Schulbücher

I. Zulassung

Schulbücher und zum Teil auch andere Lernmittel dürfen nach den Schulgesetzen der Bundesländer nur verwendet werden, wenn sie für den Gebrauch in der betreffenden Schulart und Jahrgangsstufe sowie in dem jeweiligen Fach schulaufsichtlich zugelassen sind. Die Lernmittel müssen u.a. den Lehrplänen sowie pädagogischen und fachlichen Standards entsprechen. Über die Zulassung wird in komplizierten Verfahren mit rechtsverbindlichen Vorgaben entschieden. Diese ministeriellen Entscheidungen sind von großer Bedeutung, etwa dann, wenn die Lehrerschaft einer Schule ggf. aus fachlichen Gründen ein nicht zugelassenes Buch bevorzugen würde. Dabei haben sich solche Bücher z. T. in anderen Bundesländern, in denen sie zugelassen sind, seit langem besonders gut bewährt. Auch sind die ministeriellen Entscheidungen u. U. von existentieller Bedeutung für die Schulbuchverlage, die oft bundesweit arbeiten und Schwierigkeiten haben, spezielle Landesanforderungen zu erfüllen. Auch sind die Lehrstoffe und die Art und Weise ihrer Präsentation je nach Fach von großer ideologischer Bedeutung, so dass die Rechte von Eltern und Schülern erheblich tangiert sein können. Nach richtiger Ansicht bedarf es daher einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Schulbuchzulassung, die jedoch noch nicht in jedem Bundesland gegeben sein dürfte.

II. Inhaltliche Ausrichtung

Schulgggbücher müssen selbstverständlich verfassungsrechtliche Anforderungen beachten. Zu diesen gehören laut GG auch das Gebot der r-w und der politischen Neutralität. Da jede Bildung und Erziehung wesensgemäß auf Erziehungszielen beruht und immer Wertentscheidungen mit Verhaltensanforderungen und ein pädagogisches Konzept vorliegen, muss der Begriff der Neutralität im Sinn von allgemeiner ideologischer Unparteilichkeit im Schulbereich zwangsläufig relativ flexibel gehandhabt werden. Daraus kann sich im Einzelfall eine große Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Erziehungsmethoden usw. ergeben. Bezüglich Religion und Weltanschauung ergeben sich verschärfte Anforderungen, s.u.

III. Rechtsprechung

1. Das BVerwG hat die ideologische Schulbuchproblematik 1988 in einem Grundsatzurteil mustergültig anlässlich eines Falles aus NRW abgehandelt, in dem Eltern den Einsatz eines Deutschlehrbuchs unterbinden wollten. Der nach Ablauf des Schuljahres und nach erfolgloser Klage zum Verwaltungsgericht gestellte Berufungsantrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schulbuchverwendung war nach Ansicht des BVerwG wegen noch gegebenem Rechtsschutzinteresse zulässig. Die Eltern warfen dem Buch (das allerdings lange in allen westlichen Bundesländern mit Ausnahme BaWü zugelassen war) vor, es sei von den Wertvorstellungen der kritisch-emanzipatorischen Pädagogik getragen und vernachlässige eine wertebejahende Erziehung. Das BVerwG legte in seiner (vom BVerfG bestätigten) Entscheidung dar, das "Gebot staatlicher Neutralität und Toleranz in der Erziehung" solle den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 I GG) mit dem Recht des Schülers auf freie Entfaltung und Entwicklung seiner Persönlichkeit (Art. 2 I GG) und dem Elternrecht auf Erziehung ihrer Kinder nach eigenen Vorstellungen (Art. 6 II GG) abstimmen und ausgleichen. Der Staat müsse die "Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung" achten und für die Vielfalt der Anschauungen so weit offen sein, wie es sich mit einem geordneten Schulsystem verträgt.

Dann wörtlich: "Deshalb ist es dem Staat unbeschadet verfassungsrechtlich oder gesetzlich bestimmter Erziehungsziele, die die Schule anzustreben und zu fördern hat, verwehrt, die Erziehungsarbeit der Schule, die tiefgreifenden Einfluss auf die ganze Persönlichkeitsentwicklung des Schülers nimmt, so anzulegen, dass sie in den Dienst bestimmter weltanschaulicher, ideologischer oder politischer Richtungen tritt." Anschließend ist von Indoktrinationsverbot und Gleichrangigkeit des Elternrechts die Rede. Dann bekräftigend: "Politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtungen darf deshalb weder im Unterricht noch im Schulbereich gezielt parteiisch, gleichsam mit Missionstendenz das Wort geredet werden, in umstrittenen, die Öffentlichkeit berührenden Fragen nicht die eine Seite verteufelt, die andere Seite verherrlicht werden."

Differenzierend heißt es dann betreffend Schuggglbücher, pädagogisches Handeln sei ohne Beurteilung und Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse nicht vorstellbar, Erziehung könne nicht tendenzfrei sein. Die Schulverwaltung müsse und dürfe auf die Persönlichkeitsentwicklung zielende Konzepte entwickeln, also bestimmten bildungspolitischen Strömungen verpflichtet sein, auch wenn diese kontrovers beurteilt würden. Den Schwerpunkt auf eine kritisch-emanzipatorische im Gegensatz zu einer klägerseits favorisierten "wertebejahenden" Erziehung zu legen, beanstandete das BVerwG daher nicht, das GG treffe hierzu keine Aussage. Die Vorstellung, die Rechtswidrigkeit eines im o. g. Sinn missbräuchlichen Buchinhalts könne ggf. durch Entgegenwirken im Unterricht kompensiert werden, wies das Gericht zurück.

2. Das BVerfG bestätigte Ergebnis und Begründung dieser Entscheidung 1989 und betonte, es gehe um die gemeinsame Aufgabe der Erziehungsberechtigten, "das Kind bei der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zu unterstützen und zu fördern". Bei der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Staat und Eltern seien die Eltern ihrerseits dem Gedanken der Toleranz gegenüber andersdenkenden Eltern verpflichtet. Das BVerfG gebrauchte folgende Formel: "Verboten ist nur eine ... gezielte Beeinflussung oder gar Agitation im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung."

3. Dass der Beamtensenat des BVerwG den Begriff der missionierenden Indoktrination usw. nicht eng versteht, hat er mit seiner kurz darauf ergangenen Entscheidung zur Zulässigkeit des Verbots der Anti-Atomkraft-Plakette eines Lehrers bewiesen. Er wertete das Tragen der Plakette während des Dienstes als unzulässige allgemein-politische Meinungsäußerung, die in ihrem demonstrativen, ständigen Herausstellen einer gezielten Ansprache oder Schriftenverteilung entspreche und daher rechtswidrig, unter Verstoß gegen die Amtspflichten, in den Meinungsbildungsprozess der Schüler eingreife. Das Gericht spricht von "einseitiger Indoktrinierung". Wenn der Staat nicht "jede einseitige Werbung politischer Art" unterbindet, sieht der Senat "die Akzeptanz des öffentlichen Schulsystems bei der Elternschaft, deren Vertrauen in die Objektivität und politische Neutralität der Schule nachhaltig erschüttert".

IV. Religiös-weltanschauliche Fragen

Eine speziell r-w Fragen betreffende obergerichtliche Schulbuchentscheidung wurde bisher anscheinend nicht veröffentlicht (s. aber oben III 1, 2: allgemeiner Grundsatz), doch sind obige Entscheidungen hierauf übertragbar. Ergänzend kann auf die obergerichtliche Rspr. zur religiösen Kleidung verwiesen werden, in denen nicht speziell von Indoktrination die Rede ist. Bhagwan-typische Kleidung eines Lehrers ist nach BayVGH deswegen untersagt, weil sich daraus "eine religiöse Beeinflussung der Schüler" ergeben kann – eine mit der Schulbuchfrage nicht ganz vergleichbare und deshalb besonders strenge (zu pauschale) Ansicht, die jedoch vom BVerwG ebenfalls gutgeheißen wurde. Berücksichtigt man die Literaturlage zum Grundrecht der Glaubensfreiheit in Form des Schutzes des Innenlebens durch Verbot der einseitigen r-w Beeinflussung durch den Staat, so ergibt sich eine Verpflichtung zur strengen inhaltlichen r-w Neutralität von Schulbgggüchern (wie des Unterrichts). Dabei darf jedoch etwaigen Landesbesonderheiten in Form spezieller kultureller Bedeutung bestimmter religiöser Richtungen usw. durch besondere Akzentuierung beim Textumfang Rechnung getragen werden (vgl. näher unter Christliche Gemeinschaftsschulen). – Zu dieser Rechtsprechung steht vor allem die 2. Entscheidung des BVerfG zum Islamischen Kopftuch von 2015 im Widerspruch, und man kann nur hoffen, dass es sich dabei um einen "Ausrutscher" handelt (s. den einschlägigen Artikel).

V. Ergebnis

Gemessen an diesen Maßstäben wird man sagen können, dass nicht wenige Schulgggbücher unzulässige Inhalte haben, indem Tatbestände wie die kulturhistorisch herausragende Bedeutung der Aufklärungsepoche mit ihren Philosophen und Staatsmännern und ihren Auswirkungen auf die gesamte europäische Kultur (Menschenrechte, insbesondere Religionsfreiheit, Toleranz, naturwissenschaftlicher Fortschritt usw.) mehr oder weniger ausgeklammert wird. Detaillierte Untersuchungen hierzu liegen jedoch aus naheliegenden praktischen Gründen, soweit ersichtlich, nicht vor.

>> Abendland; Aufklärung; Christliche Gemeinschaftsschulen; Elternrecht; Erziehungsziele; Glaubensfreiheit; Neutralität; Kleidung; Schulaufsicht.

Literatur:

  • BVerfG-K NVwZ 1990, 54; B. v. 9. 2. 1989 (Schulbuch); BVerwGE 79, 298 = NVwZ 1988, 928; U. v. 3. 5. 1988 (Schulbuch; 7. Senat); BVerwGE 84, 292 = NJW 1990, 2265; U. v. 25. 1. 1990 (Anti-Atomkraft-Plakette; 2. Senat).
  • Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Kriterien zur Begutachtung von Lernmitteln. München, 2004.
  • Brandenberg, Verena: Rechtliche und wirtschaftliche Aspekte des Verlegens von Schulbüchern: Mit einer Fallstudie zum bayerischen Zulassungsverfahren. Erlangen, Nürnberg, 2006.
  • Jach, Frank-Rüdiger: Die Bedeutung des Neutralitäts- und Toleranzgebotes bei der Entscheidung über die Zulassung eines Schulbuchs zum Unterrichtsgebrauch, RdJB 1989, 210-214 (zu BVerwG U. v. 3. 5. 1988).
  • Leppek, Sabine: Die Zulassung und Einführung von Schulbüchern und anderen Lernmitteln an staatlichen deutschen Schulen: Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundfragen. Marburg 2002.
  • Rehborn, Manfred: Rechtsfragen der Schulbuchprüfung, München 1986, 96 S.
  • Stöber, Georg: Schulbuchzulassung in Deutschland: Grundlagen, Verfahrensweisen und Diskussionen 2010/3 = http://d-nb.info/1002260256/34   (Hg. Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung).

© Gerhard Czermak / ifw (2017)