Zusammenfassung des Aufsatzes von Gerecke/Roßmüller in NJW 2022, Heft 27: "Schadensersatzhaftung der katholischen Kirche in Missbrauchsfällen"
Aus der insoweit klaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich den Autoren unumwunden, dass die jeweilige kirchliche Anstellungskörperschaft des Täters in analoger Anwendung des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG dem Missbrauchsopfer für materielle und immaterielle Schäden dann haftet, wenn der Täter seine Missbrauchstat im Rahmen seiner kirchlichen Tätigkeit verübt hat. Darüber hinaus weisen sie sinngemäß darauf hin, dass dies vielen Opfern auch deshalb nicht bewusst sein dürfte, weil die katholische Kirche in ihrer Anerkennungsverordnung zur eigenen zivilrechtlichen Haftung schweigt. Daher sei es wichtig herauszustellen, dass in den Fällen, in denen der Priester sein Amt zur Tatbegehung ausgenutzt hat, die Kirche selbst und nach dem Grundsatz der Totalreparation grundsätzlich unbegrenzt hafte – und damit weit hinaus über den in Anerkennungsverfahren maximal gezahlten und zumeist nicht einmal erreichten Betrag von 50.000 Euro.
Problematisch sei, so die Autoren, dass viele Forderungen verjährt seien. In diesen Fällen stünde der Kirche zwar teils das Recht zu, die wegen des bestehenden Anspruchs weiterhin geschuldete Leistung zu verweigern. Diese Einrede der Verjährung müsste die Kirche allerdings aktiv geltend machen. Insoweit weisen die Autoren überzeugend darauf hin, dass der Verzicht auf die Verjährungseinrede sinnvoll erscheine zur Vermeidung weiterer Reputationsschäden sowie zur Vermeidung einer Kluft zwischen kirchlicher Lehre und kirchlichem Handeln. Sie betonen, dass im Jahr 2010 schon der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages auf die Möglichkeit hingewiesen hat, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Einen derartigen Verzicht legen sie den Bistümern nahe. Zu entscheiden über den Verzicht oder umgekehrt über das Ausüben des Leistungsverweigerungsrechts hätte für das jeweilige Bistum der leitende Bischof – dies in eigener Kompetenz und Verantwortung.
Diese von den Autoren genannten Gründen lassen erwarten, dass die Bistümer zu ihrer Verantwortung stehen und gerade nicht die Leistung aufgrund der Verjährung der Ansprüche verweigern werden. Immerhin hat der persönlich von einem Missbrauchsopfer verklagte ehemalige Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, Medienberichten zufolge mitgeteilt, keine Einrede der Verjährung zu erheben. Es wäre befremdlich, wenn ein solventes Bistum dies anders handhaben würde und – unter Berufung auf Verjährung – den Anspruch des Missbrauchsopfers zu erfüllen sich weigerte.
Die Autoren weisen ferner darauf hin, dass die Erhebung der Verjährungseinrede im Einzelfall treuwidrig sein kann (§ 242 BGB). Der dafür grundsätzlich strenge Maßstab sei abzumildern, weil die kirchliche Gemeinde ein Gefüge mit besonderer Treueprägung sei, was sich insbesondere aus dem Auftrag zur Seelsorge gegenüber den Gemeindemitgliedern ergebe. Unabhängig davon ließe sich eine Treuwidrigkeit insbesondere annehmen, wenn das Bistum Missbrauchstaten vertuscht oder verschleiert habe und wenn dem kindlichen Opfer gegenüber – wie teils geschehen – eine "religiöse Drohkulisse" aufgebaut worden sei (etwa die Drohung des Täters oder des Bischofs: "Wenn Du etwas sagst, kommst Du in die Hölle!").
Richtiger Beklagter ist vor dem entfalteten Hintergrund ausschließlich die kirchliche Institution, also die Anstellungskörperschaft des Sexualstraftäters oder des pflichtwidrig mitwirkenden kirchlichen Vorgesetzten. Dies ergibt sich aus dem rechtlichen Konstrukt der Amtshaftung des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG analog, wonach die Haftung des Amtswalters, der die Pflichtverletzung begangen hat (etwa als Priester das Opfer missbraucht hat), auf den Staat beziehungsweise die Kirche übergeleitet wird. Eine gesamtschuldnerische Haftung ist ausgeschlossen. Die Kirche selbst kann dann im Innenverhältnis bei dem pflichtverletzenden Amtswalter im Einzelfall Regress nehmen. Dem Missbrauchsopfer gegenüber jedoch haftet nur die Kirche. Die Autoren erläutern in dem Zusammenhang auch, dass eine Amtspflichtverletzung darin liegen kann, die mit der Seelsorge beauftragten Personen nicht sorgfältig ausgewählt und überwacht oder auf sie bezogene Gefahrsteuerungspflichten nicht erfüllt zu haben. Das wäre etwa der Fall, wenn bereits Missbrauchstaten der mit der Fürsorge betrauten Person bekannt waren, der Vorgesetzte aber keine entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen zur Vermeidung weiterer Missbrauchsfälle ergriffen und so seine Rechtspflicht verletzt hätte.