Schulaufsicht

I. Staatliche Befugnisse

Das Schulwesen gehört zur ausschließlichen Kulturhoheit der Länder. Art. 7 I GG sagt etwas unklar: "Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates." Im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte und die unveränderte Übernahme des Wortlauts der WRV versteht man unter Schulgggaufsicht wie das BVerwG nahezu allgemein die umfassenden staatlichen Befugnisse zur Organisation, Leitung und Planung des Schulwesens, also ein Vollrecht über die Schule. Es umfasst auch die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele. Denn nach allgemeiner Rechtsansicht hat der Staat neben den Eltern einen eigenen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Die umfassende Bedeutung der staatlichen Kompetenz kommt im Begriff "Schulhoheit" wohl besser zum Ausdruck als in dem in Art. 7 I GG benutzten Begriff "Aufsicht".

Problematisch ist freilich der Umfang dieses staatlichen Auftrags. Zu den verschiedenen Schularten in religiös-weltanschaulicher Hinsicht sagt Art. 7 I GG trotz Art. 7 V GG nach heutiger Auffassung nichts aus. Die allgemeine Schulpflicht als besonderes Kennzeichen des modernen Staats wird in Deutschland strikt gefordert, jedoch von einzelnen islamischen und christlichen Gruppierungen teilweise oder ganz angefochten durch Anträge auf teilweise Unterrichtsbefreiung oder gar die rigide Fernhaltung der Kinder von der staatlichen Schule zu Gunsten einer häuslichen Unterrichtung (home schooling) aus religiösen Gründen. Ein besonderer Stein des Anstoßes ist dabei der Unterricht in Sexualkunde.

II. Grenzen

Der Staat muss zwar Unterricht und Erziehung inhaltlich gestalten, dabei aber seine zentralen Existenzbedingungen wahren. Zu diesen gehört gerade auch – theoretisch unbestritten - das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität. Ihm zufolge darf sich der Staat (die öffentliche Hand) mit keiner Religion oder Weltanschauung oder gar einem speziellen religiös-weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. Vielmehr muss er gleiche Distanz halten und darf den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten. Zentrales Moment ist aber auch die ausreichende Berücksichtigung der Grundrechte der Eltern und Schüler und – in umstrittenem Umfang – der Lehrer. Eine religiös-weltanschauliche Dimension des staatlichen Erziehungsrechts ist daher entschieden zu verneinen.

Zum Elternrecht gehört wesentlich die Gesamterziehung einschließlich der persönlich-weltanschaulichen Erziehung, die den Eltern "zuvörderst" obliegt, weil das ihr "natürliches Recht" ist, vgl. Art. 6 II GG (s. Elternrecht). In dieses Recht darf der religiös-weltanschaulich neutrale Staat nicht eingreifen, soweit das möglich ist. Die Anerkennung dieser Selbstverständlichkeiten (die man früher weithin ignorierte, s. Bekenntnisschulen) ist selbst heute bei weitem nicht überall selbstverständlich, sondern wird in manchen Bundesländern massiv missachtet (s. christliche Schulpolitik).

III. Schulhoheit und Grundrechte

Ein besonderes Problem ist die konkrete Bestimmung des Verhältnisses der Schulhoheit zum Grundrecht der Eltern und Schüler. Näher hat sich das BVerfG damit in seiner Sexualkundeentscheidung von 1977 befasst und dort dem Elternrecht einen hohen Stellenwert eingeräumt, was sich bei unvermeidlichen Konfliktsituationen auswirkt. Unterricht und Erziehung ist zwangsläufig mit Wertevermittlung und Wertediskussion verbunden. Der Staat darf jedoch über seine verfassungsmäßigen Eigenwerte (Grundrechte, Völkerfriede usw.) hinaus keine Staatsideologie verbreiten und in die gesellschaftliche Diskussion über spezifische Fragen der richtigen Lebensführung usw. nicht einseitig eingreifen.

Die Schule darf andererseits nicht auf heikle Themen wie Sexualkunde oder Religion und Weltanschauung verzichten. Sie muss aber bei dann unvermeidlichen Konflikten mit den Wünschen der Eltern bzw. grundrechtsmündigen Schüler auf diese gebührend Rücksicht nehmen. Die mit dem Verbot jedweder Staatsideologie im obengenannten Sinn verbundenen Detailprobleme sind noch wenig untersucht. Ihre Bedeutung sieht man etwa an der völlig gewandelten Einstellung zur Homosexualität in Staat, Gesellschaft und Recht bei insoweit gleich gebliebenem Verfassungswortlaut. Ein weiteres Problem ist das Verhältnis des Gebots ideologischer Neutralität zur trotzdem zu achtenden und nicht völlig zu unterdrückenden Persönlichkeit des Lehrers.

>> Beamtenrecht; Bekenntnisschulen; Christliche Schulpolitik; Elternrecht; Erziehungsziele; Glaubensfreiheit; Leitprinzipien des Grundgesetzes; Kreuz im Klassenzimmer; Liberale Rechtstheorie; Neutralität; Regelschulproblematik; Erziehung; Schularten; Schulbücher; Schulpflicht; Sexualerziehung.

Literatur:

  • BVerfGE 41, 29/44 = NJW 1976, 947 (Staatl. Erziehungs- und Bildungsauftrag, Christl. Gemeinschaftsschule BW). BVerfGE 47, 46 = NJW 1978, 807 (Staatl. Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sexualkunde).
  • BVerwGE 26, 228/238 und 34, 165/182 (umfassende staatliche Kompetenz).

  • Handschell, T.: Die Schulpflicht vor dem Grundgesetz, Baden-Baden 2012
  • Jestaedt, M., in: HdbStKirchR II (1995), § 52: Das elterliche Erziehungsrecht im Hinblick auf Religion, S. 371-414.
  • Loschelder, W.: Grenzen staatlicher Wertevermittlung in der Schule, ZBR 2001, 6 ff.
  • Pieroth, B.: Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, DVBl 1994, 949-961.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)