Bodo Pieroth in der FAZ zur Vollverschleierung im Unterricht: Ein Lehrer muss sagen dürfen: „Zeig mir Dein Gesicht!“

In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bespricht Prof. Bodo Pieroth einen Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2020 (Az. 1 Bs 6/20). Das OVG hatte in diesem Fall zugunsten einer 16-Jährigen Berufsschülerin bestätigt, dass diese vollverschleiert am Unterricht teilnehmen darf. Zwar habe das Gericht im konkreten Fall richtig entschieden, schulische Verbote der Gesichtsverschleierung seien aber durchaus möglich, so Pieroth.

Bodo Pieroth ist emittierter Professor für Öffentliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) und Beirat im Institut für Weltanschauungsrecht.

Wie Pieroth zusammenfasst, gab es in den letzten Jahrzehnten schon zahlreiche Urteile zu Niqab, Burka, Tschador oder Kopftuch. Dabei waren die Gerichtsentscheidungen nicht immer zugunsten der Glaubensfreiheit ausgefallen. Siehe auch: https://weltanschauungsrecht.de/kopftuch

Die aktuelle Entscheidung hingegen war in der Pressemeldung des Gerichts mit der Überschrift "Schülerin darf vollverschleiert in den Unterricht." veröffentlicht worden. Die davon ausgehende Botschaft sei teils so aufgefasst worden, als ob der Staat die Vollverschleierung im Unterricht überhaupt nicht unterbinden könne, bedauert Pieroth. Grundlage der Entscheidung im vorliegenden Fall war allerdings das Fehlen einer gesetzlichen Eingriffsnorm für die Untersagung der Vollverschleierung.

Richtig sei, so Pieroth, dass das Tragen einer Kopfbedeckung, sofern dies auf einer als verpflichtend empfundenen religiösen Überzeugung beruht, durch das Grundgesetz geschützt ist. Die Glaubensfreiheit dürfe der Staat somit nur beschränken, soweit er sich auf kollidierendes Verfassungsrecht stützen kann. Dies sei vorliegend der in der Schulhoheit wurzelnde staatliche Erziehungs- und Bildungsauftrag.

Zur Verwirklichung der Bildungs- und Erziehungsziele, die sich aus der Werteordnung des Grundgesetzes herleiten, bedürfe es der Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern.

Die diesbezügliche Begründung der Schulbehörde findet Pieroth plausibel. Die Schulbehörde trug vor, dass schulische Bildungs- und Erziehungsprozesse nur gelingen könnten, "wenn auch Schülerinnen in ihrer ganzen Persönlichkeit an der Kommunikation teilnehmen, dazu muss ihr Gesicht sichtbar sein". Für den Unterricht sei "die interpersonale Kommunikation der Minderjährigen mit den Lehrkräften, aber auch innerhalb der peer group unverzichtbar."

Das Gegenargument des Gerichts sieht Pieroth indessen als problematisch an: demnach seien doch noch verbale Kommunikation und der Augenkontakt möglich. Pieroth hält dagegen: Wenn die sachliche Rechtfertigung der Beschränkung der Religionsfreiheit durch den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag nicht gegeben wäre, könne ein Verbot selbst durch ein Gesetz, auf das das Gericht im Ergebnis selbst verweise, nicht gerechtfertigt werden.

Der für die Entscheidung ausschlaggebenden Begründung stimmt Pieroth dennoch zu. Es müsse zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs ein Parlamentsgesetz existieren, das die kollidierende Verfassungsnorm umsetzt. Die vorhandenen Gesetze seien jedoch nicht "bestimmt" genug, um den Eingriff in die Religionsfreiheit rechtfertigen zu können, insbesondere bei dem als schwerwiegend betrachteten Eingriff in die Religionsfreiheit. Weder das allgemeine Weisungsrecht der Lehrer noch Hausordnungen noch die Bildungs- und Erziehungsziele der Schulgesetze seien hierfür ausreichend.

Um dem verfassungsrechtlichen Gebot einer hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Rechtsgrundlage zu genügen, müsse in Hamburg das Schulgesetz geändert werden. Geeignete Vorschriften existierten jedoch in anderen Bundesländern, erklärt Pieroth, und nennt Beispiele: Nach dem Niedersächsischen Schulgesetz dürften Schüler "durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung die Kommunikation mit den Beteiligten des Schullebens nicht in besonderer Weise erschweren.". Noch bestimmter sei die Regelung Bayerns. Danach dürften Schülerinnen und Schüler in der Schule und bei Schulveranstaltungen ihr Gesicht nicht verhüllen, außer wenn schulbedingte Gründe dies erfordern oder eine Ausnahme durch die Schulleiterin oder den Schulleiter erteilt werde.

Pieroth fasst demnach sein Fazit: Der hamburgische Gesetzgeber könne ohne Weiteres dafür sorgen, dass die in dem Verfahren vorgebrachten richtigen pädagogischen Anforderungen an den Schulunterricht zur Geltung kommen. Dann könne die Überschrift der Pressemeldung lauten "Schülerin darf nicht vollverschleiert in den Unterricht." und der Lehrer auch mit Recht sagen: "Zeig mir Dein Gesicht!".

Der vollständige Beitrag ist hier abrufbar:

https://www.faz.net/einspruch/exklusiv/niqab-verbot-in-schulen-zeig-mir-dein-gesicht-16660338.html