Einrede der Verjährung - Rechtsmissbrauch durch die Kirche?

Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger legt der Kölner Jura-Professor Markus Ogorek am 16.07.2023 mit guten Argumenten dar, dass eine etwaige seitens eines beklagten Erzbistums erhobene Einrede der Verjährung in einem Amtshaftungsprozess eines Missbrauchsopfers wahrscheinlich als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

Anlass des Interviews ist ein weiterer Großschadensprozess gegen das Erzbistum Köln, in der das Gericht über die Klage einer Frau befinden muss, die jahrelang von einem Ex-Priester schwer sexuell missbraucht und der bei ihr unter dem Vorwand einer gynäkologischen Untersuchung heimlich ein Schwangerschaftsabbruch von einem Frauenarzt vornehmen ließ.

Der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 850.000,00 Euro ist ebenso wie es der von Georg Menne, der jüngst in einem Signalurteil vom Landgericht Köln 300.000,00 Euro für über 300 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs zugesprochen bekommen hat, nämlich verjährt.

Ogorek führt zunächst aus, dass die Einrede der Verjährung erst einmal erhoben werden müsse und verweist darauf, dass Kardinal Rainer Woelki darauf im Fall Menne verzichtet habe.

Der Kölner Jurist entfaltet danach, unter welchen Umständen die Einrede der Verjährung ausnahmsweise gegen "Treu und Glauben" verstoße. Das wäre dann der Fall, wenn zwischen Gläubiger und Schuldner ein Näheverhältnis, ein besonderes Vertrauensverhältnis oder eine Abhängigkeit bestünde. Ein solches Näheverhältnis sieht Ogorek im Ansatz auch zwischen Kirche und Gläubigen. So verlange das Kirchenrecht Gehorsam vom Gläubigen, mithin ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Eltern und Kindern. Einen Rechtsmissbrauch erblickt er jedenfalls dann, wenn das Missbrauchsopfer durch Vertuschung, Aktenvernichtung oder durch "psychischen Druck mittels einer religiösen Drohkulisse", daran gehindert werde, seine Ansprüche klageweise geltend zu machen.

Hierauf haben auch bereits Gerecke/Roßmüller im letzten Jahr in einem Aufsatz in der NJW  hingewiesen. Sie sind der Ansicht, dass sich eine Treuwidrigkeit insbesondere dann annehmen ließe, wenn das Bistum Missbrauchstaten vertuscht oder verschleiert habe und wenn dem kindlichen Opfer gegenüber – wie teils geschehen – eine "religiöse Drohkulisse" aufgebaut worden sei (etwa die Drohung des Täters oder des Bischofs: "Wenn Du etwas sagst, kommst Du in die Hölle!").

Zu Recht konstatiert Ogorek unter Verweis auf die "flächendeckende und systematische Vertuschung", sinngemäß dass zwar ein solcher Rechtsmissbrauch im Einzelfall nachgewiesen werden müsse, allerdings läge es hier an der Kirche diese Vermutung zu widerlegen. Aufgrund des Machtgefälles zwischen Missbrauchsopfer und Kirche sieht er die Beweislastumkehr auch als gerechtfertigt an.

Wie bereits unser ifw-Direktor Jörg Scheinfeld legt Ogorek der Kirche nahe, auf die Erhebung der Einrede zu verzichten, "weil sie sich mit ihrem Handeln ansonsten in einen eklatanten Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis" bringen würde. Scheinfeld führte im Frühjahr 2022 dazu aus:

"Die Kirche würde sich selbstwidersprüchlich verhalten, wenn sie diesen Missbrauchsopfern die Not­wen­digkeit der Leidanerkennung und des Leidausgleichs im Anerken­nungs­verfahren bestätigt, dann aber die Realisierung des bestehenden Rechts­anspruchs auf vollen Schadensaus­gleich vereitelt und den angemesseneren Leidausgleich verweigert. Dies würde die eignen Anerkennungs- und Aufarbeitungsbemühungen konterkarieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kirche diesen Weg geht, damit würde sie die Missbrauchsopfer zusätzlich schwer demütigen."

Gefragt danach, ob Kardinal Woelki mit dem freiwilligen Verzicht auf die Verjährungseinrede nicht kirchliches Vermögen in Gefahr bringen würde, verneinte das Ogorek und verwies auf die Reputationsschäden, die sich zum Beispiel in der hohen Zahl von Kirchenaustritten niederschlagen würden sowie auf den Glaubwürdigkeitsverlust.

Abschließend erläutert der Juraprofessor, warum die Kirche und nicht der Täter der richtige Anspruchsgegner ist und erklärt den Grundsatz der Amtshaftung, die nach herrschender Meinung in diesen Fällen greift.