Nach Klinikfusion: Katholischer Träger verbietet Chefarzt die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen
Sachverhalt
Seit dem 01.08.2012 ist der Kläger Prof. Dr. Joachim Volz als Chefarzt der Frauenklinik am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt tätig. Ferner unterhält er als Facharzt für Frauenheilkunde eine Kassenarztpraxis in Bielefeld und innerhalb des Krankenhauses besitzt er zudem eine kassenärztliche "Ermächtigung" für eine Praxis. Sein Arbeitsvertrag enthält keine Klauseln, die ihm die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen untersagen oder ihn an kirchliche Moralvorstellungen binden. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Eine wesentliche Voraussetzung für die Übernahme der Chefarztposition durch den Kläger war die Möglichkeit, als Facharzt für Frauenheilkunde und Pränatalmedizin medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu dürfen. Diese Tätigkeit wurde von der früheren Geschäftsführung aktiv unterstützt, und die Klinik hat sich auf die Betreuung betroffener Patientinnen spezialisiert.
Die Frauenklinik Lippstadt ist als Perinatalzentrum Level I zertifiziert und betreut regelmäßig Fälle schwerer fetaler Fehlbildungen und Erkrankungen. Medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche gehören daher zum regulären Leistungsspektrum.
Im Dezember 2024 erfolgt eine Fusion des evangelisch getragenen Krankenhauses mit der katholischen Dreifaltigkeits-Hospital gGmbH. Die katholische Kirche lehnt Schwangerschaftsabbrüche strikt ab. Bei den Fusionsverhandlungen erklärte die katholische Seite dies für nicht verhandelbar. Die evangelische Seite setzte der katholischen Position keinen Widerstand entgegen. Vielmehr gab der evangelische Träger ohne Rücksprache mit allen Beteiligten wesentliche Standpunkte seines Selbstverständnisses preis.
Am 15.01.2025 werden dem Kläger zwei neue Dienstanweisungen übermittelt.
- Verbot der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen im stationären und ambulanten Bereich, mit Ausnahme von Fällen akuter Lebensgefahr für die Mutter und das ungeborene Kind, soweit es keine medizinisch mögliche Alternative gibt, mit der das Leben des ungeborenen Kindes gerettet werden kann.
- Einschränkung der Nebentätigkeit; für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen wird generell keine Erlaubnis mehr erteilt.
Mit der zweiten Dienstanweisung wird der Kläger somit auch in seiner kassenärztlichen Tätigkeit und als ermächtigter Arzt erheblich eingeschränkt.
Verfahrensstand
Nachdem vorherige Einigungsversuche scheiterten, erhebt Volz mit Schriftsatz vom 08.02.2025 selbstständig Klage beim Arbeitsgericht Hamm. Er beantragt, festzustellen, dass die beiden Dienstanweisungen vom 15.01.2025 bezüglich des Verbots der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den Kläger rechtswidrig und unwirksam sind. Er rügt darin insbesondere die Überschreitung des Direktionsrechts (§ 106 GewO), einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit und gegen den der Beklagten auferlegten Versorgungsauftrag. Außerdem skizziert er die negativen Folgen für die betroffenen Patientinnen, die dadurch keinen wohnortnahen Zugang zu medizinisch notwendigen Leistungen erhalten.
Am 11.04.2025 erwidert die beklagte Klinik und beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, dass für den Kläger spezifische Loyalitätspflichten gelten, die das Anstellungsverhältnis von Beginn an geprägt hätten, daran habe sich auch mit dem Betriebsübergang nichts geändert. Es gelte immer noch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, nunmehr die Normen und Codices der römisch-katholischen Kirche. Dem Übergang seines Anstellungsverhältnisses habe der Kläger nicht widersprochen. Bei Schwangerschaftsabbrüchen handle es sich um medizinische Eingriffe, die sich gegen das ungeborene Leben richten und daher im Widerstreit stünden zu dem Selbstverständnis und den Grundwerten der römisch-katholischen Kirche, welche für die Beklagte bindend und nicht verhandelbar seien. Ferner stellt die Beklagte auf die angeblich durch die Position des Chefarztes verliehene "Leitungs- und Repräsentationsfunktion" ab. Sie verweist weiter auf den Gesellschaftsvertrag der Klinik. Sie ist der Meinung, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Ermöglichung bestimmter medizinischer Behandlungen habe; über die Leistungsangebote entscheide allein die Beklagte als Trägerin des Krankenhauses im Wege einer originären elementaren unternehmerischen Entscheidung, die auch nicht überprüft werden könne. In ihrer Entscheidung liege kein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers noch sei darin ein Verstoß gegen den Versorgungsauftrag der Beklagten zu erblicken.
Am 22.04.2025 kommt es zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Hamm und es ergeht ein Hinweisbeschluss. Das Gericht weist auf drei Gesichtspunkte hin:
- Möglicherweise müsse zwischen dem grundsätzlichen Verbot im Krankenhaus und der Beschränkung der Nebentätigkeit unterschieden werden.
- Gemäß § 106 GewO dürfte der Arbeitgeber berechtigt sein, selbst darüber zu entscheiden, welche "Leistungen" er anbiete und für welche Tätigkeiten er die bei ihm beschäftigten Mitarbeiter einsetze. Außerdem wird auf die Erklärung der dt. Bischofskonferenz aus dem Jahr 1989 mit dem Titel "Gott ist ein Freund des Lebens" hingewiesen. Das Gericht nimmt ferner Bezug auf die Loyalitätspflicht und verweist auch auf Entscheidungen des EuGH vom 11.09.2018 (C-68/17) und des BAG vom 20.02.2019 (2 AZR 746/14) sowie den Vorlagebeschluss des BAG vom 01.02.2024 (2 AZR 196/22) (zu diesem Fall, siehe hier)
- Im Hinblick auf die Nebentätigkeit des Klägers verweist das Gericht auf weitere Entscheidungen des BAG und gibt zu bedenken, dass möglicherweise zu berücksichtigen sei, dass der Kläger aufgrund seiner leitenden Rolle als Chefarzt im Krankenhaus der Beklagten und Repräsentant des Krankenhauses auch außerhalb seiner Arbeitszeit besonderen Rücksichtnahmepflichten unterliege und Schwangerschaftsabbrüche nach dem Verständnis der katholischen Kirche grundsätzlich "verboten" seien.
Mit Schriftsatz vom 20.05.2025 konkretisiert der nunmehr bestellte Prozessbevollmächtigte ifw-Beirat, Till Müller-Heidelberg, die Klageanträge und geht auf die Hinweise des Gerichts ein.
Er stellt zunächst klar, dass es in dem zu entscheidenden Fall um medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 218a Abs. 2 und § 218a Abs. 3 StGB geht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht hebt in dem Zusammenhang hervor, dass gemäß § 12 Abs. 2 SchKG die Pflicht besteht, den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, um eine nicht anders abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.
Aufgrund des Dienstvertrages – seinerzeit geschlossen mit der Evangelischen Krankenhaus Lippstadt gemeinnützige GmbH, wobei der Kläger bewusst einen evangelischen Arbeitgeber und keinen katholischen auswählte, um Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu können – wurde dem Kläger die "fachliche Verantwortung für die Frauenklinik" übertragen und damit für alle medizinischen Fragen, auch die nach einer medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch. Diesbezüglich könne dem Kläger keine Weisungen erteilt werden.
Der Jurist rügt ferner die fehlende Unterscheidung in der "Konkretisierung Nebentätigkeit vom 19.01.2025" zwischen der kassenärztlichen Vertragspraxis des Klägers in Bielefeld und der Ermächtigung für eine kassenärztliche Tätigkeit im Krankenhaus. Als Vertragsarzt, so wird weiter ausgeführt, hat er die "vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben". Außerdem ist der Kläger hierdurch und durch seine Ermächtigung "zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Praxis berechtigt und verpflichtet" (§ 95 SGB V). Weiter verweist der Kläger in dem Zusammenhang auf eine Mitteilung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 13.05.2025, die dieses ärztliche Selbstverständnis bestätigt.
Müller-Heidelberg stellt weiter klar, dass der vertragliche Inhalt des Arbeitsverhältnisses im Wege des Betriebsübergangs nicht einseitig verändert werden kann. Übergehen würde darüber hinaus die langjährige betriebliche Übung. Keine Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis hätten außerdem Regelungen im Gesellschaftsvertrag, schließlich trete beim Betriebsübergang der Betriebsübernehmer gemäß § 613a BGB "in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein".
Im Hinblick auf den Hinweis des Gerichts bzgl. der Loyalitätspflichten wird von Müller-Heidelberg die Rechtsprechung des EuGH und des BAG umfassend dargestellt und hervorgehoben, dass es hiernach nicht abstrakt auf das Selbstverständnis der Kirche ankomme, sondern darauf, ob die Beachtung des Ethos der Kirche im Hinblick auf die konkrete Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit eine Anforderung sei, die wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Genau das, so wird weiter ausgeführt, sei für die Position eines Chefarztes höchstrichterlich verneint worden. Denn das sei nur der Fall, wenn es sich um eine Verkündigungstätigkeit handle oder wenn die betreffende Person in der kirchlichen Organisation geistlich leitend tätig sei oder er sie nach außen repräsentiere. Eine GmbH werde indes durch den Geschäftsführer und nicht durch den angestellten Chefarzt repräsentiert. Der Kläger habe außerdem keine leitende Funktion inne, denn er habe weder bedeutende selbstständige Personalverantwortung noch sei er in unternehmerische Weichenstellungen eingebunden.
Müller-Heidelberg betont, dass gerade für einen Chefarzt wie Prof. Dr. Volz der EuGH und das BAG entschieden haben, dass ein katholisches Krankenhaus sich nicht auf den Ethos und das Selbstverständnis der katholischen Kirche berufen kann und dass der Chefarzt nicht "Repräsentant" des Krankenhauses ist.
Gegen die Behauptung der Beklagten, dass das Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche zum Ethos und zu den Grundwerten der katholischen Kirche gehöre, spreche zudem, dass es mehrere katholischen Kliniken gebe, die regelhaft derartige Abbrüche durchführen, ohne dass die katholische Kirche eingeschritten sei. Der Kläger verweist diesbezüglich exemplarisch auf mehrere Krankenhäuser und bietet hierfür Beweis an. Damit belegt der Kläger, dass die Kirche nicht binnenkonsistent geblieben ist, was bei Streitfällen zum individuellen und kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht entscheidungserheblich ist.
Der Ansicht der Beklagten, selbst entscheiden zu können, welche Leistungen sie anbiete, tritt der Kläger ebenfalls entgegen und weist darauf hin, dass sie zwar entscheiden könne, ob es eine Frauenklinik für Gynäkologie- und Geburtshilfe gäbe, aber nicht – wenn es sie gibt – wie dort behandelt wird. Insbesondere habe sie dann gemäß des staatlichen Versorgungsauftrags "das anzubieten, was dazugehört". Eine Gesetzesnorm, die die katholischen Krankenhäuser hiervon entbände, existiert nicht.
Sähe man das Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche gleichwohl als zulässig an, so würde es sich um eine unzulässige Teilkündigung handeln. Tatsächlich wirke sich das Verbot auch bereits negativ wirtschaftlich aus.
Abschließend bekräftigt der Kläger, dass die Beklagte jedenfalls keine Weisungsbefugnis bzgl. seiner Nebentätigkeit besitzt.
Der Kammertermin wird für den 08.08.2025 angesetzt.
Mit Urteil vom 08.08.2025 weist das Arbeitsgericht die Klage mit sehr kurzer mündlicher Begründung ab, beide Dienstanweisungen seien rechtmäßig gewesen.
Das Arbeitsgericht Hamm (Az. 2 Ca 182/25) begründet die Klageabweisung in seinen schriftlichen Urteilsgründen im Wesentlichen wie folgt:
Eingangs stellt das Gericht fest:
"Dabei geht die erkennende Kammer davon aus, dass die innerhalb der Fristen des § 218 a StGB durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche allein aus medizinischen und gerade nicht sozialen Gründen wegen der Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schwangeren oder des ungeborenen Lebens nach staatlichem Recht möglicherweise nicht strafbar, gleichwohl aber rechtswidrig sind. Ob diese verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen heute noch "zeitgemäß" sind, hatte die Kammer nicht zu entscheiden."
Damit versäumt das Gericht innerhalb des § 218a StGB zu differenzieren. Tatsächlich ist nur die sog. "Beratungslösung" nach dem Gesetz rechtswidrig, aber straffrei, wohingegen Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 218a Abs. 2 StGB (sog. medizinische Indikation) und gemäß § 218a Abs. 3 StGB (sog, kriminologische Indikation) rechtmäßig sind. In dem hiesigen Streitfall geht es indes ausschließlich um Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB – und damit um rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche.
Mithin stützt das Gericht damit seine weitere Entscheidung bereits auf eine falsche Annahme. Den vorangegangenen Ausführungen schließt das Gericht nämlich die Folgenden unmittelbar an:
"Unter Berücksichtigung dessen war die Beklagte als Trägerin eines – nunmehr – katholisch geführten Krankenhauses aufgrund ihres verfassungsrechtlich geschützten Selbstverständnisses (Art. 137 WRV i. V. m. Art 140 GG) aber auch unter Berücksichtigung von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG berechtigt, den Kläger kraft Ausübung des Direktionsrechts (§ 106 GewO) anzuweisen, künftig während der Arbeitszeit im Krankenhaus keine Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, es sei denn, Leib und Leben der Mutter bzw. des ungeborenen Lebens sei akut bedroht und es gebe keine medizinische Möglichkeit, das Leben des ungeborenen Kindes zu retten."
Das Gericht begründet seine Entscheidung zum einen mit dem Verweis auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche und sekundär mit dem Direktionsrecht der Beklagten gemäß § 106 GewO. Die Weisung, bestimmte ärztliche Leistungen künftig nicht (mehr) zu erbringen, sei daher rechtmäßig. Außerdem habe der Kläger "keinen Anspruch darauf, im Rahmen der erteilten und nunmehr von der Beklagten vorsorglich beschränkten Nebentätigkeitsgenehmigung Schwangerschaftsabbrüche in der von ihm privat betriebenen Arztpraxis durchzuführen."
Weiter hält das Gericht fest, dass die Weisung der Beklagten (bzw. der Rechtsvorgängerin) an den Kläger, zukünftig im Krankenhaus grundsätzlich keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen "auch dem ständigen und aktuellen Selbstverständnis der katholischen Kirche (vgl. aktuelle Erklärung der dt. Bischofskonferenz vom 23.4.2024 mit dem Titel ,Gott ist ein Freund des Lebens‘)" entspräche.
Ferner würde der Weisung keine "betriebliche Übung" entgegenstehen; die Beklagte (bzw. die Rechtsvorgängerin) habe lediglich die vom Kläger "zukünftig nach Betriebsübergang zu erbringende Arbeitsleistung in zulässiger Art und Weise neu bestimmt."
Das Gericht hält zudem die "vorsorglich erklärte" Einschränkung der dem Kläger erteilten Nebentätigkeitsgenehmigung in Bezug auf die Privatpraxis des Klägers für rechtmäßig, da nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 KAVO NW eine solche Nebentätigkeit wegen Verstoßes gegen die Grundordnung der katholischen Kirche nicht (mehr) genehmigungsfähig sei.
Zur aus Sicht des Gerichts fehlenden "betrieblichen Übung" führt es aus, dass "auch in der Duldung von vom Kläger im Krankenhaus durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten" eine solche nicht entstanden sei, da es bereits an einem "kollektiven Tatbestand" sowie einer "Leistung" an den Kläger durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten fehlen würde.
Weiter sieht das Gericht auch unter Berücksichtigung von § 613a BGB keinen Grund zur Beanstandung der Weisungen. Die Beklagte sei in die Rechtsstellung der ursprünglichen Inhaberin eingetreten und sei daher grundsätzlich berechtigt, das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO auszuüben. Eine Ausnahme im Arbeitsverhältnis, in dem Sinne, dass sich die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung "konkretisiert" habe, sieht das Gericht nicht, hierzu fehle Vortrag des Klägers.
Verstöße gegen europarechtliche Vorgaben vermag das Gericht nicht zu erkennen, denn hier ginge es nicht um vermeintliche Loyalitätsverstöße des Klägers im außerdienstlichen Verhalten, sondern "allein um die im Rahmen der Ausübung des Direktionsrechts (§ 106 GewO) erfolgte Anweisung, welche Tätigkeiten der Kläger zukünftig noch bzw. nicht mehr ausüben darf."
Für irrelevant hält das Gericht letztlich auch den Umstand, dass es sich hier um einen gemischt-konfessionellen Träger handelt: "denn jedenfalls ist auch ein Arbeitgeber, der sich möglicherweise nicht auf den besonderen Status mit bestehenden Rechten und Pflichten der katholischen Kirche Art 137 WRV i. V. m. § 140 GG berufen kann, selbstverständlich berechtigt, zu entscheiden, dass im Betrieb Schwangerschaftsabbrüche nur eingeschränkt durchgeführt werden. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 106 Sätze 1 und 2 GewO."
Für einerseits verspätet und andererseits unschlüssig hält die Kammer, dass bei Abschluss des Dienstvertrags zwischen dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten und dem Kläger abgesprochen gewesen sei, dass der Kläger medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfe: "Im Gegenteil ergibt sich nämlich aus § 2 Ziffer 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages, dass der Kläger als Arbeitnehmer – selbstverständlich – an Weisungen des Krankenhausträgers sowie des ärztlichen Direktors des Krankenhauses gebunden ist (§ 106 GewO). Ihm sollte gem. § 2 Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages zwar die (alleinige) ärztliche Verantwortung bei der Diagnostik und Therapie obliegen. Eine Einschränkung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts für die Frage, welche ärztlichen Leistungen im Krankenhaus grundsätzlich angeboten werden, lässt sich dem Arbeitsvertrag aber gerade nicht entnehmen."
Der Kläger legt hiergegen mit Schriftsatz vom 22.08.2025 Berufung zum Landesarbeitsgericht Hamm ein.
Sobald die Berufung begründet wurde, werden hier die wesentlichen Argumente näher dargestellt.
Vorab soll auf einige wenige Besonderheiten hingewiesen werden:
- Das Gericht beruft sich immer wieder auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche. Dies wird durch den generellen Hinweis eingerahmt, jedes Unternehmen könne selbst entscheiden, welche Leistungen es anbietet.
- Die Klinik Lippstadt wird als eine gemeinsame evangelisch-katholische Klinik bezeichnet, für die jedoch das katholische Arbeitsrecht und die katholischen Normen greifen sollen. Individualrechtlich soll nach dem Urteil eindeutig das katholische Arbeitsrecht, also die katholische bischöfliche "Grundordnung" gelten. Hinsichtlich sonstiger Normen wird ein kirchliches christlich-ökumenisches Profil behauptet, das inhaltlich dann aber den Vorgaben der katholischen Bischöfe folgt. Es gibt indes keine christliche Kirche und es gibt keine gemeinsame verbindliche Lehre zu Schwangerschaftsabbrüchen oder zur Suizidassistenz (vgl. hierzu auch bereits Anna Katharina Mangold v. 06.08.2025 im Verfassungsblog: Weigerung verweigert). Hierfür reicht der pauschale Hinweis auf die (im Einzelnen auch unklare) evangelisch-katholische Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens" nicht aus. Diese Erklärung stellt keine verbindliche Lehre dar. Zu klären wäre zudem gewesen, ob der bisherige Träger die eigene evangelische Sicht einfach aufgeben kann, um für sich als evangelischem (Mit-)Träger die katholische Sicht zum Schwangerschaftsabbruch gelten zu lassen. Unklar bleibt, ob der Träger hierzu von der Evangelischen Kirche von Westfalen überhaupt ermächtigt war (z.B. durch rechtsverbindlichen Kirchenleitungs- oder einen Synodenbeschluss). Laut Bundesverfassungsgericht sind nämlich nicht die Auffassungen einzelner Einrichtungen, sondern die "von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäbe" für die Verpflichtungen im Arbeitsverhältnis maßgebend (Urt. v. 4.6.1985, 2 BvR 1703/83 u.a., BVerfGE 70, 138, 2. Leitsatz). Solche "von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäbe" gibt es in diesem Fall nicht.
- Nicht eingegangen ist das Gericht zudem auf die fehlende Binnenkonsistenz, die der Kläger beanstandet und . Denn in mehreren – sogar rein – katholischen Kliniken werden medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche faktisch geduldet.
- Zu beanstanden ist das Urteil insbesondere auch darin, dass das Gericht unterstellt, dass das Selbstverständnis der katholischen Kirche den Vorrang hat vor staatlichen Gesetzen (Zulässigkeit des Abbruchs nach medizinischer Indikation). Dabei ist zu konstatieren, dass gesetzliche Normen nicht willkürlich eingeschränkt werden dürfen. Das ist hier jedoch geschehen. Die gesetzliche Vorgabe des § 218a Abs. 2 StGB wurde erheblich verengt auf die Gefahr für Leib und Leben der Frau. In der mündlichen Verhandlung am 08.08.2025 wies der Kläger bereits darauf hin, dass es sich bei den Fällen, die danach erlaubt bleiben, um theoretische Konstrukte handelt, die sich für die Medizin praktisch nicht stellen. In der Praxis gehe es z.B. um Fälle, in denen ein Kind nicht lebensfähig ist, etwa weil es keine Schädeldecke hat, o.ä.
Rechtliche Würdigung
Die Ausführungen des Klägers überzeugen. Insbesondere hat die Beklagte dem ärztlichen Gewissen bislang keinerlei Bedeutung beigemessen. Dabei ist festzuhalten, dass die individuellen Grundrechte des Arztes und sein professionell gebundenes Gewissen Vorrang vor dem korporativen Recht / dem Selbstverständnis der Kirche haben. Das Bundesverwaltungsgericht hatte seinerzeit – in einem anders gelagerten Fall – konstatiert, dass die Rechte des einzelnen Arztes ggf. Vorrang haben vor der berufsständischen Rechtssetzungsbefugnis (vgl. hier, S. 31). A fortiori könnte man sagen, so ifw-Beirat Hartmut Kreß, dass die professionell begründete Gewissensentscheidung, bestimmte Handlungen zu unterlassen (wie in dem vor dem BVerwG verhandelten Fall) oder sie zu realisieren (med. indizierter Schwangerschaftsabbruch), Vorrang vor dem korporativen Selbstbestimmungsrecht einer Kirche hat. Für die Hochrangigkeit des ärztlichen Gewissens spreche auch, so Kreß weiter, die Musterberufsordnung der Ärztinnen und Ärzte vom 9. Mai 2024. In § 2 Abs. 1 heißt es: "Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können".
Rechtspolitische Situation
Die Versorgungslage in Deutschland hat sich in Bezug auf die Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen weiter verschlechtert (vgl. z.B. bereits "Der Fall Kristina Hänel"), wie die am 13.08.2025 veröffentlichte Studie Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA) bestätigt.
Falls sich die Beklagte mit ihrer Rechtsauffassung letztinstanzlich durchsetzen würde, bestünde die Gefahr, dass sich die Versorgungssituation im Hinblick auf die Gewährleistung des Schwangerschaftsabbruchs – auch des nicht medizinisch indizierten! – noch weiter verschlechtert. Denn bundesweit gibt es bereits über 260 Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft. Der Staat hingegen ist bei genauerer rechtlicher Analyse, schon allein aufgrund des Selbstbestimmungsgrundrechts der Patientinnen, von Verfassungs wegen verpflichtet, die Durchführbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen. Das heißt, er muss sicherstellen, dass in Krankenhäusern, die eine gynäkologische Abteilung haben, Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich erfolgen können. In letzter Konsequenz wäre bei unveränderter Gesetzeslage die Trägerschaft eines Krankenhauses, das im Bereich der Gynäkologie einen staatlichen Versorgungsauftrag erfüllen soll, durch die katholische Kirche nicht mehr möglich.
Der erstinstanzliche Ausgang des hiesigen Verfahrens und die alarmierenden Befunde der ELSA-Studie haben die SPD-Bundestagsfraktion inzwischen veranlasst, sich dafür auszusprechen, dass öffentliche – auch konfessionelle – Krankenhäuser verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Das befürworten nach der ELSA-Studie auch fast 2/3 der befragten Gynäkologinnen und Gynäkologen.
Presseberichterstattung (Auswahl, wird laufend ergänzt)
Westfalenpost vom 05.05.2025: Abtreibungsstreit: "Grausam und diskriminierend" für Frauen
hpd vom 05.05.2025: Keine Abtreibung – weil es die "katholischen Partner" so wollen
Apotheken-Umschau vom 13.05.2025: Warum ein Chefarzt gegen das Verbot medizinischer Schwangerschaftsabbrüche klagt
hpd vom 21.05.2025: Kirchenrecht darf ärztliche Berufsfreiheit und Frauengesundheit nicht gefährden (Spendenaufruf)
Legal Tribune Online vom 22.05.2025: Ein Chefarzt gegen die Kirche
Süddeutsche Zeitung vom 24.05.2025: Wer darf über Leben und Tod entscheiden
Zeit Online vom 06.06.2025: Ein Feminist, der keiner sein will
Tagesspiegel vom 16.07.2025: Kein Abbruch selbst bei Lebensgefahr: Chefarzt klagt gegen Abtreibungsverbot in katholischem Krankenhaus
Deutsches Ärzteblatt vom 17.07.2025: Chefarzt startet Petition für Schwangerschaftsabbrüche an christlicher Klinik
taz vom 17.07.2025: Christdemokrat appelliert an CDU
WDR vom 18.07.2025: Konflikt um Abtreibungsverbot am Klinikum Lippstadt geht weiter
Sat 1 vom 22.07.2025: Abtreibungsverbot in Klinik
Westfalen Blatt vom 24.07.2025: "Für die katholische Kirche bin ich ein Mörder"
RTL vom 27.07.2025: "Ich bin Arzt, kein Mörder!" Chefarzt kämpft für Rechte der Frauen
FAZ vom 29.07.2025: "Ein Abbruch ist Teil von verantwortungsvoller Medizin"
NW vom 31.07.2025: "Kann ich nicht akzeptieren": Bielefelder Arzt kämpft nun vor Gericht gegen Abtreibungsverbot"
ntv vom 01.08.2025: Chefarzt verklagt Kirche: "Mir wird vorgeschrieben, eine Frau zu quälen"
Deutsche Ärzteblatt vom 05.08.2025: "Es darf nicht mehr möglich sein, dass ein solches Verbot ausgesprochen wird"
Kirche+Leben vom 07.08.2025: Abtreibungsprozess in Lippstadt: Chefarzt verklagt christliche Klinik
Evangelisch.de vom 07.08.2025: Streit um Abtreibungsverbot in katholischer Klinik geht vor Gericht
Soester Anzeiger vom 07.08.2025: "Stoppt das katholische Abtreibungsverbot”: 1000 Teilnehmer bei Demo am Freitag erwartet
LTO vom 08.08.2025: Klinik darf Chefarzt Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbieten
hpd vom 08.08.2025: Abtreibungen in Lippstädter Klinik verboten
tagesschau vom 08.08.2025: Gericht weist Klage gegen Abtreibungsverbot an Klinik ab
zwd Politikmagazin vom 09.08.2025: Urteil gegen Chefarzt Prof. Volz: Neuregelung des § 218 und des kirchlichen Arbeitsrechts dringlich
Westfalenpost vom 10.08.2025: Abtreibungsstreit geht weiter: Chefarzt legt gegen Klinikum nach
Emma vom 11.08.2025: Legale Abbrüche verboten!
Die Zeit vom 14.08.2025: SPD will Krankenhäuser zu Schwangerschaftsabbrüchen verpflichten
Deutsche Welle vom 25.08.2025: Streit um Abtreibungsverbot in katholischer Klinik
Ostfriesen Zeitung vom 30.08.2025: "Ist Gott auch ein Massenmörder?" – Wie Joachim Volz das Abtreibungsverbot jetzt umgeht