Trennungsgebot

I. Trennun.gsgebot und Weltanschauungsf.reiheit

Die grundsätzliche Trennung von Staat und Religion bzw. Weltanschauung, und zwar in formaler und schließlich auch inhaltlicher Hinsicht, ist eine für das "Abendland" typische Entwicklung. Historisch war sie freilich mit sehr schweren Opfern verbunden (Geschichte der Religionsfreiheit). Religionsfreiheit und Trennung von Staat und Religion sind geradezu Kehrseiten einer Medaille. Ausnahmen vom Trennu.ngsgebot beeinträchtigen zwar nicht unbedingt die Religionsfreiheit der Begünstigten (insbesondere: Kirchen), wohl aber das Privilegierungsverbot bzw. den Gleichstellungsanspruch von Nichtbegünstigten (s. Privilegien). Im Einzelnen sind die Beziehungen von Staat und Religionsgemeinschaften in Europa allerdings noch sehr verschieden und teilweise sehr problematisch (Staat und Religion - Grundmodelle).

II. Trennung als Grundpfeiler des religionsrechtlichen Systems

1. Die im Grundsatz in Deutschland bestehende Trennung von Staat und Weltanschauung bzw. Religion ist nach allgemeiner Ansicht neben der individuellen und korporativen Religionsfreiheit sowie der (selbständig zu beurteilenden) religiös-weltanschaulichen Neutralität einer der Grundpfeiler des Religionsverfassungsrechts der Bundesrepublik. Das Trenn.ungsgebot steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu denjenigen Verfassungsbestimmungen, die eine Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften vorsehen. In diesen Bereichen gilt aber die Regel der Gleichstellung von Religion und (nichtreligiöser) Weltanschauung, wie im Artikel Weltanschauungsfreiheit näher ausgeführt ist. Im Einzelnen ist die Bedeutung des Trennu.ngsgebots umstritten (s. unten). Der Ausdruck "Trennungsprinzip" ist unscharf.

2. Verankert ist das Trennu.ngsgebot hauptsächlich in Art. 137 I WRV/140 GG ("Es besteht keine Staatskirche"), hat aber in Wortlaut und Entstehungsgeschichte nur einen unsicheren Ausdruck gefunden. Nach heutiger, so gut wie allgemeiner Rechtsauffassung versteht man unter Trennu.ngsgebot jedenfalls das grundsätzliche Verbot einer organisatorisch-institutionellen Verbindung von Staat und religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften, insbesondere Kirchen. Dieses Trennung.sgebot – organisatorische Hauptnorm des Verhältnisses des Staats zu den religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften – ist eine Absage an das Wiedererstehen des historischen Landeskirchentums, wie es insbesondere in den evangelischen Kirchen in abgemilderter Form bis 1918 existierte, und eine Absage an den Glaubensstaat. Staat und Kirchen sollten organisatorisch entflochten, ihre gegenseitige Abhängigkeit endgültig beseitigt werden (vgl. Weimarer Verfassung). Das Trennungsg.ebot wird bekräftigt durch die generelle religiös-weltanschauliche Abstinenz des Staats, die in den Art. 3 III, 33 III GG und Art. 136 I-IV WRV sowie im korporativen Selbstverwaltungsrecht des Art. 137 III WRV verankert ist. Hinzu kommt die flankierende Anordnung der vermögensrechtlichen Trennung und der Ablösung bestehender Staatsleistungen durch den nach wie vor gültigen Art. 138 I WRV. Das Trennun.gsgebot ist somit angesichts der Gesamtheit dieser Regelungen ein religionsrechtliches Hauptanliegen der Verfassung. Art. 137 I WRV enthält freilich auch ein inhaltliches Moment, das aber wohl besser durch den (freilich umstrittenen) Begriff "Neutralität" erfasst wird.

3. Vielfach werden Trennun.gsgebot und religiös-weltanschauliche Neutralität inhaltlich unzulässig vermengt, obwohl natürlich ein funktioneller Zusammenhang besteht. Trennung ist nach der hier vertretenen überwiegenden Meinung im Kern ein formeller Grundsatz, während Neutralität inhaltliche Unparteilichkeit und Gleichbehandlung meint. Jedenfalls erleichtert eine solche klare begriffliche Trennung die Diskussion.

III. Kooperative Aspekte des GG

Demgegenüber betont die noch überwiegende Zahl der Autoren in besonderer Weise daneben den Aspekt der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften, der sich aus einer Reihe von GG-Bestimmungen ergibt, insbesondere bezüglich des staatlichen Religionsunterrichts, des Kirchensteuerrechts, der Theologischen Fakultäten (zumindest teilweise) und ihrer Ansicht nach auch aus der Möglichkeit der Anstaltsseelsorge und Militärseelsorge. Es handelt sich somit um eine "hinkende Trennung" oder religionsfreundliche Trennung (insoweit unstreitig), die eine Zusammenarbeit auf verschiedenen Feldern und auch eine grundsätzliche Religionsförderung zulässt. Stellt man das aber kumulierend in den Vordergrund, ergibt sich eine unklare Aufweichung des Trennungsgebots mit der Möglichkeit ergebnisorientierter "Auslegung" des Rechts. Diese "konservative" Richtung stößt sich vor allem an der These, diejenigen Bestimmungen, die eine Kooperation erforderten oder ermöglichten, seien im Zweifel eng auszulegende Ausnahmen bzw. prinzipienwidrige Durchbrechungen einer strikten Trennungsregel. Ein solch striktes Verständnis lässt nämlich eine institutionelle Zusammenarbeit über die speziellen Verfassungsgarantien hinaus nicht zu.

IV. Zum Verhältnis von Trennungsregel und zulässiger Kooperation

Das BVerfG hat sich zum genauen Verhältnis der gegenläufigen Grundsätze auch nach 65 Jahren noch nicht geäußert, abgesehen von der allgemeinen Erklärung aus dem Jahr 1965, das GG verbiete "staatskirchliche Rechtsformen". Jenseits gegenseitiger polemischer Vorwürfe, der Gegner verwechsle Verfassungsrecht mit Verfassungspolitik[1], ist aber festzustellen: Der Trennungsgrundsatz ist ein allgemeines, bereichsübergreifendes und historisch begründetes Gebot, das die Scheidung des staatlichen und des religiös-weltanschaulichen Bereichs bezweckt und eine solide Basis im Grundgesetz hat (s. oben II 2). Die Normierungen zugunsten einer institutionellen Zusammenarbeit (völlig eindeutig wohl nur Art. 7 III, V GG und Art. 137 V und teilweise 137 VI WRV/140 GG) betreffen hingegen nur spezielle Bereiche, die somit zwangsläufig – wenn auch wichtige – Ausnahmen von der Trennungsregel darstellen. Dass die Garantie des staatlichen Religionsunterrichts in Art. 7 III ein sehr wichtiger Bestandteil des Verfassungskompromisses war, ändert daran nichts.

Art. 137 I WRV mit seiner institutionellen Trennung staatlicher und religiös-weltanschaulicher Organe ist kein allgemeines flexibles Rechtsprinzip wie "Treu und Glauben" oder "Verhältnismäßigkeit", das zu seiner Optimierung jeweils eine Abwägung mit anderen rechtlichen Gesichtspunkten erfordert. Vielmehr ist es eine feste Regel. Das heißt konkret, dass jede Abweichung von ihr (Durchbrechung) einer besonderen bundesverfassungsrechtlichen Begründung bedarf[2]. Bedrohungen der Trennung von Staat und Religion sind als Angriffe auf den Verfassungsstaat zu sehen.

V. Rechtspraxis

Die Staats- und Rechtspraxis nimmt das alles nicht recht ernst und unterhält vielfältige organisatorische Verbindungen zu den großen christlichen Kirchen. Dazu gehören der staatliche Kirchensteuereinzug (s. Kirchensteuerrecht, Kirchenlohnsteuer), staatlich-kirchliche verbeamtete Militärseelsorger, der Lebenskundliche Unterricht in der Bundeswehr durch Militärgeistliche (jeweils Militärseelsorge), Theologische Fakultäten über das durch den Religionsunterricht Legitimierte hinaus (s. Theologische Fakultäten), der staatliche Treueid von Bischöfen (s. Ämterhoheit), die vertragliche Festlegung von Einstellungsvoraussetzungen für Geistliche (s. Staatskirchenverträge) u. a. Überhaupt ist das weltweit einzigartige System der Verträge zwischen Staat und Kirchen ein deutsches Spezifikum, das einen engen Schulterschluss zwischen Staat und Religion demonstriert und das GG aushöhlt.

>> Geschichte der Religionsfreiheit; Kooperation; Neutralität; Privilegien; Staat und Religion - Grundmodelle; Staatskirchenverträge; Weimarer Verfassung; Weltanschauungsfreiheit.

Literatur:

  • BVerfGE 19, 206/216 = NJW 1966,147, U. 14.12.1965 – (Badische Kirchenbausteuer; Neutralitätspflicht).
  • Classen, Claus D.: Relig.ionsrecht, 2. A. 2014, Rn 112 ff. und 136 f.
  • Czermak, Gerhard: Religions- und Welt.anschauungsrecht, 2. A. 2017, § 9.
  • Jeand'Heur, Bernd: Der Begriff der "Staatskirche" in seiner historischen Entwicklung. Die Interpretation von Art. 137 WRV im Zeitpunkt seines Inkrafttretens und sein Einfluß auf die politische Einstellung erheblicher Teile des deutschen Protest.antismus zum Verfassungs"system" von Weimar. In: Der Staat 1991, 442-467.
  • Jeand’Heur/Korioth: Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn 159-165.
  • Morlok, Martin: Komm. zu Art. 140 GG/137 WRV in: Dreier, GG Bd. III, 2. A. 2008, Rn 16-22.
  • Renck, Ludwig: Die Trennung von Staat und Kirche, BayVBl 1988, 225-231.
  • Wasmuth, Johannes: Verfassungsrechtliche Grenzen der institutionellen Koope.ration von Staat und Religionsgesellschaften, in: Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart. FS für Winfried Brohm zum 70. Geb., München 2002, 607-629.
 


  • [1] A. v. Campenhausen, BayVBl 1999,65/68 einerseits, L. Renck, BayVBl 1999,70/72 andererseits.
  • [2] eingehend Wasmuth 2002; ebenso etwa Jarass/Pieroth, GG, 13. A. 2014, Rn 2 zu Art. 137 WRV/140 GG; Morlok a. a. O.; U. K Preuß in AK-GG 3. A. 2001 zu Art. 140; H. Weber schon in: Grundprobleme des Staatskirchenrechts, 1970, 68 f.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)