Sexueller Missbrauch durch Messdienerleiter: Landgericht Köln erlässt Hinweis- und Beweisbeschluss
In dem Fall der heute 38-jährigen Klägerin und damaligen Messdienerin aus Köln hat das Landgericht einen für sie – und letztlich für alle Missbrauchsopfer – günstigen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen. In der Klageschrift hat sie dargelegt, dass sie von einem ehrenamtlichen Leiter einer Messdienergruppe über vier Jahre lang missbraucht worden sei. Der Betreuer sei damals 18 Jahre alt gewesen sein und habe eine Gruppe von Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren betreut. Die Klägerin selbst sei zu Beginn der Taten sechs Jahre alt gewesen.
Mit Beschluss vom 27.01.2025 wies das Landgericht Köln bereits darauf hin, dass das beklagte Erzbistum Köln auch für das Handeln von ehrenamtlichen Mitgliedern als sog. Verwaltungshelfer haftet (hier, hier und hier).
Das Erzbistum wehrt sich gleichwohl auch in diesem Fall weiterhin anwaltlich gegen eine Haftung, wie der Kölner-Stadt-Anzeiger seinerzeit berichtete:
"Zum einen sei die Messdienerarbeit Sache der jeweiligen Gemeinden, nicht des Bistums. Klägerinnen-Anwalt Luetjohann nennt diese Trennung der Organisationsebenen 'absurd'. Zum anderen wollen die Anwälte des Bistums den Begriff 'Seelsorge' unter Zuhilfenahme einschlägiger Online-Lexika auf die persönliche geistliche Begleitung beschränkt wissen. Ein Messdienerleiter sei demzufolge kein Seelsorger. Und auch die Tätigkeit als Messdiener oder Messdienerin selbst falle nicht in den Bereich der Seelsorge. Auf der ganzen Welt hielten Priester regulär Gottesdienste ab, ohne dass Ministranten ihnen am Altar assistierten.
Wenn schon nicht den vom Bistum beauftragten Juristen, so müssten solche Argumente zumindest den verantwortlichen Theologen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Die kirchenamtlichen Ausführungen auch aus dem Erzbistum Köln zur Ministrantenarbeit als Wesenselement katholischer Kinder- und Jugendseelsorge sind Legion."
Mit Hinweis- und Beweisbeschluss vom 28.04.2025, der dem ifw vorliegt, hat die zuständige Kammer die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten gesundheitlichen Folgen der streitgegenständlichen Missbrauchstaten bei der Klägerin angeordnet.
Ferner stellte die Kammer klar, dass die Klägerin im Hinblick auf die von ihr behaupteten weiteren Missbrauchstaten – das Erzbistum Köln hat nur zwei Missbrauchstaten eingeräumt – zunächst informatorisch angehört werden soll und hiernach unter Beachtung der Voraussetzungen des § 448 ZPO beabsichtigt ist, die Klägerin als Partei von Amts wegen zu vernehmen, um den Anforderungen des Strengbeweisverfahrens gerecht zu werden und förmlich Beweis zu erheben.
In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es hierzu erläuternd:
"Bei der Parteivernehmung handelt es sich um ein förmliches Beweismittel, welches nur eingeschränkt zulässig ist. Der Zweck der subsidiären Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) besteht darin, dem Gericht dann, wenn nach dem Ergebnis der Verhandlung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht (sogenannter Anbeweis) und andere Erkenntnisquellen nicht eröffnet sind, ein Mittel zur Gewinnung letzter Klarheit an die Hand zu geben. Unter anderem glaubhafte Bekundungen in einer informatorischen Anhörung können die erforderliche Wahrscheinlichkeit begründen."
Mit diesem Beschluss wird die für Missbrauchsopfer positive Rechtsprechungslinie fortgesetzt, die sich im Urteil des Landgerichts Essen vergangene Woche, am 25.04.2025, bereits gezeigt hat: Es ist ureigene Aufgabe des Gerichts, sich eine Überzeugung zu bilden und diese kann sich auch – wie hier – auf die glaubhaften Angaben des Klägers stützen.
Denn freilich sind Beweise abseits der eigenen glaubhaften Schilderungen der schweren Sexualverbrechen häufig rar gesät – was nicht zu Lasten der Opfer gehen darf.