Meinungsfreiheit: Der Fall Amed Sherwan / Facebook Ireland Ltd.

Sachverhalt

Der religionskritische Aktivist und Blogger Amed Sherwan postet am 17. Dezember 2020 eine Fotomontage auf Facebook und Instagram. Sie stellt einen Kuss mit dem ägyptischen Atheisten Mohamed Hisham vor der Kaaba dar, die von gläubigen Muslimen als eines der zentralen Heiligtümer des Islam angesehen wird. Wie Amed Sherwan erklärt, handele es sich bei dem Bild um ein Zeichen der Solidarität mit LGBTIQ*-Personen in muslimischen Communitys.

Daraufhin gehen bei ihm massenhaft Beleidigungen und Gewaltandrohungen ein – darunter auch konkrete Morddrohungen. Insbesondere fundamentalistische Muslime rufen in Kommentaren dazu auf, Sherwans Beiträge bei Facebook und Instagram zu melden. Eine große Anzahl dieser Kommentare werden von Profilen veröffentlicht, die ihren Wohnort in Pakistan angeben. Mittlerweile erhält der Beitrag auf Facebook insgesamt über 4.300 Reaktionen und wurde über 500 mal geteilt (Stand: 5. Januar 2021, 13:15 Uhr).

Kurze Zeit nach Veröffentlichung der Fotomontage werden Sherwans Accounts bei Facebook und Instagram gesperrt. Am 21. Dezember 2020 erhält er eine Meldung von Instagram, dass er der Sperrung seines Profils widersprechen könne. Nachdem er Widerspruch eingelegt hat, wird ihm am 25. Dezember 2020 in einer Mail mitgeteilt, dass sein Instagram-Account "offenbar fälschlicherweise deaktiviert" wurde. Kurze Zeit später wird sein Account jedoch ohne Meldung erneut gesperrt. Auf der Profilseite steht: "Diese Seite ist leider nicht verfügbar. Entweder funktioniert der von dir angeklickte Link nicht oder die Seite wurde entfernt". Eine Anmeldung über Sherwans Accountdaten ist nicht möglich.

Bei Facebook postet Sherwan am 18. Dezember 2020 einen weiteren Beitrag,  in dem er die zahlreichen Meldeversuche kommentiert. In dem Text heißt es: "Short Message to my Pakistani brothers. I see you trying zu hack my Account, it is just waste of time. Many others tried before. My account is pretty secure. Not even your Allah will able to hack it! By the way: I wont take the picture down! You need to learn to deal with love in all its colorful varieties." (deutsch: "Kurze Nachricht an meine pakistanischen Brüder. Ich sehe, dass ihr versucht, mein Konto zu hacken. Es ist nur Zeitverschwendung. Viele andere haben es schon versucht. Mein Konto ist ziemlich sicher. Nicht einmal euer Allah wird es hacken können! Nebenbei bemerkt: Ich werde das Bild nicht löschen! Ihr müsst lernen, mit der Liebe in all ihren bunten Varianten umzugehen.")

Dieser Beitrag wird am 19. Dezember 2020 von Facebook gelöscht, da er angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards im Hinblick auf "hate speech and inferiority" verstoße. Zugleich wird sein Facebook-Account für sieben Tage in den "read only"-Modus versetzt.

Nachdem sein Facebook-Account am 26. Dezember 2020 wieder entsperrt ist, postet Sherwan einen Tag später die Fotomontage von dem Kuss in Mekka erneut. Dieser Beitrag verschwindet kurz danach ohne Benachrichtigung. Auf seiner Profilseite auf Facebook wird nun eine Warnung angezeigt, dass sein Account erneut gesperrt bzw. eingeschränkt werden könnte, falls er gegen die Gemeinschaftsstandards verstößt.

Verfahrensstand

Am 31. Dezember 2020 fordert Sherwan, vertreten durch Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel, Facebook zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, die Facebook Ltd. dazu verpflichtet, es zu unterlassen, den am 18. Dezember 2020 veröffentlichten Beitrag zu löschen und das Profil von Sherwan zu deaktivieren. Außerdem wird Facebook dazu aufgefordert, das  Instagram-Profil wieder zu entsperren. Als Frist wird der 4. Januar 2021 gesetzt. Nach fruchtlosem Verstreichen der Frist, wird am 5. Januar 2021 beim Landgericht Flensburg der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Facebook Ltd. beantragt. Seit dem 15. Januar 2021 ist das Instagramprofil von Sherwan wieder komplett hergestellt und der Post, der zur vorübergehenden Sperrung seines Facebook-Accounts geführt hat, ist wieder freigegeben worden. Am 17. März 2021 wird vor dem Landgericht Flensburg mündlich verhandelt. Nachdem alle Löschungen und Profildeaktivierungen rückgängig gemacht wurden, legt das Landgericht Facebook (Beschluss vom 17. März 2021, Az. 7 O 2/21) die gesamten Kosten des Verfahrens auf.

Rechtliche Problematik

Es ist durch zahlreiche Fälle bekannt, dass islamistische Netzwerke versuchen, kritische Stimmen in den sozialen Netzwerken mundtot zu machen. Darunter fallen nicht nur (Mord-)Drohungen und Beleidigungen, sondern auch gezielte und orchestrierte Meldeaktionen, die zur Sperrung von Profilen führen. Betroffen sind davon insbesondere Accounts von Ex-Muslimen und Islamkritikern.

Beim Thema Löschverhalten von Facebook ist vor allem auch das 2017 von CDU/CSU und SPD eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in den Blick zu nehmen. Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) übt scharfe Kritik am NetzDG und der Einschränkung von Art. 5 Grundgesetz und schreibt in der Broschüre "Wie muss Technik? Zur Verteidigung der Menschenrechte im Zeitalter der Digitalisierung": "Wir benötigen an dieser Stelle eine positive Neubewertung von Meinungsvielfalt und individueller Freiheit wie auch von kritischer Rationalität. Klar sollte sein: Der Staat muss und darf nur dort eingreifen, wo Gesetze eindeutig gebrochen und persönliche Rechte verletzt werden. Denn dies ist nun einmal die Grundvoraussetzung jedes liberalen Rechtsstaats: In einer offenen Gesellschaft ist nicht die Freiheit begründungsbedürftig, sondern jegliche Einschränkung der Freiheit!" Aus diesem Grund müsse  das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dahingehend revidiert werden, dass die übereifrige Löschung oder Sperrung rechtskonformer Inhalte mit ebenso empfindlichen Strafen belegt wird wie die ausgebliebene Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte. "Denn solange die Betreiber von Social-Media-Plattformen nur dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass sie zu wenig löschen, besteht ein Anreiz 'im Zweifel gegen den Angeklagten' zu entscheiden, was jeder soliden Rechtspraxis und den Prinzipien der offenen Gesellschaft zuwiderläuft."

Das Landgericht führt in seinem Beschluss vom 17. März 2021 aus:

"Die Verfügungsbeklagte [Facebook] hat im Prozess vielmehr einen nicht unerheblichem Aufwand betrieben, ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Sie gesteht zudem eine Fehleinschätzung nicht ein, sondern beharrt auf ihrer Meinung."

"Anders als die Verfügungsbeklagte meint, kommt ihr gerade kein ‘Ermessen’ bei der Auslegung oder ein ‘Erstprüfungsrecht’ auf ‘scheinbare Verstöße’ zu, denn dies würde dazu führen, dass die Bedeutung ggf. von der rein subjektiven Ansicht der Verfügungsbeklagten abhinge… Vielmehr ist für die Ermittlung des Inhalts des Beitrags des Verfügungsklägers, auch mit Blick auf die betroffene Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf den objektiven Sinn aus der Sicht unvoreingenommener und verständiger Adressaten abzustellen.”

Das Institut für Weltanschauungsrecht unterstützt die Bekämpfung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit im Netz durch die sozialen Netzwerke und koordiniert den Beitrag der gbs zu den Verfahrenkosten.