Religiöse Minderheiten

I. Vielfalt
Die Zahl organisierter religiöser Minderheiten in Deutschland ist sehr groß. Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst (REMID) listet eine eindrucksvolle Zahl von Religions- und (ganz ausnahmsweise) Weltanschauungsgemeinschaften außerhalb der Katholischen Kirche und der evangelischen Landeskirchen auf.

1. Außer den großen Kirchen, der katholischen Kirche und den EKD-Kirchen mit 24 bzw. 23 Mil. Mitgliedern (2014 bzw. 2013, kirchenamtliche Zahlen) haben die zahlreichen christlich-orthodoxen Kirchen (Schwerpunkt griechisch- und serbisch-orthodox) noch eine große Zahl von Mitgliedern, nämlich insgesamt etwa 1,53 Mill. (2015). Für Muslime wird nach dem Stand von 2010 eine Zahl von 4 Mill. angegeben, die aber zu hinterfragen ist. Denn demnach werden nahezu alle „Muslime“ (besser: Kulturmuslime) als Gläubige gewertet, wie das auch viele Statistiken und die Politik tun. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge herausgegebene voluminöse Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ kommt zum Ergebnis, dass es 2008 schätzungsweise 3,8 bis 4,3 Mill. Muslime (mit ca. 500.000 Aleviten[1]) aus 49 Herkunftsländern gab, die gesondert von Nichtmuslimen aus dem Kreis der Einwohner mit Migrationshintergrund untersucht wurden. Demnach waren von den Menschen mit muslimisch-kulturellem Hintergrund bei zahlreichen Gruppierungen 13,6% nicht oder eher nicht gläubig. 50,4% wurden als „eher gläubig“ eingestuft.[2] Es bleibt generell die Frage, wer statistisch als Mitglied einer religiös-weltanschaulichen Gruppe angesehen werden soll.

2. Größere Gruppierungen sind die Neuapostolische mit 348.000 Zugehörigen (2015), die Freien Baptisten und Mennoniten mit (so REMID) 290.000 Zugehörigen (darunter viele Russland-Aussiedler), wobei mit Angehörigen auch ungleich höhere Zahlen genannt werden, die Zeugen Jehovas mit 167.000 (2014), die evangelisch-freikirchlichen Gemeinden 82.000 (2015), Methodisten, Freikirchliche Pfingstgemeinden und Mennoniten (Weltkonferenz) jeweils in der Größenordnung um die 50.000, Freie Evangelische Gemeinden 40.000. Hinzu kommen überaus zahlreiche kleine und kleinste christliche Religionsgemeinschaften.

3. Die jüdischen Gemeinden machen etwa 100.000 Mitglieder aus (2014), während etwa 90.000 Juden nicht organisiert sind. Traditionell dürfte ein großer Teil von letzteren nichtreligiös sein. Die bei den Jüdischen Kultusgemeinden zahlenmäßig dominierende Gruppe der aus der ehemaligen UdSSR stammenden Juden war ursprünglich weitgehend nichtreligiös und wird allmählich in das Judentum eingeführt.

4. Die katholische Kirche erscheint auf Grund ihrer zentralen rechtlichen Organisation als Einheit, obwohl sie – unabhängig von den Ordensgemeinschaften – eine große Zahl interner Gruppierungen enthält, die inhaltlich z. T. außerordentlich weit auseinanderliegen. Solange sie jedoch unter dem großen Dach der Katholischen Kirche bleiben, können sie politisch und rechtlich nicht als religiöse Mingggderheiten angesehen werden.
Entsprechendes gilt für den Protestantismus. Angesichts des starken Interesses, das die Medien, unterstützt insbesondere durch die sog. Sektenbeauftragten der großen Kirchen, in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere bis etwa 2000, einem Teil der religiösen Minderheiten entgegengebracht haben, ist doch auf deren geringe statistisch-gesellschaftliche Bedeutung hinzuweisen. Nur ca. 3% der deutschen Bevölkerung gehören weder einer der großen Kirchen (einschließlich der Orthodoxie) an, noch den Konfessionsfreien, noch den Muslimen an.[3]

5. Diejenigen, die überhaupt keiner religiösen Gemeinschaft angehören, werden von den Statistikern meist als „Konfessionslose“ bezeichnet. Dieser Ausdruck hat aber einen negativen Beigeschmack, denn die Zugehörigen dieses großen Bevölkerungsteils haben meist durchaus und oft sehr stabile, konsistente Grundüberzeugungen zu den Grundfragen des Lebens. Man sollte daher besser von den Konfessionsfreien sprechen, weil sie keiner der traditionellen religiösen Konfessionen angehören. Die organisierten Konfessionsfreien sind nur teilweise als Weltanschauungsgemeinschaften anzusehen, andere verstehen sich mehr als politische Interessenvertretung. Der geringe Organisationsgrad der Konfessionsfreien entspricht keineswegs ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.

II. Rechtliche Gleichstellung
Soweit solche Minderheiten, unabhängig von ihrer Größe, nach objektiver Prüfung anhand plausibler Fakten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften darstellen (d.h. ein integrales Sinnsystem zur Erklärung der Welt bieten), genießen sie (auch) als Organisationen uneingeschränkt die Garantien der Religionsfreiheit (insb.: Art. 4 und 140 GG) einschließlich der Gleichstellung (s. Neutralität). Zu beachten sind aber die Besonderheiten des Körperschaftsstatus.
 
Islam; Katholizismus; Konfessionsfreie; Körperschaftsstatus; Neutralität; Protestantismus; Religionsfreiheit; Religionsgemeinschaften; Sekten; Weltanschauungsgemeinschaften.
 
Literatur:


  • [1] Die Zugehörigkeit der Aleviten zum Islam ist aber höchst fragwürdig, mag auch laut MLD 2008 die Mehrzahl der (meist türkischstämmigen) Aleviten sich als muslimisch bezeichnet haben. Der türkische Staat unterdrückt die Aleviten traditionell stark und deklariert sie zwangsweise als Muslime. Dabei ane rkennen sie weder Koran noch Scharia und tendieren vielfach zum Pantheismus.
  • [2] Graphische Übersicht: http://www.zeit.de/.../muslime-in-deutschland  (ZEIT-online);
  • Komplettstudie MLD 2008: http://www.bmi.bund.de/.../leben_deutschland_.pdf .
  • [3] Fowid, Übersicht 2014.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)