Schächtverbot

I. Einführung

In Deutschland dürfen warmblütige Tiere grundsätzlich nur nach vorangegangener Betäubung geschlachtet werden. Ausnahmen gelten unter bestimmten Voraussetzungen für Notschlachtungen und aus religiösen Gründen (§ 4 a TierschutzG). Das im Judentum und Islam übliche Schächten ist demnach nur ausnahmsweise auf Grund staatlicher Genehmigung gestattet.

Das Schächten ist eine rituelle Schlachtmethode, die im Judentum durch einen ausgebildeten Schächter mit vorschriftsmäßigem Schächtmesser ausgeführt werden muss. Mit einem Halsschnitt werden Schlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt. Rasche Bewusstlosigkeit (teilweise streitig) des Schlachttieres und sein völliges Ausbluten ist damit gewährleistet, das Blutgenussverbot (1. Genesis 9,4) eingehalten. Im Islam beruht die rituelle Schlachtmethode auf dem Blutgenussverbot in Sure 2,167 f. Betroffen sind Rinder, Kälber und Schafe.

Ob Tötung durch Bolzenschuss wesentlich weniger schmerzhaft ist als Tötung durch fachgerechtes (!) Schächten, ist fachlich umstritten (so auch das BVerfG). Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Schächten gestattet werden soll, hat die Gemüter hierzulande stark erhitzt. Der Tierschutzgedanke einerseits und die religiöse Begründung des Schächtens andererseits, jeweils emotionsgeladene Bereiche, prallen aufeinander. Die verbreitete Abneigung gegen den Islam, aber auch das Judentum, kommen hinzu und fanden Ausdruck in teilweise heftigen Reaktionen auf ein liberales Urteil des BVerfG im Jahr 2002. Die Erregungen sind insofern bezeichnend, als sie keine ähnlich intensive Entsprechung finden in der für die Tiere ungleich gravierendere Frage der (weithin überflüssigen) langen Tiertransporte und der Tierquälerei in der Massentierhaltung, wo nach wie vor z. B. eine nach Quadratzentimetern bemessene Hühnerzelle für rechtens (artgerecht!) angesehen wird. Nach der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (Stand 2015) sind es gemäß § 13 b für Legehennen bei der sogenannten Kleingruppenhaltung, wie man die Käfighaltung jetzt euphemistisch nennt, 800 cm2, das sind etwa 28 x 28 cm.

II. Historische Hinweise

Historisch wurde die Anti-Schächt-Bewegung im 19. Jh. in die europäische Judenfeindschaft integriert. Schächtgegner kamen aus dem Lager der Tierschützer und Nationalisten. In der Schweiz wurde 1892 das weltweit erste Schäcggghtverbot erlassen, mehrere europäische Länder folgten, hoben das Verbot aber teilweise wegen der relativ schonenden Technik des Schächtens wieder auf. Für die Nationalsozialisten war der Kampf gegen das Schächten ein wichtiges Propagandamittel. 1933 gehörte ein reichsweites Schäcggghtverbot zu den ersten Amtshandlungen der NS-Reichsregierung. Dabei war das Reichsgesundheitsamt 1930 gutachtlich zur Auffassung gelangt, Schächten sei keine Tierquälerei. Das NS-Gesetz war auch in der Bundesrepublik bis 1986 formell geltendes Recht, jedoch wurde das Schächtgggverbot seit einem BGH-Urteil von 1960 als spezifisches NS-Unrecht nicht mehr angewandt. Erst die Novelle von 1986 zum TierschutzG von 1972 löste mit seinem § 4 a I das Schlachtgesetz von 1933 ab und sah – im Einklang mit dem einschlägigen Europarecht von 1974 – einen ausnahmsweisen Verzicht auf Betäubung vor dem Schlachten vor, wenn "zwingende Vorschriften" bestimmter Religionsgemeinschaften das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch ungeschächteter Tiere untersagen. In den 1980 er Jahren folgte eine Serie von Gerichtsentscheidungen aus dem Bereich des Islam, dessen intern unterschiedliche Auffassungen im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Merkmal "zwingend" Probleme bereiteten. Die EU-Tierschutzrichtlinie von 1993 lässt nationale Ausnahmen vom Schächtgggverbot zu.

III. Rechtsprechung

Das BVerwG befasste sich erstmals 1995 mit dem Schächtgggverbot und vertrat die Ansicht, eine Ausnahme vom Verbot des betäubungslosen Schlachtens erfordere den Nachweis einer zwingenden Vorschrift einer Religionsgemeinschaft; eine individuelle Glaubensüberzeugung reiche nicht. Vom Glauben werde aber niemand gezwungen, nicht geschächtetes Fleisch zu essen. Es sei den Betroffenen zumutbar, zu Gunsten des Tierschutzes auf Fleischgenuss zu verzichten; im Übrigen könne auf Importe von geschächtetem Fleisch zurückgegriffen werden. In einer weiteren Entscheidung im Jahr 2000 modifizierte das BVerwG seine Ansicht. Es reiche aus, wenn ein Antragsteller für eine Ausnahmegenehmigung einer Gruppe von Menschen mit entsprechenden gemeinsamen Glaubensüberzeugungen angehöre. Eine Bezugnahme auf einen islamischen Dachverband, dem für eine Entscheidung das erforderliche spezifische religiöse Profil fehle, genüge hingegen nicht. Da dies auf den Streitfall zutraf, brauchte das BVerwG auf die interessante Frage der religiösen Verpflichtung zum betäubungslosen Schlachten anlässlich des Opferfestes im Rahmen des Art. 4 GG nicht einzugehen.

Einen für die Praxis vorläufigen Abschluss der Streitigkeiten brachte 2002 ein Urteil des BVerfG. Ein strenggläubiger sunnitischer Metzger hatte zunächst Ausnahmegenehmigungen für das Schächten unter veterinärärztlicher Aufsicht erhalten, auf Grund der Entscheidung des BVerwG von 1995 aber nicht mehr. Wegen fehlender deutscher Staatsangehörigkeit konnte das BVerfG die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) nicht berücksichtigen. Zum kritischen Erstaunen zahlreicher Juristen verstand das BVerfG das Schächten selbst aber nicht als Akt der Religionsausübung, so dass es "in erster Linie" (?) nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG zurückgreifen konnte. Diese ist aber anerkanntermaßen sehr leicht gesetzlich einschränkbar. Wegen des religiösen Zusammenhangs nahm das Gericht aber zur Verstärkung des Grundrechtsschutzes doch auf die schwieriger einschränkbare Religionsfreiheit (Art. 4 I, II GG) Bezug, was rechtsdogmatisch vielfach kritisiert wurde. Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Grundrechtseingriffs und dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe kam das BVerfG zum Ergebnis, ein Eingriff in das Recht des muslimischen Metzgers wiege schwer. Das BVerfG hob die vorangegangenen Entscheidungen auf und verwies die Sache zurück, weil genau geprüft werden müsse, ob der betroffene Metzger und seine Kunden einer religiösen Gemeinschaft (Gruppe) angehören, die das Schächten zwingend verlangt.

Im Einzelnen: Der gesetzliche Tierschutz ist legitim, lässt dem Gesetzgeber aber einen Spielraum. Angesichts bisheriger fachlicher Beurteilungen hält das Gericht das grundsätzliche Schächtgggverbot für zumindest vertretbar. Es sei aber noch nicht abschließend geklärt, ob eine vorherige Betäubung für das Tier "deutlich weniger Schmerzen und Leiden verursacht als das Schlachten ohne Betäubung", zumal durch Nebenbestimmungen einer Genehmigung, etwa zum Ruhigstellen, bezüglich geeigneter Räume und Hilfsmittel und zum Schächten selbst das Leiden vermindert werden könne. Auch könnten unsachgemäße Privatschlachtungen besser unterbunden werden. Den Verweis auf die Möglichkeit vegetarischen Essens und den Verzicht eines muslimischen Metzgers auf das Schlachten hält das BVerfG – liberaler als das BVerwG – auch angesichts der Essgewohnheiten in Deutschland nicht für zumutbar. Eine Verweisung auf den Import von Fleisch geschächteter Tiere sei wegen der unsicheren Vertrauensbasis problematisch. Das Gericht weist darauf hin, dass das TierschutzG auch unter anderen sachlichen Gesichtspunkten Durchbrechungen des Betäubungsgebots kennt. Nach BVerfG reicht es, wenn ein Antragsteller substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach gemeinsamer Überzeugung seiner Gemeinschaft der Fleischverzehr zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. Das könne man nicht mit der Begründung verneinen, die Religion kenne Regeln, die im Hinblick auf den (außerislamischen) Aufenthaltsort Abweichungen zu Gunsten der dortigen Gewohnheiten zulassen. Eine Sachkunde- und Eignungsprüfung wird gefordert.

IV. Grundgesetz-Änderung

Die z. T. heftige Kritik am Ergebnis dieses integrationsfreundlichen, übrigens einstimmig ergangenen, Urteils nahm die Entscheidungsgründe nicht oder kaum zur Kenntnis und erschöpfte sich weitgehend in emotionsgeladenen Attacken. Sie hatte aber zur Folge, dass noch im selben Jahr 2002 das GG geändert wurde. Art. 20 a GG, der "die natürlichen Lebensgrundlagen" als (durch den Gesetzgeber zu konkretisierendes) Rechtsprinzip und somit allgemeine Auslegungsdirektive schützt, wurde ergänzt durch die Worte "und die Tiere". Die GG-Änderung erfolgte – jetzt, wo die Öffentlichkeit die Muslime im Visier hatte – nicht nur außergewöhnlich rasch, sondern mit überwältigender Mehrheit des Bundestags. Zuvor war trotz jahrelanger kontroverser Debatten in Politik und Rechtswissenschaft in der Frage eines auch verfassungsrechtlichen Tierschutzgebots eine Mehrheit dafür nicht zu erreichen gewesen, und zwar wegen Widerstands der konservativen Seite und der Bedenken der Agrarwirtschaft, Pharmaindustrie und von Wissenschaftsverbänden. Der dank der Schächtproblematik erweiterte Art. 20 a GG wird hoffentlich dem Tierschutz helfen; in der Frage des Schächtverbots dürfte sich aber angesichts der Urteilsgründe des BVerfG ohne klare neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorerst kaum etwas ändern. Zumindest werden regelmäßige Ausnahmen anlässlich des muslimischen Opferfestes erforderlich sein, da hierbei überwiegend ein zwingendes Glaubensgebot zum Tieropfer angenommen wird.

V. Islam

Fraglich ist, inwieweit muslimisch-religiöse Gruppierungen, d. h. Metzger und Kunden, sich auf ein Schächten unter vorangegangener Betäubung einlassen können. Es ist die Frage, ob die islamischen Vorschriften tatsächlich ein Gebot der Betäubungslosigkeit des Schlachtens enthalten. Es gibt keine ausdrücklichen Regelungen, sondern nur Auslegungen der religionsgesetzlichen Vorschriften. Die 5. Sure, Vers 4 des Korans untersagt lediglich, Blut "von selbst Gestorbenem" zu verzehren. Hinsichtlich der elektrischen Betäubung kommen Islamgelehrte zu unterschiedlichen Auffassungen. In Berlin konnte die Senatsverwaltung schon vor längerer Zeit nachweisen, dass elektrisch betäubte Tiere genauso gut ausbluten und sich bei nicht erfolgter Schlachtung wieder vollständig erholen konnten. Somit kann man davon ausgehen, dass der Schächtschnitt nicht unzulässig an einem vom Tod gezeichneten Tier vollzogen wird. Islamische Verantwortliche in Berlin haben sich daher mit dem Schächten nach elektrischer Betäubung einverstanden erklärt. Im Judentum ist die Problematik ganz dieselbe. Das Problem ließe sich auf dieser Basis lösen.

Literatur:

  • BVerfGE 104,337  =  NJW 2002,663, U. v. 15.1.2002 (Schägggchtverbot bei muslim. Metzger).
  • BVerwGE 99,1 = NVwZ 1996,61, U. v. 15.6.1995 (Schächtgggverbot I).
  • BVerwGE 112,227 = NJW 2001,1225, U. 23.11.2000 (Schäcggghtverbot II).
  • BVerwG NVwZ 2007,461, U. v. 23.11.2006.
  • Dietz, Andreas: Das Schächten im Spannungsfeld zwischen Religgggionsfreiheit und Tierschutz, DÖV 2007,489-496 (verwaltungspraktisch orientiert zu BVerwG v. 23.11.2006).
  • Kluge, Hans-Georg: Das Schächten als Testfall des Staatszieles Tierschutz, NVwZ 2006,650-655.
  • Jentzsch, Rupert: Das rituelle Schlachten von Haustieren in Deutschland ab 1933. Vet. med. Diss., Hannover 1998.
  • Oebbecke, Janbernd: Islamisches Schlachten und Tierschutz, NVwZ 2002,302-303.
  • Potz, R./Schinkele, B./Wieshaider, W. (Hg.): Schächten. Religionsgggfreiheit und Tierschutz. Egling (Österr.) 2001, 288 S. Religionsrechtliche Studien 2 (österr. Diskussion. rechtsvergleichend. europarechtliche Aspekte).
  • Schmidt, Wolf-Rüdiger: Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Isggglam. Vom Elend der Kreatur in unserer Zivilisation. Gütersloh 1996 (S. 78 ff. und 141 f.).

© Gerhard Czermak / ifw (2017)