Sterbehilfe

Sterbehilfe

Sterbehilfe betrifft alle Fälle, in denen sich ein Sterbewilliger Anderer bedient. Zu unterscheiden sind die derzeit stets unzulässige Tötung auf Verlangen (s. unten II) und die grundsätzlich zulässige Beihilfe zum Suizid, insbesondere der ärztlich assistierte Suizid, der besonders aktuell ist. Das deutsche Strafrecht (StGB) regelt den Suizid nicht, stellt ihn also nicht unter Strafe. Daher ist auch Beihilfe und Anstiftung dazu nicht strafbar. Die Rechtsprechung ist eigenartige und auch menschenfeindliche Wege gegangen. Vorab ist auf eine grundlegende Neubewertung des selbstbestimmten Lebens und Sterbens hinzuweisen, die das BVerfG 2020 in seiner Entscheidung zum ärztlich assistierten Suizid vorgenommen hat (s. dazu unten I 6, 7). Ihre wesentliche Aussage besteht darin, dass Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht auf selbstbestimmtes (autonomes) Sterben umfasst. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist dabei die Respektierung der Entscheidung, dem eigenen Leben entsprechend dem persönlichen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen. Das Verfügungsrecht über das eigene Leben ist laut BVerfG nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Auch ein reiner Bilanzsuizid ist demnach mit fremder qualifizierter Hilfe möglich, was 2015 durch den mittlerweile aufgehobenen § 217 StGB untersagt worden war.

I. Beihilfe zum Suizid

1. Allgemeines

Beihilfe zum Suizid ist nach dem Text des StGB von Anfang an nicht strafbar, weil die Haupttat, die eigene Selbsttötung, kein Straftatbestand ist (§ 27 StGB). Dennoch ist die Unterscheidung von straffreier Beihilfe (Teilnahme) und strafbarer Mittäterschaft im Einzelnen sehr komplex, manchmal spitzfindig und fragwürdig. Entgegen sehr starker Kritik der Rechtslehre hat der BGH nämlich von Anfang an selbst bei freiverantwortlichem Suizid das Handeln eines Helfers dann bestraft, wenn er bei Eintritt der Hilfsbedürftigkeit des Suizidenten nicht zu dessen Rettung eingeschritten ist. Man hat eine strafbare unterlassene Hilfeleistung angenommen, obwohl doch die Motive bei der Straflosigkeit der Teilnahme und der Hilfspflicht bei Unfällen und Not (§ 323 StGB) konträr sind. Bei frei verantwortetem Suizid eines Kranken hat die Rechtsprechung nach Eintritt der Bewusstlosigkeit einen Tatherrschaftswechsel angenommen und Ärzte wegen Untätigkeit als Täter durch Unterlassen nach § 216 (Tötung auf Verlangen) verurteilt. Die Entscheidungen waren oft nicht vorhersehbar und nur unter der irrationalen Annahme einer Lebenspflicht halbwegs erklärbar. Daher stammt wohl auch die immer noch vorhandene Neigung vieler Ärzte, in manchen Fällen nichts Geeignetes gegen das menschenunwürdige Elend Sterbenskranker zu unternehmen, sieht man einmal von ökonomisch bedingten sinnlosen Lebensverlängerungen ab.

2. Begriffliche Unterscheidungen

Zwangsmaßnahmen sind am Lebensende unzulässig. Dieser Gedanke liegt auch dem seit 2009 geltenden § 1827 BGB betreffend Patientenverfügungen zugrunde.

Bei der aktiven Sterbehilfe verkürzt der Helfer selbst die Lebenszeit. Tut er das bewusst, ist eine solche aktive direkte Sterbehilfe nach bisheriger Lehre und Praxis auch bei Einwilligung des Suizidenten unzulässig. Das wird nach § 216 (Tötung auf Verlangen) bzw. 212 StGB (Totschlag) geahndet (eine freilich eher theoretische Fallgestaltung).

Unter indirekter aktiver Sterbehilfe versteht man, dass der Helfer Maßnahmen zur Lebenszeitverkürzung vornimmt, ohne das zu wollen. Darunter fallen die zahlreichen Fälle, in denen starke Schmerzmittel mit der unvermeidlichen oder nicht ausschließbaren Nebenfolge der Lebensverkürzung verabreicht werden. Um das zu rechtfertigen, wird argumentiert, es handele sich gar nicht um eine Tötungshandlung. Eine wohl vorzuziehende Ansicht nimmt einen rechtfertigenden Notstand an (§ 34 StGB). Letzteres ist jetzt auch die Ansicht des BGH.[1]

Eine weitere Fallgruppe ist die Sterbehilfe durch Unterlassen. Das ist etwa der Fall, wenn eine lebensverlängernde Behandlung unterlassen wird. Spricht sich der Patient gegen eine Weiterbehandlung aus, so wird darin meist eine Änderung des Arztvertrags zu sehen sein, so dass kein Strafbestand erfüllt wäre. Manchmal ist eine solche Unterlassung nicht eindeutig von einer aktiven Sterbehilfe zu unterscheiden. Wenn aber wie bei der Durchtrennung des Ernährungsschlauchs unsicher erscheint, ob eher ein Tun oder Unterlassen vorliegt, so muss es darauf ankommen, ob der Abbruch der Behandlung dem Willen des Sterbenden entspricht.[2]

Generell ist der ärztlich assistierte Suizid, obwohl es schon bis zu seiner vorläufigen praktischen Abschaffung durch ein Bundesgesetz von 2015 kaum Ärzte gab, die diese für ein menschenwürdiges Sterben unerlässliche Hilfe leisten wollten oder durften.

3. Zur Rechtsentwicklung

Wichtige Kräfte in der Gesellschaft und Rechtsprechung haben aus der Straflosigkeit der Suizidbeihilfe etwas ganz anderes gemacht. In der Strafjustiz setzte sich lange die Ansicht durch, bei der Suizidbeihilfe hätten Inhaber einer sog. Garantenstellung (insb. Angehörige und Ärzte) stets eine Pflicht zum rettenden Eingreifen, wenn sie nicht wegen unterlassener Hilfeleistung oder gar Tötung durch Unterlassen belangt werden wollten. Mit anderen Worten: der Garant durfte dem Suizidenten sozusagen den Strick reichen, musste ihn aber nach erfolgtem Aufhängen wieder abschneiden. Damit wurde die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid so gut wie beseitigt, obwohl das beim erkennbar selbstverantworteten Suizid der Willensentscheidung des Suizidenten und damit auch seiner Würde widersprach (siehe oben I 1). Diese Rechtsprechung wurde entgegen dem Willen einer sehr großen Mehrheit der Bevölkerung lange praktiziert. Später stellte man mehr auf die erforderliche "Freiheit" des Willensentschlusses des Suizidenten ab. Wichtig waren zwei 2019 ergangene Urteile des BGH, mit denen die Freisprechung assistierender Ärzte durch die Vorinstanzen bestätigt wurde.[3] Die auch schon zuvor erfolgte Änderung der Rechtsprechung half in der Praxis aber wenig. Das ärztliche Standesrecht, das Betäubungsmittelgesetz und die Unsicherheit hielt die Ärzte von der Suizid-Assistenz ab.[4] Da somit qualifizierte Suizidhilfe praktisch so gut wie nicht zu erreichen war, gab es überaus zahlreiche Brutal-Suizide. Im Jahr 2017 starben in Deutschland – ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren -insgesamt 9235 Personen durch Suizid. Die am häufigsten gewählte Methode waren Erhängen, Strangulieren und Ersticken (über 40 %). Der große Rest betraf vor allem Suizid durch Medikamente und Gase, aber auch durch Waffen, scharfe Gegenstände, Tiefensturz (895), Sich-Werfen vor Fahrzeuge (539) und viele verschiedene andere Weisen.[5] Daran hat sich bis heute (2024) leider noch nichts Wesentliches geändert.[6] Eine Minderheit meist Bessergestellter nahm die Möglichkeit wahr, im Ausland, vorzugsweise in der Schweiz, einen Verein zur professionellen Suizidhilfe aufzusuchen. Der Bedarf nach einer praktischen Möglichkeit des professionell assistierten ärztlichen Suizids bestand unbestreitbar. Die politisch-religiösen Verfechter der trotz alledem harten Linie wurden erstaunlicherweise unterstützt durch die gesamte organisierte Ärzteschaft, insbesondere die katholische Kirche und die allermeisten Palliativmediziner.[7]

4. Bekämpfung des ärztlich assistierten Suizids

Für diese besondere Fallgruppe der Sterbehilfe galten bis 2015 die oben skizzierten zuletzt liberaleren Regeln. Anstoß erregte aber die Tatsache, dass die seit Jahrzehnten anerkannte Aktivität hochspezialisierter schweizer Sterbehilfevereine (Exit und Dignitas) deutsche Parallelen zu bekommen drohte. Im Vordergrund standen die Aktivitäten von Roger Kusch, dem vormaligen Hamburger Innensenator. Sein in Deutschland 2008 gegründeter Sterbehilfeverein scheiterte an juristischen Schwierigkeiten. Der 2009 gegründete Nachfolger-Verein "Sterbehilfe Deutschland e. V." mit anderem Profil galt trotz Erfolgs als problematisch. Das trug wesentlich zu konservativen gesellschaftlich-politischen Bestrebungen bei, die das Ziel hatten, jegliche organisierte Sterbehilfe völlig zu verhindern. Die politisch-religiösen Verfechter der harten Linie wurden erstaunlicherweise unterstützt durch die klare Mehrheit der organisierten Ärzte, insbesondere durch die katholische Kirche und die allermeisten Palliativmediziner.

Der Gesetzentwurf wollte nach seiner Begründung[8] die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung verhindern. Er sollte helfen, die Tätigkeit von Sterbehilfevereinigungen wie "Sterbehilfe Deutschland e. V.", aber auch die Suizidhilfe durch Einzelpersonen einzuschränken. Insbesondere sollte verhindert werden, dass Sterbehilfevereine ihr Tätigkeitsfeld ausbauen, der assistierte Suizid zu einem "normalen Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung" wird und alte und/oder kranke Menschen sich direkt oder indirekt zur Inanspruchnahme solcher Angebote gedrängt fühlen, weil sie meinen, anderen bloß noch zur Last zu fallen. Kriminalisiert werden sollten "organisierte Formen des assistierten Suizids", nicht jedoch Formen der Suizidbeihilfe, "die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird". Verbal begründet wurde der neue § 217 StGB ausweislich zahlreicher Kurzreden bei der 3. Gesetzeslesung mit dem ethisch hoch angesetzten Bestreben, die Betroffenen vor selbstsüchtigen Einflussnahmen zu schützen (Selbstbestimmungsrecht) und die Gesellschaft vor der Entwicklung zu einer Normalität des Suizids zu bewahren. Die Tatsache der 9000-10000 jährlichen, oft grausamen eigenhändigen Suizide ohne Hilfe wurde beiseitegeschoben.

Der Entwurf wurde von 150 deutschen Strafrechtslehrern deutlich abgelehnt.[9] Mit dem Entwurf wurden ja gleichzeitig auch alle Ärzte getroffen, die ausreichende und praxiserprobte medizinische und soziale Fähigkeiten haben ("ärztlich assistierter Suizid"), um den Menschen ein würdiges und auch in Extremfällen schmerzfreies Sterben zu ermöglichen. Man musste wissen, dass erschreckend viele Menschen zu Extremtaten wie Erhängen, Springen von Gebäuden u. a. faktisch gedrängt wurden[10], auch, weil Ärzte in etlichen Bundesländern schon wegen standesrechtlicher Verbote nicht zu Hilfe bereit waren (s. I 4 und Suizid am Ende).

5. Das Gesetz zum Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe

Trotzdem beschloss der Deutsche Bundestag [11] nach harten Auseinandersetzungen, unbeeindruckt durch die zahlreichen Gegenargumente[12] am 6. November 2015 das "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Es enthält Widersprüche und Ungereimtheiten. Der frühere § 217, der die Kindstötung betraf und 1998 aufgehoben worden war, wurde durch eine neue Bestimmung ersetzt. Sie lautete:

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Den Suizidenten wurde durch dieses "Roger-Kusch-Gesetz" im Ergebnis – ungeachtet des ohnehin entgegenstehenden ärztlich Standesrechts und des Betäubungsmittegesetzes - jede ärztliche Hilfe durch speziell sachkundige, erfahrene Ärzte verweigert, sie wurden im Stich gelassen. Im Übrigen weiß man, dass in manchen Fällen auch die stärksten Schmerzmittel nicht mehr helfen.

6. Das Urteil des BVerfG zum ärztlich assistierten Suizid

Die maßgebende Aussage des einstimmig gefällten Urteils. v. 26.02.2020[13] besteht darin, dass Art. 2 Abs. 1 (freie Persönlichkeitsentfaltung) i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) auch das verfassungsmäßige Recht auf selbstbestimmtes (autonomes) Sterben umfasst, was bisher abgelehnt worden war. Dazu gehört nach BVerfG auch, dass man dem eigenen Leben entsprechend dem persönlichen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende setzen darf. Das bedeute auch, dass man dabei auch fremde geschäftsmäßige Hilfe in Anspruch nehmen darf. Was nicht in den Leitsätzen steht, vielleicht um die Provokation möglichst gering zu halten, ist Folgendes: Das Verfügungsrecht über das eigene Leben ist nach dem Urteil insbesondere nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt[14]. Das heißt, dass (als tatsächliche Ausnahme) sich auch körperlich und geistig intakte und dauerhaft gefestigte Menschen mit fremder qualifizierter Hilfe völlig freiwillig das Leben verfassungsgarantiert nehmen können (Bilanzsuizid). Diese Thesen überraschen dann nicht, wenn man von der Menschenwürde, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der seit 1871 nicht verbotenen Selbsttötung ausgeht, denn daraus folgt die Straflosigkeit der Beihilfe.

Das BVerfG konnte, rein fachlich gesehen, gar nicht anders entscheiden. Aber angesichts der erheblichen Widerstände ist das Urteil dennoch sehr anerkennenswert, zumal es einstimmig ergangen ist. Die Begründung ist eine reife intellektuelle Leistung, die zeigt, wie ein hohes Gericht im Detail mit gegensätzlichen rechtlichen und tatsächlichen Argumenten kritisch und stringent umgehen kann: ein Lehrstück der Rechtskultur. Juristisch am interessantesten ist die klare Aussage zur Existenz eines Verfassungsrechts auf Bilanzsuizid, das bisher kaum diskutiert worden war. Religiöse Gebote und gesellschaftliche Leitbilder dürften, so das BVerfG, in diesen höchstpersönlichen Fragen keine Rolle spielen.

Das Urteil ist eine durchaus rücksichtsvoll formulierte, aber wohlverdiente Ohrfeige an die Adresse der Mehrheit der Abgeordneten. Ein Aufschrei der Unterlegenen ist dennoch unterblieben. Eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und ärztlichen Standesrechts schien unvermeidlich.

Das BVerfG hat in einer gesellschaftspolitisch-rechtlich wichtigen Frage klargestellt, dass die Verfassung nicht nach religiösen Motiven ausgelegt werden darf. Indirekt ist ausgesagt, dass niemand berechtigt ist, Andersdenkenden seine persönlichen ideologischen Überzeugungen gegen seinen Willen überzustülpen, auch nicht eine Parlamentsmehrheit.

7. Auswirkungen der Entscheidung

Die Muster-Berufsordnung für Ärzte wurde 2021 durch die Bundesärztekammer angepasst. Das Verbot der ärztlichen Suizid-Beihilfe wurde gestrichen, Suizid-Beihilfe aber zur Ausnahme erklärt. Die Landesärztekammern haben eigene Regelungen zu erlassen, was inzwischen geschehen sein dürfte. Das Bundesgesundheitsministerium hat aber bis heute eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes verweigert mit der Folge, dass Betäubungsmittel bis heute auch nicht für den ärztlich begleiteten Suizid verwendet werden können.

Nach dem Gesetz ist die Verwendung von Betäubungsmittteln, die alle in einer Liste aufgeführt sind, grundsätzlich erlaubnispflichtig. Nach § 5 I Nr. 6 BtMG muss eine erforderliche Erlaubnis u. a. verweigert werden, wenn sie nicht der "notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung" dient und mit der Notwendigkeit, den Missbrauch des Mittels "soweit wie möglich auszuschließen", nicht vereinbar ist. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht 2017 ein vielbeachtetes Urteil gesprochen.[15] Das Grundrecht des Art. 2 I i. V. m. Art. I 1 GG erfordere es, § 5 I Nr. 6 BtMG dahin auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer "extremen Notlage" befindet. Das sei der Fall bei gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen mit "unerträglichem Leidensdruck" und wenn eine andere "zumutbare Möglichkeit" nicht besteht. Diese Anforderungen sind wesentlich härter als das, was man Tieren zumuten will. Trotz starker Kritik[16] hat das BVerwG diese Rechtsprechung 2019 bekräftigt. Aber selbst nach dem Urteil des BVerfG vom 26. 2. 2020 lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anweisung des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) alle Anträge auf Genehmigung des Bezugs von Natrium-Pentobarbital[17] ab. Die Folgen für die betroffenen Schwerstleidenden waren deutlich, weil alle anderen Mittel weniger geeignet sind.[18] Im November 2023 folgte eine entsprechende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.[19] Das Betäubungsmittelgesetz verfolge das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Mitteln zu verhindern. Das Verbot von Natrium-Pentobarbital für Menschen sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen, weil es auch andere geeignete verschreibungspflichtige Medikamente gebe. In der Entscheidungsbegründung spielt auch der Gedanke der Freiwilligkeit des Suizids eine nicht ohne weiteres nachvollziehbare Rolle. Die Frage, ob der Schutz der Bevölkerung durch Missbrauch nicht dadurch stärker geschützt wäre, dass statt dem unvergleichlich häufigeren Einsatz von Natrium-Pentobarbital bei der Tiertötung andere Medikamente einsetzen würde, stellt das BVerwG erst gar nicht. Das führt zu dem Gedanken, ob nicht im Hintergrund der Entscheidung der zumindest uneingestandene vage, aber rechtlich unzulässige religiöse Gedanke einer Lebenspflicht[20] steht.

II. Tötung auf Verlangen

§ 216 StGB bedroht denjenigen mit Strafe, der einen anderen tötet oder dies versucht, obwohl er "durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden" ist. Das bis heute ungelöste Rechtsproblem (neben der Frage der Erforderlichkeit des § 216) besteht darin, dass es wegen der Vielzahl unterschiedlichster Fallvarianten nicht möglich zu sein scheint, anhand plausibler Kriterien stets konkret nachvollziehbar zu entscheiden, ob noch straflose Beihilfe zum S. oder bereits strafbare Tötung auf Verlangen vorliegt. Hauptkriterien sind bislang die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten und die Frage der Beherrschung des "letzten tödlichen Aktes". Musterbeispiel für eine vielfach als willkürlich empfundene Grenzziehung: Ein Arzt, der dem Sterbewilligen die erlösende Spritze zur Selbstinjektion übergibt, ist strafloser Gehilfe eines Suizids. Nimmt er die Injektion selbst vor, macht er sich strafbar. Die Fachdiskussion und Rechtsprechung. (mit etlichen spektakulären Fällen) zur Gesamtproblematik einschließlich ihrer zahllosen medizinischen Details ist rechtlich verworren und widersprüchlich, ethisch umstritten und rechtspolitisch schroff kontrovers. Theologisch-kirchliche Einflussnahmen erleichtern nicht gerade die Erörterung in Richtung eines dringend erforderlichen Gesetzes, bei dem die Eigenverantwortlichkeit und die Interessen des Suizidenten im Vordergrund stehen müssten. Reinhard Merkel, der die Abgrenzungsproblematik unaufgeregt, eindrucksvoll und allgemeinverständlich dargelegt hat, spricht von einer Neigung der Strafrechtsdogmatik (s. Dogmatik), auch nur die Frage nach der Möglichkeit einer teilweisen Straffreiheit der Tötung auf Verlangen ("aktive Sterbehilfe") vor dem Hintergrund der These eines absoluten Lebensschutzes für unzulässig zu erklären. Das führe im Bereich der medizinischen Sterbehilfe zu einem "Gesamtklima der argumentativen Unehrlichkeit".[21] Diese ideologischen Voreingenommenheiten dürften auch der in der Rechtsprechung lange gebräuchlichen Ansicht zugrunde gelegen haben, wonach beim Suizid die Inhaber einer sog. Garantenstellung (z. B. Angehörige, Ärzte) stets eine Pflicht zum rettenden Eingreifen haben, wenn sie nicht wegen unterlassener Hilfeleistung oder gar Tötung durch Unterlassen belangt werden wollen. Der Garant (Angehörige, Arzt) durfte dem Suizidenten sozusagen den Strick reichen, musste ihn aber nach erfolgtem Aufhängen wieder abschneiden. Das bedeutete die Beseitigung der Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid, obwohl das beim erkennbar eindeutig selbstverantworteten Suizid der Willensentscheidung des Suizidenten und damit auch seiner Würde widerspricht.[22] Die Tatsache, dass in einigen Ländern wie Belgien, Niederlande, Luxemburg und Kanada die Tötung auf Verlangen nicht strafbar ist, sollte Anlass zur Überprüfung der strafrechtlichen Erforderlichkeit sein.[23]

Leitprinzipien des Grundgesetzes; Liberale Rechtstheorie; Menschenwürde; Recht, Moral und Religion; Suizid

Literatur

Fischer, Felix Tim: Haben kranke Menschen einen Rechtsanspruch auf aktive Sterbehilfe oder Unterstützung beim Suizid? HRRS 2021, 24-34 (Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht) = https://www.hrr-strafrFischerecht.de/hrr/archiv/21-01/index.php?sz=7

Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch, Kommentar, 71. A. 2024.

Hegselmann R./Merkel R. (Hg.): Zur Debatte über Euthanasie, Frankfurt 1991 (stw).

Hoerster, Norbert: Sterbehilfe im säkularen Staat, Frankfurt 1998 (stw).

Krack, Ralf: Teilnahme am Suizid und Tötung auf Verlangen. Ein Appell an den Gesetzgeber. KJ 1995,60-76.

Leist, Anton (Hg.): Um Leben und Tod. Moralische Probleme bei Abtreibung, künstlicher Befruchtung, Euthanasie und Selbstmord, Frankfurt 1989 (stw).

Merkel, Reinhard: Teilnahme am Suizid, Tötung auf Verlangen, Euthanasie. Fragen an die Strafrechtsdogmatik. In: Hegselmann/Merkel, Zur Debatte über Euthanasie, Frankfurt 1991, 71-127.

Neumann, Ulfried: Rechtstheoretische und -methodologische Aspekte der Diskussion zum Natriumpentobarbital-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in: Neumann/Czermak/Merkel/Putz (Hg.), Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht, Baden-Baden 1919, 175-196.

Will, Rosemarie: Für ein aufgeklärtes Konzept der Sterbehilfe, Blätter für deutsche und internationale Politik 2016, 105-112 = https://www.blaetter.de/ausgabe/2016/februar/selbstbestimmt-am-lebensende

 


[1] BGHSt 42, 301 (305), U. v. 15.11.1996 - 3 StR 79/96 = http://www.servat.unibe.ch/dfr/bs042301.html . Die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen (BGHSt 37, 376) sei ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen.

[2] So richtig BGHSt 55, 191, U. v. 25.06.2010 - 2 StR 454/09.

[3] BGHSt, Urteile vom 3. 7. 2019, Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18 (keine Garantenstellung beim assistierten Suizid). Der zwischenzeitlich 2015 eingeführte und jetzt für nichtig erklärte § 217 StGB war auf den Fall noch nicht anwendbar.

[4] § 29 des Betäubungsmittelgesetzes drohte bisher Strafe für die unerlaubte Herstellung, die Ein- und Ausfuhr oder in Verkehr-Bringung von Betäubungsmitteln an.

[7] Die Mehrheit der Palliativmediziner scheint der Ansicht zu sein, dass verzweifelte Patienten durch Vertrauen und einfühlsame Kommunikation zu einer Änderung ihrer Sichtweise gebracht werden könnten, derzufolge das Leben nicht mehr lebenswert sei.

[10] S. oben I 3.

[12] Siehe neben den vielen juristischen Untersuchungen das sehr eindringliche Buch des seinerzeit deutschlandweit wichtigsten ärztlichen Suizidbegleiters Uwe-Christian Arnold, Letzte Hilfe, 2014, der seinen zutiefst persönlichen Erfolg beim BVerfG als todkranker Suizident nicht mehr erleben durfte.

[14] Rn 210 der Gründe

[15] BVerwGE 158, 142, U. v. 2. 3. 2017 - 3 C 19.15 = https://www.bverwg.de/de/020317U3C19.15.0 (Natriumpentobarbital)

[16] Etwa F. T. Fischer, HRRS 2021, 24-34; U. Neumann, 2019

[17] Natrium-Pentobarbital wurde ursprünglich als Schlafmittel auch beim Menschen eingesetzt und ist heute in Deutschland allgemein üblich zum Einschläfern von Klein- und Großtieren, weil es völlig schmerzfrei ist und schnell und sicher wirkt.

[19] BVerwG U. 7. 11. 2023 – 3 C 8.22 = https://www.bverwg.de/de/071123U3C8.22.0.

[21] R. Merkel 1991, S. 87.

[22] R. Merkel, 1991.

[23] N. Hoerster, 1998, 27-35.

© Gerhard Czermak / ifw (2024)