Lobbyismus, kirchlicher

1. Allgemeines

a) Der kirchliche Lobbyismus in der deutschen Politik und Gesellschaft hat Dimensionen, die man sich bis vor kurzem nicht recht vorstellen konnte. Natürlich wusste man, dass der Einfluss der großen Kirchen enorm ist. Jeder interessierte Bürger konnte mühelos feststellen, dass trotz des anhaltenden äußerlichen und innerlichen Schrumpfungsprozesses der Kirchen deren Einfluss ungeschmälert ist. Die Kirchensteuereinnahmen steigen derzeit sogar, das Sozialwesen wird in vielen Regionen durch kirchliche Einrichtungen dominiert, die Presse und allgemein die Medien gehen, soweit möglich, sehr pfleglich mit den Kirchen um, vor allem indem sie viele Informationen ignorieren oder an den Rand rücken. Trotz erheblicher gesellschaftlicher und rechtlicher Probleme und des starken Einflusses der problematischen orthodox-islamischen Verbände wird die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts stark gefördert, Kirchentage werden massiv mit allgemeinen Steuermitteln finanziert usw. Sogar die Justiz verhält sich in weltanschaulichen Fragen oft nicht neutral. Seit 2007 arbeitet sogar das BVerfG an seiner eigenen kirchlichen Beeinflussung im kirchlich getragenen Karlsruher Foyer mit. Die Mechanismen, die zu solchen Ergebnissen führen, waren bisher nur vage bekannt. Die Untersuchungsergebnisse von Carsten Frerk ermöglichen es seit 2015 einer breiteren Öffentlichkeit, sich einen genaueren Einblick in die politische Lobbyarbeit der Kirchen zu verschaffen. Die folgenden Ausführungen basieren in wesentlichen Teilen auf Frerks Untersuchung zur "Kirchenrepublik Deutschland".

b) Die noch näher darzustellende enge Verquickung von Staat, Politik und Kirchen ist erstaunlich für einen Staat, der nach seiner Verfassung mit Geltung für alle Bundesländer keinen religiösen Staatszweck hat (s. Leitprinzipien des Grundgesetzes). Sämtliche Rechtsnormen müssten daher insgesamt durch rein säkulare Argumente begründet werden können (Liberale Rechtstheorie). Das ist aber bei weitem nicht der Fall.

c) Politischer Lobbyismus an sich ist in Demokratien durchaus legitim. Er ermöglicht gesellschaftlichen Gruppierungen die sachkundige Geltendmachung unterschiedlicher Interessen, was einem allseits akzeptablen Interessenausgleich in Gesetzgebung und Verwaltung dienen kann. Die grundsätzliche Berechtigung von Lobbyismus gilt natürlich auch für die Kirchen, die in Deutschland (mit Abstrichen bei der katholischen Kirche) endlich im 20. Jh. zur Demokratie gefunden haben (Demokratie-Denkschrift des Rates der EKD 1985; 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution). Zu ergänzen ist, dass die Kirchen intern Menschenrechte im Grundsatz nicht garantieren (näher unter Grundrechte in der Kirche).

2. Entwicklung seit 1949

a) Grundlegende Strukturen des kirchlichen Einflusses wurden schon seit der Etablierung der Bundesrepublik 1949 geschaffen. Vor allem die katholische Kirche brachte 1948/49 gegenüber dem Parlamentarischen Rat ihre Interessen massiv zur Geltung (s. Grundgesetz, Entstehungsgeschichte). Schon zuvor hatten sich die Kirchen, trotz ihrer abgrundtiefen Verstrickung in die NS-Diktatur, bei den Besatzungsmächten als wichtiger Gesprächspartner etabliert. In der Adenauer-Ära und auch danach übten vor allem die katholischen Wahlhirtenbriefe massiven Einfluss zugunsten der C-Parteien aus. Das war zwar rechtlich zulässig (s. Öffentlichkeitsauftrag), aber nicht von demokratischer Gesinnung getragen.

b) Zentrale Instrumente des kirchlichen Lobbyismus sind die Kirchlichen Büros der Katholischen Kirche und der EKD. Von Anfang an hatten die großen Kirchen jederzeitigen Zugang zu den Regierungsspitzen und wichtigen Ministerialbeamten, ohne dass es dazu eine Rechtsgrundlage gab oder gibt. Die Kirchen und ihre Lobby sind, ohne Basis in der Rechtsordnung, in der parlamentarischen Demokratie eine Art Teil des Staats geworden, der geräuschlos arbeitet und erfolgreich bestrebt ist, mit staatlichen Amtsträgern auf Augenhöhe zu diskutieren. Die kirchliche Lobby arbeitet mit Juristen, die bei Gesetzentwürfen mitarbeiten, und mit Theologen, die auch Parlamentarier betreuen. Die kirchlichen "Büros" werden bereits im Entwurfsstadium von Gesetzen zu Konsultationen mit den Ministerien eingeladen und haben dort jederzeit Zugang. Entsprechende Arbeit leisten die Katholischen und Evangelischen Büros in den Hauptstädten der Bundesländer.

c) Für all das gibt es keine Rechtsgrundlagen. Das Evangelische Zentralarchiv Berlin enthält den Text eines einfachen Briefs des Bundeskanzlers Willy Brandt vom 13. 11. 1970 an seine Minister. Er schreibt darin, weil die Kirchen viel zur Lösung der Staat und Gesellschaft bedrängenden Fragen beizutragen hätten, sei es wichtig, "dass die Kirchen generell bei der Erarbeitung von Reformmaßnahmen durch die Bundesregierung zur Mitwirkung herangezogen werden, auch wenn sie nicht unmittelbar berührt sein sollten. Die Kirchen sollten bereits im Entstehungsstadium eines Gesetzentwurfs um ihre Stellungnahme gebeten werden."[1] Aber schon in der Adenauer-Ära waren beide Kirchen seit 1949 völlig in den Gesetzgebungsprozess integriert.[2] Und so blieb es bis heute. In den §§ 47 und 48 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, die die Bekanntgabe von Gesetzentwürfen an Verbände, Kommunen und andere Stellen betrifft, sind die Kirchen gar nicht erst aufgeführt. Sie wissen da schon längst alles.

d) Die geschilderte enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirchen verstößt, da ohne jegliche verfassungsrechtliche Legitimation, gegen das Gebot der Trennung von Staat und Religion und gegen die Rechtsgleichheit gegenüber den zahlreichen am Gesetzgebungsverfahren Interessierten. Sie stellt insbesondere eine Diskriminierung gegenüber anderen religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen dar und eine grobe Missachtung des Neutralitätsgebots (dazu § 10).

Literatur

C. Frerk, Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus, Aschaffenburg 2015 (dazu http://www.kirchenrepublik.de/ ). Darin 42-124 zu den kirchlichen Büros.

H. Kalinna, Handbuch des Staatskirchenrechts (HdbStKirchR) II, 2. A. 1995, 181 ff. (187 ff.) zu den EKD-Bevollmächtigten

L. Turowski, HdbStKirchR II, 2. A. 1995, 197 ff. zu den "Katholischen Büros" (zu diesen auch C. Frerk a.a.O.

 


[1] Evangelisches Zentralarchiv 87/691, wiedergegeben nach C. Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, 2015, 45 f.

[2] K. Buchna, ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik Deutschland während der 1950 er Jahre, Baden-Baden 2014.

© Gerhard Czermak / ifw (2018)