Verbot von Religionsgemeinschaften

I. Lange Untätigkeit gegenüber Islamismus

Die Frage des Verbots von Religionsgemeinschaften wurde in Politik und Rechtsliteratur lange nicht gestellt, weil kein aktueller Anlass gegeben war. Andiskutiert wurde sie im Rahmen des staatlich-kirchlich-publizistischen Kampfes gegen die sogenannten Sekten, eine Verbotsforderung wurde aber zunächst nur gelegentlich in Richtung auf die Scientology-Bewegung erhoben. Diese wurde aber in Deutschland i. d. R. ohnehin nicht als Religionsgemeinschaft angesehen. Die Untätigkeit des Staats gegenüber gefährlichen islamischen Gruppierungen beruhte auf Unkenntnis, Hilflosigkeit, fehlendem sprachkundigen Personal und einer heute rückblickend immer mehr erkennbaren Naivität. Viele Jahre konnten Islamisten verschiedenster Schattierungen (als islamische Minderheit) ungehindert ihre Hetzpropaganda verbreiten. Die genannten Gründe spielten für die Untätigkeit wohl eine größere Rolle als die Unsicherheit, wie man rechtlich ein Verbot von Religio.nsgemeinschaften begründen solle.

II. Abschaffung des "Religionsprivilegs" 2001

1. Aufgewacht ist man erst nach dem Attentat vom 11. 9. 2001. In kürzester Zeit wurde eine bundesgesetzliche Neuregelung geschaffen[1], die das sog. Religionsprivileg des Vereinsgesetzes beseitigte. Sie führte bereits am 12. 12. 2001 zu einem Verbot des "Kalifatsstaats" mit seinem Führer Metin Kaplan, die 2002 vom BVerwG bestätigt wurde. Eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG wurde nicht zugelassen. Das Vereinsgesetz mit seinen Verbotstatbeständen war bisher auf Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ohne Körperschaftscharakter wegen einer Ausnahmeklausel nicht anwendbar, so dass es keine gesetzliche Verbotsgrundlage gab. Art. 9 II GG besagte zwar schon immer, dass Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit mit den Strafgesetzen oder den zentralen Forderungen der verfassungsmäßigen Ordnung oder der Völkerverständigung in Konflikt geraten, verboten sind (d. h.: zu verbieten sind). Diese Bestimmung soll aber wegen der Sondergarantie für religiöse Vereinigungen in Art. 137 II WRV nicht ohne weiteres anwendbar gewesen sein (str.). Allerdings wäre ein Verbot schon bisher bei einem Verstoß gegen unmittelbar aus dem GG zu entnehmende Schranken möglich gewesen (sog. verfassungsunmittelbare Schranken; "wehrhafte Demokratie"). Diese Schranken ergeben sich nunmehr direkt aus dem Vereinsgesetz. Dessen Anwendbarkeit brachte aber zahlreiche juristische Ungereimtheiten mit sich, vor allem wegen einer eigentlich nicht gewollten Schlechterstellung ausländischer Religionsgemeinschaften.

2. Das BVerwG durchschlug den Knoten mit einem Urteil von 2002, bestätigte die Gesetzesänderung und neigte, ohne sich abschließend festzulegen, zur Anwendbarkeit des Art 9 II GG. Bei richtiger Gesetzesanwendung würden deutsche und ausländische Gemeinschaften nicht ungleich behandelt. Der Kalifatsstaat (ICCB) und eine ausländische Vereinigung hätten verboten werden können (§§ 3 I und 14 I Vereinsgesetz), weil sich ihre Tätigkeit in kämpferisch-aggressiver Weise gegen Grundprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat und Kernbereiche von Grundrechten gerichtet habe. Der Eingriff sei schwerwiegend, aber unerlässlich. Der Kalifatsstaat lehne das staatliche Gewaltmonopol ab und untersage im Konfliktfall die Anerkennung staatlicher Gesetze und sei dabei auch gewaltbereit. Metin Kaplan habe sogar erfolgreich aus religiösen Gründen zur Ermordung des "falschen Kalifen" Sofu aufgerufen.

3. Die Neuregelung gilt nicht für solche Gemeinschaften, die gem. Art. 137 V WRV/140 GG als Körperschaften anerkannt sind. Das Verbotsproblem ist dabei bisher rein theoretisch, doch könnte es ggf. nach den Grundsätzen der verfassungsunmittelbaren Schranken gelöst werden. Allerdings wäre wohl dennoch ein Verbot unmittelbar auf Grund von Art. 9 II GG möglich. Auch könnte ggf. der Körperschaftscharakter bei Fortfall der Voraussetzungen der Anerkennung gem. Art. 137 V WRV entzogen werden.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe islamistischer Vereinigungen verboten.

>> Grundrechtsschranken; Islam; Körperschaftsstatus.

Literatur:

  • BVerwG NVwZ 2003, 986, U. v. 27. 11. 2002, bestätigt durch BVerfG-K NJW 2004, 47.
  • BVerwG NVwZ 2014, 1573, U. 14. 5. 2014 – 6 A 3.13 (zu den Verbotsmaßstäben)
  • Sachs, Michael: Verbot einer Religionsgemeinschaft ("Kalifatsstaat”) – BVerwG, NVwZ 2003, 986, in: JuS 2004, 12-16.


  • [1] ÄnderungsG vom 4. 12. 2001 zum Vereinsgesetz.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)