Religionsverfassungsrecht im GG

Das Religionsverfassungsrecht im Grundgesetz (Textsammlung)

GG-Präambel

Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Artikel 1   [Menschenwürde; Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt ]

(1)  Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2)  Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3)  Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2   [Allgemeine Handlungsfreiheit; Freiheit der Person; Recht auf Leben ]

(1)  Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2)  Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 3   [Gleichheit vor dem Gesetz; Gleichberechtigung von Männern und Frauen; Diskriminierungsverbote ]

(1)  Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(3)  Niemand darf wegen   seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 4   [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit ]

(1)  Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2)  Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3)  Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Artikel 6   [Ehe und Familie; nichteheliche Kinder ]

(1)  Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2)  Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Artikel 7   [Schulwesen ]

(1)  Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2)  Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3)  Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4)  Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5)  Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

Artikel 9   [Vereinigungs-, Koalitionsfreiheit ]

(1)  Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2)  Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

Artikel 18   [Verwirkung von Grundrechten; gilt nicht für Art. 4 GG]

Artikel 19   [Einschränkung von Grundrechten; Wesensgehalts-, Rechtswegegarantie ]

(3)Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

Artikel 20   [Verfassungsgrundsätze]

(2)  Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.  …

(3)  Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Recht und Gesetz gebunden.

Artikel 31   [Vorrang des Bundesrechtes]

Bundesrecht bricht Landesrecht.

Artikel 33   [Staatsbürgerliche Gleichstellung aller Deutschen; öffentlicher Dienst; Berufsbeamtentum

(1)  Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2)  Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.(3)  Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

Artikel 140  [Recht der Religionsgesellschaften; Glaubensfreiheit; Schutz von Sonn- und Feiertagen]

Die Bestimmungen der Artikel 136,137,138,139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11.August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

[Weimarer Verfassung vom 11.8.1919]     Religion und Religionsgesellschaften

Artikel 136 [Individuelle Religionsfreiheit]

(1)  Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichtenwerden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt nochbeschränkt.

(2)  Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

(3)  Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

(4)  Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einerreligiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 137   [Religionsgesellschaften]

(1)  Es besteht keine Staatskirche.

(2)  Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

(3)  Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

(4)  Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

(5)Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlichrechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

(6)  Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

(7)  Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

(8)  Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

Artikel 138   [Vermögen der Religionsgesellschaften ]

(1)  Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

(2)  Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

Artikel 139   [Schutz von Sonn- und Feiertagen]

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Artikel 141   [Anstaltsseelsorge]

Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.

Artikel 141 GG  [Religionsunterricht, Bremer Klausel ]

Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1.Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.      

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Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)  Art. 9     [Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit]

(Abs. 1 garantiert ein einklagbares Jedermannsrecht und ein religiös-weltanschauliches Kollektivrecht. Abs. 2 sieht gesetzliche Einschränkungen vor aus einzeln aufgeführten gewichtigen Gründen ("notwendige Maßnahmen"). Die bisherige Gerichtspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Straßburg) ist aber einschränkungsfreundlich.

EU-Recht (Vorrang vor nationalem Recht)

Die EU hat keine unmittelbare Kompetenz zur Regelung religionsrechtlicher Fragen. Ihre Rechtsnormen wirken sich jedoch auf vielen Gebieten mittelbar auf religiöse bzw. kirchliche Positionen aus. Die deutschen Kirchen beobachten das kritisch und haben schon wichtige Ausnahmeregelungen erreicht.

Grundrechte-Charta der EU

Art. 10

(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Art. 21

(1) Diskriminierungen insbesondere wegen … der Religion oder Weltanschauung sind verboten.

Art. 22

Die Religion achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.

Art. 52

(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.