Zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht
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Von Dr. Gerhard Czermak, Friedberg/Bay
Die Stellungnahme wurde veröffentlicht in: Winfried Brugger/ Stefan Huster (Hrsg.): Der Streit um das Kreuz in der Schule. Zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates [Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat 7]. Baden-Baden 1998, S. 13-40
Übersicht
II. Struktur, Inhalt und Rechtfertigung der Entscheidung des BVerfG
1. Objektives und subjektives Verfassungsrecht
2. Das BVerfG und die Problemverankerung im System des Religionsverfassungsrechts
3. Der grundrechtliche Schutzbereich
4. Zur Interpretation des Kreuzsymbols
5. Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit ("Grundrechtseingriff")
6. Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung?
III. Ergebnis und Schlußgedanken
Wer die weithin und maßlos angefeindete Position, die das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 16.5.1995[1] bezogen hat, Ende 1996 juristisch verteidigen soll, hat auch vor einem akademischen Publikum keine ohne weiteres dankbare Aufgabe. Gilt es doch neuerdings vielfach als schick, die Institution BVerfG trotz gegenteiliger verbaler Beteuerungen systematisch zu demontieren. Rolf Lamprecht hat das soeben in einer eindringlichen monographischen Darstellung umfassend nachgewiesen, wobei sein Schwerpunkt bei der Diffamierung des Gerichts durch Politiker, Repräsentanten insbesondere der katholischen Kirche und durch einen wichtigen Teil der Presse liegt.[2] Aber auch nicht wenige Vertreter der Jurisprudenz haben sich an dieser Demontage beteiligt, und die einschlägige Literatur hierzu, die diesen Schluß rechtfertigt, ist umfangreich.
Noch vor gut zwei Jahren hätte eine solche verhängnisvolle Entwicklung wohl niemand für möglich gehalten. Was speziell den Kruzifix-Beschluß anbelangt, so wurden dutzende Einzelpunkte der Kritik vorgetragen, und zwar häufig sehr emotional, manchmal sogar feindselig. Zu den wichtigsten gehören: das Gericht sei nicht lege artis vorgegangen, was nicht selten in regelrecht despektierlicher Form behauptet wurde; ohne Not habe es mit einer bewährten Rechtsprechungstradition gebrochen; es habe keine Ausgleichslösung gesucht, die föderalen Aspekte habe es mißachtet; unter Verabsolutierung der "negativen Religionsfreiheit" habe es die "positive Religionsfreiheit" der Mehrheit hintangestellt und einem übersteigerten Subjektivismus das Wort geredet; in laizistischer Manier habe es die Bekenntnislosigkeit privilegiert; das Kreuzsymbol habe das Gericht in einer unverständlich negativen Sichtweise unter Verstoß gegen seine juristischen, nicht aber theologischen Kompetenzen interpretiert mit dem Ergebnis, daß der Rechtsfriede empfindlich gestört worden sei. Dabei, so betonen viele Kritiker, symbolisiere das Kreuz nichts anderes als genau die Wertvorstellungen des Schultyps der Christlichen Gemeinschaftsschule, den dasselbe Gericht für verfassungskonform erachtet habe.
Soweit nur einige Punkte aus den Kaskaden kritischer Äußerungen, die sich in schier unerschöpflicher Fülle und in den unterschiedlichsten Kombinationen, einander vielfach widersprechend, über das BVerfG ergossen. Nur in einem sind sich alle Kritiker einig: Das Kreuz muß bleiben. Dabei war schon das Schweizerische Bundesgericht[3] bei im Prinzip gleicher Verfassungsrechtslage[4] mit recht umstandsloser Begründung[5] 1990 zu demselben Ergebnis gelangt wie das BVerfG, was seltsamerweise in der jetzigen Diskussion nahezu unbeachtet blieb.[6] Was dieses aber wirklich entschieden hat und welches die tragenden Gründe der Entscheidung sind, blieb bei ihrer Rezeption oft im unklaren, und nicht selten wurden der Entscheidung sogar Gedankengänge unterschoben, denen sie ersichtlich fernsteht. Der Gerechtigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, daß die Zahl der juristischen Verteidiger des Kruzifix-Beschlusses keineswegs gering ist, wenn sie sich auch leider oft in der Fachliteratur nicht geäußert haben.[7]
Die Entscheidungskritik erstreckt sich auf verschiedene Bereiche, nämlich die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden, die Frage der res judicata und der Bindungswirkung der tragenden Gründe, den Schutzbereich der Glaubensfreiheit und das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs, ggf. die Rechtfertigung desselben im Hinblick auf die landesrechtliche Schulhoheit und die Rechte der das Kreuzsymbol fordernden Schüler und Eltern, insbesondere die Verständnismöglichkeiten und verfassungsrechtliche Interpretation des Kreuzsymbols in der Schule unter Favorisierung des Verständnisses als Kultursymbol sowie Traditions- und vergleichbare Argumente. Im folgenden beschränke ich mich auf die zentralen Fragen des materiellen Verfassungsrechts.
II. Struktur, Inhalt und Rechtfertigung der Entscheidung des BVerfG
1. Objektives und subjektives Verfassungsrecht
Im Vordergrund einer Verfassungsbeschwerde steht die Behauptung bzw. Prüfung einer Grundrechtsverletzung als eines subjektiven Rechts. Ist aber eine Verfassungsbeschwerde unter mindestens einem Gesichtspunkt zulässig, ist zumindest im praktischen Ergebnis Prüfungsmaßstab anerkanntermaßen auch das objektive Verfassungsrecht.[8] Dem - im Gegensatz zu den meisten Kritikern - Rechnung tragend, hat das BVerfG auch im Streitfall objektives und subjektives Verfassungsrecht in seiner materiellrechtlichen Begründung unter C II 1 gleichermaßen abgehandelt, dabei leider aber diese verschiedenen Kategorien nicht klar voneinander getrennt. Das hatte die bedauerliche Folge, daß das in der Rechtswissenschaft ohnehin stiefmütterlich behandelte Neutralitätsprinzip[9], obwohl einer der objektivrechtlichen Grundpfeiler des Religionsverfassungsrechts, im Begründungszusammenhang nicht deutlich genug die Bedeutung erlangte, die ihm zukommt: Denn wer bezüglich staatlicher Verhaltensweisen deutlich vom objektivrechtlichen Neutralitätsprinzip spricht, muß automatisch die Frage nach der Kompetenz des Staats für umstrittene Handlungen stellen. Die Frage nach der Kompetenz des - theoretisch so gut wie unbestritten - religiös-weltanschaulich neutralen Staats[10] für die Etablierung religiöser Symbole (dazu unter II 4) wäre aber noch heikler gewesen als die der Verletzung subjektiver Rechte, bei denen u.U. auch Einzelfallumstände zu diskutieren sind. Die Fundamentalkritiker der Entscheidung haben die für sie unangenehme zusätzliche Brisanz dieser Fragestellung wohl erkannt und daher die Frage der objektivrechtlichen Zulässigkeit von Kreuzsymbolen in öffentlichen Schulen mit wenigen Ausnahmen[11] gar nicht erst gestellt, um sie nicht beantworten zu müssen. Die Konzentration der Kritiker auf die subjektive Grundrechtsproblematik ist auch der Grund dafür, warum die Gegenkritiker sich ebenfalls hauptsächlich mit der Grundrechtsfrage zu befassen hatten, zu Lasten der ja rechtlich umfassenderen Kompetenzfrage. Sie nicht deutlicher gestellt zu haben, ist m.E. das gewichtigste verfassungsdogmatische Versäumnis des BVerfG. Dieses Manko haftete schon seiner Schulgebetsentscheidung an.[12] Ansonsten ging die Senatsmehrheit durchaus nach den traditionellen Regeln grundrechtsdogmatischer Prüfung vor, wie selbst grundsätzliche Gegner der Entscheidung mitunter einräumen.[13]
2. Das BVerfG und die Problemverankerung im System des Religionsverfassungsrechts
a) Abschnitt C II der Gründe stellt schulmäßig vorab das Ergebnis der Prüfung fest, nämlich die Verletzung der Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 4 I i.V.m. Art. 6 II 1 GG bzw. Art. 4 I GG, den Kausalzusammenhang mit § 13 I 3 der bayerischen Volksschulordnung[14] und dessen Nichtigkeit. Teil C II 1 befaßt sich dann mit Grundfragen der Glaubensfreiheit mit ihren allgemein anerkannten Begriffsinhalten unter Einbeziehung der Frage religiöser Symbole in den traditionell weiten Schutzbereich der Glaubensfreiheit (s. hierzu später). Gesprochen wird von der grundrechtlichen Gewährleistung einer grundsätzlich weiten Entfaltung im religiös-weltanschaulichen Bereich und der Notwendigkeit der Unterscheidung des Bereichs der staatsfreien gesellschaftlichen Selbstorganisation vom Bereich der Religion im Rahmen staatlicher Vorsorge. Religionsfreundlich, wie das BVerfG im Einklang mit dem ausweislich der Normtexte aussagekräftigen System des GG[15] schon immer judiziert, geht es wie selbstverständlich von folgender These aus: Der Staat ist generell verpflichtet, dem Bürger Raum zur Betätigung der Persönlichkeit auf religiös-weltanschaulichem Gebiet zu sichern, d.h., ihn ggf. auch vor Angriffen Anderer zu schützen. Damit erweist sich das nicht seltene Gerede vom laizistischen Impetus des BVerfG[16] oder gar von verordneter Religionslosigkeit[17] als verleumderisch. Die staatliche Betätigungssicherung auf religiösem Gebiet muß - das formuliert das BVerfG ohne Einschränkungen - ohne staatliche "Einmischung" erfolgen. Damit leitet der Senat über zu einer hauptsächlich dem objektiven Verfassungsrecht gewidmeten längeren Passage.
b) Wie schon seit seiner bekannten Entscheidung zur Badischen Kirchenbausteuer aus dem Jahr 1965[18] leitet das BVerfG auch jetzt das objektiv-rechtliche Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats in erster Linie aus Art. 4 I und ergänzend aus den Art. 3 III, 33 I (gemeint ist wohl Art. 33 III) sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 I und IV und 137 I WRV ab. Merkwürdigerweise wird hier Art. 137 VII WRV mit seiner ausdrücklichen formalen Gleichstellung von Religionsgesellschaften und nichtreligiösen weltanschaulichen Vereinigungen nicht genannt, doch hebt der Senat das aus diesen Vorschriften resultierende verfassungsmäßige Verbot der religiös-weltanschaulichen Privilegierung bestimmter Bekenntnisse einschließlich des Verbots der "Ausgrenzung Andersgläubiger" hervor. Anders gewendet veranschaulicht das Gericht diese Grundsätze der unangefochtenen ständigen Rechtsprechung mit dem ebenfalls traditionellen Hinweis auf die am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften. Das alles könnte man zusammenfassen mit dem Prinzip der formalen Gleichheit aller religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften, das neuerdings z.B. auch Martin Heckel[19] stark betont. Daher wiederholt das BVerfG ausdrücklich, daß es beim Privilegierungsverbot "auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz" gerade nicht ankommt.
c) Im Rahmen dieser objektiv-rechtlichen Überlegungen weist das Gericht - schon im Blick auf das Fallproblem - auf einen ganz wesentlichen Punkt hin. Als notwendige Folge des dem Staat bezüglich von Glaubensüberzeugungen auferlegten Einmischungsverbots, kombiniert mit einer Schutzpflicht für alle konkurrierenden Gruppierungen, erklärt das Gericht ausdrücklich: Weder Religionsgemeinschaften noch Bürger hätten einen Anspruch aus Art. 4 I GG, daß gerade jeweils ihre Glaubensüberzeugung staatliche Unterstützung erfährt. Das alles bezieht sich auf den Bereich der vom Staat geschaffenen Lage. Dabei stellt das Gericht in C II 1 am Ende ergänzend noch deutlich heraus, daß es nach Art. 6 II 1 GG Sache der Eltern - d.h. doch wohl: gerade nicht des Staats - ist, den Kindern eine religiöse oder sonstige weltanschauliche Erziehung angedeihen zu lassen. Das hätte eine nähere Darstellung verdient, zumal die Abgrenzung von Religionsfreiheit und Elternrecht einerseits und staatlicher Schulhoheit (Art. 7 I GG) andererseits in engstem Zusammenhang mit dem föderalen Prinzip steht, das bei den Kritikern des Beschlusses eine so große Rolle spielt (dazu später).
d) Wer bei all dem Protest anmeldet, müßte erläutern, was das für ein Neutralitätsprinzip wäre, das dem Staat innerhalb seines Kompetenzbereichs eine Einmischung in eine bestimmte religiöse Richtung gestattete und ggf. einen Rechtsanspruch einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung einräumte, für ihre Glaubensüberzeugungen vom Staat spezielle Unterstützung zu erhalten. Denn generell bedeutet Neutralität - dafür wenigstens wird man auf weitgehende Zustimmung hoffen dürfen - "Enthaltung von Parteilichkeit und Parteinahme des Staates hinsichtlich der plural existierenden und konkurrierenden Richtungen des religiösen und weltanschaulichen Spektrums der freien, offenen Gesellschaft", und zwar "unter dem Maßstab der Freiheit und Gleichheit aller Bürger".[20] Natürlich kann man einen christlich bzw. religiös eingefärbten Staat fordern, und das geschieht jetzt gelegentlich wieder speziell von Juristen[21]. Auch wird neuerdings relativ häufig - vor allem von Nichtjuristen - im Zusammenhang der Kruzifix-Debatte wieder eine positiv-rechtsgestaltende (und nicht nur neutralitätserhaltend-abwehrende) Rechtserheblichkeit der Nominatio Dei in der Präambel des GG postuliert.[22] Man sollte dann aber den rechtspolitischen, ja verfassungsrevolutionären Charakter dieser Forderung einräumen und darauf verzichten, das Wort Neutralität sprachverletzend zu gebrauchen. Demgegenüber hatte die EKD in ihrer Denkschrift "Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie" 1985 die Einsicht: "Die Verantwortung vor Gott und den Menschen gilt der in der Verfassung niedergelegten Ordnung der staatlichen Aufgaben", was ausdrücklich unter Hinweis auf Art. 3 III und 33 III GG begründet wurde. "Auch die Demokratie", heißt es an gleicher Stelle, "ist keine christliche Staatsform".[23]
3. Der grundrechtliche Schutzbereich
Aus den genannten traditionellen objektiv- und subjektivrechtlichen Gründen ergibt sich die weitere Gedankenführung des BVerfG nahezu von selbst. Zu den zahlreichen Merkwürdigkeiten der Diskussion gehört die z.T. mit Verve und viel Phantasie vorgetragene außergewöhnliche Behauptung, das Kreuzsymbol unterfalle nicht einmal dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit.[24] Schon die ca. 50 Morddrohungen, die die erfolgreichen Beschwerdeführer in kurzer Zeit erhielten, sprechen deutlich dagegen, auch die Reaktionen aus Bevölkerung und erheblichen Teilen der Lehrerschaft in Bayern und die Gesamtumstände der zentralen Protestkundgebung der Katholischen Kirche am 23.9.1995 in München. Gegen die Auffassung, die Glaubensfreiheit werde nicht einmal thematisch berührt, sprechen auch die bisher bekanntgewordenen Schwierigkeiten, ja Spießrutenläufe der wenigen mutigen Einzelkämpfer, die sich dem schulischen Kreuz in Bayern auch nach dem am 1.1.1996 in Kraft getretenen Kruzifix-Gesetz mit z.T. sehr differenzierten Begründungen widersetzen und dabei generell auf konsequenten staatlichen Widerstand stoßen. Wenn diese das staatliche Schulkreuz nicht völlig anders empfänden als die auch ihnen keineswegs beanstandungswürdigen Berg- und Friedhofskreuze, Kirchen sowie Marienstatuen auf Häusern und in Museen, würden sie nicht die mit ihrem Vorgehen verbundenen mitunter erheblichen Nachteile und schulischen Risiken auf sich nehmen. Diese sind es im übrigen auch[25], die die meisten Eltern der auch in Bayern mittlerweile schon mehr als 15 % der Einwohner betragenden Gruppe erklärter Nichtchristen davor zurückschrecken lassen, ihre weltanschauliche Gleichberechtigung einzufordern. Der angeblich nicht betroffene Schutzbereich: gegen dieses skurrile Argument haben sich auch Gegner des Kruzifix-Beschlusses z.T. sogar mit Schärfe gewandt. Insbesondere M. Heckel weist darauf hin, die extensive Erstreckung des Schutzbereichs des Art. 4 I GG entspreche der bisherigen Judikatur und Lehre.[26] Die unausweichliche Konfrontation mit religiösen bzw. ideologischen Symbolen durch den Staat solle doch nicht gerade in "besonderen Gewaltverhältnissen" schon aus dem Schutzbereich ausgeklammert werden. Das sei auch aus christlicher Sicht angesichts der fortschreitenden Säkularisierung "kontraproduktiv".[27]
4. Zur Interpretation des Kreuzsymbols
a) Vorbemerkung
Die richtige Deutung des Kreuzsymbols ist Voraussetzung für die Erörterung der Frage des Grundrechtseingriffs und seiner etwaigen Rechtfertigung. Bejaht man die Tangierung des grundrechtlichen Schutzbereichs, so ist auch ein "Eingriff" in Art. 4 I GG laut BVerfG ohne weiteres gegeben, vorausgesetzt, man will auch das forum internum generell schützen und mißt dem staatlichen Schulkreuz bzw. -kruzifix einen Charakter als zumindest auch religiöses Symbol mit entsprechender appellativer Bedeutung bei. Das Kreuzesverständnis ist aber, wie auch die meisten Kritiker erkennen, das Hauptproblem des Falles, sofern man darin überhaupt ein Problem zu erkennen vermag. Befürworter der Entscheidung - keineswegs nur Nichtchristen! - stehen den Problemen, die deren Kritiker diesbezüglich meist haben, etwas verständnislos gegenüber. Zu selbstverständlich ist ihnen der religiöse Charakter des schulischen Kreuzsymbols. Mit Verwunderung registrieren sie die zahlreichen und jedenfalls auf sie verkrampft wirkenden unterschiedlichsten Versuche, den religiös-beeinflussenden Charakter des Kreuzes zu negieren oder juristisch wegzudiskutieren. Hans-Jochen Vogel z.B. weist im übrigen darauf hin, daß in den meisten europäischen Staaten Kreuze in den Schulen unbekannt seien.[28] Bei den fast zahllosen Versuchen, die vielfältigen Aspekte des Kreuzsymbols zu beleuchten, bleibt die Sichtweise speziell nicht-religiöser Menschen meist außer Betracht, und daraus resultiert auch die geringe Resonanz dieser Versuche bei den zahlreicher werdenden Anhängern nichtreligiöser Weltverständnisse. Immerhin sind es über 25 Mill. Bürger in Deutschland, die formell überhaupt keiner religiösen Gemeinschaft angehören, und auch in Bayern sind es bereits ca. 1,5 Millionen. Die - zwar rechtlich, aber nicht psychologisch unerhebliche -Behauptung, die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung sei für das Kreuz in der Schule, ist im übrigen empirisch nicht belegt. Die Forsa-Umfrage vom August 1995 steht ihr klar entgegen, denn sie erbrachte in den neuen Bundesländern nur 7 % und in Westdeutschland auch nur 33 % ausdrücklicher Befürworter religiöser Symbole in Schulen.[29] Ob die gegenläufige Tendenz der von Isensee zitierten Allensbach-Umfrage[30] den Tatsachen eher entspricht, bedürfte näherer Untersuchung und Interpretation. Plausibel erscheint das nicht: Ende März 1997 erschien eine dpa-Meldung, wonach laut neuester Forsa-Umfrage lediglich 45 % aller Deutschen an "Gott" glauben. Dem entsprechen die sehr differenziert erhobenen Befunde der ALLBUS-Studie 1992 des Allensbacher Instituts für Demoskopie, wonach selbst in Westdeutschland der These eines persönlichen Gottes nur 19,5 % "voll" und 18,8 % "eher" zustimmten.[31]
b) Das Kreuz im Klassenzimmer als Objekt einer speziell rechtlichen Prüfung
Die für die rechtliche Wertung des Schulkreuzes ebenso umstrittene wie zentrale Symbolproblematik erfordert nähere Darlegungen. Die Mehrheit des 1. Senats des BVerfG hat, wie schon das Schweizerische Bundesgericht, ersichtlich keine Schwierigkeit gesehen, das Kreuz im Klassenzimmer wesentlich als Symbol des christlichen Glaubens mit appellativem Charakter zu verstehen. Auf dieser - heftig gescholtenen - Basis mußte es zwangsläufig eine unentrinnbare und zumindest für Nichtchristen unerwünschte Einwirkung in ihren persönlichen Bereich (welchen Grades auch immer) annehmen. Behält man, wie das BVerfG, alle Gruppierungen gleichermaßen und auf der klaren verfassungsrechtlichen Basis der Gleichberechtigung im Auge, so gilt es festzustellen: Kreuze und Kruzifixe mögen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen Verschiedenes bedeuten. So hat z.B. der bayerische Kultusminister in der aktuellen Debatte darauf verwiesen, das Kreuz sei von alters her in ganz verschiedenen Kulturen ein Heilszeichen gewesen, so in Altägypten, im chinesischen Tao, bei Assyrern und Kelten. Im Streitfall geht es aber nicht um theoretisch mögliche vielfältige Verständnismöglichkeiten, so z.B. auch als Symbol der Liebe. Es geht insbesondere nicht um die Interpretation eines theologisch bedeutsamen Symbols durch dafür nicht kompetente Nichttheologen unter Verstoß gegen ihre richterliche Kompetenz. Wer das rügt, verkennt das Rechtsproblem. Das BVerfG war gehalten, einen ganz speziellen Sachverhalt nach primär juristischen Kriterien zu beurteilen, nicht nach primär theologischen oder kulturphilosophischen. Es war ausschließlich die Rechtsfrage zu beantworten: Wie ist es nach subjektivem und objektivem Bundesverfassungsrecht zu beurteilen, wenn die öffentliche Hand - in der Diskussion verkürzend: "der Staat" - als Rechtssubjekt veranlaßt, daß in Klassenzimmern öffentlicher Schulen Kreuzsymbole angebracht werden? Dabei spielt es selbstverständlich keinerlei Rolle, ob die Kreuze aufgrund einer besonderen Rechtsnorm oder ohne eine solche angebracht werden. Entscheidend ist die hoheitliche Veranlassung.[32] Denn es kommt darauf an, ob sich die öffentliche Hand ("der Staat") eine Verhaltensweise rechtlich zurechnen lassen muß. Der Zurechnungstatbestand kann in einer Rechtsverordnung, der Anordnung eines Gesetzes, der Schulleitung oder des Klassenlehrers bestehen. Auch die stillschweigende Hinnahme von durch die Sachaufwandsträger (Gemeinden) geschaffenen Tatsachen gehört hierher. Was kann also das "staatlich" veranlaßte Kreuz/ Kruzifix in Bayern oder auch Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen bedeuten?
c) Das Schulkreuz als Kultursymbol?
aa) Dem Kreuz wird entsprechend dem Wesen eines Symbols eine Bedeutung beigemessen. Kreuze werden heute in Europa außerhalb bestimmter nicht vergleichbarer spezieller Zusammenhänge wie z.B. als historischer Bestandteil von Flaggen oder Wappen gemeinhin als Symbol des christlichen Glaubens in einem allgemeinen Sinn verstanden. In Bergkreuzen z.B. ist wohl in einem sehr unverbindlichen Sinn ein Glaubenssymbol zu sehen, aber unproblematisch; handelt es sich doch um den freien gesellschaftlichen Bereich. Daher nimmt daran auch niemand Anstoß. Den allgemeinen gesellschaftlichen Einflüssen ist ja jedermann ausgesetzt, ohne daß es hierzu irgendwelcher staatlicher Korrekturen bedürfte. Anders in der öffentlichen Schule, einer staatlichen Veranstaltung. Die These, das Kreuz sei hier nur ein Kultursymbol, ist neuartig. Eine solche Deutung des Kreuzes im Sinn eines allgemeinen Hinweises auf die überkommene "christlich-abendländische Kultur" war bisher nicht üblich, wie man erstens weiß und zweitens ein Blick in Lexika zeigt. So unterscheidet etwa die 17.A. der Brockhaus Enzyklopädie (1970) das Kreuz als religiöses Symbol in christlicher und vorchristlicher Zeit, als anatomischen Bereich, als heraldisches Zeichen, als Zeichen im Kartenspiel und anderes. Vom Kreuz als allgemeinem Kultursymbol ist nicht die Rede. Das "Wörterbuch des Christentums" (1988) spricht vom Kreuz als Hinrichtungsinstrument, als theologischem Problem, als liturgischem Zeichen, als Gegenstand der Kunstgeschichte und der Literatur. Die 2.A. des großen "Lexikon für Theologie und Kirche" (Bd. 6, 1961) behandelt das Kreuzzeichen nur unter dem Aspekt der Liturgie und der Volkskunde, und da vom Segenszeichen über das Kreuz als wunderbringendes Zeichen und als Zaubermittel. Das Kreuz als Kultursymbol des sogenannten "christlichen Abendlandes" als einer sehr vielfältigen Gesamtkultur hat es nie gegeben. Zwar ist das Abendland weitgehend durch das - in sich bis zum krassen Gegensatz unterschiedliche - "Christentum" geprägt. Unbestritten gibt es typisch europäische Entwicklungen wie die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt und die Formulierung und Anerkennung subjektiver Grundrechte als Ergebnis jahrhundertelanger blutiger Auseinandersetzungen mit schwerpunktmäßig religiöser Ursache. Das alles ist im Guten wie Bösen, Verbindenden wie Trennenden, mit dem "Christentum" verbunden, auch die deistisch-atheistische und naturrechtlich-christliche Aufklärung, die Entwicklung einer sich von der Religion mehr und mehr lösenden Medizin[33] und Naturwissenschaft bis zur breiten philosophischen Entwicklung weg vom persönlichen Gott[34], auch der spezifische Rationalismus der okzidentalen Kultur.[35] Die Spannbreite geht vom Kreuz als regelmäßigem Utensil der Folterkammern bis zum Kreuz als Friedens- und Segenszeichen, von Sklaverei und Schwertmission bis zur epochalen declaratio de libertate religiosa des 2. Vatikanums[36], von Prozessen gegen Tiere bis zur ökologischen Theologie[37], von 2000-jähriger Judenfeindschaft zur Aufarbeitung derselben und zur christlich-jüdischen Verständigung[38], vom tödlichen Kampf gegen Häretiker[39] bis zum weltumspannenden Religionsgspräch, von der Feindesliebe zum permanenten Krieg[40] und zur Friedensbewegung, von der Bergpredigt bis zur Inquisition, jener "totalen Sonnenfinsternis" des Christentums (Walter Nigg)[41], und wieder zurück. Soll all dies und viel mehr - etwa die musikalischen Wunderwerke von Guillaume de Machaut über Palestrina und Lassus bis Bach, Beethoven und Distler - jetzt auf einmal wirklich und ausschließlich durch das Kreuz als schulisch-säkulares Kultursymbol zum Ausdruck gebracht werden?
bb) Das Kreuz als abendländisches Kultursymbol ist eine spezielle Erfindung "bayerisch-staatstragender Kreise" und von juristischen Verfechtern des Schulkreuzes. Es bleibt dabei: Das Kreuz in der Schule ist kein vorrangiger und als solcher völlig überflüssiger Hinweis darauf, daß das Kreuz in der Geschichte, Kunst und Literatur eine große Bedeutung hatte und hat. Das Kreuz, und noch viel mehr das Kruzifix, ist als staatliches Gestaltungsmittel in der Schule hauptsächlich das zentrale Symbol des christlichen Glaubens, was es historisch auch immer war.[42] Viele juristische Gegner der Entscheidung des BVerfG geben das, anhand ihrer Veröffentlichungen leicht nachweisbar, freiwillig oder unfreiwillig zu.[43] Auch bei den Rednern der CSU in den Landtagsdebatten zum Kruzifix-Gesetz, beschlossen am 13.12.1995[44], spielte der religiöse Aspekt eine wichtige Rolle[45], wie übrigens auch schon in der amtlichen Begründung[46]. Ob Betrachter mit dem Kreuz angesichts dessen objektiven Erklärungsgehalts positive oder negative oder gar keine Gefühle verbinden, ist dabei unerheblich. Diese untrennbar religiöse Symboldeutung (zur Unablösbarkeit des religiösen Gehalts s.u. näher) ist auch die klare Auffassung des BVerfG, das sich schon im Rahmen der Entscheidung zum Kreuz im Gerichtssaal 1973 anhand umfangreicher Materialien[47] mit der Kreuzesdeutung befaßt hatte. Diese Sicht wird eindrucksvoll bestätigt durch die heftigen emotionalen Reaktionen auch seitens politischer, kirchlicher und juristischer Repräsentanten, die nicht selten regelrecht ausfälligen Charakter annahmen. So reagiert nicht, wer nur den rationalen Diskurs sucht, dem Andersdenkenden voll Respekt und Nächstenliebe begegnet und einen normalen kulturellen Sachverhalt im Auge hat. Solche Reaktion ist vielmehr typisch für das Streben nach ideologischer Dominanz bzw. Erwerb oder Erhalt von Macht.
d) Das Kreuz als profaniertes Staatssymbol?
Das Kreuzsymbol in der Schule ist keinesfalls ein profaniertes Staatssymbol, wie manche Autoren sogar behaupten.[48] Insbesondere sollte man nicht mit wohl gespielter (?) Naivität argumentieren, der Staat sei ja bekanntlich neutral, so daß das Kreuz definitionsgemäß nicht als Religionssymbol verstanden werden könne.[49] Demgegenüber stellt Stefan Muckel den Sachverhalt mit mehr Überzeugungskraft dar: "Das Kreuz, das Kruzifix zumal, kann jedoch von seinem Bezug zum Christentum nicht völlig abgelöst werden...In den vom Christentum überlieferten Formen ist das Kreuz immer auch ein religiöses Symbol...Im "Roten Kreuz" und im Kreuz auf Gerätschaften der Bundeswehr wird der Betrachter kaum eine religiöse Botschaft erkennen können. In § 13 Abs. 1 S. 3 BayVSO a.F. ist jedoch ein anderes Kreuz gemeint. Es soll die christliche Prägung des abendländischen Kulturkreises versinnbildlichen.[50] Dazu ist es nur in der Lage, wenn es eine dem christlichen Verständnis entsprechende Gestalt hat. Dann aber wird man ihm den Sinngehalt eines religiösen Symbols nicht (völlig) absprechen können. Wenn der Staat die Anbringung eines solchen Symbols anordnet, dokumentiert er zwangsläufig seine Verbundenheit mit dem Christentum. - Eine solche Parteinahme ist staatlichen Stellen nicht gestattet..."[51] Ist das staatliche Schulkreuz aber notwendig zumindest auch ein Glaubenssymbol - unterschiedlich akzentuiert vom kleinen unaufdringlichen Kreuz an der Seitenwand bis zum in Bayern sehr häufigen großformatig-massiven Kruzifix mit realistischem Korpus an der Vorderwand - so stellt es objektiv einen permanenten Versuch staatlicher mittelbarer Beeinflussung in allgemein-christlicher Richtung dar. Damit ist die Frage des Grundrechtseingriffs angesprochen.
e) Das Kreuz in der Symbolforschung
Dirk Heckmann hat in seinem Freiburger Habilitationsvortrag "Eingriff durch Symbole"[52] Funktion und Wirkung von Symbolen anhand der Spezialliteratur überzeugend dargestellt. Symbole sind Sinnzeichen, die eine komplexe Idee allgemein verkörpern, ihre eigentliche Kraft aber nur in Verbindung mit einer persönlichen Haltung des Betrachters konkret entfalten. Ihre Bedeutung können sie daher nur durch Änderungen im persönlichen Bereich ändern. Daher kann weder die allgemeine, noch gar die konkrete Symbolbedeutung von wem auch immer wegdefiniert werden. Auch legislatorisch kann die Suggestivwirkung von Symbolen, ihre entscheidende Bedeutung, nicht durch Umdefinition beseitigt werden. Symbole wecken unmittelbar Assoziationen, lösen Emotionen aus und können als Fernwirkung andauernder Symbolwahrnehmung suggestiv beeinflussen. Gerade die Suggestivwirkung heben einschlägige Untersuchungen hervor.[53] Heckmann, juristisch ein Gegner des Beschlusses vom 16.5.1995[54], kommt nicht umhin, festzustellen: "Eines kann man...ausschließen: daß nämlich ein in jahrtausendlanger Menschheitsgeschichte verwurzeltes Glaubenssymbol wie das Kreuz per Gesetz als allgemeines Kultursymbol 'umdefiniert' werden kann, wie dies in Bayern geplant ist...Man mag durch die Legaldefinition zusätzlich auf die Bedeutung des christlichen Glaubens für die abendländische Tradition und Kultur hinweisen...An einer ablehnenden Haltung Andersgläubiger gegenüber dem Christentum, an negativen Empfindungen...ändert dies freilich nichts."[55] Ergänzend sei noch angemerkt, daß das Kreuz mit Korpus im Klassenzimmer - im katholischen Bayern die Regel - auf gar keinen Fall anders als religiös verstanden werden kann, ja nicht einmal im Herrgottswinkel einer sehr profanen Gastwirtschaft. Die unterschiedliche Wahrnehmung des Kreuzsymbols hat im übrigen notwendig zur Folge, daß es die einen Betrachter integriert, von anderen wegen völliger weltanschaulicher Gleichgültigkeit praktisch ignoriert wird, gleichzeitig aber Schüler und Lehrer ernsthaft anderer Grundhaltung ausgrenzt. Polarisierung und sanfte Diskriminierung, die jedermann demonstriert, was die herrschende Auffassung ist, als Mittel der Pädagogik?
Im Ergebnis bleibt es dabei: Das Kreuz im Bereich staatlicher Kompetenz ist vorrangig, jedenfalls wesentlich auch ein Glaubenssymbol. Mit den Worten des Kirchenpräsidenten Peter Steinacker: "Das Kreuz ist das Erkennungszeichen der christlichen Religion schlechthin. In ihm wird ihr Inhalt symbolisch repräsentiert."[56] Nicht anders sah es auch die erste spontane gemeinsame Erklärung des Katholischen Büros Bayern, des Landeskomitees der Katholiken in Bayern und des Katholischen Schulkommissariats Bayern, die von der Pressestelle der Freisinger Bischofskonferenz am 10.8.1995 verbreitet wurde: es gehe um "das zentrale Symbol des christlichen Glaubens". Und bei der katholischen Großkundgebung in München am 23.9.1995 erklärte Kardinal Wetter u.a.: "Für uns Christen ist das Kreuz vor allem ein heiliges Zeichen unseres Glaubens an Gott, der uns in Jesus Christus erlöst hat." Eben! kann man dazu nur sagen. Alle Versuche der verharmlosend-kulturellen Umdefinierung und Separierung des Symbolgehalts gehen völlig an der Wirklichkeit und am rechtlichen Bedeutungsgehalt vorbei.[57]
5. Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit ("Grundrechtseingriff")
a) Auf der heftig gescholtenen, nichtsdestoweniger aber zwingenden Basis der vorrangig oder doch untrennbar auch religiösen Bedeutung des Kreuzes mußte das BVerfG zwangsläufig eine unentrinnbare und zumindest für bewußte Nichtchristen unerwünschte Einwirkung in ihren persönlichen Bereich annehmen. Wörtlich: "Das geschieht überdies gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind."[58] Das Gericht hält damit offenbar einen Grundrechtseingriff für ohne weiteres gegeben[59], ohne daß auf Besonderheiten des Einzelfalls[60] eingegangen werden müßte. Grundlage dieser vom BVerfG an dieser Stelle bedauerlicherweise nicht näher begründeten These ist die Rechtsauffassung, eine staatliche Beeinflussung im Vorfeld der eigentlichen Überzeugungsbildung verstoße gegen die Glaubensfreiheit. Allerdings herrschte noch in den 50-er Jahren die Auffassung vor, das forum internum sei des Schutzes nicht fähig bzw. bedürftig - eine allerdings schon damals reichlich unrealistische Ansicht. Die jetzt vom BVerfG vertretene Auffassung entspricht jedoch dem in Rechtsprechung und Literatur seit langem erreichten Standard.
b) Das Verbot einseitiger staatlicher Beeinflussung in religiös-weltanschaulichen Fragen ist ein notwendiges Erfordernis der freien Überzeugungsbildung, und deren grundrechtliche Garantie insbesondere in Art. 4 GG ist in der bundesrepublikanischen verfassungsrechtlichen Literatur heute weithin anerkannt. Gerade die subtilen Beeinflussungsmöglichkeiten des modernen Staats erfordern ja in besonderer Weise rechtlichen Schutz. Daß auch mittelbare Auswirkungen oder Fernwirkungen staatlichen Handelns ggf. als unzulässige Grundrechts"eingriffe" zu werten sind, ist kein Novum der Grundrechtsdogmatik. Daher schreibt auch der Leiter des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands: "Einer rechtlichen Regelung ist die Glaubensfreiheit nur insofern zugänglich, als es dem zu religiöser Neutralität verpflichteten Staat schlechthin verwehrt ist, auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen Einfluß zu nehmen." [61] Der Leiter des Instituts für Kirchenrecht der EKD formuliert, es sei "nicht Staatsaufgabe, die Menschen...zur Erfüllung einer Religion anzuhalten oder ihnen religiöse Gewohnheiten abzugewöhnen.[62] Derselbe Autor meint an anderer Stelle noch deutlicher: "Die Glaubensfreiheit bildet den Kern der Religionsfreiheit. Sie schützt die Freiheit, einen Glauben zu haben oder keinen zu haben, erfaßt also das forum internum. In diesem Sinne verbietet sie staatliche Einflußnahme auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen und jeden staatlichen Glaubenszwang, auch mittelbarer oder tatsächlicher Art. Die Freiheit der Glaubenswahl gehört mit allen Vorstadien der Meinungsbildung, der Informationsbemühungen und der suchenden Zuwendung zu einer Glaubensgemeinschaft ebenso dazu wie das Recht, den Glauben zu wechseln oder aufzugeben. Diese Freiheit gilt unbeschränkt."[63] Das Verbot mittelbarer Beeinflussung in Glaubensfragen ist, wie gesagt, heute Standard in der Literatur.[64] Von Heiko Faber ist zur Gesamtproblematik der mittelbaren Beeinflussung schon 1968 eine Monographie erschienen.[65] Ekkehart Stein hat das für den Schulbereich thematisiert[66] und das BVerfG hat dessen Gedanken der Selbstentfaltung des Kindes in seinen bekannten Schulentscheidungen von 1975 aufgegriffen, indem es herausstellte, daß es ihm bei der Glaubensfreiheit in der Schule um das Bestreben nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im weltanschaulich-religiösen Bereich geht und nicht etwa um Zulassung einer Beeinflussung im speziell christlichen Sinn. Daher hat das BVerfG auch betont, daß selbst in der (sogenannten!) christlichen Gemeinschaftsschule (die ja ausweislich der Entscheidungsgründe gerade nicht im eigentlichen Sinn christlich sein darf!) "bekenntnismäßig nicht gebundene Lehrer nicht benachteiligt werden dürfen", Art. 33 Abs. 3 GG (vgl. auch Art. 116 BayVerf).[67] Wenn das BVerfG daher in der mittelbaren religiösen Beeinflussung, die mit dem staatlich etablierten Kreuz/ Kruzifix zwangsläufig verbunden ist, ohne weiteres eine Grundrechtsbeeinträchtigung sah, kann das nach allem nicht verwundern. Das Ergebnis mußte ihm umso selbstverständlicher erscheinen, als die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung ja schon des öfteren im Schulbereich einseitige ideologische Parteinahmen des Staates - welcher Richtung auch immer - für unzulässig erklärt hat, ohne damit auf Kritik zu stoßen: seien es die Entscheidungen zum Verbot religiöser Kleidung für Lehrer[68], zur Schulbuchzulassung[69] oder zum Verbot sogar des Tragens einer Anti-Atomkraft-Plakette durch Lehrer[70], wobei die Gerichte z.T. sogar recht deutliche Formulierungen gebrauchten. Wer eine religiös-weltanschauliche oder politische oder sonst ideologische Einflußnahme (jenseits des mehr formalen Rahmens des GG!) nicht wünscht, dessen Grundrecht ist beeinträchtigt. Daher stellte übrigens selbst eine bloß kulturchristliche Dominanz des Unterrichts, die andere geistige Strömungen nicht als inhaltlich-formal (nicht notwendig unter gleichem zeitlichen Aufwand) gleichberechtigt anerkennt, einen Grundrechtsverstoß dar, freilich nicht gegen Art. 4. Das allgemeine Gebot der ideologischen Neutralität des Staats hat auch bekanntlich - in Form der Sicherung der Meinungsvielfalt - eine wichtige Rolle im Rundfunkrecht.
6. Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung?
a) Das BVerfG argumentiert folgendermaßen: Verfassungsunmittelbare Schranken seien nicht ersichtlich. Der Eingriff lasse sich nicht aus Art. 7 I GG rechtfertigen, wozu das Gericht ausführlich aus seinen bekannten Schulentscheidungen von 1975 referiert. Diese versteht es vollkommen anders als die meisten Kritiker, so daß die pikante Frage auftaucht, wer denn da nicht in der Lage oder willens ist, richtig zu lesen. Die Einführung christlicher Bezüge in den Unterricht durch das Landesrecht sei zwar "nicht schlechthin verboten", müsse aber dem Umstand Rechnung tragen, daß es sich - bei verfassungskonformer Auslegung - "nicht um eine bikonfessionelle Schule" handelt und Gegenstand schulischer Bildung das "Bestreben nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im religiös-weltanschaulichen Bereich" sei. Eine Grundrechtskollision sieht das Gericht nicht. Im Gegensatz zum Gros der Kritik verweist es darauf, daß sich Kreuzbefürworter wie -gegner jeweils auf die positive Glaubensfreiheit berufen. Eine Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip scheide aus. Zugegebenermaßen ist die im Ergebnis zutreffende Begründung für das Fehlen einer Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs trotz Erwähnung fast aller wesentlichen Punkte sowohl rechtsdogmatisch-begrifflich wie auch psychologisch als wenig gelungen anzusehen.[71] Letzteres trifft freilich häufig auch auf die Ausführungen gerade derjenigen Autoren zu, die das BVerfG besonders scharf attackieren. Das im einzelnen nachzuweisen, bedürfte mittlerweile freilich eines umfangreichen Buches.
b) Zwei Gesichtspunkte sind in der juristischen Debatte zur Frage der Rechtfertigung von besonderer Bedeutung: die der behaupteten Kollision von Rechten der Kreuzesbefürworter und Kreuzesgegner und die der landesrechtlichen Schulhoheit. Die These, daß Grundrechte majorisierbar seien, hat zwar in der Demagogie politischer Entscheidungsgegner eine ebenso unrühmliche wie erfolgreiche Rolle gespielt. Die angeblich absonderliche Überempfindlichkeit Einzelner, gern als Querulanten verunglimpft, wurde da, anders als bei Klagen einzelner Bürger gegen Projekte der öffentlichen Hand, der - kaum je empirisch nachgewiesenen[72] - "überwältigenden" Mehrheit der "Normaldenkenden" gegenübergestellt: Trauriges Ergebnis von 46 Jahren Grundgesetz. Immerhin: Prominente juristische Entscheidungsgegner ließen zwar kaum eine These unaufgestellt, die Majorisierbarkeit von Grundrechten gehörte aber nicht dazu.
c) Häufig behaupten Entscheidungsgegner das Vorliegen einer sogenannten Kollision zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit, so daß dann im Rahmen einer Güterabwägung ein Ausgleich gefunden werden muß. Bei dieser Betrachtungsweise hätte in der Tat das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsgesichtspunkt eine legitime Rolle. Auffallenderweise wird bei dieser Argumentation häufig nicht klar unterschieden zwischen Rechtspositionen und bloßen rechtlichen Interessen. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um zwei verschiedene und womöglich verschieden zu gewichtende Arten von Religionsfreiheit, sondern lediglich um verschiedene Aspekte ein- und desselben Grundrechts, wie das BVerfG nunmehr im Ergebnis klar erkannt hat: eine wichtige Detailkorrektur seiner Rechtsprechung, die eine nähere Begründung verdient hätte. Es stehen sich nicht unterschiedliche Qualitätsarten von Religionsfreiheit gegenüber, sondern konträre weltanschauliche Gruppierungen, die sich jeweils auf ein- und dieselbe einheitliche Religionsfreiheit positiv berufen.[73] Die erstmalige Nichtsymbolisierung einer bisher symbolisierten Gruppe A bedeutet dabei keine gleichzeitige Privilegierung der ebenfalls und schon bisher nicht symbolisierten Gruppen B oder C, wie leider entgegen einem anscheinend unausrottbaren und unlogischen Vorurteil betont werden muß. Es werden nur formal gleiche Verhältnisse hergestellt, wie das den Art. 4 I, 3 III, 33 III sowie Art. 136 I, II und 137 VII WRV i.V.m. Art. 140 GG entspricht. Der Staat darf mangels religiöser Kompetenz gerade keine Gruppierung einseitig unterstützen. Niemand hat einen grundrechtlichen Anspruch gegenüber dem Staat, in der (fälschlich christlich genannten) Schule im Gegensatz zu Andersdenkenden gerade sein Religionssymbol in staatlicher ungleicher Religionsförderung etabliert zu bekommen. Jedem Schüler bleibt es überdies unbenommen, bis zur Grenze der unvertretbaren Störung des Schulfriedens religiöse Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen. Liegt aber keine Kollision von Trägern der Grundrechte der Glaubensfreiheit bzw. des Elternrechts vor, so kann sich unter diesem Aspekt auch keine Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkung ergeben. Fragen der praktischen Konkordanz, insbesondere (näher zu definierender) Toleranz[74] als Kollisionsregel unter Berücksichtigung religiös-weltanschaulicher Klassenstruktur, spielen daher keine Rolle. Alle Schüler haben religiös-weltanschauliche Gleichberechtigung, was bei einem einzigen religiösen Symbol nicht der Fall ist. Psychologisch mag es speziell in stark katholisch geprägten Gegenden angesichts der jahrzehntelangen Mißachtung der Schulentscheidungen des BVerfG von 1975 und mangels Faktenkenntnis aufgrund von Fehlinformation in Bayern so empfunden werden, als ob Christen ein wohlerworbenes und bestehendes Recht genommen würde. Immerhin enthalten die Landesverfassung und das einschlägige Gesetz die verbale Aussage, daß die Schüler in den öffentlichen Volksschulen "nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen" werden, ohne daß staatlicherseits auf die Einschränkung durch die Gründe der einschlägigen Entscheidung des BVerfG hingewiesen würde. Eltern, Schüler und Lehrer werden in ihrer Fehlbeurteilung überdies bestärkt, wenn jetzt selbst hochrangige Juristen die m.E. unverantwortliche Behauptung aufstellen, das BVerfG breche mit den Grundaussagen seiner Schulentscheidungen.[75] Auch die jetzige Entscheidung des BVerfG ist ersichtlich nicht aus Gegnerschaft zum Christentum ergangen, sondern aus Gründen der gebotenen religiös-weltanschaulichen Gleichberechtigung.
d) Es verbleibt einer der häufigsten und massivsten Einwände der Entscheidungsgegner: der Beschluß vom 16.5.1995 mißachte das föderalistische Prinzip und beeinträchtige die Kulturhoheit der Länder in ihrem Kern.[76] Das wirft die Frage der Einschränkbarkeit sogenannter schrankenloser Grundrechte und des Bezugs der staatlichen Schulhoheit zu den Grundrechten auf.
aa) Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt wie Art. 4 I GG unterliegen nach heute allgemeiner Auffassung allenfalls Einschränkungen, die unmittelbar dem GG zu entnehmen sind. Inwieweit das Art. 7 I GG sein kann, ist heute offenbar wieder erörterungsbedürftig. Das BVerfG sagt hierzu im Kruzifix-Beschluß nur folgendes: Gem. Art. 7 I GG hat der Staat einen eigenständigen Erziehungsauftrag.[77] Dabei kann der Staat auch, grundsätzlich unabhängig von den Eltern, Erziehungsziele festlegen (unbestritten).[78] Daraus können sich Konflikte zwischen schulischer und familiärer Erziehung ergeben, die nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs zu lösen sind. Das gilt auch für die religiös-weltanschaulichen Bezüge, auf die auch der insoweit neutrale Staat keineswegs zu verzichten braucht. Auch läßt der Staat nach der (anerkannten) Rechtsprechung des BVerfG Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung in der Schule[79] - von verordneter Religionslosigkeit, so eine bekannte verleumderische Behauptung, also keine Spur. Für die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen den Art. 4 und 7 heißt das: Obwohl dem Landesgesetzgeber die Einführung christlicher Bezüge "nicht schlechthin verboten" ist, sondern er im Rahmen des "Bestreben(s) nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im religiös-weltanschaulichen Bereich" das Christentum als prägenden Kultur- und Bildungsfaktor - ohne Diskriminierung anderer Anschauungen - berücksichtigen darf, muß er dabei "religiös-weltanschauliche Zwänge so weit wie irgend möglich aus(zu)schalten". Aufgrund dieser seinerzeit (1975) unangefochtenen Grundsätze zu den sogenannten Christlichen Gemeinschaftsschulen ergibt sich daher: Das Kreuz überschreitet das unerläßliche Minimum, weil es "nicht seines spezifischen Bezugs auf die Glaubensinhalte des Christentums entkleidet und auf ein allgemeines Zeichen abendländischer Kulturtradition reduziert werden" kann. Für die Senatsmehrheit ergibt sich dabei wie selbstverständlich keine weitere Einschränkbarkeit des Art. 4 durch Art. 7, und das entspricht auch, wie gezeigt werden soll, der eindeutigen Rechtsentwicklung. Eher erstaunt es, wenn das Minderheitsvotum und einige Kritiker nicht die Art. 4 I und 6 II 1, sondern 7 I GG als Ausgangspunkt nehmen.
bb) In ihrer stark selektiven Blickweise übersehen die Kritiker der Senatsmehrheit eine seit langem wohletablierte grundrechtsdogmatische Grundaussage des BVerfG: "Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen."[80] Das wird auch bislang in der Literatur weitgehend akzeptiert.[81] Da auch das elterliche Erziehungsrecht keinen eigentlichen Schrankenvorbehalt, sondern in Art. 6 II 2 nur eine Art Mißbrauchsklausel kennt, ist die Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit und des Elternrechts hinsichtlich der religiös-weltanschaulichen Erziehung der Kinder von vornherein stark erschwert und bedarf zwingender Gründe. Die staatliche Schulhoheit ist aber schon strukturell als Schranke der genannten Grundrechte kaum geeignet. Art. 7 I GG enthält kein Mandat für die Länder, öffentliche Schulerziehung allgemein nach speziell religiösen, areligiösen oder sonstwie ideologischen Mustern - ausgenommen den Prinzipienrahmen des Grundgesetzes - auszurichten. Andernfalls könnte man nämlich in Verbindung mit Art. 7 V GG auch heute noch Konfessionsschulen als öffentliche Regelschulen einführen, und selbst vor dieser Konsequenz schrecken manche Kritiker des BVerfG nicht zurück.[82]
cc) Im einzelnen: Die zur religiös-weltanschaulichen Gestaltung des öffentlichen Schulwesens vertretene These, Art. 7 GG gebe den Ländern eine weitgehende Entscheidungsfreiheit auch zur Ausgestaltung der Regelschulen, herrschte in den 50 er Jahren absolut vor. Im Konfessionsschulzwang für Minderheiten sah man kein Problem. [83] Erst allmählich wurde im Verlauf der restaurativen Epoche[84] die Glaubensfreiheit entdeckt. Bahnbrechend wirkte vor allem die Entscheidung des BVerfG zur Badischen Kirchenbausteuer aus dem Jahr 1965 mit ihrer Erklärung des Staats zur "Heimstatt aller Bürger", in der die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse untersagt sei.[85] Plötzlich, so muß man sagen, erkannte auch der BayVerfGH 1967, daß das reine Bekenntnisschulprinzip zumindest für christliche Minderheiten einen "klaren" Verstoß gegen die Glaubensfreiheit bedeute.[86] Als das BVerfG 1979 in seiner Schulgebetsentscheidung gezielte erzieherische Einflußnahmen ablehnte und im Zusammenhang mit Art. 7 I GG die volle Geltung des Art. 4 I GG reklamierte[87], beanstandete das niemand. Die heute, im Zusammenhang mit dem Kruzifix-Beschluß, wieder vertretene Auffassung, Art. 7 relativiere Art. 4 GG, würde die gesamte Entwicklung um 30 Jahre zurückwerfen. Dabei ist Art. 7 I GG eine institutionell-organisatorische Kompetenzvorschrift und nach Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang nicht geeignet, eines der zentralen Grundrechte auszuhöhlen.
dd) Der heutige und zutreffende Stand juristischer Erkenntnis ist folgender: Das staatliche Erziehungsmandat umfaßt gerade nicht die religiös-weltanschauliche Erziehung der Kinder.[88] Vielmehr hat die Staatsschule Vorsorge zu treffen, daß dem Einzelnen weder Religion noch Weltanschauung aufgedrängt wird.[89] Denn das Elternrecht i.V.m. Art. 4 I GG umfaßt wesentlich das Recht der Eltern, "ihren Kindern die eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln".[90] Zwar bedeutet Art. 7 I ein neben dem elterlichen Erziehungsrecht stehendes Erziehungsrecht des Staats (unstr.), das zu ersterem immer in einem gewissen Spannungsverhältnis steht. Doch liegt das Schwergewicht der Schule bei der allgemeinen Bildung und Ausbildung, während es bei der elterlichen Erziehung hauptsächlich um Gesamterziehung geht. Dazu gehört wesentlich die persönlich-weltanschauliche Erziehung als dessen Fundament, in die der Staat auch wegen des Neutralitätsprinzips im Rahmen des Möglichen[91] nicht eingreifen darf.[92] Daher wirkt in weltanschaulicher Hinsicht das Elternrecht in die Schule hinein in dem Sinn, daß schulische Erziehung grundsätzlich der häuslichen Erziehung zwar notwendig selten voll entsprechen kann, ihr jedoch zumindest grundsätzlich nicht entgegenarbeiten darf. Nur eine einzige "Ideologie" darf der Staat hierbei propagieren: die Essentialia der grundgesetzlichen Ordnung. Zu diesen gehören gerade auch die Prinzipien der Nicht-Identifikation und der formalen Gleichstellung der verschiedenen religiös-weltanschaulichen Richtungen: nicht um Gleichgültigkeit zu fördern, sondern um die verschiedenen Identitäten gleichwertig zu behandeln als Ergebnis einer langen und blutigen Entwicklung hin zum Religionsfrieden. Das schließt eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung je nach Bundesland und Schulort nicht aus. Etwa darf ggf. die geistliche, kulturelle und soziale Bedeutung großer Klöster (einschließlich ihrer Schattenseiten) bei wissenschaftlich-historisch korrekter Darstellung einen breiteren Raum einnehmen als anderswo, ebenso die Darstellung und Bedeutung religiöser Bräuche. Wer dabei die Rechtsgeschichte nicht zurückdrehen will und die Bedeutung des Art. 7 im System des GG richtig verortet, muß sich aber verabschieden von dem Gedanken, es könne die Geltung des Art. 4 GG über die landesrechtliche Kulturhoheit entgegen Art. 31 GG durch Landesrecht eingeschränkt werden.[93] Art. 7 I GG ist eine kompetenzbegründende Norm, Art. 4 I aber eine Kompetenzbindungsnorm.[94] Auch angesichts des konsolidierten Standes der Diskussion zu den Grundrechten in "Sonderstatusverhältnissen" kann man sich über die ad hoc vertretenen regressiven Ansichten zum Verhältnis von Art. 4 (bzw. 6 II 1) zu Art. 7 I GG nur wundern.
III. Ergebnis und Schlußgedanken
1. Keiner der tragenden Entscheidungsgründe ist nach den anerkannten Standards heutiger verfassungsrechtlicher Dogmatik zu erschüttern. Der Beschluß ist eine konsequente Fortentwicklung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und im Ergebnis zwingend. Vielfach fällt die Kritik an der (in der Tat in verschiedener Hinsicht kritisierbaren[95]) Entscheidung auf ihre Urheber zurück, was hier nur anhand zentraler Punkte aufgezeigt werden konnte.
2. Die bisher fehlende friedenstiftende Wirkung hat drei zusammenhängende Hauptursachen:
a) Ein Grund liegt in der vielfach fehlenden Bereitschaft politischer und juristischer Repräsentanten, das BVerfG an seiner wirklichen Argumentation zu messen, um ihm stattdessen mittelbar oder unmittelbar Thesen zu unterschieben, denen es ersichtlich fernsteht. Das gilt vor allem für die Behauptungen eines laizistischen Impetus und eines Widerspruchs zu den Schulentscheidungen aus dem Jahr 1975.
b) Wohl noch gewichtiger für die fehlende Akzeptanz bei Teilen des allgemeinen Publikums ist der Umstand, daß die bayerische Kultusverwaltung entgegen der Bindungswirkung der die bayerische (sogenannte[96]) christliche Gemeinschaftsschule betreffenden Entscheidung[97] mit ihrer erheblich einschränkenden GG-konformen "Auslegung"[98] auch in den 20 Jahren danach mit einer dezidiert christlichen Schulpolitik auf vielen Ebenen den Verfassungsbruch geradezu zum Erziehungsprinzip erhoben hat. Das wurde an anderer Stelle detailliert - und unwidersprochen - nachgewiesen.[99] In Öffentlichkeit und Lehrerschaft wurde systematisch der Eindruck erweckt, weltanschauliche Neutralität auf der Basis der Gleichberechtigung sei kein in Bayern geltendes Verfassungsprinzip. Auf diesem Weg schreitet der Freistaat Bayern immer noch konsequent voran bzw. zurück. Das Kruzifix-Gesetz vom 23.12.1995[100] und die bisher rigide Rechtspraxis[101] demonstrieren das.
c) Schließlich konnte es unter diesen Voraussetzungen kaum gelingen, psychologisch plausibel zu machen, daß die Beendigung einer manchem liebgewordenen Tradition nicht aus Gründen der Religionsgegnerschaft erfolgt, sondern aus Respekt für die Glaubensfreiheit aller und zur Wahrung zentraler Verfassungsprinzipien.
3. Eine Toleranzdiskussion müßte begreiflich machen, was "positive" Toleranz gebietet: Daß nämlich jede religiös-weltanschauliche Richtung in der staatlichen allgemeinen Schule, sei sie nun im Sinn des BVerfG kulturchristlich akzentuiert oder nicht, darauf verzichtet, ein weltanschauliches Symbol den Andersdenkenden aufzudrängen. Anstelle des Kreuzes bräuchte keineswegs die kahle Wand zu treten, sondern könnten Landeswappen und Bundesadler oder weltanschaulich unproblematische Sinnsprüche angebracht werden. Wenn es darum geht, den jeweils Anderen in seinem Anderssein als gleichberechtigten Bürger zu akzeptieren, kann der Staat kein religiös aufgeladenes Symbol in der staatlichen Schule verwenden. Man sollte auch nicht vergessen: ideologische Symbole sind zwiespältig. In gleicher Weise, wie sie einen Teil integrieren, schließen sie den anderen Teil aus. Sie sind daher im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes nicht nur unzulässig, sondern auch pädagogisch schlicht ungeeignet. Dieses Ergebnis liegt auch in der Logik der Geschichte. [102] Staatliche Schule sollte daher begreiflich machen, daß Religionsfreiheit und Neutralität kein beliebig, womöglich wahltaktisch, manipulierbares Gut ist, sondern eine "sittliche Errungenschaft" (L. Renck[103]) als Ergebnis eines jahrhundertelangen schmerzlichen Prozesses.[104] [105]
* Überarbeitete, mit Anmerkungen versehene und erweiterte Fassung des am 22.11.1996 gehaltenen Kurzreferats. Skriptschluß 18.4.1997
[1] BVerfGE 93,1 = NJW 1995, 2477 = EuGRZ 1995, 359 = JZ 1995, 942 = DVBl 1995, 1069
[2] R. Lamprecht, Zur Demontage des Bundesverfassungsgerichts, 1996; ders., Verführung zum Rechts-Ungehorsam, NJW 1996, 971
[3] Schweizerisches Bundesgericht, Lausanne, EuGRZ 1991, 89
[4] vgl. D. Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht, 1993, mit dokumentarischem Anhang (Jus Eccl 45). - Allerdings ist in der Schweiz insoweit streng zu unterscheiden zwischen der Bundesverfassung und der Kantonalverfassung. Bundesrechtlich beantwortet Kraus in seiner umfassenden Untersuchung die Frage, ob die Confoederatio Helvetica ein christlicher Staat sei, S. 442 f. so: "Die Bundesverfassung will als eine bewußt säkulare Ordnung gelten, für die die Wahrung religiöser und konfessioneller Neutralität ein wichtiges Anliegen darstellt...Den Bund kennzeichnet folglich ein mit Distanz verbundener Respekt vor individueller und institutionalisierter Religion, zugleich der feste Wille, keine kirchlichen Übergriffe in die Rechte der Bürger oder des Staates zu dulden..." S. in unserem Zusammenhang insb. Art. 27 (öff. Schulen) und 49 (Religionsfreiheit) BV. Dabei beginnt die Präambel der schweizerischen BV bekanntlich mit dem Vorspruch: "Im Namen Gottes des Allmächtigen!" Näher damit befaßt sich U. Friederich, Kirchen und Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat, Zur Bedeutung der Religionsfreiheit im schweizerischen Staatskirchenrecht, 1993, 284 ff. Unbestrittenermaßen werde damit kein christlicher Staat proklamiert. Friederich verweist auf eine neueste Entsch. des Bundesgerichts, in der der Anrufung Gottes jeder normative Wert abgesprochen wird (BGE 116 I a 259 E. 5 e).
[5] Schweizer. Bundesgericht EuGRZ 1991, 89/ 94 f., den katholischen Kanton Tessin betreffend: "Es ist daher begreiflich, daß jemand, der die öffentliche Schule besucht, in der Zurschaustellung eines solchen Symbols den Willen sieht, die Auffassungen der christlichen Religion im Unterrichtsstoff zu verwenden oder den Unterricht unter den Einfluß dieser Religion zu stellen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß einige Personen sich in ihren religiösen Überzeugungen verletzt fühlen, wenn in der Schule dauernd ein Symbol einer Religion gegenwärtig ist, der sie nicht angehören. Das kann nicht unbedeutende Auswirkungen haben, vor allem auf die geistige Entwicklung der Schüler und auf ihre religiösen Überzeugungen..."
[6] Demgegenüber wurde in dem vom BVerfG aufgehobenen Beschluß des BayVGH vom 3.6.1991, NVwZ 1991, 1099/ 1101 einfach begründungslos behauptet, die Rechtslage in der Bundesrepublik unterscheide sich von der in der Schweiz wegen der Zulässigkeit christlicher Bezüge, was mit dem grundlegenden Mißverständnis der Schulentscheidungen des BVerfG vom 17.12.1975 zusammenhängt.
[7] a) Aus der Zeit vor der Entsch. vom 16.5.1995 sind zu nennen: G. Czermak, KJ 1992, 46, 58 ff. (am ausführlichsten); J. Hellermann, in: Grabenwarter/ Hammer u.a., Hrsg., Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, 1994, 129, 138 ff.; D. Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht, 1993, 351 f.; G. Manssen, Staatsrecht I, Grundrechtsdogmatik, 1995, Rn 243; I. v. Münch, in: v. Münch/ Kunig, GG, 4.A. 1992, Rn 39 zu Art. 4 GG; wohl B. Pieroth, DVBl 1994, 949, 961 (nicht ausdrücklich); L. Renck, BayVBl 1991, 346 und NVwZ 1994, 544,546; nur insoweit auch krit. Tendenz bei D. Kühne, NWVBl 1991, 253,259 (Kreuz nicht als einziges Symbol); krit., wenn auch nicht konsequent: P. Karlen, Schweizer. Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (ZBl), 90 (1989), 12
b) An zumindest im wesentlichen befürwortenden jurist. Aufsätzen und Kommentaren zum Kruzifix-Beschluß sind erschienen: J. Berkemann, JR 1995, 446, 448 f.; G. Czermak, NJW 1995, 3348 ff., ZRP 1996, 201 ff. und ThürVBl 1996, 241 ff.; E. Denninger, KJ 1995, 425, 426 ff.; H. Goerlich, NVwZ 1995, 1184 ff.; H. Kiskalt, NJW 1995, H. 48, XXII (Leserbrief/ Kurzaufsatz); M. Kutscha, NJ 1996, 171, 172; R. Lamprecht, NJW 1996, 971 ff. (in Form eines Kommentars); H. Mayer, JRP 1995, 222 ff. (Verf. befaßt sich als Exponent einer Mindermeinung besonders eindringlich - und überzeugend, vgl. die Gegenmeinung von Th. Mayer-Maly, JRP 1995, 219 ff. - mit der wesentlich komplizierteren Rechtslage in Österreich und kommt dennoch zu demselben Ergebnis wie das BVerfG); M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd 1 (1996), Rn 99 zu Art. 4; I. v. Münch, NJW 1996, 2073, 2074 (nur Statement); J. Neumann, ZRP 1995, 381 ff.; L. Renck, ZRP 1996, 16 ff.; R. Röger, DRiZ 1995, 471, 476; J. Rozek, BayVBl 1996, 22 ff. (besonders prägnant); St. Seltenreich, VBlBW 1995, 470 ff.; P. Vonnahme, Betrifft Justiz 1995, 138 ff. (hauptsächlich zur zersetzenden Kritik); U. Vultejus, Betrifft Justiz 1995, 171 f.; R. Zippelius, Staat und Kirche, 1997, 163 f.
c) Der Kruzifix-Beschluß des BVerfG war auch Gegenstand der Jahrestagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission vom 29.9.-2.10.1995 mit ca. 100 Teilnehmern, vgl. hierzu W. Peukert in NJW 1996, 1730 f. Ausweislich der von der Deutschen Sektion der IJK herausgeg. Dokumentation Religionsfreiheit, 1996, sprachen sich insb. bei der speziellen Podiumsdiskussion eindeutig für die Entsch. aus: M. Friedman (Zentralrat der Juden) a.a.O. 81, 87 f.und 106; E. G. Mahrenholz 105; O. Kretschmer (Justizmin. Thüringen) 106; W. Bock (Forschungsinst. der Ev. Kirche, Heidelberg).
d) Jurist. Befürworter der Entsch. außerhalb jurist. Organe: z.B. S. Leutheusser-Schnarrenberger, FAZ v. 17.10.1996, S. 12 f. (staatspolit. Grundsatzabhandlung); H. Prantl, SZ vom 12./13. 8.1995 (rechtl. Argumentation); H. Simon, z.B. Junge Welt Nr. 184 v. 15.8.1995 und vielfach; R. Wassermann, Die Welt, 11.8.1995; J. Schmude, SZ v.19./20.8.1995 und viele andere in der Öffentlichkeit, z.B. H. Meyer (Frankfurt); H.-J. Vogel, z.B. Vortrag vor der Karl-Rahner-Akademie in Köln am 20.3.1997: "Das Kruzifixurteil - Kreuz, Staat und Gesellschaft aus politischer Perspektive" (Skript: 15 S.)
[8] vgl. z.B. BVerfGE 33, 247, 259; E 42, 312, 325 f.; E 54, 53, 67; E 71, 202, 204; E 85, 109, 113. Das ist im wesentlichen anerkannt. Zur dogmatischen Begründung s. E. Stein, Staatsrecht, 15.A. 1995, § 27 I 6, S. 224.
[9] Die Neuauflage des HdbStKirchR 1994/ 1995 mit ca. 2400 S. enthält zur Bedeutung des Neutralitätsprinzips im Religionsrecht der Bundesrepublik nur wenige sehr allgemeine Aussagen, s. A.v. Campenhausen Bd. 1 S. 77-79 und ebenda noch weniger P. Badura 223 f.
[10] Selbst dieser wenigstens als theoretischer Obersatz fast allgemein anerkannte und normtextlich bestens abgesicherte Grundsatz wird gelegentlich noch heute bestritten: M. Brenner tut das in ThürVBl 1996, 145, 152 indirekt, indem er die seltsame These vertritt, es gehe "die Auffassung, daß es Kultur ohne Religion geben könne, fehl". W. Eberl, Ltd. Ministerialrat des bayer. Kultusministeriums, meint in BayVBl 1996, 107 ff. gar, die Verpflichtung zu völliger religiös-weltanschaulicher Neutralität, wie sie die "allgemeine Meinung" mit dem BVerfG fordere, führe zu einer "Lähmung des Staates". Bei Beachtung der Bürgerrechte sei eine staatliche Neutralitätspflicht, die dem GG keineswegs entnommen werden könne, "entbehrlich". "Warum", meint Eberl weiter, "sollte in einem seit mehr als 1000 Jahren vom Christentum geprägten Land...der Staat den christlichen Religionen nicht näher stehen dürfen als z.B. Sekten oder außereuropäischen Religionen?" Damit erweist der Autor, der auch noch weitere eigenartige Gedanken zu bieten hat, zugegebenermaßen immerhin den politischen und landesrechtlichen Fakten Reverenz. Etwas ungewöhnlich auch Th. Würtenberger, s. näher zu diesem und zum Ganzen Fn 21.
[11] M. Heckel, DVBl 1996, 453, 457 f.; Jestaedt JRP 1995, 237, 244; P. Lerche, Kirche und Gesellschaft, Sonderheft "Schule ohne Kreuz?, 1995, 16, 16 f.; Ch. Link, NJW 1995, 3353, 3353
[12] BVerfGE 52, 223 = NJW 1980, 575. Dort wurde nicht, was seinerzeit anscheinend L. Renck, BayVBl 1980, 338 f. als fast einziger klar erkannt hat, die fehlende Kompetenz des Staats zur Abhaltung bzw. Initiierung von Schulgebeten herausgearbeitet: Es ist nicht Aufgabe der auf religiös-weltanschauliche Neutralität verpflichteten Lehrer = Amtspersonen, eine solche religiöse Handlung zu initiieren. Das kann zulässigerweise nur von den Schülern bzw. Eltern ausgehen. Zu den anderen erheblichen dogmatischen Schwächen dieser fast allseits gepriesenen Entscheidung s. E.-W. Böckenförde, DÖV 1980, 323. Lesenswert ist die wohl ausführlichste Besprechung der Schulgebetsentscheidung mit Heraushebung der Kompetenzproblematik durch J. Brink, Demokratie und Recht 1981, 76 ff., die praktisch unbekannt geblieben ist.
[13] Erfreulich klar Heckel DVBl 1996, 453, 474: "Der Kruzifix-Beschluß hat - in seinem Grundansatz - die gefestigte freiheits- und religionsfreundliche Rechtsprechung zur Religionsfreiheit bestätigt."
[14] § 13 I BayVSO (GVBl 1983, 597, 603) lautet insgesamt: "1 Die Schule unterstützt die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder. 2 Schulgebet, Schulgottesdienst und Schulandacht sind Möglichkeiten dieser Unterstützung. 3 In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen. 4 Lehrer und Schüler sind verpflichtet, die religiösen Empfindungen aller zu achten."
[15] Die riesige Literatur zum "Staatskirchenrecht", wie man statt zutreffender "Religions(verfassungs)recht" meist immer noch sagt, kann man grob in zwei Lager teilen: Zum einen das der ganz h.L. mit ihren bekannten Wortführern (vgl. HdbStKirchR, 2 Bde, 2.A. 1994, 1995; HStR VI, 1989; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3.A. 1996), das die Staat und Religion verbindenden Elemente des GG in den Vordergrund stellt und von einem System der Kooperation mit kirchenvertraglichen Bindungen spricht; zum anderen das als Minderheit in der Geschichte der Bundesrepublik stets präsente, aber gern durch Entstellungen diffamierte Lager derer, die das normtextlich vielfach belegbare Prinzip der grundsätzlichen Trennung von Staat und Religion und der formal-strengen Gleichberechtigung religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen stets im Auge behalten und daraus auch - keineswegs (!) "laizistisch" und religionsfeindlich - Konsequenzen ziehen. Letzteres im Gegensatz zu der insoweit nur sehr zögerlichen h.M. Zur diesbezüglichen Aussagekraft des GG noch heute vorbildlich H. Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, 1970, 65 ff. und K. Obermayer, Kommentierung zu Art. 140 GG, in: Bonner Kommentar (Bearb. 1971); vornehm-engagiert der gern interessenpolitisch verfälschte E. Fischer, vor allem in: Trennung von Staat und Kirche, 3.A.1984, und ders., Volkskirche ade!, 1993. Heute bemühen sich um Normtextnähe auch in der Konsequenz G. Czermak, Staat und Weltanschauung, 1993, 252-354 (Überblicksabhandlung mit gelegentlichen Schärfen; ebenda S. 19-247 Bibliographie) und ders., Recht und Politik 1994, 31 ff.; M. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz, 1993; Hauptvertreter: L. Renck mit ausgeprägt scharfer Begrifflichkeit in überaus zahlreichen Aufsätzen.
[16] So aber bedauerlicherweise etwa Ch. Link, NJW 1995,3353,3357; J. Müller-Volbehr sieht in JZ 1995, 996,1000 einen"strenge(n) Laizismus, zu dem sich das BVerfG bekennt", was L. Renck, ZRP 1996, 16,17 als "Akt perfider Verächtlichmachung" charakterisiert. - Bemerkenswert deutlich ist Th. Würtenberger, in: Der Verwaltungsstaat im Wandel, FS für Franz Knöpfle, 1996, 397,408, der in der Konsequenz des Kruzifix-Beschlusses eine Verbannung des Religiösen nicht nur aus der Schule, sondern aus dem öffentlichen Leben überhaupt befürchtet. Hierzu benennt er Befürworter der Entsch., die angeblich einen laizistischen Unterricht "völlig frei von ethischer und weltanschaulicher Vermittlung" fordern. Persönlich angesprochen, kann der Verfasser dieser Anmerkung W. versichern, daß keiner der drei genannten Autoren jemals etwas so Unsinniges gefordert hat, und zwar insb. nicht in den genannten Fundstellen. - Vielfach wird das Gespenst des Laizismus und einer religionsfreien Schule zumindest beschworen, ohne es deutlich und direkt mit dem BVerfG zu personalisieren, so etwa M.-E. Geis, RdJB 1995, 373,384. Hans Maier's Kampf gegen die angeblich "laizistische Sicht" des Gerichts gipfelt in dem Satz: "Es wäre geschichtsblind und despotisch, die Spuren des Christentums in unserem Land verdrängen oder tilgen zu wollen." (so in: Kirche und Gesellschaft, Sonderheft "Schule ohne Kreuz?", 1995, 9,11)
[17] So die Redewendung von Kardinal Wetter, teilweise in etwas abgemilderter Form.
[18] BVerfGE 19, 206,216 = NJW 1966, 147; s. auch E 12, 1,4; 18, 385,386
[19] M. Heckel spricht im HdbStKirchR Bd.1, 2.A.1994, 605 richtig von einem System der "prinzipiellen Statusgleichheit" aller religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen.
[20] M. Heckel, DVBl 1996, 453, 472
[21] M. Brenner ThürVBl 1996, 145, 152; W. Eberl, BayVBl 1996, 107; H. Menzel, ein südbayerischer Amtsgerichtsdirektor, hält in NJW 1995, H.43, XVIII (Leserbrief) die "gewollte christlich-abendländische Prägung unseres Landes" und das oberste Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" für rechtserheblich bei der Beurteilung der Frage der Grundrechtsverletzung. Th. Würtenberger beschwört a.a.O. (Fn 16) 404 ff. die schulische "Vermittlung jener ethischen und weltanschaulichen Prinzipien, die sich in einem Kulturkreis durchgesetzt haben und Grundlagen des Denkens und Handelns sind", und benennt hierzu ausdrücklich die "Grundwerte des christlichen Abendlandes", die "christliche Ethik" und "christliche Nächstenliebe". Er ist der Auffassung, wenn "das Christentum in der Schule Kultur und Bildung prägt", so sei das - angeblich laut BVerfGE 41, 29,51 - mit dem Neutralitätsprinzip vereinbar.-- S. zum Ganzen auch Fn 10.
[22] Dabei war diese unhaltbare Position vor Jahrzehnten nahezu allgemein aufgegeben worden, vgl. statt aller ausf. K. Obermayer, BK, Rn 74 zu Art. 140 GG (1971); Chr. Starck in: v. Mangoldt/ Klein, 3.A., Rn 25 zur Präambel (1985); aus der neuesten Lit.: H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd.1 (1996), Rn 14 zur Präambel; Jarass/ Pieroth, GG, 3.A.1995, Rn 4 zur Präambel; P. Huber, in: M. Sachs, GG (1996), Rn 35 ff. zur Präambel; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG, 8.A.1995, Rn 2 zur Präambel. Rechtsvergleichend hierzu P. Häberle, FS für Wolfgang Zeidler, Bd.1, 1987, 3 ff. Überzeugend gegen Zurückwendungen in der Präambelfrage ausf. M. H. Müller, ThürVBl 1994, 176 ff. m.w.N.--- Demgegenüber vertritt neuerdings selbst K.-H. Kästner, der ansonsten die Säkularität des Staats deutlich und konkret betont hat, so insb. in ZevKR 34 (1989), 260 ff., überraschend die Auffassung, das - auf derselben Ebene liegende - Erziehungsziel "Ehrfurcht vor Gott" (Art. 131 II BayVerf) habe erhebliche rechtliche Bedeutung. Wörtlich in ZevKR 41 (1996), 241,249: Dieses Gebot "hebt auf eine gezielte erzieherische Einflußnahme ab, die auch durch die Ausgestaltung der Schulräume mit religiösen Symbolen intendiert werden kann". Der BayVerfGH hatte in seiner äußerst widersprüchlichen einschlägigen Entscheidung vom 2.5.1988, NJW 1988, 3141 immerhin gemeint, für Dissidenten sei dieses Erziehungsziel nicht verbindlich. (Speziell zu dieser Entsch. krit. H.-M. Pawlowski, NJW 1989, 2240 und L. Renck, NJW 1989, 2442).
[23] a.a.O. 12 und 14
[24] So insbes. J. Isensee, ZRP 1996, 10,11 ff. und M. Jestaedt, JRP 1995, 237,251 ff.
[25] soweit es nicht einfach vollkommene Gleichgültigkeit oder simpler Opportunismus sind
[26] z.B. BVerfGE 24, 236, 246; E 44, 37, 49 f.; 83, 341, 354 ff.; aus der Lit.: P. Lerche, HStR V (1992), § 121, Rn 11 ff.; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd.1 (1996), Rn 78.f., Vorb.; umfassend M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht III/ 2 (1994), § 77 unter dem Begriff "Schutzgegenstand" zur allgemeinen Problematik und speziell zur Religionsfreiheit besonders instruktiv J. Müller-Volbehr, DÖV 1995, 301 ff. -- H. Alberts kritisiert im Zusammenhang mit den neuen religiösen Bewegungen in NVwZ 1992, 1164 zu Recht neutralitätswidrige Bestrebungen, speziell bei verschiedenen "Sekten" nicht nur die Einschränkbarkeit des Art. 4 GG großzügig zu handhaben, sondern solche Gemeinschaften sogar aus dem Grundrechtstatbestand herausfallen zu lassen. Alberts begrüßt daher die insoweit in BVerwG NJW 1992, 2496 (U.v. 27.3.1992) vorgenommenen Korrekturen
[27] M. Heckel, DVBl 1996, 453,474 f. (ausf.);
[28] H.-J. Vogel, s. Fn 7 unter d)
[29] FR v.19.8.1995.
[30] J. Isensee, ZRP 1996, 10, Fn 1 mit R. Köcher, FAZ v. 25.10.1995
[31] S. zu den religiösen Orientierungen in der Lebenswelt der Bundesrepublik K.-F. Daiber, Religion unter den Bedingungen der Moderne, 1995, 41-63, insb. Tab. 10 "Gottesglauben und Lebenssinn", S. 47
[32] Eigenartigerweise sehen das viele Interpreten, auch manche Juristen, nicht. Der nur teilweise zu Recht gescholtene Leitsatz 1 (es hätte zur mitgemeinten objektivrechtlichen Bedeutung des Art. 4 GG auch das Neutralitätsprinzip genannt werden sollen) spricht richtig und begriffsneutral vom "Anbringen von Kruzifixen". Die Irritationen gehen auf den durch die Maßlosigkeit der Kritik aufgeschreckten Senatsvorsitzenden Henschel zurück, demzufolge nur die staatliche Anordnung gemeint war. Während Henschel wohl, dem Duktus der Entscheidungsgründe entsprechend, das Gewicht auf die Staatlichkeit (im Gegensatz zur Privatheit) legen wollte, wurde vielfach auf den Begriff der Anordnung abgestellt, den man dann auch noch besonders förmlich auffaßte. Dem entspricht die eigentümliche Erfahrung des verwaltungsrechtlichen Praktikers, daß Laien nicht selten wesentlich formalistischer argumentieren als Juristen, wenn es ihren Vorstellungen nutzt.
[33] vgl. medizinhistorisch zum Zusammenhang Medizin / Kirche im MA P. Bochnik, Die mächtigen Diener, 1985
[34] s. hierzu das unübertroffene Monument von F. Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, 1920-1923, Neuausg. 1989 in 4 Bd. (Eichborn)
[35] Vgl. zum Gesamtthema beispielhaft den umf. Sammelband Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums, Hrsg. W. Schluchter, 1988 = stw 730
[36] E.-W. Böckenförde, Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, 1967
[37] S. zur traurigen Geschichte der Erniedrigung des Tieres etwa W.-R. Schmidt, Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Islam, GTB, 1996,
[38] S. statt aller die historischen Gesamtdarstellungen bis zur Gegenwart von F. Heer, Gottes Erste Liebe, 1967 bzw. 1986; Kirche und Synagoge, 2 Bde, 1968 dtv-Nachdruck 1988; neuestens G. Czermak, Christen gegen Juden, als rororo-TB 1997 (aktualisierte Ausg.; insb. auch zu den Versuchen der Aufarbeitung nach 1945; Bibl.)
[39] Vgl. z.B. den eindrucksvollen bebilderten Band des Leipziger Mediävisten M. Erbstösser, Ketzer im Mittelalter, 1984; welthistorisch am bemerkenswertesten wohl die Katharervernichtung im 13. Jh., s. dazu statt aller konzentriert L. Baier, Die große Ketzerei, 1984
[40] E. Drewermann, Der Krieg und das Christentum, 1982; als TB 1991 unter dem Titel "Die Spirale der Angst", Herder-Spektrum
[41] statt aller nach wie vor H. Ch. Lea, Geschichte der Inquisition im Mittelalter, 3 Bde, 1987 (ND der dt. Erstausg. 1905 ff.) und ders., Geschichte der spanischen Inquisition, 3 Bde, 1988
[42] Jahrhundertelang war das Kreuz die selbstverständliche Konsequenz des kirchlich dominierten öffentlichen Schulwesens, in Bayern (und anderswo) mit geistlicher Schulaufsicht bis 1918. Diese war von der bayerischen Volksschullehrerschaft jahrzehntelang heftig bekämpft worden. S. zur Geschichte des deutschen öffentlichen Volksschulwesens seit dem 19. Jh. Th. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, 41-51; 43-46 zur Mitwirkung der Kirchen.
[43] P. Badura z.B. gibt in seinem Gutachten für die bayer. Staatsregierung, BayVBl 1996, 33 ff., 71 ff., dem ganzen Abschnitt III 3, S. 74 die Überschrift: "Das Kreuz als Symbol des Christentums".
[44] G. zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vom 23.12.1995, GVBl 850; in Kraft seit 1.1.1996
[45] s. die ausf. Plenarprotokolle 13/30 S. 2099 ff. vom 26.10.1995 und 13/36 S. 2503 ff. vom 13.12.1995
[46] Landtagsdrucksache 13/2947 vom 24.10.1995
[47] so Helmut Simon, seinerzeit beteiligter Richter, auf einer Tagung der Ev. Ak. Bad Boll am 6.10.1996
[48] Insb. M. Heckel, DVBl 1996, 453, 464 ff., der eingehend den profanen Charakter des Schulkreuzes unter Anwendung verfassungskonformer Auslegung darzutun versucht, dabei auch die bayerischen Realitäten (s. insb. G. Czermak, KJ 1992, 46 ff.) völlig verkennend.
[49] So aber M. Heckel, wenn er in DVBl 1996, 453, 467 schreibt, das Kreuz im Schulraum wie Gerichtssaal als Symbol säkularer Staatsorgane ziele keineswegs auf Missionierung, was sich "klar aus der Geschichte, aus dem systematischen Zusammenhang und aus dem Telos der einschlägigen Verfassungs- und Gesetzesnormen" ergebe. Diese, nämlich Art. 4, 3 III, 7 III, 33 III GG und 137 I und III WRV, schlössen, "für jedermann evident und jedermann bewußt - jeden Religionszwang" aus, auch auf Religionslose. Daher, so S. 468, hätte das Kreuz verfassungskonform als säkular gedeutet werden müssen (Ähnl. auch etwa M.-E. Geis, RdJB 1995, 373, 386 und besonders ausf. M. Jestaedt, JRP 1995, 237, 245 ff.). Dabei ist sich Heckel bewußt: Religiös-weltanschauliche Neutralität setzt voraus, "daß die Staatsverwaltung in ihrer Organisation, Personalstruktur und Amtsfunktion konfessionell neutral i.S. der Unabhängigkeit vom Bekenntnis ausgestattet ist und so die religiös-weltanschaulichen Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsgruppen unparteiisch und vorurteilslos nach deren eigenem Selbstverständnis berücksichtigen kann", so a.a.O. S. 473, Fn 92. Darüber kann man als aufmerksamer Bayer günstigstenfalls milde lächeln. S. hierzu G. Czermak, KJ 1992, 46 ff.
[50] Hiergegen spricht allerdings der Gesamtzusammenhang des § 13 I 3 BayVSO a.F. und das gesamte Umfeld.
[51] St. Muckel, KuR 1996, 65, 77 = Nr. 110, S. 21, 33
[52] D. Heckmann, JZ 1996, 880; hierauf fußen die folgenden Ausführungen.
[53] B. Grom, Religionspsychologie, 1992, 255 ff.; J. Fenchel, Negative Informationsfreiheit - Schutz vor Information, 1996, 92 ff., jeweils m.w.N.
[54] Die juristischen Fragen des Kruzifix-Beschlusses standen bei Heckmann a.a.O. 888 f. allerdings ersichtlich nur am Rande seines Interesses und weisen, im Gegensatz zur allgemeinen Symbolproblematik und zum Modell des Konfrontationsschutzes, Widersprüche auf.
[55] a.a.O. 883
[56] P. Steinacker, Zeitschr. für Ev. Ethik 1997, 7,17
[57] Die religiös und machtpolitisch aufgeladene Heftigkeit der Reaktionen ist offenkundig. Dies und die großflächige Steuerung der Protestlawine dokumentiert akribisch R. Lamprecht, Zur Demontage des Bundesverfassungsgerichts, 1996, 39 ff. und 77 ff. Zur Großdemonstration vom 23.9.1995 schreibt Lamprecht a.a.O. 78 f. nebst zahlreichen Details: "Die Kundgebung hatte, kaum verschleiert, bedrohlichen Charakter. Da kam alles zusammen: der leidenschaftliche Aufruf, die generalstabsmäßige Organisation, vor allem aber die Prominenz aus Kirche und Politik, die hinter allem stand. Kein Zweifel: Allein die Zusammenballung von Macht und Einfluß sollte die obersten Richter das Fürchten lehren. Die Demonstration wirkte wie ein Generalstreik des 'hohen C' und lief im Endeffekt darauf hinaus, das Verfassungsgefüge zu verändern - und damit die Republik."
[58] Der Senat verweist hierzu auf seine Schulgebetsentscheidung BVerfGE 52, 223,249
[59] C II 3 der Gründe vor a)
[60] Daß im Fall Seler eine erhebliche Beeinträchtigung vorlag, ergibt sich ohne weiteres aus der schlimmen Entstehungsgeschichte des Falles (Polizeimaßnahmen, Versuch der behördlich veranlaßten Zwangspsychiatrisierung des Vaters, Androhung des Entzugs des Sorgerechts für die drei Kinder), die leider selbst im Tatbestand des Beschlusses vom 16.5.1995 kaum angedeutet wurde. Vgl. hierzu meine Hinweise in NJW 1995, 3348,3349 und die Dokumentation in: Ketzerbriefe H. 15/16 (1989), 54-65 und H. 21 (1990), 53-58, Ahriman-Verlag. -- Nebenbei sei angemerkt, daß das Kreuzsymbol in der Anthroposophie im Gegensatz zu Erklärungen offizieller Vertreter der Anthroposophen zum Kruzifix-Beschluß sehr wohl umstritten ist. In Waldorfschulen hängen keine Kreuze. P. Steinacker spricht in ZEE 1997, 7,18 mit Fn 53 vom "faulen Zauber" einer "angeblich christlichen Anthroposophie", s. ausf. A. Binder, Wie christlich ist die Anthroposophie? 1989
[61] J. Listl, in: HdbStKirchR I, 2.A. 1994, 455; Hervorh. von mir. Leider zog Listl daraus nicht die Konsequenzen für den "Fall Seler" in seinem Gutachten für das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, das dem BVerfG vorgelegt wurde, jetzt abgedruckt in: J. Listl, Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, Bd.1 S. 158 ff.
[62] A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2.A. 1983, S. 59 und HdbStKirchR I , 2.A.1994, 78.
[63] A.v. Campenhausen, HStR VI (1989), § 136 Rn 41; auch v. Campenhausen hielt sich in seinem für das Kruzifix-Verfahren vor dem BVerfG verfaßten Gutachten nicht an seine eigene Erkenntnis; abgedr. in: B. Streithofen, Das Kruzifix-Urteil, 135 ff.
[64] Wie hier zum Verbot auch mittelbarer staatlicher Beeinflussung in Sachen Religion R. Herzog in Maunz/ Dürig, Art. 4 GG Rn 70; K. Hesse, ZevKR 1980, 239/ 242 mit Bezugnahme auf Anschütz; Jarass/ Pieroth, GG, 3.A.1995, Rn 7 zu Art. 4; J. Kokott in: Sachs, GG, 1996, Rn 23 zu Art. 4 (freilich später inkonsequent im konkreten Fall); G. Manssen, Staatsrecht I, 1995, Rn 307; P. Mikat in: HdbVerfR, 2.A.1994, § 29 Rn 16; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd.1 (1996), Rn 84 ff. zu Art. 4 GG; v. Münch/ Kunig, GG, 4.A. 1992, Art. 4 Rn 21; Pieroth/ Schlink, Staatsrecht II, 11.A. 1995, Rn 580 und andere. Pauschal verwiesen sei auf die umfangreiche Diskussion zu den mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen durch hoheitliche Information, zuletzt U. Di Fabio, JuS 1997, 1 ff.
[65] H. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beinflussung, Berlin 1968
[66] Ekk. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied/ Berlin 1967
[67] BVerfGE 41,29 = NJW 1976,947
[68] BVerwG NVwZ 1988, 937 zu BayVGH NVwZ 1986, 405; vgl. auch OVG Hamburg NVwZ 1986, 406 (Bhagwan-Fälle)
[69] BVerfG NVwZ 1990, 54 und BVerwGE 79, 298 = NVwZ 1988, 928
[70] BVerwGE 84, 292 = NJW 1990, 2265
[71] S. schon meine Kritik in NJW 1995, 3348,3350 f. Vgl. das positive Beispiel der begrifflich und thematisch überzeugenden Verteidigung des BVerfG von J. Rozek, BayVBl 1996, 22 ff.
[72] Bei der Meinungserforschung (im Gegensatz zur Erhebung spontaner Stimmung) müßte redlicherweise eine korrekte Aufklärung über Grundtatsachen vorausgesetzt werden können. Anonymität und wissenschaftlich korrekt differenzierte Fragestellung müßten gewährleistet sein.
[73] Sehr klar hat L. Renck, ZRP 1996, 205, die Problemstruktur herausgearbeitet. S. denselben auch zum taktischen Gebrauch dieser Rechtsfigur in NVwZ 1994, 544 und ausf. E. Fischer, Volkskirche ade!, 1993, 65 ff. (auch zur Entstehungsgeschichte); tiefschürfend J. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993. --- Der grundrechtsdogmatische Fehlgriff sollte nunmehr endgültig ad acta gelegt werden.
[74] G. Czermak, NJW 1995, 3348,3351 f.; F.E. Schnapp, JZ 1985, 857; wichtig J. Neumann/ M. Fischer (Hrsg.), Toleranz und Repression, 1987 (zur Lage religiöser Minderheiten: historisch, vor allem aktuell und vergleichend; darin: J. Neumann: Toleranz als grundlegendes Verfassungsprinzip, 71 ff.); H. Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, 1977.
[75] Vgl. die krit. Beurteilung durch L. Renck, ZRP 1996, 16,19: Wer das Schulkreuz mit dem Schultypus begründe, habe die Entscheidung von 1975 "nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden".
[76] Besonders scharf z.B. M. Heckel, DVBl 1996, 453, 458 f. und M.-E. Geis, RdJB 1995, 373,385 f.; vgl. auch M. Brenner, ThürVBl 1996, 145,151 f. (unter weitgehender Verdrehung der Rspr. des BVerfG); M.-E. Geis und Th. Würtenberger in diesem Band. -- In gemäßigter Form H.U. Anke/ T. Severitt, VR 1996, 37,38; A.v. Campenhausen, AöR 1996, 448,452; A. Hollerbach, HK 1995, 536,536; F. Hufen, JuS 1996, 258,259; J. Isensee, ZRP 1996, 10,14; M. Jestaedt, JRP 1995, 237,255 ff.; K.-H. Kästner, ZevKR 1996, 241,246 f.; P. Lerche, in: Kirche und Gesellschaft, Sonderheft Schule ohne Kreuz? Köln 1995, 16,19; Ch. Link, NJW 1995, 3353,3356; J. Müller-Volbehr, JZ 1995, 996,999; D. Pirson, BayVBl 1995, 755,758
[77] BVerfGE 34, 165,181 = NJW 1973, 133;
[78] BverfGE 34, 165,182; E 47, 46,71 f. = NJW 1978,807
[79] soweit das mit dem Veranstaltungszweck vereinbar ist. Siehe im übrigen BVerfGE 41, 29,49 = NJW 1976,947 (Christl. Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung) und E 52, 223,240 f. = NJW 1980, 575 (Schulgebet)
[80] So BVerfGE 28, 243, 260 f. = NJW 1970, 1729 (zu Art. 4 III GG; Hervorh. von mir); E 30, 173, 193 (Mephisto); E 32, 98,108 (Glaubensfreiheit); vgl. zur Glaubensfreiheit auch etwa E 33, 23,32; E 44, 37,50; E 52, 223,246
[81] Besonders eingehend M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (1994) S. 513 ff. und insb. 551 ff.; aus der übrigen Lit.: A. v. Campenhausen, HStR VI (1989), § 136 Rn 81; Fehlau, JuS 1993, 441,442; Müller-Volbehr, DÖV 1995, 301,306 f. (jeweils zur Religionsfreiheit); Jarass/ Pieroth, GG, 3.A.1995, Rn 37 f. vor Art. 1.
[82] so dezidiert M. Heckel, DVBl 1996, 453,459; J. Isensee, ZRP 1996, 10,14 und J.-D. Kühne, NWVBl 1991, 253,256; eigenartig auch J. Müller-Volbehr, JZ 1995, 996,997: Landesverfassungsrecht als "selbstverständliche" immanente Schranke der "negativen Religionsfreiheit". S. auch Th. Würtenberger in diesem Band.
[83] Besonders eindeutig H. Heckel, DÖV 1953, 593,495 f.: Art. 7 V habe Spezialcharakter im Verhältnis zu den Grundrechten; s. im übrigen die umf. Nachweise bei G. Czermak, Schule und Weltanschauungsfreiheit, Diss. Würzburg 1972, insb. 64 ff.
[84] Th. Ellwein, Klerikalismus in der deutschen Politik, 1955; H. Simon, Katholisierung des Rechtes? 1962
[85] BVerfGE 19, 206,216
[86] BayVerfGH 20, 36 = BayVBl 1967, 201; anders freilich noch im selben Jahr BayVerfGH 20, 125,133 f.: keine Glaubensfreiheit nür Nichtchristen
[87] BVerfGE 52, 223,238
[88] BVerfGE 41, 65,84; M. Jestaedt, in: HdbStKirchR II, 2.A. 1995, 412
[89] Jestaedt a.a.O. 412
[90] Jestaedt a.a.O. 385 m.z.N.
[91] Der Staat muß z.B. in weltanschaulich offener und gemäßigt-vorsichtiger Weise auch dann Sexualerziehung betreiben dürfen, wenn das bestimmte religiöse Richtungen generell ablehnen, s. BVerfGE 47, 46,65 ff.
[92] B. Pieroth, DVBl 1994, 949,956
[93] S. insb. L. Renck, ZRP 1996, 16,18 f.; wie hier auch R. Gröschner, in: H. Dreier, Hrsg., GG, 1996, Fn 31 zu Art. 7; eindringlich und noch heute sehr hilfreich zur Gesamtproblematik des Verhältnisses von staatlicher und elterlicher Erziehung F. Ossenbühl, DÖV 1977, 801: Den Eltern müsse die Kompetenz erhalten bleiben, die Grundrichtung der Erziehung zu bestimmen. Trotz des Förderstufen-Urteils BVerfGE 34, 165,183 gelte, bei Lichte besehen, der Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts.
[94] J. Rozek, BayVBl 1996, 22,24
[95] G. Czermak, NJW 1995, 3348,3350 ff.
[96] Schon in Der Staat 8 (1969), 493,506 f. hat H. Weber, scharfsichtiger als das BVerfG 1975, darauf hingewiesen, daß es in der allgemeinen Schule im säkularen Staat nicht angeht, diese als "christlich" zu bezeichnen und so einer Weltanschauung, und sei es nur rein formal, den Vorrang einzuräumen. Bei dieser zutreffenden Auffassung hätte das BVerfG konsequenterweise Art. 135 BayVerf für nichtig erklären müssen; ein Problem mit dem Kreuzsymbol hätte es dann nicht geben können.
[97] BVerfGE 41, 65
[98] Entstehung und Wortlaut des Art. 135 BayVerf i.d.F. von 1968 ließen m.E. eine verfassungskonforme Auslegung nicht mehr zu, so auch K. Obermayer, Staat und Religion, 1977, 15. f., E. Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 3.a. 1984, 278; L. Renck, ZRP 1996, 16,20 spricht von einem "nicht ganz ehrlichen favor legis".
[99] G. Czermak, KJ 1992, 46 ff. und L. Renck, NVwZ 1991, 116 ff. sowie ders. KJ 1994, 488 ff.
[100] BayGVBl 1995, 850; in Kraft ab 1.1.1996
[101] zu beidem näher G. Czermak, Betrifft Justiz 1997, 15,18-20 (im Rahmen einer Zwischenbilanz um das Kreuz im Klassenzimmer mit Aufweis ernstzunehmender Gefährdungen des Rechtsstaats)
[102] zur rechtsphilosophischen Problematik "Weltanschauung und Rechtsgestaltung" statt aller R. Zippelius, JuS 1993, 889
[103] L. Renck, ZRP 1996, 16,19
[104] Gerade hierzu hat J. Isensee, rigider Gegner des Kruzifix-Beschlusses, eindrucksvoll wesentliche Aspekte der Catholica kritisch beleuchtet: in ZRG can. Abt. 73 (1987), 296 ff. und in Für Staat und Recht, FS für Herbert Schambeck, 1994, 213 ff.
[105] Eine Auseinandersetzung mit den anderen Beiträgen der anregenden Tagung ist leider nicht möglich. Hingewiesen sei nur darauf, daß der Jurist auf außerrechtliche Tatbestände und Überlegungen nur zurückgreifen darf, wenn das Recht ihm dazu gewissermaßen ein Verbindungsscharnier zur Verfügung stellt in Form von - systemgebundenen - unbestimmten Rechtsbegriffen. Zivilreligion (s. H. Lübbe in diesem Band), ein intellektuelles Konstrukt, in das Regime des GG einzubinden, halte ich wegen der - jenseits der Verfassungsessentialia - ideologisch neutralen Konzeption des GG nicht für zulässig. Das wäre auch nicht wünschenswert (sehr klar der Sozialphilosoph H. Scheit, Warum es für die Bürger einer Demokratie prekär wird, wenn Religion demokratische Politik fundieren soll, in: W. Sparn [Hrsg.], Wieviel Religion braucht der deutsche Staat?, 1992, 141 ff.; ebenda kritisch zur "Marktlücke Zivilreligion" aus prot. Sicht R. Schieder, 81 ff.) und widerspräche überdies wohl auch den deutschen religionssoziologischen Verhältnissen. --- Der Beitrag von Th. Würtenberger scheint mir auf einer Staatsphilosophie zu beruhen, die in Teilaspekten nicht mit der des GG zu vereinbaren ist. Für interessant halte ich, daß W. Brugger trotz seines moderaten Konzepts eines (bisher wohl nicht verbreiteten) besonders liberalen Kommunitarismus zwar im Ergebnis zur Zulässigkeit von Schulkreuzen gelangt, aber aufgrund von ausdrücklich genannten Prämissen, die aber für Bayern gerade nicht zutreffen, s. die Nachw. in Fn 99.