Rolf Dietrich Herzberg zum § 1631d BGB: „Medizinisch nicht indizierte Genitalverletzungen müssen den Eltern verwehrt sein“

Professor em. Dr. Rolf Dietrich Herzberg, ifw-Beirat, übt grundlegende Kritik an dem im Jahr 2012 eingeführten § 1631d BGB (Beschneidung des männlichen Kindes) und fragt aus Anlass eines ZEIT-Artikels von Mike Samuel Delberg, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, "ob die ‚Glaubensfreiheit‘, auf die Sie sich berufen, das Recht geben kann, die Rechte anderer zu verletzen! Ich darf doch zwecks Religionsausübung nicht einmal eine fremde Sache beschädigen oder einen banalen Hausfriedensbruch begehen…"

Rolf Dietrich Herzberg, ifw-Beirat und Professor em. für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie an der Ruhr-Universität Bochum, schreibt in seinem offenen Brief, der am 9. Mai 2019 im Humanistischen Pressedienst (hpd) veröffentlicht wurde:

"Versuchen Sie einmal, die Dinge neutral, sine ira et studio zu sehen und fragen Sie sich als Jurist, der Sie ja sind, ob die ‚Glaubensfreiheit‘, auf die Sie sich berufen, das Recht geben kann, die Rechte anderer zu verletzen! Ich darf doch zwecks Religionsausübung nicht einmal eine fremde Sache beschädigen oder einen banalen Hausfriedensbruch begehen. In eine abgeschlossene Kapelle darf ich nicht einbrechen, auch wenn ich darin beten will. Der fromme Moslem, der im Restaurant sein Abendgebet sprechen will und zwischen anderen Gästen seinen Gebetsteppich ausrollt, muss ihn unverzüglich wieder einrollen, wenn der Hausherr es verlangt. Und da soll der Wille zur Religionsausübung die blutige Verletzung eines wehrlosen Kindes erlauben? Einen Akt, der mit lebensgefährlichen und lebenslangen Folgen das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung missachtet! Denn die Vorhaut ist ein hochsensibler, für das sexuelle Lustempfinden besonders wichtiger Teil des Penis. Kaum ein Erwachsener opfert sie noch, wenn seine Eltern ihm die eigenverantwortliche Entscheidung überlassen haben.

Sie wenden vielleicht ein, der jüdische Säugling und der muslimische Junge seien eben noch nicht mündig und deshalb könnten die Eltern kraft ihres Sorgerechts als Vertreter des Kindes in die Verletzung einwilligen. Ich glaube unterstellen zu dürfen, dass sie den Eltern kleiner Mädchen solche Rechtsmacht nicht zuerkennen würden, auch nicht bei religiöser Motivation und einer im Vergleich zur Vorhautamputation leichter wiegenden Schamlippenverletzung. Jungen sind gleichberechtigt. Sie genießen den gleichen Schutz wie Mädchen. Ob Mädchen oder Junge, medizinisch nicht indizierte Genitalverletzungen müssen den Eltern verwehrt sein. Es anders zu sehen ist ethisch nicht akzeptabel und juristisch unvereinbar mit mehreren grundgesetzli­­chen Rechten des Kindes, auch dem Recht auf Achtung seiner Menschenwürde. Was daraus für § 1631 d BGB folgt, versteht sich von selbst:  Er ist verfassungswid­rig." 

Zum hpd-Artikel:

https://hpd.de/artikel/medizinisch-nicht-indizierte-genitalverletzungen-muessen-den-eltern-verwehrt-sein-16799

(JN)