Zusammenfassung des Beitrags von Bodo Pieroth: „Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen auf der Agenda des Bundestags“

pieroth.jpg

Prof. em. Dr. Bodo Pieroth

Unser ifw-Beirat Bodo Pieroth beleuchtet in seinem NVwZ-Beitrag (2022, 1872) insbesondere den Gesetzesentwurf der FDP/Linken/Grünen zur Ablösung der Staatsleistungen, den diese 2020 in den Bundestag eingebracht haben, und ordnet die Thematik zuvor grundsätzlich rechtlich ein.

Einleitend hebt Pieroth hervor, dass die Ablösung der Staatsleistungen seit 1919 Verfassungsauftrag ist und moniert: "Dass diesem Verfassungsauftrag bis heute, also mehr als 100 Jahre lang, nicht nachgekommen worden ist, ist im Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland schwer erträglich."

Sodann erläutert der Autor den historischen Hintergrund der gesetzlichen Vorgabe der Ablösung, die das Resultat einer "abgemilderten Trennung von Staat und Kirche" ist. Die Ablösung sei ein vielfach im 19. Jahrhundert eingesetztes Rechtsinstitut, wobei häufig vom Geldwert der abzulösenden Reallast ausgegangen sei und ein Multiplikator, der meist das 18-fache oder 25-fache des festgestellten Wertes betrug, bestimmt wurde.

Was alles zu den abzulösenden Staatsleistungen und vor allem was nicht dazu gehört, arbeitet Pieroth präzise heraus und stellt überzeugend fest, dass kommunale Leistungen nicht als Staatsleistungen anzusehen sind, weil damals klar zwischen Staat und Kommunen unterschieden worden sei. Der Gegenansicht hält er entgegen, dass sie die Stoßrichtung der Norm fälschlicherweise vom Ablösungsauftrag in eine Bestandsgarantie verkehrt hätte, worauf er später im Text auch nochmals ausführlich eingeht. Er postuliert, dass allenfalls die Bezeichnung "vorläufige Bestandsgarantie" adäquat sei. Pieroth verdeutlicht, dass der jährliche Gesamtumfang der abzulösenden Staatsleistungen aller Bundesländer an die Kirchen auf knapp über eine halbe Milliarde beziffert werden kann.

Ferner wird ausführlich erläutert, warum lediglich eine Verpflichtung zu einer angemessenen Entschädigung und nicht zu vollem Wertersatz besteht. Letzteres, so Pieroth, würde nämlich dem Status quo gleichkommen und gerade keine Ablösung darstellen.

Pieroths Hinweis auf die Rechtsschutzmöglichkeit der Länder gegen den Bund, der berufen ist, die Grundsätze für die Ablösung durch die Landesgesetzgebung zu regeln, ist überzeugend. Die Länder könnten nach Einschätzung Pieroths mit gutem Erfolg auf den Erlass eines Grundsatzgesetzes klagen.

Im Weiteren skizziert Pieroth dann den vorgenannten Gesetzesentwurf, den das ifw, worauf unser Beirat auch hinweist, bereits im Dezember 2020 kritisierte und einen Änderungsantrag unterbreitete.

Der Autor kritisiert zunächst, dass in dem Entwurf unklar bleibt, ob auch kommunale und negative Staatsleistungen Gegenstand der Ablösung sind und fordert diesbezüglich eine Klarstellung ein, um unterschiedliche Interpretationen der Länder zu vermeiden. Zudem wird die Beschränkung auf die beiden christlichen Großkirchen beanstandet, denn es hatten auch kleinere Kirchen Staatsleistungen erhalten.

In hervorgehobener Weise wird zudem zu Recht insbesondere die Höhe der Ablösung kritisiert. Die "Festlegung des Äquivalenzprinzips als Standard" wird problematisiert und als nicht mit dem anzulegenden Maßstab der Angemessenheit vereinbar angesehen. Pieroth schlägt fünf Gesichtspunkte vor, die bei der Bestimmung der Höhe der Ablösung berücksichtigt werden sollten. Berücksichtigung sollen hiernach insbesondere die bisherigen Zahlungen an die Kirche finden. In den vergangenen über 100 Jahren sei das 194-fache der Ausgangssumme geleistet worden und die Kirchen hätten zwischen 1949 und 2020 Staatsleistungen in Höhe von knapp 20 Milliarden erhalten. Der Gesetzentwurf hingegen möchte bisher gezahlte Leistungen in Gänze unberücksichtigt lassen.

Pieroth schlägt ferner vor, die Veränderung der Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung zu beachten. Denn heute gehört anders als 1949 nicht mehr fast die gesamte Bevölkerung den beiden christlichen Konfessionen an, sondern nur noch weniger als die Hälfte.

Anstelle des im Gesetzesentwurf vorgesehenen Faktors 18,6 hält Pieroth allenfalls den Faktor 9,3 für begründbar, soweit überhaupt auf das Bewertungsgesetz zurückgegriffen werden soll, da es sich nicht wie in dem Entwurf angenommen, um "immerwährenden Leistungen", sondern um "Leistungen von unbestimmter Dauer" handelt.

Abschließend hält Pieroth die Zahlung in Raten zwar für zulässig, nicht aber die "weitere Übergangsregelung, wonach die Länder die bisherigen Staatsleistungen bis zu einer vollständigen Ablösung, also möglicherweise 20 Jahre lang, an die Kirchen weiter zu zahlen haben." Art. 138 I WRV "verlangt [nämlich] die Einstellung und Entschädigung und verbietet Entschädigung plus Weiterzahlung." In Zahlen bedeutet der Entwurf, so rechnet Pieroth aus, rund 10 Milliarden Ablösung plus weitere 14 Milliarden, falls die 20 Jahre-Frist ausgeschöpft würde. Den Entwurf hält er trotz seiner angebrachten verfassungsrechtlichen Kritik zumindest für eine brauchbare Diskussionsgrundlage.

Ein lesenswerter Beitrag, der viele Anregungen enthält und der Aufmerksamkeit verdient, da derzeit abseits der Öffentlichkeit im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Bund, Länder und der Kirchen Eckpunkte für einen neuen Gesetzesentwurf erarbeitet werden. Säkulare Interessensvertreter:innen gehören der Arbeitsgruppe bedauerlicherweise nicht an.