Missbrauchsprozess am Landgericht Hildesheim – Gericht schlägt Mediation vor

Im Falle der vom ifw unterstützten Klage von Jens Windel auf Schadensersatz wegen rund 90 Fällen schweren sexuellen Missbrauchs sind der Kläger und das Bistum Heidesheim heute auf den Vorschlag des Gerichts, eine Mediation durchzuführen, eingegangen. Das gerichtliche Verfahren wird im Falle des Scheiterns der Güteverhandlung fortgesetzt.

Über den ifw-Fall berichteten heute u.a. die Hildesheimer Allgemeine Zeitung, die Tagesschau, der NDR, die Süddeutsche Zeitung, Sat. 1 und viele mehr.

Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) hat zu Beginn der Woche berichtet und ausgeführt:

"Am Freitag, dem 8. November, beginnt der Zivilprozess von Jens Windel gegen das Bistum, bei dem es um einen besonders schweren Fall von sexueller Nötigung geht, nämlich der mehrfachen Penetration eines minderjährigen Messdieners. Möglich wurden diese Verbrechen nur durch die Vertuschungstaktik der katholischen Kirche, die den mehrfach auffällig gewordenen Straftäter deckte und ihm weiterhin Zugang zu Kindern und Jugendlichen verschaffte. Der Pfarrer, der 2002 starb, ohne jemals strafrechtlich belangt worden zu sein, kann für seine Taten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden – wohl aber die katholische Kirche, die ihre ,Dienstaufsicht' in gröbster Weise verletzte, zu der sie als ,Körperschaft des öffentlichen Rechts' in besonderem Maße verpflichtet ist.

Jens Windel, der durch den schweren Missbrauch in privater wie beruflicher Hinsicht nachhaltig geschädigt wurde, fordert vom Bistum nun eine Entschädigung in Höhe von mindestens 400.000 Euro plus Zinsen und Folgekosten. Die katholische Kirche, welche die Missbrauchstaten in einem kircheninternen Verfahren bereits anerkannt und zunächst eine erste, geradezu beleidigende Zahlung von 1.000 Euro (!) sowie später nach weiteren Anträgen eine – angesichts des erlittenen Schadens immer noch erschütternd geringe – Gesamtentschädigung von 50.000 Euro an Jens Windel geleistet hat, möchte dieser Forderung nicht nachkommen. Hierzu will sie den intern bereits anerkannten Missbrauch vor Gericht abstreiten und ,Einrede auf Verjährung' erheben. Für David Farago, Leiter der Aktionsgruppe ,11. Gebot', ist dies eine ,Ungeheuerlichkeit ersten Ranges': ,Man muss sich das vor Augen führen: Eine Kirche, die für vorgebliche Enteignungen vor mehr als 200 Jahren Jahr für Jahr Hunderte Millionen vom deutschen Staat kassiert, weigert sich, Schmerzensgeld für Taten zu zahlen, die in ihrem Verantwortungsbereich vor gerade einmal 40 Jahren passiert sind! Hier sind wirklich alle Dimensionen verrutscht, zumal es ja vor allem an der kirchlichen Vertuschungstaktik gelegen hat, dass die Betroffenen erst so spät entschädigt werden können.'"

Bereits im März 2024 hatte ifw-Direktor Jörg Scheinfeld gemeinsam mit dem Staatsrechtslehrer Stephan Rixen im Rechtsmagazin Legal Tribune Online die Kirche dazu aufgerufen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten und sich stattdessen mit den Betroffenen außergerichtlich auf angemessene Entschädigungszahlungen zu einigen.

In ihrem Aufsatz griffen die beiden Professoren auch die Äußerungen des Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer auf, der sich zuvor gegen außergerichtliche Vergleiche mit Betroffene sexualisierter Gewalt ausgesprochen hatte:

"Seine Begründung: 'Das halte ich für den falschen Weg, weil es etwas von Mauschelei hat.' Er verwies darauf, dass ihm 'eine unabhängige dritte Instanz' fehle."

Rechtsanwalt Christian Roßmüller kommentierte die Zustimmung des Bistums zur Mediation gegenüber Sat.1 und teilte mit, dass er damit heute ein bisschen gerechnet hätte, weil Bischof Wilmer ja hier genau eingefangen worden sei, da er eine unabhängige Instanz für ein Mediationsgespräch wollte.

Die Lesart der Professoren Rixen und Scheinfeld für die strikte Ablehnung außergerichtlicher Verhandlungen mehrere Bistümer fiel hingegen im März 2024 nachvollziehbarerweise weniger positiv aus:

"In der Gesamtschau drängt sich der Eindruck auf, dass sich die deutschen Bischöfe darauf verständigt haben, außergerichtliche Vergleichsverhandlungen abzulehnen und so in der Konsequenz den von sexualisierter Gewalt Betroffenen Klageverfahren mit einem hohen Geld-, Zeit- und Kraftaufwand aufzubürden. Spekulieren sie darauf, dass nur wenige Betroffene ein anstrengendes und aufwühlendes Gerichtsverfahren auf sich nehmen?"

Betroffenen klerikalen sexuellen Missbrauchs den kräftezerrenden Weg vor Gericht zuzumuten, ist im Ergebnis kritisch zu sehen. Auch heute hat sich gezeigt, welch hohe Belastung damit für Kläger*innen einhergeht:

"Vor dem Prozessstart ist Windel die Anspannung anzusehen. Seine Augen sind feucht, er umklammert seinen Stuhl, ist begleitet von drei Rechtsanwälten."

Angesichts dessen wäre es weiterhin wünschenswert, dass sich die Kirchen außergerichtlichen Verhandlungen öffnen würden.

Abschließend ist noch auf das Besondere an dem heutigen Vorgang hinzuweisen: Obwohl das Gericht der Argumentation des Bistums, dass die Ansprüche wegen der von ihm erhobenen Einrede der Verjährung nicht bestehen würden (a.A. z.B. hier), zu folgen scheint, was die Abweisung der Klage zur Folge hätte, schlug die Kammer eine Güteverhandlung vor, weil eine Schmerzensgeldzahlung genugtuende Wirkung für den Kläger haben könnte. Dass sich das Bistum auf eine Güteverhandlung eingelassen hat, obwohl es mit einem Obsiegen im Prozess rechnen durfte, lässt hoffen, dass es seine Verantwortung – trotz möglicherweise verjährter Ansprüche – nachzukommen bereit ist.

In dem Zusammenhang hatte Scheinfeld bereits 2022 im Magazin MIZ dargelegt:

"Nach dem Selbstverständnis der Katholischen Kirche sollte es sich aber von selbst verstehen, dass sie dieses Leistungsverweigerungsrecht nicht ausübt. Denn sie ist ja um Anerkennung und Ausgleich des erlittenen Leids der Missbrauchsopfer bemüht. Dazu hat sie eigens ein Anerkennungsverfahren etabliert. Gerade also auch Miss­brauchs­opfer, die dieses Verfahren durchlaufen haben und etwa die Regelsumme von 5.000 Euro erhalten haben, sollten sich der Kirche noch einmal als Anspruchsinhaber vorstellen. Die Kirche würde sich selbstwidersprüchlich verhalten, wenn sie diesen Missbrauchsopfern die Not­wen­digkeit der Leidanerkennung und des Leidausgleichs im Anerken­nungs­verfahren bestätigt, dann aber die Realisierung des bestehenden Rechts­anspruchs auf vollen Schadensaus­gleich vereitelt und den angemesseneren Leidausgleich verweigert. Dies würde die eignen Anerkennungs- und Aufarbeitungsbemühungen konterkarieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kirche diesen Weg geht, damit würde sie die Missbrauchsopfer zusätzlich schwer demütigen. Wer leistungsfähig ist und an seinem Gegenüber emphatisch interessiert ist, wird dies nicht tun. Die Katholische Kirche sollte vielmehr umgekehrt gegenüber Missbrauchsopfern rechtswirksam auf ein Erheben der Verjährungseinrede verzichten."

von stellv. ifw-Direktorin Jessica Hamed