Zivilrecht und Religion

I. Gesetzliche Berücksichtigung der Religion

Dass die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die regulären zivilgesetzlichen Vorschriften grundsätzlich einhalten müssen, ist unbestritten. Die Begründung ist allerdings im Hinblick auf die Grenzen der allgemeinen Gesetze in Art. 137 III 1 WRV/140 GG einerseits, aber das Fehlen förmlicher Schranken in Art. 4 II GG andererseits unklar, wie überhaupt das Verhältnis dieser beiden zentralen Garantien. Klar wäre es, wenn man sich mit erheblichen Teilen der Literatur dazu entschließen könnte, Art. 136 I WRV als allgemeinen Schrankenvorbehalt anzuerkennen (dazu Grundrechtsschranken II). Unabhängig davon enthält auch das zivile staatliche Recht Regelungen, die das Faktum Religion besonders berücksichtigen oder dafür doch besondere Bedeutung haben. Das ist unter der Geltung einer religionsfreundlichen Verfassung mit (zumindest theoretischer) Gleichstellung religiöser und nichtreligiöser weltanschaulicher Überzeugungen im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die konkrete sachliche Berechtigung ist eine andere Frage.

II. Praktische Beispiele

Eine größere Zahl insbesondere arbeitsrechtlicher Gesetze enthält ausdrückliche Sonderregelungen und auch im Übrigen spielt Religion im Arbeitsleben eine z.T. erhebliche Rolle (Kopftuch, Gebet, Feiertagsrecht). Die Zivilprozessordnung berücksichtigt die Religion bei der Eidesleistung und gibt, neben anderen Personengruppen, auch "Geistlichen" ein Zeugnisverweigerungsrecht für das ihnen bei der Seelsorge Anvertraute. Im Vereinsrecht ergeben sich manchmal schwierige Fragen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Vereinen, und auch der Eintrag einer Religionsgemeinschaft ins Vereinsregister kann Probleme bereiten, wenn aus zwingenden religiösen Gründen vom BGB abgewichen werden soll.

Das BGB berücksichtigt im (die Minderjährigen betreffenden) Vormundschaftsrecht auch das religiöse Bekenntnis des Mündels. Es ist gem. § 1779 II 2 BGB bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen einer von mehreren Gesichtspunkten. Die praktische Bedeutung der Vorschrift dürfte gering sein, weil die formale Bekenntniszugehörigkeit nach heutigen Verhältnissen keinerlei Aussagekraft hat und als solche kein Kriterium für das Kindeswohl ist. Das gilt auch für den möglichen Entzug der Sorge des Einzelvormunds für die religiöse Erziehung (§ 1801 BGB). Problembehaftet ist die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen oder die Anordnung einer Bluttransfusion gegen den Willen einer Zeugin Jehovas. Von Bedeutung ist nach wie vor das Gesetz über die religiöse Kindererziehung von 1924 (RKEG). Gewichtig sind die aus europarechtlichen Gründen erforderlich gewordenen Neuregelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes von 2006, dessen § 19 ein Benachteiligungsverbot u.a. aus religiösen Gründen statuiert.

III. Problematische Privilegierungen

Nicht recht einsichtig ist z. B., warum der Erwerb eines weder land-, noch forstwirtschaftlichen Grundstücks dann keiner Grundstücksverkehrsgenehmigung bedarf, wenn "eine mit den Rechten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgestattete Religionsgemeinschaft ein Grundstück erwirbt" (§ 4 GrundstücksverkehrsG). Was ist mit nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften? Warum muss der Körperschaftsstatus vorliegen? Warum überhaupt die Privilegierung? Diese Frage stellt sich auch bei zivilrechtlichen Gebührenvergünstigungen.

>> Arbeitsrecht; Erziehung; finanzielle Vergünstigungen.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)