Rasterfahndungspraxis der Kirchen: Beschwerden bei der Berliner Datenschutzbeauftragten eingereicht

In Berlin werden personenbezogene Daten regelmäßig vom Finanzamt an die Kirchensteuerstelle, und von dieser an die einschlägige Kirchengemeinde zur Prüfung der Religionszugehörigkeit der Bürger weitergeleitet. Das Prüfungsergebnis wird von dieser zurück an die Kirchensteuerstelle und über diese an das zuständige Finanzamt weitergegeben. Je nach Ergebnis der Prüfung, werden die Betroffenen dann zur Kirchensteuer herangezogen. Für dieses einzig im Bundesland Berlin praktizierte Verfahren hat sich der Begriff der Rasterfahndungspraxis eingebürgert. Im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) hat der Datenschutzexperte Prof. Dr. Alexander Roßnagel die Zusammenarbeit der Berliner Finanzbehörden mit den Berliner Kirchensteuerstellen bewertet. Er kommt in seinem Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige Praxis datenschutzrechtlich unzulässig ist. Auf dieser Grundlage haben Betroffene nunmehr in zwei Fällen Beschwerde bei der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit eingereicht. 

Fall 1: Konfessionsfreie DDR-Bürgerin nach knapp 60 Jahren zur Religionszugehörigkeit befragt

Der hpd berichtete bereits mehrfach über die Rasterfahndung der beiden Großkirchen nach potentiellen Mitgliedern in Berlin. Auch Der SPIEGEL 29/2019 griff unter der Überschrift "Denen geht es um nichts anderes als Geld" (Online, Paywall) und "In der Seelenkartei" (Print, S. 40–41) den Fall einer Frau auf, die ihr Leben lang als Konfessionslose gelebt hatte und mit 58 Jahren erfuhr, dass sie als Säugling in der DDR getauft wurde und Kirchensteuer nachzahlen soll (ausf. Falldarstellung hier). Hiergegen hat die Betroffene geklagt. Der Fall liegt aktuell dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Dieses wird zu entscheiden haben, ob die Konfessionsfreie zu Recht zur Kirchensteuer herangezogen wurde oder ob insofern eine Zwangschristianisierung vorliegt und Art. 4 GG verletzt ist.

Zusätzlich hat die Betroffene bei der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit nunmehr auch eine Beschwerde gegen die Kirchensteuerstelle in ihrem Finanzamt eingereicht. Die Datenschutzbeauftragte soll überprüfen, ob die Übersendung der Fragebögen zur Religionszugehörigkeit und die weitere Datenverarbeitung datenschutzrechtlich zulässig waren oder die Betroffene in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzten. Stützen kann sie sich dabei auf ein Rechtsgutachten des renommierten Datenschutzexperten Prof. Dr. Alexander Roßnagel. Dieser hat im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) die Zusammenarbeit der Berliner Finanzbehörden mit den Berliner Kirchensteuerstellen datenschutzrechtlich bewertet und kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis:

"Aus Sicht des Datenschutzrechts ist festzuhalten, dass die Weitergabe von Steuerdaten der Klägerin durch das Finanzamt Prenzlauer Berg an die Kirchensteuerstelle gegen § 31 Abs. 1 Satz 3 AO verstieß und sich nicht auf andere Erlaubnistatbestände stützen konnte.

Der Kirchensteuerstelle stand weder die Befugnis zu, ein Auskunftsersuchen gegenüber der Klägerin in Form eines Verwaltungsakts zu erlassen, der sich auf §§ 88 und 90 AO stützte, noch konnte sie sich auf eine Erlaubnisnorm stützen, die ihr die mit der Auskunft verbundene Datenerhebung erlaubte.

Die Kommunikation zwischen der Kirchensteuerstelle und der Evangelischen Kirchengemeinde [im Geburtsort der Klägerin] in Form von Übermittlungen von Steuerdaten der Klägerin konnte sich nicht auf eine datenschutzrechtliche Erlaubnis stützen. Insbesondere war sie nicht durch § 7 KiStG i.V.m. Erlaubnisnormen der Abgabenordnung und auch nicht durch Art. 18 EKV zu rechtfertigen.

Die Übermittlung der Information zur Taufe der Klägerin von der Kirchensteuerstelle an das Finanzamt […] und die Verarbeitung dieses Datums in Besteuerungsverfahren der Klägerin könnte wegen der rechtswidrigen Erlangung dieser Information an einem Verwertungsverbot scheitern.

Rein datenschutzrechtlich zulässig wäre eine Anfrage des Finanzamts bei der Klägerin nach §§ 88 und 90 AO, ein Auskunftsersuchen des Finanzamts bei der Evangelischen Kirchengemeinde [im Geburtsort der Klägerin] nach §§ 92 und 93 AO und eine Mitteilung über die Taufe durch diese Gemeinde an das Finanzamt gewesen. Nach Festsetzung der Kirchensteuer hätte das Finanzamt die Kirchensteuerstelle nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AO informieren können."

Fall 2: Konfessionsfreie Eltern zur Religionszugehörigkeit ihrer Kleinkinder befragt

Kurz zuvor hatte es einen weiteren Rasterfahndungs-Fall gegeben, in dem die Betroffenen mit Unterstützung des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) eine Beschwerde bei der Berliner Datenschutzbeauftragten eingereicht hatten. Auch sie konnten sich auf das Gutachten von Professor Roßnagel berufen, um einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung geltend zu machen. Roßnagel konstatiert in seinem Gutachten:

"Ohne konkreten Verdacht ‚beauftragen‘ Finanzbehörden die Kirchensteuerstellen nachzuforschen, ob entgegen der Angabe der Steuerpflichtigen dennoch eine subjektive Steuerpflicht besteht Kirchensteuer zu entrichten. Zu diesem Zweck übermitteln sie Name, Anschrift, Geburtstag und Angaben zur Steuererklärung der betroffenen Person an die Kirchensteuerstellen.

Dieses Verfahren ist bereits deshalb unzulässig, weil den Finanzbehörden keine ‚greifbaren Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass … Angaben falsch … sind‘. Soweit es an ‚offenkundigen Zweifelsfragen‘ fehlt, die sich ihnen ‚den Umständen nach ohne weiteres aufdrängen‘, diskriminieren sie Nicht-Kirchenmitglieder, die sie einem nicht auf Tatsachen beruhenden Generalverdacht aussetzen."

Die in diesem Fall betroffenen konfessionsfreien Eheleute waren aus heiterem Himmel durch eine einem Berliner Finanzamt angegliederte Kirchensteuerstelle aufgefordert worden, in einem beiliegenden Fragebogen Angaben zur Religionszugehörigkeit ihrer minderjährigen Kinder zu machen.

Die Forderung der Betroffenen, solche Datenabfragen künftig zu unterlassen, beantwortete die Kirchensteuerstelle mit der Ansicht, ihre Abfrage sei rechtlich zulässig und fügte erneut Fragebögen für die Kinder bei, verbunden mit der erneuten Aufforderung, diese auszufüllen. In ihrem Schreiben räumt die Kirchensteuerstelle offen ein, dass sie, in enger Zusammenarbeit mit den Finanzämtern und ermöglicht durch diese, eine Rasterfahndungspraxis betreibt. Sie führte aus, dass bei jeder Datenerfassung eines Steuerpflichtigen im Land Berlin seitens des Finanzamtes eine Datenübermittlung an die Kirchensteuerstellen erfolge und die Kirchensteuerstellen sodann anlasslos mittels eines Fragebogens nach der Religionszugehörigkeit fragten.

Alleiniger Grund für die Abfrage dieser sensiblen Daten ist nach Aussage der Kirchensteuerstelle die theoretische Möglichkeit (!), dass die ihr vorliegenden Daten nicht korrekt sind, weil der Steuerpflichtige beispielsweise in einem anderen Bundesland in die Kirche ein- oder aus der Kirche ausgetreten ist.

Zur Rechtfertigung dieser Praxis wird seitens der Kirchen und einiger Staatskirchenrechtler gerne das sog. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen angeführt. Verfassungsrechtlich verbürgt ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm aber lediglich ein Selbstverwaltungsrecht, d.h. die Freiheit der internen Organisation. Zudem sind – nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Weimarer Kirchenartikel infolge ihrer Inkorporation in das Grundgesetz dessen Bestandteil, d.h. sie bilden mit diesem zusammen ein organisches Ganzes und sind daher nach dem Sinn und dem Geist der grundgesetzlichen Werteordnung auszulegen. Bestandteil dieser grundgesetzlichen Werteordnung ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Staat darf sein in Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV i.V.m. Art. 140 GG verbürgtes Fragerecht nach der Religionszugehörigkeit mithin nur unter Beachtung dieses Grundrechts ausüben. Wenn er dieses Recht nun auf eine nicht-staatliche Entität wie die Kirchen übertrüge, so dürfte dies nicht zu einem verringerten Grundrechtsschutz führen. Eine Übertragung des Fragerechts wäre mithin nur denkbar mit einer gleichzeitigen Verpflichtung der entsprechenden Religionsgemeinschaft zur Einhaltung der staatlichen Datenschutzgesetze als Ausprägungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Aufsicht über die Einhaltung dieser staatlichen Datenschutzgesetze obläge dann wiederum der Berliner Datenschutzbeauftragten. Hätte keine Übertragung des Fragerechts vom Staat an die Kirchen stattgefunden, wäre die Rasterfahndungspraxis der Kirchen durch Übersendung von Fragebögen von vornherein unzulässig. Genauso unzulässig, als wenn Sie ein Kaninchenzüchterverein fragen würde, ob sie vielleicht Mitglied sind.  

Sollte sich die Berliner Datenschutzbeauftragte unter Verweis auf das sog. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen weigern, die Rasterfahndungspraxis der beiden Großkirchen im Land Berlin zu untersuchen, werden die Betroffenen zusammen mit dem ifw diese Weigerung gerichtlich überprüfen lassen. 

Zwei Vorschläge für rechtspolitische Reformen

Unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde und der beiden Datenschutzbeschwerden belegen die beiden Rasterfahndungsbeispiele erneut die Notwendigkeit einer Reform des staatlichen Kirchensteuerrechts. Staatskirchliche Privilegien des Steuereinzugs und des Informationsaustausches waren bereits früher verfassungswidrig, heutzutage widersprechen sie zudem noch der gesellschaftlichen Realität und der Rechtswirklichkeit: über 75 Prozent der Bevölkerung Berlins sind nicht Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche. Der Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung sinkt bundesweit seit Jahrzehnten. Eine Trendumkehr ist unwahrscheinlich (vgl. Fowid-Analyse). Daher empfiehlt das ifw die folgenden zwei Reformen, wobei der erste Vorschlag durch die Umsetzung von Vorschlag zwei hinfällig würde:

  1. Das Land Berlin sollte die Ansiedlung der Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern beenden und auf die Einhaltung des Trennungsgebots von Staat und Kirche achten. Verstöße wie im Fragebogen der Kirchensteuerstelle sind zu ahnden. Weitreichender und wichtiger:
  2. Berlin (wie auch die anderen Bundesländer) sollte die Kirchensteuergesetze abschaffen. Die kirchlichen Mitgliedsbeiträge sind so einzutreiben wie sich das in einem säkularen Staat gehört – durch die Kirche selbst. Damit kann der Staat Missbrauch und Fehlentwicklungen präventiv und strukturell vermeiden. Per einfacher Mehrheit ist im Berliner Abgeordnetenhaus durch die Regierungskoalition (SPD, Linke, Grüne) die Abschaffung des Gesetzes "Über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften im Land Berlin (Kirchensteuergesetz – KiStG) vom 1. Januar 2009" möglich. Über die genannten Parteien hinaus gibt es auch in der FDP Stimmen, die das Privileg des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer abschaffen wollen. Nicht zuletzt gibt es auch unter gläubigen Christen und Kirchenmitgliedern Fürsprecher für eine Beendigung des deutschen Sonderweges beim staatlichen Einzug der Kirchensteuer.