Säkularisation

I. Begriff

"Säkularigggsation" meint generell die (auch entschädigungslose) Einziehung kirchlichen Vermögens und Landbesitzes durch die weltliche Gewalt. Oft wird S. verwechselt mit Säkularisierung, d. h. dem emanzipatorischen Vorgang der Verweltlichung aller Lebensbereiche (Entsakralisierung; Entzauberung). Das Wort säkularisiert kann sich auf beide Tatbestände beziehen, was leicht zu Verwechslungen führt. Säkularisationen sind eine historisch alte Erscheinung. In der neueren Geschichte gab es zahlreiche S. in den protestantischen deutschen Ländern zur Reformationszeit und unter Österreichs Kaiser Joseph II. im Jahr 1782. Im Zuge der Französischen Revolution wurden 1789 alle Kirchengüter durch den Staat eingezogen und später öffentlich versteigert. In Italien wurde 1860/70 der Kirchenstaat säkularisiert. In einigen kommunistischen Staaten wurde nach 1917 beziehungsweise 1945 in großem Ausmaß Kirchengut enteignet (Russland, Tschechoslowakei).

II. Reichsdeputationshauptschluss 1803

Spricht man in Deutschland von S., so ist i. d. R. die umfassende Säkuggglarisation von 1803/1806 gemeint, die noch heute als eine zunehmend fragwürdige historische Legitimation für Staatsleistungen an die großen Kirchen herhalten muss. Im Frieden von Lunéville 1801 traten Kaiser und Reich das linke Rheinufer an Frankreich ab. Sie stimmten einer Entschädigung der durch diesen Gebietsverlust betroffenen weltlichen Fürsten im Reich selbst zu. Der Reichstag übertrug die Aufstellung des Entschädigungsplans einer Reichsdeputation, deren Entwurf 1803 im sog. Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) bestätigt wurde. Der RDHS verfügte die Aufhebung nahezu aller reichsunmittelbaren geistlichen Fürstentümer und zudem auch von weltlichen Reichsständen, die "mediatisiert", d. h. den Landesherren unterstellt wurden. Das war ein Akt der Verfassungsrevolution. Insgesamt wurden 112 rechtsrheinische Reichsstände aufgehoben. Dazu gehörten drei Kurfürstentümer, 19 Reichsbistümer und 44 Reichsabteien sowie 41 Reichsstädte. Ca. 10.000 km² geistlicher Herrschaften gingen als Annexion an weltliche Landesherren. Hinzu kam die Vermögens-Säkulagggrisation als Sonderform staatlicher Enteignung, von der ca. 300 Abteien, Stifte und Klöster betroffen waren. Hauptnutznießer der Säkulagggrisation waren Preußen, Baden, Württemberg und Bayern (fränkische und schwäbische Gebiete). Nach Abschluss aller Maßnahmen war die Zahl der ehemals über 1000 reichsunmittelbaren Territorien auf etwas über 30 Territorien reduziert. Der Untergang des "Römischen Reiches deutscher Nation" 1806 war eine notwendige Folge des RDHS.

III. Bleibende historische Bedeutung

Säkularisgggation und RDHS waren Voraussetzungen dafür, dass sich in Deutschland moderne, lebenskräftige Staaten bilden konnten. Schon zuvor hatte es eine umfangreiche publizistische Kritik an den Missständen in den weltweit ungewöhnlichen geistlichen Territorien und Staaten gegeben. Diese waren historisch ohnehin dem Untergang geweiht. Es entstanden gemischtkonfessionelle Staaten, die eine Fortentwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses erforderten. Das bisherige System des Westfälischen Friedens (Zulassung nur der Katholiken, Lutheraner und Reformierten als Religionsparteien) wurde allmählich geöffnet in Richtung der individuellen Religionsfreiheit. Aber auch für die besonders betroffene katholische Kirche brachte die Umwälzung langfristig durchaus erhebliche Vorteile. Zwar waren die kurzfristigen Folgen verheerend, die Klöster wurden flächendeckend aufgehoben. Der Fortfall der geistlichen Fürsten bedeutete aber eine Entfeudalisierung des hohen Klerus und war eine Basis für die innere Regeneration des deutschen Katholizismus. Umfangreiches Kirchengut wurde den Kirchen in späterer Zeit zurückgegeben (in Bayern: durch König Ludwig I.). Das örtliche Pfarrkirchenvermögen war den Kirchen ohnehin durch den RDHS garantiert. Neue vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten, auch in Form erheblicher staatlicher Zuwendungen, wurden geschaffen, die 1919 im Fall ihres erwiesenen rechtlichen Bestandes aufgrund Art. 138 I WRV anerkannt wurden. Gleichzeitig wurde aber zwingend gefordert, diese Staatsleistungen ein für allemal durch Geldleistung abzulösen. Stattdessen wurden sie in der Bundesrepublik bis zum heutigen Tag nicht nur fortgeführt, sondern durch vielfältige neue Subventionen, auch in den neuen Bundesländern, angereichert.

>> Geschichte der Religionsfreiheit; Säkularisierung; Staatsleistungen.

Literatur:

  • Blickle, Peter/Schlögl, Rudolf (Hg.): Die Säkulgggarisation im Prozess der Säkularigggsierung Europas, 2005, 576 S.
  • Hufeld, Ulrich (Hg.): Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Untergang des Alten Reiches. Köln, 2003, 144 S. (UTB).
  • Mückl, Stefan: Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, VBlBW 2003,144-153.
  • Neumann, Johannes: Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Voraussetzungen und Folgen. Referat, 2002 = www.humanistische-union.de/neumann.pdf ; mit zusätzlichen Anmerkungen in: 200 Jahre Säkgggularisation, humangggismus aktuell H. 12, 2003, S. 5-26. Hg. Humanistische Akademie Berlin.
  • Wende, Peter: Die geistlichen Staaten und ihre Auflösung im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. Lübeck u. Hamburg 1966.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)