„Dienst unter dem Kreuz“ in der Bundeswehr: Der Fall des Herrn K

Sachverhalt

Herr K. ist Rüstungskontrollstabsoffizier bei der Bundeswehr und seit dem Jahr 2003 in einer Kaserne in NRW eingesetzt. Bis ins Jahr 2015 befindet sich am Appellplatz auf dem Kasernengelände das christliche Symbol des Kreuzes in schlicht gehaltener Form aus Birkenholz. Es ist zum Zwecke der Militärseelsorge von der Arbeitsgemeinschaft katholischer Soldaten errichtet worden. Im Jahre 2015 wird das Birkenkreuz entfernt und durch den Kasernenkommandanten stattdessen ein wesentlich größeres massives Kreuz aus Eiche mit einer Höhe von ca. 3 Metern auf dem Appellplatz/Antreteplatz errichtet. Die Appelle, an denen auch Herr K. teilnimmt und teilnehmen muss, finden vor diesem Eichenkreuz statt. Im Jahre 2016 beschäftigt sich der Beschwerdeführer intensiv mit der Geschichte des Christentums. Dabei muss er zur Kenntnis nehmen, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Heranziehung des religiösen Symbols des Kreuzes in der Vergangenheit verübt wurden. Diese religionskritische Auseinandersetzung führt dazu, dass er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und es nicht ertragen kann, weiterhin unter dem Symbol des christlichen Kreuzes auf dem Appellplatz anzutreten.

Mit Schreiben vom 09.06.2017 beantragt er die Befreiung von der Teilnahme an den Appellen auf dem Antreteplatz, solange das Kreuz auf dem Antreteplatz steht. Er begründet dies damit, dass das Kreuz gegen alle Werte stehe, die er zu schützen vor 27 Jahren in die Bundeswehr eingetreten sei. Mit Bescheid vom 19.06.2017 wird der Antrag auf Befreiung von der Teilnahme an den Appellen mit der Begründung zurückgewiesen, Herr K. habe seit dem Jahre 2003 viele Appelle auf dem Antreteplatz erlebt und diese hingenommen. Eine Unzumutbarkeit sei nicht erkennbar.

Mit Schreiben vom 04.07.2017 legt Herr K. gegen den Bescheid vom 09.06.2017 Beschwerde ein. Darin weist er darauf hin, dass er bis vor kurzem noch nichts von der Kriminalgeschichte des Christentums gewusst habe und sich die massive Ablehnung und Aversion gegen die christliche Symbolik des Kreuzes erst jetzt eingestellt habe. Er führt seine Auffassung aus, dass das Kreuz für eine menschenverachtende Ideologie stehe und er es deshalb nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, vor diesem Kreuz anzutreten. Des Weiteren führt er aus, dass in der Kaserne niemand von einer bestimmten Religion beeinflusst werden solle. Ein Kreuz der Kaserne – gerade in dieser Größe und an einem prominenten Platz – sei ein eindeutiges Zeichen, welches die vorherrschende und die gewünschte Religion sei, was mit dem Neutralitätsgebot des Staates nicht vereinbar sei.

Mit Bescheid vom 02.08.2018 wird die Beschwerde mit der bereits vorher getätigten Begründung zurückgewiesen. Zusätzlich wird mitgeteilt, dass die Antreterichtung auf dem Antreteplatz zukünftig geändert werde, sodass es ihm erspart bleiben werde, ständig auf das Kreuz blicken zu müssen.

Hiergegen legt er mit Schreiben vom 04.09.2017 weitere Beschwerde ein. Darin weist er erneut darauf hin, dass das massive lebensgroße Eichenkreuz erst vor drei Jahren errichtet worden sei und er sich erst im Jahre 2016 intensiv mit der Kriminalgeschichte des Christentums beschäftigt habe. Dabei habe er erkannt, dass es sich bei dem Kreuz um ein antikes Folter- und Hinrichtungsinstrument handelte und ein solches auf dem zentralen Appellplatz einer Kaserne eines Staates, welcher sich mit dem Grundgesetz eine freiheitlich demokratische Grundordnung gegeben hat, keinen Platz haben dürfe.

Er weist zudem darauf hin, dass er faktisch dem Kreuz nicht ausweichen könne und immer mit diesem Symbol konfrontiert werde. Trotz der geänderten Antreterichtung sei er weiterhin dazu gezwungen "unter dem Kreuz" seinen Dienst zu tun, was ihm unzumutbar sei und ihn in seiner negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 GG verletze.

Im Laufe des Septembers 2017 ist das bestehende Eichenkreuz plötzlich nicht mehr vorhanden. Herr K. bringt in Erfahrung, dass es durch einen Unfall beschädigt worden sein sollte und daher entfernt worden war. Später wird das Eichenkreuz an einem anderen Standort auf dem Kasernengelände neu aufgestellt.

Die weitere Beschwerde wird später schließlich durch den bereits übersendeten Bescheid des Streitkräfteamts vom 17.10.2017 zurückgewiesen. Die Zurückweisung wird ausschließlich damit begründet, dass durch das Ändern der Antreterichtung eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 4 I GG nicht mehr geltend gemacht werden könne und Herr K. beim Antreten nicht mehr auf das Kreuz sehen müsse.

Verfahrensstand

Gemäß § 6 Soldatengesetz (SG) hat ein Soldat hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Durch die nicht vorgenommene Entpflichtung des Beschwerdeführers von der Teilnahme an den Appellen, soweit diese unter bzw. vor dem christlichen Symbol des Kreuzes stattfinden, wird bzw. wurde jedenfalls in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers eingegriffen, da dessen negative Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG betroffen ist.

Deshalb beantragt Herr K., vertreten durch seinen Bevollmächtigten Rechtsanwalt Sven Tamer Forst, beim Truppendienstgericht festzustellen, dass es rechtswidrig war, es zu unterlassen, den Beschwerdeführer von der Verpflichtung zur Teilnahme an den Appellen auf dem Appellplatz auf dem Kasernengelände zu befreien, solange dort ein Kreuz steht.

Zwar ist das streitgegenständliche Kreuz, wie oben ausgeführt, unter nicht ganz aufklärbaren Umständen zunächst verschwunden und wurde letztendlich an einer anderen Stelle auf dem Kasernengelände wieder errichtet, so dass die Appelle nun nicht mehr vor / unter bzw. im Angesicht des Kreuzes stattfinden. Eine aktuelle Befreiung von der Teilnahme an den Appellen bedarf es folglich nicht mehr, so dass Erledigung eingetreten ist.

Der Beschwerdegegner hat das Kreuz jedoch nicht auf den Antrag auf Befreiung des Beschwerdeführers hin entfernt oder umgestellt.

Es besteht folglich eine Wiederholungsgefahr. Denn es ist gerade aufgrund des zeitweisen Verschwindens nach Beschädigung und einer nachfolgenden Umstellung nicht auszuschließen, dass das Kreuz auf den ursprünglichen Standort am Appellplatz zurückgestellt wird. Darüber hinaus wurde seitens des Beschwerdegegners mehrfach erklärt, dem Beschwerdeführer sei die Teilnahme am Appell auch mit Kreuz zumutbar. Insbesondere wurde im Beschwerdebescheid vom 17.10.2017 nicht ausgeführt, dass das Kreuz nicht mehr am Appellplatz aufgestellt werden solle.

Ein Feststellungsinteresse besteht ebenfalls unter dem Gesichtspunkt eines (tiefgreifenden) Grundrechtseingriffs in Bezug auf die negative Religionsfreiheit aus Art. 4 GG. Denn der Beschwerdeführer war der von ihm mit seinem Gewissen nicht zu vereinbarenden religiösen Symbolik ab Antragstellung monatelang weiter ausgesetzt.

Ein Feststellungsinteresse oder eine Beschwerdeberechtigung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt verneint werden, dass die Antreterichtung geändert wurde. Die sogleich noch zu begründenden Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers resultieren nicht allein aus dem Antreten in Richtung des Kreuzes, sondern aus dem Antreten vor/unter dem Kreuz, gleichgültig in welche Richtung das Antreten erfolgt.

Durch die unterlassene Befreiung von den Appellen bei Vorhandensein des Kreuzes ist der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 GG verletzt worden. Gleichzeitig verstößt die Verpflichtung zur Teilnahme am Appell vor dem Kreuz gegen das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates.

Die Maßstäbe für die vorliegende Rechtsfrage sind der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.05.1995 zu entnehmen (1 BvR 187/91). Darin heißt es unter II 1.:

"Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Glaubensfreiheit. Die Entscheidung für oder gegen einen Glauben ist danach Sache des Einzelnen, nicht des Staates. Der Staat darf ihm einen Glauben oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten. Zur Glaubensfreiheit gehört aber nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>). Insbesondere gewährleistet die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet. Dem entspricht umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit bezieht sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art. 4 Abs. 1 GG überläßt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>). Dem trägt auch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV dadurch Rechnung, daß er ausdrücklich verbietet, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen."

Die negative Religionsfreiheit umfasst ausweislich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur das Recht, kultischen Handlungen fernzubleiben, sondern bezieht sich ebenfalls auf die Freiheit von religiösen Symbolen, sofern – und hierauf kommt es an – er diesen in einer vom Staat geschaffenen Lage ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist.

Genau die letztere Konstellation ist vorliegend gegeben.

Soweit der Beschwerdegegner die Auffassung vertritt, es sei die grundrechtlich verbürgte positive Religionsfreiheit anderer Soldaten zu berücksichtigen, verkennt er die grundrechtliche Situation.

Zwar beinhaltet die negative Religionsfreiheit nicht das Recht, die positive Ausübung der Religionsfreiheit anderer zu verbieten. Auch besteht kein Vorrang. Allerdings existiert vorliegend gar keine Kollision der Grundrechte.

Denn weder stellt der Appell eine Religionsausübung oder eine kultische Handlung dar, noch besteht ein subjektives Recht eines einzelnen Soldaten, ein Kreuz oder anderes religiöses Symbol während seiner Dienstausübung auf staatlichem Grund aufgestellt zu erhalten. Mithin stehen sich nicht gegenläufige jeweils gegen den Staat gerichtete Grundrechte gegenüber, sondern es steht ausschließlich das Grundrecht des Beschwerdeführers gegen ein nicht weiter begründbares Interesse des Beschwerdegegners. Eine Abwägung zweier Grundrechte kann also nicht erfolgen.

Auch aus § 36 SG lässt sich keine Einschränkung des Neutralitätsgebots und des Grundrechts des Beschwerdeführers ableiten. Denn danach besteht lediglich ein Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung. Dies erfordert indes nicht das Vorhandensein eines Kreuzes am oder auf dem Antreteplatz.

Zu Unrecht verweist der Beschwerdegegner darauf, der Beschwerdeführer habe das Vorhandensein des Kreuzes jahrelang hingenommen und könne sich nun nicht mehr auf eine Verletzung seines Grundrechts berufen.

Zum einen hat der Beschwerdeführer erst durch intensive Beschäftigung mit der Geschichte bzw. Kriminalgeschichte des Christentums zu der Überzeugung gefunden, dass dem Kreuz (jedenfalls auch) eine menschenverachtende Symbolik zukommt. Bekenntnis- und Gewissenfragen sind nicht an Zeiten oder Fristen gebunden, so dass der Einwand des Beschwerdegegners ins Leere geht.

Im Gegenteil dürfte es gerade die Ernsthaftigkeit der Erwägungen des Beschwerdeführers unterstreichen, wenn dieser sich nicht "einfach so" gegen den Appellzwang vor dem Kreuz wendet, sondern dies erst nach intensiven plausiblen Überlegungen.

Mit dem Verstoß gegen das Grundrecht des Art. 4 GG des Beschwerdeführers geht eine Neutralitätspflichtverletzung einher.

Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem in seinem Urteil vom 14.12.1965, 1 BvR 416/60 (Rz 32) folgendes ausgeführt:

"Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl. auch BVerfGE 12, 1 (4); 18, 385 (386); BVerfG NJW 1965, 1427 f.)."

Mit der Aufstellung (oder auch nur Duldung) des christlichen Symbols des Kreuzes am Appellplatz wird in eindeutiger Form der christliche Glauben privilegiert. Gerade in einer staatlichen Einrichtung wie der Bundeswehr dürfen die Soldaten nicht einem religiösen Symbol ausgesetzt sein, welchem sie nicht ausweichen können. Denn durch diese Verletzung des Neutralitätsgebots am täglichen Arbeitsplatz wird der Eingriff in die negative Religionsfreiheit des Beschwerdeführers umso intensiver.

Das Truppendienstgericht weist den Antrag im Herbst 2018 als unzulässig zurück. Nachdem das Holzkreuz vom Antreteplatz entfernt worden sei, habe sich die Angelegenheit erledigt. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr gebe es keine konkreten Hinweise. Auch habe, so das Truppendienstgericht, durch die Verpflichtung zur Teilnahme an Appellen unter dem Kreuz, kein tiefgreifender Grundrechtseingriff stattgefunden.

Das hiergegen angerufene Bundesverwaltungsgericht beschließt im Juli 2019, die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Die Verneinung der Wiederholungsgefahr seitens des Truppendienstgerichts sei rechtmäßig erfolgt. Das Verfahren ist damit - bis zu einer etwaigen erneuten Umsetzung des Holzkreuzes zulasten des Herrn K. - abgeschlossen.