2. Stellungnahme der gbs zum besonderen Kirchgeld

I. Möglichkeit der Beantragung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 AO

Die Darstellung der Rechtslage in der geplanten Ergänzung des "Statement of Facts" ist grundsätzlich zutreffend. Nach Auffassung der gbs ist sie jedoch unvollständig. Es fehlt die zentrale Information, dass die standardisierte Rechtsbehelfsbelehrung des Kirchensteuerbescheides, welcher in der Regel zusammen mit dem Einkommensteuerbescheid ergeht, für die beschriebene Situation der Verrechnung des Steuererstattungsanspruchs des kirchenfremden Ehepartners mit der Forderung des besonderen Kirchgeldes vom kirchenangehörigen Ehepartner keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Beantragung eines Abrechnungsbescheides enthält. Als zulässiger Rechtsbehelf wird dort lediglich der Einspruch bzw. Widerspruch (je nach Bundesland) erwähnt.

Konsequenz dessen kann aus Rechtsschutzgesichtspunkten nur sein, dass, wenn der Betroffene gegen den Kirchensteuerbescheid "Einspruch" einlegt, dieser im Zweifel von der Finanzbehörde in einen "Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides" umzudeuten und entsprechend zu bescheiden ist.    

II. Besonderes Kirchgeld nur bei fehlendem Einkommen

Entgegen der Darstellung in der geplanten Ergänzung des "Statement of Facts" hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1965 die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines besonderen Kirchgeldes nur für den Fall als gegeben angesehen, dass der kirchenangehörige Ehepartner kein eigenes Einkommen hat. Von einem Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages ist insofern nicht die Rede. Eine entsprechende Vorgabe findet sich auch nicht in den einschlägigen Rechtsvorschriften. Im Gegenteil. Diese enthalten keinerlei Bezugnahme auf die Einkommenshöhe des kirchenangehörigen Ehepartners und sind damit als verfassungs- und konventionsrechtswidrig zu qualifizieren.

Unabhängig davon ist jedoch der entscheidende Aspekt derjenige, dass die Erhebung des besonderen Kirchgeldes – unabhängig von der Einkommenshöhe – de facto doch wieder zu einer Halbteilung führt. Dies obwohl die Kirche nach Art. 9 Abs. 1 EMRK nur den ihr angehörigen Ehepartner besteuern darf und dementsprechend bei der Wahl des Besteuerungsmaßstabes auch nur an Merkmale anknüpfen darf, die in dessen Person gegeben sind. Daran ändert auch der oft vorgetragene Hinweis auf den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch auf einen angemessenen Teil des gemeinsamen Einkommens gemäß § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), sog. Taschengeldanspruch, des kirchenangehörigen Ehepartners gegen den nicht der Kirche angehörigen Ehepartner nichts. Denn wenn als Besteuerungsmaßstab seitens der Kirche das Einkommen im Sinne des Einkommenssteuerrechts gewählt wird, muss es das marktwirtschaftliche Einkommen (i.S.d. EStG) des kirchenangehörigen Ehegatten sein, nicht aber ein Transfereinkommen auf der Grundlage irgendwelcher Unterhaltsansprüche. Die Heranziehung eines Transfereinkommens widerspricht überdies den allgemeinen sozialstaatlichen Grundsätzen, wonach Transferleistungen generell steuerfrei sind, da es sich hierbei gerade nicht um ein Erwerbseinkommen volkswirtschaftlicher Wertschöpfung handelt. Das Taschengeld in Höhe von etwa 5 Prozent des Einkommens des Ehepartners ist dementsprechend auch nicht steuerbar.[1]  

Die evangelische Landeskirche Baden[2] gibt indes unverhohlen zu, dass sie beide Ehepartner als Gemeinschaft besteuern will:

"Im Einkommensteuerrecht wird die Ehe als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft verstanden. Die logische Folge ist in der Regel die gemeinsame Einkommensteuerveranlagung. Dabei wird von einem unter den Eheleuten bestehenden Konsens ausgegangen, wonach der Ehepartner mit Einkommen den Lebensführungsaufwand des anderen Ehepartners akzeptiert."

III. Anteil der Kirchensteuern am Gesamtetat der Großkirchen

1. Höhe der Einnahmen aus Kirchensteuern

Die Angabe im "Statement of Facts", dass die Einnahmen aus Kirchensteuern ca. 80 Prozent des Gesamtetats der Kirchen ausmachen, sollte geändert werden, da sie bezogen auf "die Kirchen" sachlich falsch ist. Sie ist lediglich zutreffend im Hinblick auf den einzelnen Diözesenhaushalt als Steuergläubiger bzw. den Haushalt einer evangelischen Landeskirche. Hinsichtlich des "Gesamthaushalts" der "Gesamtkirche", d.h. aller katholischen Diözesen Deutschlands oder der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), ist lediglich von Einnahmen aus Kirchensteuern in Höhe von 45,4 Prozent bzw. 51,6 Prozent auszugehen. Dies verdeutlicht ein Vergleich der Angaben zum Haushalt der einzelnen Diözese bzw. Landeskirche mit den Angaben zum Haushalt aller Diözesen bzw. der EKD. Nach der aktuellsten Darstellung der EKD beliefen sich die Einnahmen aus Kirchensteuern im Jahr 2013 auf ca. 50 Prozent des Gesamtetats.[3] Ein entsprechender Anteil ist nach hiesiger Auffassung auch für die katholische Kirche realistisch.   

Zu beachten ist bei der Betrachtung der Haushaltspläne indes auch, dass die veröffentlichten Haushaltszahlen der Diözesen bzw. Landeskirchen bei den Protestanten zum "Gesamtetat" letztlich unvollständig sind, da ein Großteil des Finanzgeschehens sich außerhalb der Buchhaltung abspielt. Dies betrifft insbesondere staatliche Gelder (z.B. für die Betreibung von Kindergärten) und Spenden, welche nicht im Haushalt ankommen und dementsprechend dort auch nicht mit ihrem Anteil am Gesamthaushalt aufgeführt werden. Gleiches gilt für die öffentlichen Zuschüsse und Refinanzierungen des Wohlfahrtsverbandes Caritas, welche überhaupt nicht im jeweiligen Haushalt erscheinen. Im Haushalt aufgeführt werden nur die Einnahmen und die Ausgaben, nicht aber das gesamte Vermögen.[4] Insgesamt wird nur ein Fünftel der Finanzen im Haushalt der Diözese bzw. der Landeskirche abgebildet. Damit wird letztlich ein Teil als das Ganze ausgegeben ("Gesamtetat").[5] Dies verdeutlicht auch die als Anlage 1 beigefügte Grafik.       

2. Trennung der Einnahmen aus Kirchensteuern und aus dem besonderen Kirchgeld

Aus Gründen der Klarstellung sollte unseres Erachtens im "Statement of Facts" zudem noch erwähnt werden, dass bei den Angaben betreffend die Einnahmen aus "Kirchensteuern" die Einnahmen aus dem "besonderen Kirchgeld" grundsätzlich nicht mitgezählt werden (vgl. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, (Weitere) Kirchensteuern und Kirchgeld Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1953-2003, Anlage 2).

Rechtlicher Hintergrund ist der, dass "Kircheneinkommensteuer" und "besonderes Kirchgeld" laut der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung strikt getrennt sind. Der Bundesfinanzhof hat im Beschluss vom 8.10.2013 (Az: I B 109/12) als "eindeutige Rechtslage" aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 28.10.2010 (Az: 2 BvR 591/06) festgestellt:

"Die Kircheneinkommensteuer, die sich als Annexsteuer nach dem einkommensteuerrechtlich ermittelten Einkommen bemisst, ist strikt vom besonderen Kirchgeld, das nach der Rechtsprechung des BVerfG als eigenständige Steuer nach dem Lebensführungsaufwand bemessen wird, zu trennen."

(BFH, Beschluss vom 08. Oktober 2013 – I B 109/12)

Diese Trennung kommt bereits in der Aufzählung der Kirchensteuerarten in § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (KiStG) in der Fassung vom 15.6.1978, GBl. 1978 I, 370, zuletzt geändert durch Änderungsgesetz v. 12.5.2015, GBl. 2015, 320 hinreichend deutlich zum Ausdruck, die "subsidiäre Funktion" des besonderen Kirchgeldes wird dort betont (so explizit BFH, Beschluss vom 26. Februar 2014 – I S 24/13 –, Rn. 8). 

3. Höhe der Einnahmen der Kirchen aus dem besonderen Kirchgeld  

Zudem seien noch folgende Fakten mitgeteilt, deren Aufnahme in das "Statement of Facts" aus hiesiger Sicht für das Gericht von Relevanz sein könnten:

Als Drittbeteiligte in dem hiesigen Verfahren haben die Kirchen sich nicht zur Höhe ihrer jährlichen Einnahmen durch das besondere Kirchgeld geäußert. Nach Berechnungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) beliefen sich die Einnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem besonderen Kirchgeld im Jahr 2003 auf 24,3 Mio. Euro (Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, (Weitere) Kirchensteuern und Kirchgeld Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1953-2003, Anlage 2).  Für das Jahr 2015 beziffert die EKD selbst ihre Einnahmen aus "Sonstiger Steuer (z.B. Zuschläge zur Grundsteuer) und Kirchgeld" auf 29,9 Mio.[6] Euro. Da die sonstigen Steuern nach den Darstellungen von fowid Anfang der 2000er Jahre sich immer auf ca. 2 Mio. Euro beliefen und das Kirchgeld ca. 24 Mio. Euro einbrachte, kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahmen aus dem Kirchgeld alleine im Jahr 2015 ca. 27 Mio. Euro betrugen. Im Vergleich dazu sind die Einnahmen aus der Kirchenlohn- und Einkommensteuer im Jahr 2015 um ein vielfaches höher. Sie werden von der EKD mit ca. 5 Mrd. Euro angegeben.[7] Vergleichbare Zahlen zum besonderen Kirchgeld seitens der katholischen Kirche sind hier nicht bekannt. Da das besondere Kirchgeld jedoch insbesondere von den evangelischen Landeskirchen erhoben wird und die Mitgliederzahlen der beiden Großkirchen annähernd gleich sind, kann davon ausgegangen werden, dass auch die katholische Kirche im Jahr 2015 höchstens 27 Mio. Euro Kirchgeld eingenommen hat. Zum Vergleich: die Einnahmen aus Kirchenlohn- und Einkommensteuer waren im Jahr 2015 um ein vielfaches höher. Sie beliefen sich auf über 6 Mrd. Euro.[8]

IV. Verwendung der Kirchensteuer für soziale Zwecke

Auch die nachfolgend genannten Zahlen sollten in das "Statement of Facts" aufgenommen werden, da die Erhebung des besonderen Kirchgeldes im Besonderen und die Erhebung der Kirchensteuer im Allgemeinen seitens der Kirchen – unzutreffender Weise – stets mit ihrem sozialen Engagement begründet wird:

Die beiden großen Kirchen nehmen gemeinsam jedes Jahr ca. 10 Mrd. Euro an Kirchensteuern ein. Hiervon bezahlen sie primär ihre Priester und Pfarrer, die Mitarbeiter im kirchlichen und im seelsorgerischen Dienst sowie die Instandhaltung der Kirchengebäude. Weniger als 10 Prozent der Kirchensteuer fließt abseits der Seelsorge in öffentliche soziale Einrichtungen.[9] Vielmehr kommen für die restlichen über neunzig Prozent Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungsträger auf. Kein Kindergarten, keine Schule, kein Krankenhaus und kein Altenheim in Trägerschaft der beiden Großkirchen wird zum Hauptteil aus der Kirchensteuer finanziert und auch die beiden größten kirchlichen Arbeitgeber, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, finanzieren sich fast ausschließlich aus staatlichen Mitteln. Die beiden Wohlfahrtsverbände haben im Jahr ca. 45 Mrd. Euro an Kosten und die Kirche finanziert sie aus Kirchensteuern mit 800 Mio. Euro, das entspricht knapp zwei Prozent. Folglich werden die Krankenhäuser, Kindergärten, Sozialstationen etc. der Wohlfahrtsverbände lediglich zu zwei Prozent aus Kirchensteuern finanziert. Eine Zahl, die auch der Finanzchef Thomas Begrich von der evangelischen Kirche bestätigt. Öffentliche Konfessionsschulen werden zu hundert Prozent und private Konfessionsschulen zu bis zu achtzig Prozent vom Staat finanziert, die fehlenden Prozente primär durch das zusätzliche Schulgeld der Eltern und nicht durch die Kirchensteuer. Auch beispielsweise die Gefängnisseelsorge wird zu 100 Prozent vom Staat – und damit von der Allgemeinheit – bezahlt. [10]

V. Gemeinsame Veranlagung und getrennte Veranlagung im deutschen Steuerrecht

Im "Statement of Facts" wird auf die gemeinsame bzw. getrennte Veranlagung im deutschen Steuerrecht Bezug genommen. Diese Ausführungen sollten unseres Erachtens spezifiziert werden: Das besondere Kirchgeld nach dem "gemeinsam zu versteuernden Einkommen" wird nur in Fällen erhoben, in denen die Ehegatten keine getrennte Veranlagung, sondern eine gemeinschaftliche Veranlagung beantragen. Irgendein konkreter (rechtlicher oder tatsächlicher) Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Veranlagung und einem Kirchgeld besteht jedoch nicht. Die gemeinsame Veranlagung ist eine rein rechnerische Komponente des deutschen Steuerrechts, bei der die Ehegatten überlegen, welche Veranlagungsform günstiger ist. Sie hat nichts mit einem gemeinsamen Haushalt zu tun (für einen Antrag auf gemeinsame Veranlagung reicht es z. B. aus, eine Woche im ganzen Jahr zusammen gewohnt zu haben). Noch ist umgekehrt die getrennte Veranlagung (z. B. in Fällen, in denen einer der Ehepartner vor allen Dingen Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit und der andere aus selbständiger Tätigkeit hat), Ausdruck einer Trennung. Auch der Lebensführungsaufwand hängt keineswegs von der gewählten Veranlagungsart ab.[11]  

Dass die gemeinsame Veranlagung von Eheleuten im Rahmen der Einkommenssteuer in keinem Zusammenhang mit dem besonderen Kirchgeld steht, ergibt sich im Übrigen auch aus dem Fakt, dass das besondere Kirchgeld – im Gegensatz zur Kirchensteuer als Zuschlagsteuer zur Einkommensteuer (Kircheneinkommensteuer) – gerade keine Annexsteuer zur Einkommensteuer, sondern eine eigenständige Steuer ist, die auf einem kircheneigenen Steuertarif beruht (vgl. BFH, Urteil vom 19. Oktober 2005 – I R 76/04 –, BFHE 211, 90, BStBl II 2006, 274, Rn. 27 m.w.N.).

Da unverheiratet zusammenlebende Paare nicht zur Zahlung des besonderen Kirchgeldes herangezogen werden, liegt letztlich auch eine ehefeindliche Besteuerung durch zusätzliche Belastung vorliegt, ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK (Familienleben). Der Verweis auf die angebliche Wahlmöglichkeit der Ehepartner zwischen getrennter und gemeinsamer Veranlagung geht fehl, denn die Besteuerung nach der Grundtabelle führt regelmäßig dazu, dass sich im Vergleich zum Splittingverfahren eine erheblich höhere Haushaltsbelastung an Einkommensteuern und Kirchensteuern ergibt. Statt von einer echten Wahlmöglichkeit ist insofern zutreffend eher von einem finanziellen Druck durch die staatlichen Regelungen auszugehen. Ein klarer Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. [12]

Auch Art. 1 ZP I (Eigentumsrecht) ist verletzt, denn in der Alltagswirklichkeit des deutschen Steuerrechts wird das Finanzamt das besondere Kirchgeld stets vom Konto des kirchenfremden Ehepartners oder vom Gemeinschaftskonto zusammen mit der Einkommenssteuer abbuchen und nicht auf eine Bareinzahlung aus dem Taschengeldbestand des kirchenangehörigen Ehepartners warten. Im Falle der Nichtzahlung wird zudem in der Praxis seitens des Staates für die Kirchen ohne Vorbehalte auch in das Vermögen des ausgetretenen Kirchenmitglieds bzw. in das Gemeinschaftskonto vollstreckt.[13] In Fällen, in denen die Steuerlast durch das besondere Kirchgeld überdies höher ist, als das erwirtschaftete Einkommen, ist von einer "erdrosselnden Wirkung" der Steuer auszugehen. Ein klarer Verstoß gegen das Eigentumsrecht.[14]

VI. Vergleichsberechnung zwischen der Kirchensteuer und dem besonderen Kirchgeld

Aus hiesiger Sicht wird zudem empfohlen, dass der Gerichtshof die folgenden Fakten zur Berechnung des besonderen Kirchgeldes noch in das "Statement of Facts" aufnimmt:

Die Kirchensteuergesetze und die auf ihrer Grundlage erlassenen kirchlichen Rechtsvorschriften enthalten allesamt keine Bedingungen für die Erhebung des besonderen Kirchgeldes im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Ehegatten bei glaubensverschiedener Ehe. Geregelt wird stets nur, dass in einer glaubensverschiedenen Ehe das besondere Kirchgeld erhoben werden kann. Gleichzeitig wird bestimmt, dass die Kircheneinkommensteuer erhoben werden kann. Es fehlen jedoch jegliche Bestimmungen zum Verhältnis der beiden unterschiedlichen Steuerarten zueinander. Es ist völlig offen, in welchen Fällen welche der beiden Steuern zu erheben ist oder erhoben werden kann und welche Einkommensverhältnisse hierfür gegeben sein müssen.

Die Berechnung des besonderen Kirchgeldes wird mithin von den Kirchen in ihren Haushaltsgesetzen (vgl. z.B. § 2 Abs. 2 Kirchliches Gesetz über die Feststellung des Haushaltsbuches der Evangelischen Landeskirche in Baden für die Jahre 2008 und 2009 – Haushaltsgesetz) festgelegt und basiert mithin allein auf der sogenannten "Vergleichsberechnung" und auf der Kirchgeldtabelle. Die Vergleichsberechnung wird jedes Jahr von den Finanzministerien der Bundesländer genehmigt (vgl. z.B. § 2 Abs. 1 Kirchensteuergesetz Baden-Württemberg).

Die Vergleichsberechnung ist unseres Erachtens von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Konventionsverstoßes, taucht aber im "Statement of Facts" überhaupt nicht auf. Dies sollte behoben werden.

Die Vergleichsberechnung beschreibt die Praxis, dass trotz eigenen Einkommens des kirchenangehörigen Ehegatten auf Grund einer Vergleichsberechnung das besondere Kirchgeld festgesetzt wird, wenn dieses höher ist als die Kircheneinkommenssteuer.

Die Vergleichsberechnung und ihre Wirkungsweise sei nachfolgend erläutert:

Bei der Vergleichsberechnung handelt es sich um eine Berechnungsmethode. Es erfolgt seitens des Finanzamtes ein Vergleich zweier Zahlenwerte, namentlich der Höhe der zu zahlenden Kircheneinkommensteuer mit der Höhe des zu zahlenden besonderen Kirchgeldes.

Die Vergleichsberechnung kommt in der Praxis immer dann zur Anwendung, wenn der kirchenangehörige Ehegatte in glaubensverschiedener Ehe ein eigenes Einkommen hat. Anderenfalls scheidet ein Vergleich aus, da ohne eigenes Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten keine Kircheneinkommensteuer anfallen kann. Sinn und Zweck der Vergleichsberechnung ist der Wechsel von der bei eigenem Einkommen zwingend anfallenden Kircheneinkommensteuer zum besonderen Kirchgeld, sofern nur der Betrag des besonderen Kirchgeldes höher ist als der der Kircheneinkommensteuer.

Daraus resultiert:

  1. eine Änderung des Belastungs- bzw. Rechtfertigungsgrundes der Kirchensteuer. Beim besonderen Kirchgeld ist die Kirchensteuer nicht mehr im Einkommen des Kirchenmitgliedes begründet, sondern in seinem Nicht-Einkommen.
  2. eine Änderung des Steuergegenstandes, denn anstelle des Einkommens bzw. der Einkommensteuer tritt der Lebensführungsaufwand.
  3. eine Änderung der Bemessungsgrundlage. Die Regelbemessungsgrundlage "Einkommen" bzw. "Einkommensteuer" wird ersetzt durch die Ersatzbemessungsgrundlage "gemeinsam zu versteuerndes Einkommen beider Ehegatten".
  4. eine Änderung des Steuertarifs, denn an die Stelle eines Prozentsatzes auf die Einkommensteuer tritt der Staffeltarif der Kirchgeldtabelle.

Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Vergleichsberechnung die Festsetzung einer anderen Steuer (anderer Belastungsgrund, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage, Steuertarif) allein aufgrund einer Berechnung ihrer Betragshöhe begründet. Eine Berechnungsmethode kann aber auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Steuer begründen (vgl. BVerfG 1 BvR 606/60, Ziffer C I 2, s.o.).[15]

Wenn beim besonderen Kirchgeld trotz eigenen Einkommens des kirchenangehörigen Ehegatten auf Grund der Vergleichsberechnung das besondere Kirchgeld festgesetzt wird, liegt dem überdies letztlich ein Splittingverfahren zugrunde:

Gemäß dem Einkommensteuergesetz (EStG) wird jede Person individuell besteuert, mit dem Tarif der ESt-Grundtabelle. Bei Ehepaaren ist jeder Ehepartner steuerpflichtig (vgl. § 1 EStG). Nach deutschem Recht können sich Ehepaare aber auch zusammenveranlagen lassen. Machen die Eheleute insofern keine Angaben, erfolgt automatisch nach § 26 Abs. 3 EStG eine Zusammenveranlagung. Dann werden ihre Einkünfte zu einer neuen Bemessungsgrundlage – dem zu versteuernden Einkommen – zusammengerechnet und nach einem anderen Tarif, nämlich der Splittingtabelle, besteuert.

Dasselbe passiert bei der Vergleichsberechnung: Im Falle der Individualbesteuerung erfolgt eine Besteuerung des Einkommens des einzelnen Ehegatten mit dem kirchlichen Tarif in Höhe von 8 oder 9 Prozent. Bemessungsgrundlage ist die Einkommensteuer. Besteuert wird nur das Kirchenmitglied selbst. Bei der Besteuerung nach dem Lebensführungsaufwand werden mit der "hilfsweisen" Bemessung des Lebensführungsaufwandes am "gemeinsam zu versteuernden Einkommen" die Einkommen beider Ehegatten addiert und einem anderen Steuertarif, nämlich dem aus der Kirchgeldtabelle, unterworfen.

Das Splittingverfahren und die Vergleichsberechnung unterscheiden sich lediglich in zwei Punkten, welche jedoch von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Konventionskonformität des besonderen Kirchgeldes sind:

  1. Der erste Unterschied ist der, dass die Ehegatten bei der Einkommensteuer die Art der Veranlagung wählen können (§ 26 Abs. 1 EStG), bei der Vergleichsberechnung hingegen nicht. Ein solcher Zwang widerspricht der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK.
  2. Der zweite Unterschied besteht darin, dass die Vergleichsberechnung im Gegensatz zum Splittingverfahren zu einer höheren Besteuerung führt als die Individualbesteuerung – und dies obwohl nur der kirchenangehörige Ehepartner steuerpflichtig ist.

Dennoch erheben die Finanzbehörden das besondere Kirchgeld grundsätzlich bei glaubensverschiedener Ehe in Zusammenveranlagung, also auch bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten, sofern es höher ist als die Kircheneinkommensteuer auf das eigene Einkommen des Kirchenmitglieds.

i.V. Dr. Thorsten Barnickel

 


[1] Zum Vorstehenden: Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes, 2008, S. 41-43.

[4] Hartmann/Holtkamp, Die Kirche und das liebe Geld. Fakten und Hintergründe, 2015, S. 31.

[5] Zum Vorstehenden: Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid), Haushaltspläne im kirchlich (-katholischen) Bereich, Anlage 1.

[9] Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes, 2008, S. 100.

[10] Zum Vorstehenden: Eva Müller, Gott hat hohe Nebenkosten, Wer wirklich für die Kirchen zahlt, 2013, S. 42ff.

[11] Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes, 2008, S. 49.

[12] Zum Vorstehenden: Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes, 2008, S. 46-49.

[13] Vgl. Hartmann/Holtkamp, Die Kirche und das liebe Geld. Fakten und Hintergründe, 2015, S. 72f.

[14] Zum Vorstehenden: Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes, 2008, S. 56-60.