Nach Klinikfusion: Katholischer Träger verbietet Chefarzt die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen

Sachverhalt

Seit dem 01.08.2012 ist der Kläger Prof. Dr. Joachim Volz als Chefarzt der Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt tätig. Ferner unterhält er als Facharzt für Frauenheilkunde eine Kassenarztpraxis in Bielefeld und innerhalb des Krankenhauses besitzt er zudem eine kassenärztliche "Ermächtigung" für eine Praxis. Sein Arbeitsvertrag enthält keine Klauseln, die ihm die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen untersagen oder ihn an kirchliche Moralvorstellungen binden. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Eine wesentliche Voraussetzung für die Übernahme der Chefarztposition durch den Kläger war die Möglichkeit, als Facharzt für Frauenheilkunde und Pränatalmedizin medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu dürfen. Diese Tätigkeit wurde von der früheren Geschäftsführung aktiv unterstützt, und die Klinik hat sich auf die Betreuung betroffener Patientinnen spezialisiert.

Die Frauenklinik Lippstadt ist als Perinatalzentrum Level I zertifiziert und betreut regelmäßig Fälle schwerer fetaler Fehlbildungen und Erkrankungen. Medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche gehören daher zum regulären Leistungsspektrum.

Im Dezember 2024 erfolgt eine Fusion des evangelisch getragenen Krankenhauses mit der katholischen Dreifaltigkeits-Hospital gGmbH. Die katholische Kirche lehnt Schwangerschaftsabbrüche strikt ab. Bei den Fusionsverhandlungen erklärte die katholische Seite dies für nicht verhandelbar. Die evangelische Seite setzte der katholischen Position keinen Widerstand entgegen. Vielmehr gab der evangelische Träger ohne Rücksprache mit allen Beteiligten wesentliche Standpunkte seines Selbstverständnisses preis.

Am 15.01.2025 werden dem Kläger zwei neue Dienstanweisungen übermittelt.

  1. Verbot der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen im stationären und ambulanten Bereich, mit Ausnahme von Fällen akuter Lebensgefahr für die Mutter und das ungeborene Kind, soweit es keine medizinisch mögliche Alternative gibt, mit der das Leben des ungeborenen Kindes gerettet werden kann.
  2. Einschränkung der Nebentätigkeit; für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen wird generell keine Erlaubnis mehr erteilt.

Mit der zweiten Dienstanweisung wird der Kläger somit auch in seiner kassenärztlichen Tätigkeit und als ermächtigter Arzt erheblich eingeschränkt.

Verfahrensstand

Nachdem vorherige Einigungsversuche scheiterten, erhebt Volz mit Schriftsatz vom 08.02.2025 selbstständig Klage beim Arbeitsgericht Hamm. Er beantragt, festzustellen, dass die beiden Dienstanweisungen vom 15.01.2025 bezüglich des Verbots der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den Kläger rechtswidrig und unwirksam sind. Er rügt darin insbesondere die Überschreitung des Direktionsrechts (§ 106 GewO), einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit und gegen den der Beklagten auferlegten Versorgungsauftrag. Außerdem skizziert er die negativen Folgen für die betroffenen Patientinnen, die dadurch keinen wohnortnahen Zugang zu medizinisch notwendigen Leistungen erhalten.

Am 11.04.2025 erwidert die beklagte Klinik und beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, dass für den Kläger spezifische Loyalitätspflichten gelten, die das Anstellungsverhältnis von Beginn an geprägt hätten, daran habe sich auch mit dem Betriebsübergang nichts geändert. Es gelte immer noch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, nunmehr die Normen und Codices der römisch-katholischen Kirche. Dem Übergang seines Anstellungsverhältnisses habe der Kläger nicht widersprochen. Bei Schwangerschaftsabbrüchen handle es sich um medizinische Eingriffe, die sich gegen das ungeborene Leben richten und daher im Widerstreit stünden zu dem Selbstverständnis und den Grundwerten der römisch-katholischen Kirche, welche für die Beklagte bindend und nicht verhandelbar seien. Ferner stellt die Beklagte auf die angeblich durch die Position des Chefarztes verliehene "Leitungs- und Repräsentationsfunktion" ab. Sie verweist weiter auf den Gesellschaftsvertrag der Klinik. Sie ist der Meinung, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Ermöglichung bestimmter medizinischer Behandlungen habe; über die Leistungsangebote entscheide allein die Beklagte als Trägerin des Krankenhauses im Wege einer originären elementaren unternehmerischen Entscheidung, die auch nicht überprüft werden könne. In ihrer Entscheidung liege kein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers noch sei darin ein Verstoß gegen den Versorgungsauftrag der Beklagten zu erblicken.

Am 22.04.2025 kommt es zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Hamm und es ergeht ein Hinweisbeschluss. Das Gericht weist auf drei Gesichtspunkte hin:

  1. Möglicherweise müsse zwischen dem grundsätzlichen Verbot im Krankenhaus und der Beschränkung der Nebentätigkeit unterschieden werden.
  2. Gemäß § 106 GewO dürfte der Arbeitgeber berechtigt sein, selbst darüber zu entscheiden, welche "Leistungen" er anbiete und mit welchen Tätigkeiten er die bei ihm beschäftigten Mitarbeiter einsetze. Außerdem wird auf die Erklärung der dt. Bischofskonferenz aus dem Jahr 1989 mit dem Titel "Gott ist ein Freund des Lebens" hingewiesen. Das Gericht nimmt ferner Bezug auf die Loyalitätspflicht und verweist auch auf Entscheidungen des EuGH vom 11.09.2018 (C-68/17) und des BAG vom 20.02.2019 (2 AZR 746/14) sowie den Vorlagebeschluss des BAG vom 01.02.2024 (2 AZR 196/22) (zu diesem Fall, siehe hier)
  3. Im Hinblick auf die Nebentätigkeit des Klägers verweist das Gericht auf weitere Entscheidungen des BAG und gibt zu bedenken, dass möglicherweise zu berücksichtigen sei, dass der Kläger aufgrund seiner leitenden Rolle als Chefarzt im Krankenhaus der Beklagten und Repräsentant des Krankenhauses auch außerhalb seiner Arbeitszeit besonderen Rücksichtnahmepflichten unterliege und Schwangerschaftsabbrüche nach dem Verständnis der katholischen Kirche grundsätzlich "verboten" seien.

Mit Schriftsatz vom 20.05.2025 konkretisiert der nunmehr bestellte Prozessbevollmächtigte ifw-Beirat, Till Müller-Heidelberg, die Klageanträge und geht auf die Hinweise des Gerichts ein.

Er stellt zunächst klar, dass es in dem zu entscheidenden Fall um medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB geht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht hebt in dem Zusammenhang hervor, dass gemäß § 12 Abs. 2 SchKG die Pflicht besteht, den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, um eine nicht anders abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.

Aufgrund des Dienstvertrages – seinerzeit geschlossen mit der Evangelischen Krankenhaus Lippstadt gemeinnützige GmbH, wobei der Kläger bewusst einen evangelischen Arbeitgeber und keinen katholischen auswählte, um Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu können – wurde dem Kläger die "fachliche Verantwortung für die Frauenklinik" übertragen und damit für alle medizinischen Fragen, auch die nach einer medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch. Diesbezüglich könne dem Kläger keine Weisungen erteilt werden.

Der Jurist rügt ferner die fehlende Unterscheidung in der "Konkretisierung Nebentätigkeit vom 19.01.2025" zwischen der kassenärztlichen Vertragspraxis des Klägers in Bielefeld und der Ermächtigung für eine kassenärztliche Tätigkeit im Krankenhaus. Als Vertragsarzt, so wird weiter ausgeführt, hat er die "vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben".
Außerdem ist der Kläger hierdurch und durch seine Ermächtigung "zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Praxis berechtigt und verpflichtet" (§ 95 SGB V). Weiter verweist der Kläger in dem Zusammenhang auf eine Mitteilung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 13.05.2025, die dieses ärztliche Selbstverständnis bestätigt.

Müller-Heidelberg stellt weiter klar, dass der vertragliche Inhalt des Arbeitsverhältnisses im Wege des Betriebsübergangs nicht einseitig verändert werden kann. Übergehen würde darüber hinaus die langjährige betriebliche Übung. Keine Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis hätten außerdem Regelungen im Gesellschaftsvertrag, schließlich trete beim Betriebsübergang der Betriebsübernehmer gemäß § 613a BGB "in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein".

Im Hinblick auf den Hinweis des Gerichts bzgl. der Loyalitätspflichten wird von Müller-Heidelberg die Rechtsprechung des EuGH und des BAG umfassend dargestellt und hervorgehoben, dass es hiernach nicht abstrakt auf das Selbstverständnis der Kirche ankomme, sondern darauf, ob die Beachtung des Ethos der Kirche im Hinblick auf die konkrete Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit eine Anforderung sei, die wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Genau das, so wird weiter ausgeführt, sei für die Position eines Chefarztes höchstrichterlich verneint worden. Denn das sei nur der Fall, wenn es sich um eine Verkündigungstätigkeit handle oder wenn die betreffende Person in der kirchlichen Organisation geistlich leitend tätig sei oder er sie nach außen repräsentiere. Eine GmbH werde indes durch den Geschäftsführer und nicht durch den angestellten Chefarzt repräsentiert. Der Kläger habe außerdem keine leitende Funktion inne, denn er habe weder bedeutende selbstständige Personalverantwortung noch sei er in unternehmerische Weichenstellungen eingebunden.

Müller-Heidelberg betont, dass gerade für einen Chefarzt wie Prof. Dr. Volz der EuGH und das BAG entschieden haben, dass ein katholisches Krankenhaus sich nicht auf den Ethos und das Selbstverständnis der katholischen Kirche berufen kann und dass der Chefarzt nicht "Repräsentant" des Krankenhauses ist.

Gegen die Behauptung der Beklagten, dass das Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche zum Ethos und zu den Grundwerten der katholischen Kirche gehöre, spreche zudem, dass es mehrere katholischen Kliniken gebe, die regelhaft derartige Abbrüche durchführen, ohne dass die katholische Kirche eingeschritten sei. Der Kläger verweist diesbezüglich exemplarisch auf mehrere Krankenhäuser und bietet hierfür Beweis an. Damit belegt der Kläger, dass die Kirche nicht binnenkonsistent geblieben ist, was bei Streitfällen zum individuellen und kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht entscheidungserheblich ist.

Der Ansicht der Beklagten, selbst entscheiden zu können, welche Leistungen sie anbiete, tritt der Kläger ebenfalls entgegen und weist darauf hin, dass sie zwar entscheiden könne, ob es eine Frauenklinik für Gynäkologie- und Geburtshilfe gäbe, aber nicht – wenn es sie gibt – wie dort behandelt wird. Insbesondere habe sie dann gemäß des staatlichen Versorgungsauftrags "das anzubieten, was dazugehört". Eine Gesetzesnorm, die die katholischen Krankenhäuser hiervon entbände, existiert nicht.

Sähe man das Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche gleichwohl als zulässig an, so würde es sich um eine unzulässige Teilkündigung handeln. Tatsächlich wirke sich das Verbot auch bereits negativ wirtschaftlich aus.

Abschließend bekräftigt der Kläger, dass die Beklagte jedenfalls keine Weisungsbefugnis bzgl. seiner Nebentätigkeit besitzt.

Der Kammertermin wurde für den 08.08.2025 angesetzt.

Rechtliche Würdigung

Die Ausführungen des Klägers überzeugen. Insbesondere hat die Beklagte dem ärztlichen Gewissen bislang keinerlei Bedeutung beigemessen. Dabei ist festzuhalten, dass die individuellen Grundrechte des Arztes und sein professionell gebundenes Gewissen Vorrang vor dem korporativen Recht / dem Selbstverständnis der Kirche haben. Das Bundesverwaltungsgericht hatte seinerzeit – in einem anders gelagerten Fall – konstatiert, dass die Rechte des einzelnen Arztes ggf. Vorrang haben vor der berufsständischen Rechtssetzungsbefugnis (vgl. hier, S. 31). A fortiori könnte man sagen, so ifw-Beirat Hartmut Kreß, dass die professionell begründete Gewissensentscheidung, bestimmte Handlungen zu unterlassen (wie in dem vor dem BVerwG verhandelten Fall) oder sie zu realisieren (med. indizierter Schwangerschaftsabbruch), Vorrang vor dem korporativen Selbstbestimmungsrecht einer Kirche hat. Für die Hochrangigkeit des ärztlichen Gewissens spreche auch, so Kreß weiter, die Musterberufsordnung der Ärztinnen und Ärzte vom 9. Mai 2024. In § 2 Abs. 1 heißt es: "Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können".

Rechtspolitische Situation

Die Versorgungslage in Deutschland ist in Bezug auf die Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen gegenwärtig schlecht (vgl. z.B. "Der Fall Kristina Hänel"). Falls sich die Beklagte mit ihrer Rechtsauffassung durchsetzen würde, bestünde die Gefahr, dass sie sich im Hinblick auf die Gewährleistung des Schwangerschaftsabbruchs – selbstverständlich auch der nicht medizinisch indizierten! – weiter verschlechtert. Denn bundesweit gibt es bereits über 260 Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft. Der Staat hingegen ist bei genauerer rechtlicher Analyse, schon allein aufgrund des Selbstbestimmungsgrundrechts der Patientinnen, von Verfassungs wegen verpflichtet, Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen. Das heißt, er muss sicherstellen, dass Krankenhäuser, die eine gynäkologische Abteilung haben, auch Schwangerschaftsabbrüche anbieten. In letzter Konsequenz wäre dann die Trägerschaft eines Krankenhauses, das einen staatlichen Versorgungsauftrag erfüllen soll, durch die katholische Kirche nicht mehr möglich.

Presseberichterstattung (Auswahl)

Westfalenpost vom 05.05.2025: Abtreibungsstreit: "Grausam und diskriminierend" für Frauen

hpd vom 05.05.2025: Keine Abtreibung – weil es die "katholischen Partner" so wollen

Apotheken-Umschau vom 13.05.2025: Warum ein Chefarzt gegen das Verbot medizinischer Schwangerschaftsabbrüche klagt

hpd vom 21.05.2025: Kirchenrecht darf ärztliche Berufsfreiheit und Frauengesundheit nicht gefährden (Spendenaufruf)

Legal Tribune Online vom 22.05.2025: Ein Chefarzt gegen die Kirche

Süddeutsche Zeitung vom 24.05.2025: Wer darf über Leben und Tod entscheiden

Zeit Online vom 06.06.2025: Ein Feminist, der keiner sein will