gegeben hat. Im hpd ist zu lesen:
"Auf die Fragen des Richters an die Familie, ob man ihnen zuvor erklärt habe, was genau stattfinden würde – also Aufklärung über die Betäubung und welche Komplikationen diese in seltenen Fällen haben könnte und ob sie einen Aufklärungsbogen unterschrieben hätten – sagten alle drei, dass sie sich nicht erinnern könnten, ob dies geschehen sei oder nicht."
Zwar erlaubt § 1631d BGB es Eltern in die medizinisch nicht indizierte Abtrennung der gesunden Penisvorhaut ihres minderjährigen Kindes einzuwilligen, indes ist die seit 2012 bestehende Rechtslage als verfassungswidrig anzusehen.
Unabhängig von der grundsätzlichen Erlaubnis spricht im vorliegenden Fall jedoch sehr vieles dafür, dass der Arzt die Eltern über die Folgen und Risiken der Amputation der Penisvorhaut nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Naheliegenderweise noch nicht einmal über die möglichen Narkosekomplikationen bei einem nur wenige Wochen alten Säugling:
"Der Richter fragte weiter, ob sie, wenn sie gewusst hätten, welche Komplikationen es geben könne, ihren Sohn trotzdem hätten ,beschneiden‘ lassen, beziehungsweise ob sie einen weiteren Sohn ,beschneiden‘ lassen würden, jetzt da sie informiert seien. Beide Eltern waren unschlüssig, ob sie von einer ,Beschneidung‘ generell Abstand nehmen würde. Einig waren sie sich aber darüber, dass sie dies nicht wieder in einer Praxis, sondern nur im Krankenhaus tun würden.
Da sie gehört hatten, dass Krankenhäuser diese Operation erst ab dem 7. Lebensjahr durchführten und es ihnen aber wichtig sei, das Kind so früh wie möglich zu ,beschneiden‘, da es dann weniger spüre, hatten sie bewusst eine Praxis dafür gesucht. Warum Krankenhäuser die Operation nicht an so kleinen Kindern vornehmen wollen, sei der Mutter nicht klar gewesen. Nun wisse sie es aber. Womöglich ist das auch die Antwort auf die Frage, ob Aufklärung stattgefunden hat."
Angesichts dessen, dass der Arzt wohl noch nicht einmal diese Fragen thematisiert hat, ist es eher fernliegend, dass er über den mit dem Eingriff zwingend einhergehenden Sensibilitätsverlust und über die Auswirkungen auf das spätere sexuelle Erleben aufgeklärt hat. Auch das gehört jedoch selbstredend zu der gesetzlichen Aufklärungspflicht – jeder Patient (oder seine Vertreter) muss um diese bedeutsamen Folgen des Eingriffs wissen, damit er eigenverantwortlich entscheiden kann. Eine Einwilligung, die aufgrund einer (insoweit) ungenügenden oder nicht erfolgten Aufklärung gegeben wird, ist unwirksam.
Jörg Scheinfeld, Direktor des ifw, gibt zu bedenken: "Gerade bei Jungenbeschneidungen, die lediglich religiös motiviert sind, dürften viele Eltern oft nicht richtig aufgeklärt werden, insbesondere nicht über die Gewebebeschaffenheit der ,Vorhaut‘. Der feierliche Akt soll nicht getrübt werden von der Frage: ,Sie sind sich bewusst darüber und einverstanden damit, dass wir Ihrem Sohn eine erogene Zone vom Penis abschneiden und dass wir sein Sexualleben damit lebenslang beeinflussen?‘ Bislang sind Jungenbeschneider – soweit ersichtlich – stets davongekommen, wenn sie die Eltern nicht richtig aufgeklärt und den Jungen trotzdem beschnitten haben. Das Amtsgericht Eilenburg könnte mit seinem anstehenden Urteil nun sichtbar machen, dass solches Verhalten nicht nur auf dem Papier strafbar ist, sondern tatsächlich vom Rechtsstaat verfolgt wird."