Universität Hamburg führt Verhaltenskodex zur Religionsausübung wegen der Gefährdung des Primats von Forschung, Lehre und Bildung ein

Welt / hpd: Die Universität Hamburg hat als erste deutsche Universität einen Verhaltenskodex erlassen, der die Religionsausübung auf dem Campus in 7 Vorschriften und 10 Ausführungsbestimmungen auf der Grundlage des Grundgesetzes detailliert regelt. Immer wieder war in den vergangenen Jahren das Primat von Forschung, Lehre und Bildung von Anhängern verschiedener Religionen angegriffen worden. Konflikte entstanden durch das Fernbleiben wegen religiöser Feste, den Aufforderungen junger muslimischer Männer an Studentinnen, ein Kopftuch zu tragen, salafistischen Predigern, die auf dem Universitätsgelände öffentlich zu Gebeten aufriefen, und verschiedentlicher Nötigung von Universitätsangehörigen aus religiösen Gründen.

Auch an anderen deutschen Hochschulen hat es in jüngster Zeit immer wieder Konflikte im Zusammenhang mit Religionsausübung gegeben. So schloss die Technische Universität Dortmund im Januar 2016 ihren "Raum der Stille", nachdem muslimische Studenten eine Wand aufgestellt hatten, um Frauen und Männer zu trennen. Die Technische Universität Berlin schaffte im März 2017 ihre Gebetsräume für Muslime ab.

Der Präsident der Universität Hamburg sah sich nun veranlasst, folgende Grundprinzipien des Säkularismus, der weltanschaulichen Neutralität und der Weltanschauungsfreiheit auf dem staatlichen Universitätsgelände zu formulieren. Die Kernpunkte aus dem Verhaltenskodex und den Ausführungsbestimmungen lauten (hier zum Volltext):

  • Die Universität ist eine "säkulare, auf Pluralität in weltanschaulichen Fragen verpflichtete Institution, die den Methoden und Standards wissenschaftlicher Forschung und Lehre verpflichtet ist." 
  • "Die Freiheit in Forschung und Lehre beinhaltet auch die Freiheit von wissenschaftsfremden Einflüssen auf ihre Methoden, sachlichen Standards und Personalentscheidungen."
  • "Auch die Präsentation religiöser Inhalte muss daher wissenschaftliche Standards erfüllen. Die Ablehnung wissenschaftlicher Inhalte, Methoden und Personen aus rein religiösen bzw. konfessionellen Gründen genügt diesen Anforderungen nicht und ist im Zweifelsfalle als eine Form religiös motivierter Diskriminierung anzusehen."
  • "Dies gilt auch in der Lehre als einer Form des wissenschaftlichen Austausches, nicht aber des religiösen Bekenntnisses."
  • "Die Universität ist ein Ort des Respekts und der Toleranz. Konflikte, die sich aus Glaubensüberzeugungen und ihren Formen der Ausübung mit anderen Überzeugungen sowie den Erfordernissen von Forschung, Lehre und Bildung ergeben, sind, soweit es mit dem wissenschaftlichen Auftrag vereinbar ist, einer konstruktiven Lösung zuzuführen. Dies setzt bei allen Beteiligten die Anerkennung des Primats von Forschung, Lehre und Bildung voraus." 
  • "Die Pluralität religiöser und nicht-religiöser Lebensweisen in der Universität schließt es aus, die Durchführung von Forschung und Lehre an allen Formen der religiösen Gestaltung des Alltags auszurichten. Dies gilt auch für die zeitliche Gestaltung der universitären Angebote. Die Rücksichtnahme auf religiöse Feiertage ist eine Form des Respekts, die freilich – über gesetzliche Feiertage und die durch die Paragraphen 3 und 3a des Feiertagsgesetzes gewährten Rechte hinaus – mit den Anforderungen an die Organisation von Forschung und Lehre vereinbar bleiben muss." 
  • "Das Begehen religiöser Feste ist beschränkt auf die dafür vorgesehenen Räume. Die Universität versteht sich nicht als Ort der Religionsausübung von Personengruppen, die nicht zur Universität gehören." 
  • "Eine organisatorische Orientierung des Lehrveranstaltungsplans bzw. von anderen Veranstaltungen der Universität an religiösen Geboten, etwa des Tagesablaufs, findet nicht statt."
  • "Die Ausübung religiöser Freiheit in der Universität setzt die Anerkennung Anderer und den Respekt vor deren Glauben oder Unglauben und deren Überzeugungen voraus. Die Religionsfreiheit der Einen kann nicht weiter reichen als die Religionsfreiheit der Anderen. Dies schließt die Freiheit, nicht zu glauben, ebenso ein wie die Freiheit, kein glaubensgemäßes Leben zu führen und keine religiösen Symbole zu verwenden sowie keine Bekleidungen zu tragen, die religiös motiviert sind. Ein religiös motivierter Druck zu einem "richtigen" Verhalten widerspricht der Religionsfreiheit. Die gleiche Freiheit aller Universitätsangehörigen ist ebenso zu respektieren, wie jede Form der Diskriminierung zu unterlassen ist."
  • "Die Verwendung religiöser Symbole (z.B. Kreuz, Davidsstern, spezifische Kopfbedeckungen) ist erlaubt. Gleiches gilt für das Tragen religiös motivierter Bekleidung, solange durch diese, z.B. durch Vollverschleierung, selbstverständliche Anforderungen an die wissenschaftliche Kommunikation, Unterrichtsdurchführung oder an Prüfungen (Feststellung der Identität) nicht behindert werden."
  • "Rituelle Handlungen sind nur so lange zulässig, wie sie nicht von anderen Nutzern der Universität als eine Form der aufgedrängten Auseinandersetzung mit der Religion Anderer empfunden werden können. Dieses ist beispielsweise bei rituellen Fußwaschungen in sanitären Anlagen der Fall. Diese sind untersagt. Dieses gilt auch, wenn beispielsweise Gebete in Räumen der Universität oder auf dem Campus laut gesprochen werden." 
  • "Religiöse Feste finden nicht auf dem Gelände der Universität statt. Sie sind auf den "Raum der Stille" zu beschränken. Der "Raum der Stille" ist der angemessene Raum für die Gestaltung religiöser Ausdrucksformen. Seine Nutzungsordnung ist zu befolgen." 
  • "Im Raum der Stille wird keine Form der Diskriminierung geduldet. Dazu gehört unter anderem auch die Diskriminierung des weiblichen oder männlichen Geschlechts durch eine geschlechtsspezifische Teilung des Raumes."
  • "Insoweit die Universität über den Einsatz ihres Personals in Lehre und Forschung sowie die begleitendenden administrativen Handlungen entscheidet, kann von Studierenden nicht beansprucht werden, von Angehörigen eines bestimmten Geschlechts nicht unterrichtet oder geprüft zu werden. Wird beispielsweise die Annahme von Zeugnissen oder anderen Schriftstücken aus der Hand von Mitarbeitern eines bestimmten Geschlechts verweigert, gehen die damit verbundenen Rechtsnachteile zu Lasten des Empfängers." 
  • "Versuche der religiös motivierten Ausübung von Druck auf das Verhalten von Mitgliedern der Universität erfüllen den Tatbestand der Nötigung. Sie werden nicht geduldet. Die Hochschulleitung wird in derartigen Fällen das Hausrecht anwenden."
  • "Die eigenmächtige Inanspruchnahme von Ressourcen und Einrichtungen der Universität für jeweils eigene religiöse Ausdrucksformen ist untersagt. Die Hochschulleitung wird in diesen Fällen das Hausrecht ausüben. Das Hausrecht kann delegiert werden."
  • "Die Angehörigen der Universität treten für diese Grundsätze ein. Lehrende und andere für die Gewährleistung des erfolgreichen Wissenschaftsbetriebs Verantwortliche werden durch pragmatisch angemessene Modi der Delegation des Hausrechtes in Stand gesetzt, Beeinträchtigungen und Gefährdungen des Primats von Forschung, Lehre und Bildung im universitären Betrieb effizient zu unterbinden und für ein Klima von Respekt und Toleranz Sorge zu tragen." 

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