Der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsopfern – ein Appell

Am 08.03.2024 richteten der Staatsrechtler Stephan Rixen und unser Direktor, der Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld, einen deutlichen Appell an die katholische Kirche. Beide Professoren beschäftigen sich seit Jahren mit den klerikalen Sexualdelikten: Rixen ist Mitglied in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauch (UKA) und Scheinfeld mahnt immer wieder die staatlichen Ermittlungsbehörden zur ordnungsgemäßen Aufklärung und die Kirche zum sachgemäßen Umgang an.

In der Legal Tribune Online fordern die beiden versierten Juristen die katholische Kirche auf, mit den Missbrauchsopfern außergerichtliche Vergleiche zu schließen, statt den Betroffenen "Klageverfahren mit einem hohen Geld-, Zeit- und Kraftaufwand aufzubürden."

Aufhänger des Artikels ist eine fragwürdige Äußerung des Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer im vergangenen Herbst. Seinerzeit lehnte Wilmer außergerichtliche Vergleiche mit folgender Begründung ab: "Das halte ich für den falschen Weg, weil es etwas von Mauschelei hat."

Rixen/Scheinfeld betrachten in ihrem Artikel die durchschaubare Strategie der katholischen Bischöfe, die außergerichtliche Verhandlungen mit Betroffenen unisono ablehnen, und sie werfen rhetorisch die Frage auf: "Spekulieren sie darauf, dass nur wenige Betroffene ein anstrengendes und aufwühlendes Gerichtsverfahren auf sich nehmen?"

Präzise legen die beiden Autoren sodann dar, dass anders, als Bischof Wilmer und weitere Bischöfe suggerieren, außergerichtliche Verhandlungen keine "Mauschelei" darstellen, sondern vielmehr nach weltlichem und sogar nach kanonischem Recht geboten sind. Sie führen u. a. aus:

"Das Verweigern außergerichtlicher Verhandlungen ist in den Fällen klerikaler Sexualstraftaten, die viele Bistümer in der Vergangenheit zu vertuschen bestrebt waren, als treuwidrig (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) zu qualifizieren. Dies folgt schon aus dem katholischen Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici – CIC), das der außergerichtlichen Streitbeilegung den Vorrang einräumt:

Canon 1446 — § 1. Alle Gläubigen, vor allem aber die Bischöfe, sollen eifrig bemüht sein, daß Rechtsstreitigkeiten im Gottesvolk ohne Beeinträchtigung der Gerechtigkeit nach Möglichkeit vermieden und baldmöglichst friedlich beigelegt werden. 

Unter der Überschrift "Abwendung von Gerichtsverfahren" heißt es zudem: 

Canon 1713 — Zur Vermeidung gerichtlicher Streitigkeiten ist es zweckmäßig, einen Vergleich, d. h. eine gütliche Beilegung herbeizuführen; der Rechtsstreit kann auch einem oder mehreren Schiedsrichtern übertragen werden.

Die Kirche verhält sich widersprüchlich im Sinne des § 242 BGB, wenn sie außergerichtliches Verhandeln für den eigenen (kirchlichen) Rechtskreis verlangt, es aber ablehnt zu verhandeln, wenn es um Rechtsstreitigkeiten im staatlichen Rechtskreis geht – zumal die Streitigkeiten ihren Ursprung in der Verantwortungssphäre der Kirche haben."

Hiernach erläutern Rixen/Scheinfeld, weshalb die Interessen der von sexueller Gewalt Betroffenen in den UKA-Verfahren nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Durch das intransparente und letztlich nicht unabhängige Verfahren werden lediglich "Almosen" erbracht. Die Autoren halten fest: "Was innerkirchlich ,Anerkennungsleistung‘ genannt wird, ist keine rechtlich verbindliche Anerkennung des erlittenen Unrechts – eine Begriffsverwirrung, die System hat und die sicherstellt, dass die Betroffenen selbst noch beim halbherzigen Versuch der Kirche, die Tatfolgen zu lindern, Unterlegene bleiben, Rechtlose, Missachtete."

Abschließend formulieren die beiden Professoren einen eindringlichen Appell:

"Die Bischöfe täten gut daran, sich gegenüber den zu entschädigenden Betroffenen, die teils unvorstellbare Gewalt erlitten haben, endlich so zu verhalten, dass weiteres Leid vermieden wird, also so, wie es nicht nur Anstand und Fairness gebieten, sondern wie es neben dem staatlichen Recht ihr eigenes Kirchenrecht fordert: Bemüht Euch um friedlich-gütliche Streitbeilegung und schließt Vergleiche! Vergleiche anerkennen die Schuld der Kirche und vermeiden die vielfältigen Belastungen für Betroffene, die mit einem streitigen Verfahren verbunden sind. Bislang ködern die Bischöfe Betroffene mit dem fürsorglichen Paternalismus des UKA-Verfahrens und nutzen so die geringe Durchsetzungsmacht der Betroffenen aus. Wie können es die Bischöfe mit ihrem christlichen Gewissen vereinbaren, dass das von ihnen etablierte UKA-Verfahren die Schwäche der Schwachen ausnutzt? Welcher Bischof hat endlich den Mut zu erkennen, dass nur faire Vergleichsgespräche zwischen Betroffenen und Bistümern für mehr Gerechtigkeit sorgen?"

Über den Gastbeitrag der beiden Juristen berichtete auch katholisch.de.

Es bleibt den Betroffenen zu wünschen, dass der Appell Früchte trägt. Derzeit ist ein weiterer schwerwiegender Missbrauchsfall am Landgericht Köln anhängig.