1. Stellungnahme der Giordano-Bruno-Stiftung gem Art 36 Abs. 2 EMRK

 1. Das konventionswidrige besondere Kirchgeld in Deutschland

1. a) Rechtspolitischer Vorspann

Das Religionsverfassungsrecht der EMRK wie es in Art 9, 14 EMRK verfasst ist, gewährleistet nicht nur die positive und negative Religionsfreiheit und die Gewissensfreiheit des Einzelnen, sondern geht auch von einer prinzipiellen Trennung von Staat und Kirche, von der Gleichheit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und insbesondere von der Neutralität aller Staatsgewalt in Religions-und Weltanschauungsfragen aus. Dies ist das hart erkämpfte Erbe der europäischen Aufklärung, das der EGMR auch zu bewahren und zu hüten hat.

Der weltanschaulich neutrale Staat, hier die BRD, darf solche Perspektivverengungen und Verfassungsverstöße, wie sie gerade beim besonderen Kirchgeld (abgekürzt: bKG) in zahlreicher und unterschiedlicher Ausprägung auftreten, einfach nicht weiter zulassen. Das bKG ist überholt und in mehrfacher Hinsicht konventionswidrig.

Begrifflich ist das "besondere" Kirchgeld (bKG), vom "einfachen oder allgemeinen" Kirchgeld zu unterscheiden. Der Begriff "Kirchgeld" ist ein Sammelbegriff für solche Kirchensteuern, die nicht anhand staatlicher Maßstabssteuern (Lohn- und Einkommensteuern), sondern anhand eines besonderen, von den Kirchen eigenständig festgesetzten Staffeltarifes als Kopfsteuern erhoben werden[[1]],[[2]]. Während das allgemeine Kirchgeld, das ehemalige "Orts- und Gemeindekirchgeld", grundsätzlich von einem Ortsbezug ausgeht und von allen betroffenen Kirchenmitgliedern beigetrieben wird, hat das bKG als zentralen Anknüpfungspunkt einen spezifischen Ehe-/ Lebensgemeinschaftsbezug. Das bKG ist deshalb auf solche Kirchenmitglieder beschränkt, die in einer glaubensverschiedenen Ehe leben, in der das Familieneinkommen allein oder deutlich überwiegend vom kirchenfremden Ehepartner verdient wird.

Ebenso außergewöhnlich wie bezeichnend ist, dass das bKG vom Bundesverfassungsgericht (abgekürzt: BVerfG) erfunden worden ist und zudem noch auf einem bloßen obiter dictum beruht[[3]]. Nach wie vor orientieren sich bis heute alle Kirchensteuergesetze der Länder in Deutschland an dieser bemerkenswerten Entscheidung. Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG sich nicht nur selbst widersprochen[4], sondern auch klar gegen das Verbot, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren, verstoßen. Es hat das Prinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität i.S.e. Äquidistanz und Nichtidentifikation mit Religionen und Weltanschauungen gröblich missachtet.

Die Entscheidung des BVerfG stammt aus dem Jahre 1965. Es ist Ausdruck einer früheren Entwicklungsstufe des Religionsverfassungsrechtes in Deutschland[[5]]. Nach säkularer Einschätzung wird das BVerfG auch heute nicht immer seiner Aufgabe als "Hüter der Verfassung" im Religions- und Weltanschauungsangelegenheiten gerecht, wie gerade dieser Fall zeigt.

Leider hat das BVerfG auch die Chance vertan, diese frühere Entwicklungsstufe in seiner heutigen Rechtsprechung mutig zu verlassen und positiv neu zu gestalten. So kann die nichtssagende, dezisionistische Nichtzulassungsbeschluss vom 28.10.2010, Az: 2 BvR 816/10 nur Erstaunen und Befremden auslösen[[6]]. Ein solcher überfälliger Schritt des BVerfG, weg vom konservativen, einengenden Staatskirchenrecht, ist nicht nur wegen des anhaltenden Wegbrechens der kirchlich gebundenen Menschen in Deutschland (Kirchenaustritte) angezeigt, sondern wäre auch ein kluges Signal, um den verbreiteten Verdacht in der deutschen Bevölkerung zu begegnen, wonach die beiden Großkirchen und das BVerfG sowieso "Arm in Arm gehen". Deshalb habe das BVerfG ja auch sog. "Heidensteuer" kreiert. So wird im Volksmund das bKG genannt.

Dieser Verdacht wird auch durch die bemerkenswerte Tatsache bestärkt, dass ausgerechnet das BVerfG diejenige Institution in Deutschland ist, der vom Vatikan die meisten päpstlichen Orden verliehen worden sind[[7]].

Kurz:

Das bKG bringt das BVerfG wegen seiner Rechtsprechung "pro ecclesia" in Misskredit.

Das bKG ist rechtlich überholt und nicht mehr zeitgemäß.

Das bKG stellt einen Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit, das staatliche Neutralitätsprinzip, einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und einen Verstoß gegen die "Notwendigkeit" gem. Art 9 Abs. 2 EMRK dar[[8]].

1.b) Rechtliche Würdigung im Einzelnen

Zentraler Ausgangspunkt für jede Form der Kirchensteuerpflichtigkeit ist ausschließlich und allein das höchst subjektive individuelle Merkmal der Kirchenmitgliedschaft. Die Kirchen können also nur ihre eigenen Mitglieder besteuern. Deshalb können Nicht-Kirchenmitglieder - auch nicht indirekt oder in irgendeiner anderen rabulistischen Form - zur Kirchensteuer in Anspruch genommen werden. Durch die Kirchensteuergesetze der Länder wird aber der kirchlich ungebundene Ehepartner über den ehelichen Unterhaltsanspruch seines kirchlich gebundenen Ehepartners gezwungen, dessen bKG letztlich zu bezahlen, weil jeder Ehegatte als Gesamtschuldner für die Kirchensteuerschuld des anderen Ehegatten haftet[[9]]. Dies ist ein Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit gem Art 9Abs 1 EMRK[[10]].

Schon deshalb ist der Ansatz des bKG, die kirchliche Besteuerung an das Merkmal der "glaubensverschiedenen Ehe / eingetragenen Lebenspartnerschaften" anzuknüpfen, von vornherein verfehlt. Denn eine glaubensverschiedene Ehe beruht doch gerade nicht auf der gemeinsamen Anerkennung beider Ehepartner hinsichtlich der identischen, religiösen Glaubensinhalte und Wertvorstellungen. Dies gilt insbesondere auch für Muslime und kleinere Glaubensgemeinschaften. Deshalb sind solche vielzitierten Merkmale, die immer auf die Ehe zur Rechtfertigung des bKG abstellen, unbrauchbar, wie zB: "die Ehe als Anknüpfungspunkt für fremde Steuerschuld", "die Ehe als gesamtschuldnerischer Haftungsverbund" und "die Ehe als Erwerbs- oder Verbrauchergemeinschaft"[[11]]. Denn es geht beim bKG allein um Art 9 EMRK, der auch dann verletzt wird, wenn ein glaubensfremder Ehepartner für die Kirchensteuerschuld seines gläubigen Ehegatten zumindest mittelbar haften soll.

Die Argumentation des BVerfG in seiner maßgeblichen Entscheidung BVerfGE 19, 268(282) ist aber noch problematischer. Das bKG soll offensichtlich aus Gerechtigkeitsgründen nur für den Fall gelten, dass der kirchenangehörige Ehegatte "ansonsten mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei bliebe". Dies vermag nicht zu überzeugen, weil ausgerechnet der Atheist realiter die Kirchensteuer seines Ehepartners bezahlen soll. Das ist abwegig und von Art. 9 EMRK in keinster Weise gedeckt[[12]].

Deshalb ist auch die gesamte Kasuistik, die inzwischen aus dem bKG abgeleitet worden ist, in vieler Hinsicht von vornherein verfassungsrechtlich teilweise höchst problematisch. Insoweit sollen hier nur Stichworte geliefert werden: (1) Problematik des bKG bei den Doppelverdienern, (2) Differenzierung zwischen glaubensverschiedenen und konfessionsverschiedenen Ehen (s. u. (b2), (3) steuerliche Zusammenveranlagung mit den Steuervorteilen nach der Splitting-Tabelle oder getrennte steuerliche Veranlagung der Ehegatten, (4) Berücksichtigung / Nichtberücksichtigung der Kinderfreibeträge beim bKG[[13]], (5) zudem wird systemfremd beim bKG unter den Kautelen des BVerfG gerade keine Einnahme (wie beim Kirchgeld) versteuert, sondern eine Verbrauchsgröße, nämlich der Aufwand zur Lebensführung.(6) Unbeachtlichkeit der Art des Güterstandes oder einer ehelichen Vereinbarung über die Verwendung des Einkommens[[14]].

b.1) Zum Prinzip des Lebensführungsaufwandes bei der Berechnung des bKG

Bei den glaubensverschiedenen Ehen soll es zur Berechnung des bKG ausschließlich auf den jeweiligen individuellen Lebensführungsaufwand ankommen. Schon aus praktischer Sicht fragt man sich erstaunt, wie denn ausgerechnet die Kirchen diesen Lebensführungsaufwand im konkreten Einzelfall ermitteln und errechnen wollen, wenn sie doch von den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des maßgeblichen nichtgläubigen Ehepartners (Atheist), der der Alleinverdiener ist, überhaupt keine Kenntnis haben dürfen. Entsprechende Nachforschungen wären nämlich erneute Verfassungsverstöße gegen Art 136 Abs. 3 WRV und zugleich gegen das Trennungsgebot gem Art 137 Abs. 1 WRV iVm Art. 140 GG, von den datenschutzrechtlichen Fragen einmal ganz abgesehen. Ohne diese konkreten kirchlichen Ermittlungen zum jeweiligen Lebensführungsaufwand ist allerdings eine derartige Steuerberechnung im konkreten Einzelfall praktisch gar nicht möglich.

Deshalb wird der eigentliche Lebensführungsaufwand in der Praxis auch gar nicht anhand des konkreten Einzelfalles berechnet, sondern in abstrakt-typisierender Weise einfach festgelegt, indem die Kirchen einen eigenen 13-stufigen Tarif entwickelten (von 96 € bis 3.600 € jährlich), der auf dem gemeinsam zu versteuernden Einkommen beider Ehepartner gem § 2 Abs. 5 EKStG aufbaut. Diese schematisierenden Umrechnungsmechanismen sind leicht als Camouflage des konkreten Einzelfalles zu erkennen, als die "tarnende Bezeichnung des konkreten Lebensführungsaufwandes"[[15]]. Realiter wird damit der glaubensfremde Ehegatte kirchensteuerrechtlich in "Haftung" genommen. Schon aus Klarstellungsgründen sollte sich der EGMR solchen Berechnungsmodalitäten bei dem "Konstrukt des Lebensführungsaufwands" verweigern.

In der Sache handelt es sich beim bKG um einen klaren Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit gem Art 9 Abs. 1 EMRK, weil der glaubensfremde Ehepartner kirchensteuerrechtlich in eine mittelbare kirchensteuerrechtlich konstruierte Zwangsmitgliedschaft gezwungen wird.

Ferner liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gem Art 14 EMRK aus folgenden Gründen vor. Soweit ersichtlich ist zum bKG nur in der Fallkonstellation geurteilt worden, in denen dem kirchlich gebundenen Ehepartner ein "Lebensführungsaufwand", ein fiktives Einkommen, zugebilligt wurde. Wie sieht aber die umgekehrte Fallkonstellation aus? In einer glaubensverschiedenen Ehe verdient das Kirchenmittglied das gesamte eheliche Einkommen, der glaubensfremde Ehepartner (Atheist) dagegen nichts. Pikanterweise wird dann der "Lebensführungsaufwand" des konfessionslosen Ehepartners (Atheist) gerade nicht in irgendeiner kirchensteuerrechtlichen Art und Weise berücksichtigt, vielmehr wird das gesamte zu versteuernde Einkommen, dh das gesamte Einkommen des Kirchenmitgliedes, voll (zu Gunsten der Kirchen) versteuert und zwar ohne einen Abzug für den Lebensführungsaufwand des kirchlich nicht gebundenen Ehepartners.

Der Atheist wird also über die Kirchensteuergesetzgebung zum bKG (glaubensverschiedene Ehen) diskriminiert.

 b.2) Konfessionsverschiedene Ehen

Auch die kirchensteuerrechtliche Unterscheidung zwischen glaubensverschiedener und konfessionsverschiedener Ehe bringt wegen des insoweit anzuwendenden sog. Halbteilunsgrundsatzes die Diskriminierung desjenigen Ehepartners zum Ausdruck, der mehr verdient. Im Falle der konfessionsverschiedenen Ehen (ein Ehepartner ist katholischer Christ der andere ist evangelischer Christ) bringt der besserverdienende Ehepartner ein Kichensteueraufkommen für seinen geringer verdienenden Ehepartner auf, der dessen Lebensführungsaufwand gerade nicht entspricht. Somit ist die derzeitige Praxis der Kirchensteuererhebung bei konfessionsverschiedenen Ehen (die auf dem Halbteilungsgrundsatz basiert) nicht vereinbar mit der Religionsfreiheit des besserverdienenden Ehepartners.

Schließlich soll auf die für einen Normalbürger völlig unübersehbare Unterschiedlichkeit des bKG anhand der Landeskirchensteuergesetze in den einzelnen Bundesländern hingewiesen werden. Es handelt sich insoweit um einen "gesetzlichen Flickenteppich", der gegen das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, damit gegen den Gleichheitssatz und deshalb auch gegen den Art. 14 EMRK verstößt[[16]]

2. Das "besondere Kirchgeld" als europaweiter Sonderfall; Hintergrund und Fakten

Das bKG ist europaweit ein einzigartiger Sonderfall, nicht nur weil es sich hierbei um eine "Erfindung des BVerfG" handelt, sondern auch weil es die außergewöhnliche Machtposition der beiden etablierten und kirchensteuerberechtigten Kirchen in Deutschland im Verhältnis zu den Kirchen in den anderen europäischen Konventionsstaaten klar beleuchtet[[17]],[[18]],[[19]].

Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt seit Jahrzehnten den staatlichen Einzug der Kirchensteuer ab[[20]], den die zuständigen Bundesländer nicht vorschreiben, aber ermöglichen. Das Grundgesetz (GG) garantiert diesen staatlichen Einzug gerade nicht, denn Art 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (WRV) iVm Art 140 GG fordert nur, dass der Staat den qualifizierten religiösen Körperschaften die nötigen Steuerdaten zur Verfügung stellt, und der Staat gewährleistet die staatliche Vollstreckung (iGz Erhebung der Kirchensteuern).

Die Bedeutung des bKG kann rechtlich nur zutreffend bewertet werden, wenn dabei der erforderliche faktische Gesamtzusammenhang berücksichtigt wird, in dem dieses seltsame Institut der staatlich geförderten Kircheneinnahmen gestellt ist.

Historisch diente das (einfache/allgemeine) Kirchgeld dazu, die damalige typische Defizitfinanzierung der örtlichen Kirchen bis zum Ende des 19. Jahrhundert auszugleichen. Das bKG hat dagegen keinen historischen Vorläufer, es knüpft nicht an die deutsche Geschichte oder Traditionen an, sondern es handelt sich hierbei um eine Erfindung des BVerfG "pro ecclesia", zum alleinigen, sehr profanen Zweck der Erhöhung der Steuereinnahmen beider Kirchen.

Nicht alle steuererhebenden Religionsgemeinschaften haben das bKG als Kirchensteuer ausgewiesen, und es gibt beim bKG noch weitere Unterschiede, die es kaum erlauben, einen klaren und umfassenden Überblick zum bKG zu erhalten[[21]].

Die Kirchensteuergesetze in den Bundesländern sehen immerhin 6 unterschiedliche Kirchensteuerarten vor: (1) Kirchensteuern vom Einkommen (die Kirchenlohn- und die Kircheneinkommensteuer) (2) Kirchensteuer vom Vermögen, der Kirchensteuerabzug auf die Kapitalerträge, also die Kirchenkapitalertragssteuer. (Pikant ist insoweit, dass die Kirchen selbst wegen ihrer Steuerbefreiung gem §§ 43 ff EStG die Kapitalertragssteuern aus ihrem eigenen Vermögen nicht (!) an den Staat abführen), (3) Kirchensteuer auf den Grundbesitz, die teilweise in den alten Bundesländern entweder als Zuschlag zum Grundsteuermessbetrag oder nach Maßgabe des Einheitswertes des Grundbesitzes beigetrieben wird. Auch insoweit ist es wieder pikant, dass zugunsten einer der größten Grundbesitzer in Deutschland, die kirchensteuerberechtigten Kirchen, gem § 1 Abs. 2 GrStG eine Grundsteuerbefreiung besteht[22], (4) das einfache oder allgemeine Kirchgeld (s.o.), (5) das Besondere Kirchgeld bei glaubensverschiedenen Ehegatten und (6) die Mindestkirchensteuer[[23]].

Kurz: Der kirchensteuerliche "Flickenteppich" in Deutschland ist heute kaum überschaubar. Auch deshalb wird schmerzlich fehlende Transparenz vermisst, die bei allen Arten der staatlichen Kirchenfinanzierung in Deutschland trotz der angeblichen "Transparenzoffensiven" geradezu typisch sind (zur fehlenden Transparenz bei den Kircheneinnahmen vergl. Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen S. 14-19).

Verfassungsrechtlich ist bemerkenswert, dass es sich bei Art 137 Abs. 6 WRV iVm Art 140 GG um eine klassische Ausnahmevorschrift zur Regelvorschrift des Art 137 Abs. 1 WRV handelt. Nach allgemeiner juristischer Auslegungslehre sind bekanntlich Ausnahmeregelungen eng auszulegen und zu interpretieren. Genau das Gegenteil hat das BVerfG - und zwar ohne ein Wort der Begründung - getan, indem es sogar über ein bloßes obiter dictum (BVerfGE 19, 268 (282)) das bKG - "pro ecclesia" - erfand, um den Kirchen eine weitere, zusätzliche steuerliche Einnahmequelle zu verschaffen (als Ausgleich für das vom BVerfG zu Recht für verfassungswidrig gehaltene Halbteilungsprinzip).

Das heutige Aufkommen des bKG ist hier nicht exakt bekannt. Der EGMR wird gebeten, die beklagte BRD aufzufordern, präzise die Höhe der Gesamteinnahmen beider Kirchen aus dem bKG in Deutschland für das Jahr 2014 anzugeben.

Nach Berechnungen der Plattform http://kirchgeld-klage.info soll es etwa ½ Mio Ehen in Deutschland geben, in denen das bKG zur Anwendung kommen soll. Die Plattform geht von Einnahmen in Höhe von 200 Mio € jährlich und zwar nur für die EKD aus, was nach hiesiger Einschätzung allerdings recht hoch erscheint. Hier wird rechnerisch für 2014 von 200 Mio insgesamt ausgegangen.

Im Jahre 2008 haben beide großen Kirchen allein über das verzweigte System der Kirchensteuern, Kirchensteuern in Höhe von 9,7 Mrd € eingenommen[[24]]. Die Kirchensteuereinnahmen dürften trotz sinkender Mitgliederzahlen wegen der inzwischen erhöhten Einkommen in der Bevölkerung weiter steigen. Sie dürften für das Jahr 2014 bei etwa 11 Mrd € liegen.

Dabei sind die Einkünfte aus den verschiedenen Kirchensteuern keineswegs das einzige staatliche Finanzierungsinstrument im System der Kirchenfinanzierung in Deutschland. Weitere staatliche Zuwendungen aus allgemeinen Steuermitteln zu Gunsten der Kirchen, ihrer Einrichtungen und ihrer Mitglieder beliefen sich im Jahre 2009 auf weitere, satte 19,2 Mrd € und zwar ohne die beiden großen Sozialverbände Caritas und Diakonie (!)[[25]]. Heute darf man insgesamt von etwa 20 Mrd € jährlich ausgehen.

Im europäischen Maßstab handelt es sich bei den gesamten staatlichen Kirchenzuwendungen mit etwa 31 Mrd € jährlich um geradezu paradiesische Zustände für die deutschen Kirchen, Zustände, die im europäischem Maßstab ihresgleichen suchen und eine Solitärerscheinung in Europa darstellen[26]. Entgegen der immer wieder betonten Behauptung der beiden großen Kirchen verwenden diese lediglich 1,8 % ihrer kirchlichen Einnahmen für ihre sozialen Einrichtungen, ihre beiden Machtträger Caritas und Diakonie mit etwa 1,5 Mio Beschäftigten[[27]].

Die in 2014 geschätzten 200 Mio € des bKG nehmen sich gegenüber diesen üppigen etwa 31Mrd € staatlichen Gesamtzuwendungen an die Kirchen sehr bescheiden aus, nämlich ca 0,6% der gesamten staatlichen Kirchenfinanzierung oder etwa 1,8% der gesamten Einnahmen aus den Kirchensteuern.

Kurz: Das bKG ist gemäß Art 9 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft gerade nicht "notwendig", zum Schutze der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, zum Schutze von Gesundheit, Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer. Die fehlende Notwendigkeit besteht dabei in doppelter Hinsicht, rechtlich und wirtschaftlich.

gez. Ahlf,

Stand:05.12.2015                                                                            


  • [1] Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuern, 2002, S. 473-476;
  • [3] BVerfGE 19, 268 (282)
  • [4] Vergl. z.B. BVerfGE 19, 206 (216)
  • [5] Vergl. Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, Eine Einführung, 2008 RdNr. 86 f und 93 f
  • [6] aA Petersen, ZevKR 56 (2011), 188
  • [7] Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, Kirchen als politische Akteure - christlicher Lobbyismus, Eine Annäherung, 2015 S. 290f (294/295 mwN)
  • [9] Vergl. z.B. § 6 Abs. 4 S. 2 KiStG Baden-Württemberg
  • [10] Vergl. EGMR Urteil vom 17.2.2011-12884/03 (Wasmuth/Deutschland, Leitsatz 2/Rd Nr 50, in: NVwZ 2011, 1503 (1504)
  • [11] Vergl. Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002 S. 330 - 332
  • [13] Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002 S. 466-468
  • [14] Petersen ZevKR 2011, 192
  • [15] Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002 S. 329/330
  • [17] Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen, Wie der Staat die Kirchen finanziert, 2010, S. 246-254
  • [18] Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, Kirchen und politische Akteure - christlicher Lobbyismus - Eine Annäherung, 2015
  • [19] Czermak, Problemfall Religion, Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik, 2014, S. 84-91
  • [20] Vergl. die Umfrage des Meinungsforschungsinstitut FORSA aus dem Jahre 2005, zit. bei Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen, aaO S 221/222 und Halfmann aaO
  • [21] Vergl. die etwas überholten Übersichten von Suhrbier-Hahn, Das Kirchensteuerrecht, Eine systematische Darstellung, 1999 S. 177 ff
  • [22] Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert, 2010 S.113/114
  • [23] zum Ganzen, Suhrbier-Hahn, aaO S. 92
  • [24] Frerk Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert, 2010, S. 23
  • [25] Frerk Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert, 2010 S. 259
  • [26] Weber, Kirchenfinanzierung im religionsneutralen Staat, NVwZ 2002, 1443 (1454)
  • [27] Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert, 2010 S.221