Rezension zu Staat – Religion – Recht. Festschrift für Gerhard Robbers

Kerstin von der Decken, Angelika Günzel (Hg.), Staat – Religion – Recht. Festschrift für Gerhard Robbers zum 70. Geburtstag

Rezension von Prof. Dr. Hartmut Kreß, Bonn

Das Religionsrecht befindet sich in einem Umbruchprozess, für den die weltanschaulich-religiöse Pluralisierung sowie die moderne Säkularisierung Pate gestanden haben. Die Dynamik des Umbruchs zeigt sich staatenübergreifend quer durch Europa und außerhalb Europas. Im vorliegenden Band, einer dem Kirchenrechtler Gerhard Robbers (Trier) gewidmeten Festschrift, spiegelt sich diese Entwicklung ab. Dass für die Bundesrepublik Deutschland ganz erheblicher Klärungsbedarf zu sehen ist, erschließt sich anhand von Beiträgen, die der Sammelband zum kirchlichen Arbeitsrecht, zum schulischen Religionsunterricht und zum Status theologischer Fakultäten enthält. Mit diesen Beiträgen beschäftigt sich die nachfolgende Rezension unten in Abschnitt III.

I.

Zur Konzeption und zu den Inhalten des Sammelwerks: Die 61 Beiträge des umfangreichen Bandes sind in acht Abteilungen aufgeteilt. Nach einer ersten Abteilung über "Grundfragen staatlicher Ordnung" finden sich vier Buchteile, die mit "Staat und Religion" überschrieben sind und folgende Untertitel tragen: "Grundlagen", "Internationale Perspektiven", "Nationales Recht und Europarecht", "Staatliches und interreligiöses Recht". Der anschließende sechste Teil des Buches ist unter die Überschrift "Grund- und Menschenrechte" gestellt. Ferner ist für Teil 7 die Überschrift "Europarecht und Verfassungsrecht der (ehemaligen) Mitgliedsstaaten" sowie für Teil 8 die Überschrift "Rechtspolitik" gewählt worden. Der achte Teil dient als Auffangbecken für anders nicht einzuordnende Aufsätze.

Auf das Religionsrecht als Fokus des Buches wird sogleich einzugehen sein. Zu den diversen Fragen, die der Band abgesehen vom Religionsrecht erörtert, gehören "Gesundheit und Gerechtigkeit" (Eckhard Nagel, S. 47 ff.) oder das Arbeitsrecht, konkret Gewerkschaftsrechte im Betrieb auf der Basis der in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgten Koalitionsfreiheit (Thomas Raab, S. 743 ff.), oder Kinderrechte (Sabine Dahm, S. 765 ff.).

Dabei bleibt nicht aus, dass Artikel inhaltlich enttäuschen. Dies gilt für die Erwägung zu "Gesundheit und Gerechtigkeit" des Gesundheitswissenschaftlers Eckhard Nagel. Der Stellenwert des Themas liegt auf der Hand. Der Aufsatz spricht die Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitssystem an, betont den Sozialstaatsgedanken und urteilt, das deutsche Gesundheitssystem sei von überbordender Bürokratie und von "einem grundlegenden Misstrauen gegenüber den im Gesundheitswesen handelnden Personen" bestimmt. Im Gegenzug sei das Prinzip "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser" zum Zuge zu bringen. Der Verf. fordert emphatisch eine Korrektur: "Es bedarf eines Vertrauensvorschusses für die teilnehmenden Institutionen und Personen innerhalb des Gesundheitswesens; konsequent bedeutet dies ein [! muss heißen: einen] Vertrauensvorschuss an jeden einzelnen von uns" (S. 61). Was das Postulat konkret bedeuten und wie es sich umsetzen lassen soll, bleibt vollkommen offen.

II.

Dem Schwerpunkt Religionsrecht widmen sich zahlreiche Beiträge des Bandes. Sie beziehen sich auf das In- und das Ausland.

Mit Blick auf das Inland wird z.B. erörtert, inwieweit der Verfassungsbegriff der Religionsgesellschaft auf die jüdischen Gemeinden zutrifft. Dabei macht die Verf.in Angelika Günzel auf Analogien zwischen jüdischen Institutionalisierungen und dem in der Evangelischen Kirche in Deutschland organisierten Protestantismus aufmerksam (S. 617 ff.). Im Rahmen eines Rechtsvergleichs arbeitet der katholische Kirchenrechtler Richard Potz eine Besonderheit der europäischen Rechtsordnung in der Differenz zu den USA heraus. In Europa wird neben oder unter Umständen geradezu vor der individuellen Glaubens- und Gewissensfreiheit die korporative Religionsfreiheit betont, was in den USA nicht der Fall ist (S. 341 ff.).

Hierzu ist freilich hinzuzufügen, dass sich in Europa und auch in der Bundesrepublik Deutschland Korrekturen abzeichnen. Denn jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die sich auf die Antidiskriminierungsbestimmungen der EU stützen, stärken aus guten Gründen die individuellen Grundrechte gegenüber den korporativen Rechten der Kirchen.

Eine Reihe von Aufsätzen präsentiert das Religionsrecht einzelner Staaten. Zu Österreich finden sich Informationen über das dortige aus dem Jahr 1961 stammende Protestantengesetz und über aktuelle Bestimmungen zum religionsrechtlichen Status von Muslimen (Wolfgang Wieshaider, S. 411 ff.). Beiläufig wird erwähnt, dass der österreichische Staat in Wien eine evangelisch-theologische Fakultät unterhält. Für die Besetzung von Professuren dieser Fakultät gesteht Österreich der Kirche sehr viel weniger Einfluss zu, als es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Vor einer Professorenberufung soll die Wiener Universität mit der evangelischen Kirche lediglich in "Fühlungnahme" treten. Ähnlich lauten die Bestimmungen, die in Österreich seit 2015 für die Besetzung von Stellen zur islamischen Theologie gelten (S. 419). In der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen die Kirchen gegenüber theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten sehr viel weitergehende Mitspracherechte – eine Problematik, auf die unten in Abschnitt III.3. anhand des Festschriftbeitrags von Friedhelm Hufen einzugehen sein wird.

Exemplarisch sei ein weiterer staaten- und rechtsvergleichender Artikel des Sammelbands herausgegriffen. Er wendet sich Schweden zu und schildert den langen Prozess der dortigen Entflechtung von lutherischer Kirche und Staat. Kulturgeschichtlich ist interessant, dass sich in Schweden im 19. Jahrhundert Freikirchen bildeten, die sich von der hierarchischen lutherischen Staatskirche abkehrten und in ihrem Binnenbereich für demokratische Strukturen aufgeschlossen waren. Der Verf. des Aufsatzes Lars Friedner meint, zusätzlich zur Abstinenz- und zur Arbeiterbewegung seien diese Freikirchen in Schweden einer der Motoren für den Aufbau von Demokratie gewesen (S. 433). Heute ist die Demokratie in Schweden zur Staatsräson geworden. Dies schlägt jetzt auch auf das Verhältnis des schwedischen Staates zu Kirchen und Religionen durch. Laut Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2017 sind Beihilfen des Staates an Religionsgemeinschaften davon abhängig zu machen, dass diese die Werte der Demokratie anerkennen (S. 435).

Insgesamt lassen sich dem Sammelband erhellende rechtsvergleichende Informationen entnehmen. Indirekt werden hierdurch zugleich Impulse gesetzt, die die Einschätzung und die Fortentwicklung des Religionsrechts in Deutschland berühren.

III.

Zu Kirchen und Religionen in der Bundesrepublik Deutschland reflektiert der Sammelband unterschiedliche Themen. Nachfolgend wird die Aufmerksamkeit auf Beiträge gelenkt, die das kirchliche Arbeitsrecht, den Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten behandeln.

III.1.

Was das kirchliche Arbeitsrecht anbelangt, so zeigt sich, dass in den letzten beiden Jahrzehnten durchaus einige Bewegung entstanden ist. Der Band ist dem Trierer Rechtswissenschaftler Gerhard Robbers gewidmet, der vor ca. einem Jahrzehnt im Auftrag der katholischen und evangelischen Kirchen ein Gutachten dazu geschrieben hatte, ob ArbeitnehmerInnen in kirchlich getragenen Einrichtungen, die öffentlich refinanziert werden (Kliniken, Pflegeeinrichtungen usw.), ein Recht auf Arbeitsstreik zuzugestehen sei. Die Kirchen lehnten und lehnen dies kategorisch ab. Robbers bekräftigte den damaligen status quo ihres Arbeitsrechts. Er immunisierte die von ihnen gesetzten arbeitsrechtlichen Normen gegenüber jedweder externer Kritik, weil diese religiös begründet seien und weil "es keine [!] Tätigkeit innerhalb kirchlicher Einrichtungen gibt, die gegenüber dem Sendungsauftrag neutral wäre"[1]; alles, was in kirchlich organisierten Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens geschehe, diene ausnahmslos und "ununterbrochen" dem kirchlichen "Heilsauftrag" und der Verkündigung.

In den Folgejahren haben das Bundesarbeitsgericht und der Europäische Gerichtshof indessen Grundsatzurteile beschlossen, die einer solchen Quasi-Absolutsetzung des korporativen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ein Ende gesetzt haben. Die Kirchen dürfen die Grundrechte ihrer Beschäftigten wenigstens nicht mehr in dem Ausmaß einschränken wie zuvor (hierzu Martell Rotermundt, S. 568 ff.). Perspektivisch zeichnet sich ab, dass den Kirchen nur noch ein solcher Tendenzschutz zu gewähren ist, wie auch andere Organisationen aus dem Wohlfahrts-, Bildungs- oder Weltanschauungsbereich ihn besitzen (S. 571 f.).

Hiergegen wehren sich die Kirchen allerdings nachdrücklich. Ihre Abwehrhaltung wird daran augenfällig, dass die evangelische Diakonie gegen das sie betreffende Urteil des Europäischen Gerichtshofs ("Fall Egenberger") vom 17.4.2018 Verfassungsbeschwerde eingelegt hat. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitsrecht der katholischen und der evangelischen Kirche werden im vorliegenden Band dargestellt. Die evangelische Verfassungsbeschwerde, über die in Karlsruhe zurzeit (März 2021) noch nicht entschieden ist, wird als europa- und verfassungsrechtlich unhaltbar beurteilt (z.B. durch Joachim Wieland, S. 555).

Lässt man dies alles Revue passieren, erscheint es an der Zeit, dass der Gesetzgeber zu dem Thema nicht länger schweigt, sondern im Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland die Einheit der Rechtsordnung herstellt. Ein Ansatzpunkt wäre es, die Klausel zu streichen (§ 118 Abs. 2 BetrVerfG), durch die die Kirchen 1952 von den sozialstaatlich unerlässlichen Regulierungen des Betriebsverfassungsgesetzes befreit worden waren.

III.2.

Zu einer anderen dauerhaften Baustelle des deutschen Staatskirchen- bzw. Religionsrechts ist der Religionsunterricht geworden, der nach kirchlichen bzw. religiösen Vorgaben an öffentlichen Schulen erteilt wird. Ein Aufsatz des Kirchenrechtlers Heinrich de Wall (S. 637 ff.) erörtert eine aktuelle Frage aus dem Bundesland Bayern, die speziell den Islamunterricht betrifft. Die faktischen und die rechtlichen Probleme eines konfessionellen Islamunterrichts, der analog zum evangelischen oder katholischen Religionsunterricht durchgeführt wird, sind allgemein bekannt. Wiederholt ist es als verfassungswidrig beurteilt worden, dass manche Bundesländer einen solchen Unterricht auf der Basis der sog. Beiratslösung etablieren. Diese Skepsis wurde im Prinzip auch von Gerhard Robbers geteilt. Allerdings formulierte er dilatorisch, es sei "offenkundig, dass die Beiratslösung den Vorgaben des Art. 7 III GG nicht in vollem Umfang entspricht". Zugleich bemühte er sich, einen dem christlich-kirchlichen Religionsunterricht nachgebildeten konfessionellen Islamunterricht dadurch zu legitimieren, dass er ihn als "verfassungsnäher" einstufte, als andere Unterrichtsformen oder als der Verzicht auf Islamunterricht es seien. Ein verfassungsnäherer Zustand sei "hinnehmbar, wenn keine Lösung möglich ist, die der Verfassung besser entspricht und jede andere Lösung noch weiter von dem verfassungsrechtlich gewollten Zustand entfernt ist".[2]

Eine "andere" Lösung, die verfassungskompatibel ist und die deswegen vorzugswürdig ist, tritt interessanterweise jetzt in Bayern zutage, im Übrigen auch in Hessen. Der Kirchenrechtler Heinrich de Wall hält es für verfassungskonform, dass für Bayern künftig kein konfessioneller Islamunterricht, sondern stattdessen ein Islamkundeunterricht vorgesehen wird, der "bloße Informationen über den Islam" bietet (S. 641, vgl. S. 646).

Hiervon abgesehen enthält die neue bayerische Konstruktion allerdings ihre Fragwürdigkeiten. Missverständlich und intransparent ist es, dass die bayerische Staatsregierung den Islamkundeunterricht nach außen hin weiterhin genauso "Islamischen Unterricht" nennen möchte wie sein auslaufendes konfessionell konstruiertes Vorgängerfach.[3] Sodann möchte sie den Islamkundeunterricht mit einem Ethik- oder Werteunterricht kombinieren, den die Bayerische Verfassung 1946 in ihrem Art. 137 Abs. 2 als Pflichtalternative zum konfessionellen Religionsunterricht vorgeschrieben hatte. Die neue Regelung soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 in Kraft treten. Ihr gemäß müssen in den Schulen des Freistaats Bayern dann erstens – wie bisher – konfessioneller evangelischer sowie konfessioneller katholischer Religionsunterricht, zweitens – neu etabliert – ein kombinierter Islamkunde- und Ethik-/Werteunterricht sowie drittens – wie bisher – Ethikunterricht vorgehalten werden.

Diese Konzeption hat Schwachstellen. Zu beachten ist, dass Art. 137 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung explizit von "einem" Ethikunterricht sprach. Der 1946 kodifizierte Verfassungsartikel lautet: "Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ist ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit einzurichten." Ob sich mit diesem Verfassungsauftrag die Aufspaltung von Ethik in einen allgemeinen Ethikunterricht einerseits und in einen kombinierten Islamkunde-/Ethikunterricht andererseits vereinbaren lässt, wird verfassungsrechtlich und sachlich überprüft werden müssen. Der bayerischen Regierung ist bewusst, dass sie sich auf sehr dünnem Eis bewegt. Denn sie legt ihrerseits vorsorglich fest, vor Ort sei sicherzustellen, dass wegen der SchülerInnen, die keinen Religionsunterricht wünschen, außer dem neuen Kombinationsfach Islamkunde/Ethik "stets" das neutrale Fach Ethik angeboten werden muss.[4] Der Erlanger Kirchenrechtler Heinrich de Wall äußert sich ambivalent. Zwar sieht er zu der neuen Hybridkonstruktion Islamkunde/Werteunterricht formal verfassungsrechtlich eher kein Problem (S. 642 ff.). Dennoch lässt er hinsichtlich der Praktikabilität und der pädagogischen Sinnhaftigkeit Zweifel erkennen (S. 655). Dass solcher Zweifel wohlbegründet ist, liegt auf der Hand.

Im Fazit zeigt die bayerische Debatte, wie sich die rechtlichen und die pragmatischen Probleme des Religionsunterrichts, so wie er 1949 für das damalige Westdeutschland durch Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz eingeführt worden ist, aktuell ständig weiter zuspitzen.

III.3.

In dem Sammelband gelangt ferner ein Thema zur Sprache, das allgemein nur noch geringe Aufmerksamkeit findet, die theologischen Fakultäten. Der Mainzer Rechtswissenschaftler Friedhelm Hufen hat seinen Aufsatz unter die Überschrift "Die Wissenschaftsfreiheit des Theologen" gestellt. Wie er selbst sagt (S. 711), hat er vor allem die katholisch-theologischen Fakultäten vor Augen, die an staatlichen Universitäten vorhanden sind. Ausschnitthaft erwähnt er einige kirchliche Durchgriffe in theologische Forschung und Lehre und auf die Lebensführung, den "Lebenswandel" von Theologen. Vieles lässt er unerwähnt, bis hin zu dem Sachverhalt, dass katholische Bistümer noch aktuell in Stellenausschreibungen theologischer Fakultäten eingreifen und sie der Fakultät bzw. der Universität oktroyieren, die Professur sei mit einem Priester zu besetzen. Im Ergebnis durchkreuzt die Kirche hiermit die staatliche Gesetzgebung zur Gleichstellung von Frauen.

Als Kern der Probleme benennt Hufen den Antagonismus zwischen Wissenschaftsautonomie bzw. Wissenschaftsfreiheit einerseits, kirchlichem Selbstverständnis andererseits (S. 722). Aus Sicht des Rezensenten[5] ist die Weichenstellung wichtig, die der Mainzer Rechtswissenschaftler dann vornimmt. Er grenzt sich von Positionen im Schrifttum ab, die das korporative Selbstbestimmungsrecht der Kirchen für ausschlaggebend halten, und hält ihnen entgegen: "Richtiger Ausgangspunkt […] sind die Grundrechte potentiell Betroffener, hier also vor allem die Wissenschaftsfreiheit der Theologen" (S. 714). Auf dieser Basis weist Hufen zumindest einige der zurzeit praktizierten Formen des Durchgriffs gegen – katholische – Theologen an staatlichen theologischen Fakultäten zurück.

Das von Hufen geschilderte Problem des Hineinregierens der Kirche in staatliche Universitäten ist keineswegs marginal. Dies gilt auch deshalb, weil nicht nur katholisch-theologische Fakultäten betroffen sind. In der Bundesrepublik Deutschland ist das römisch-katholische Paradigma in den zurückliegenden Jahren sozusagen zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Es wurde zumeist ohne großes Aufsehen auf den protestantischen Bereich sowie auf islamisch-theologische Einrichtungen übertragen. Beim "Fall Khorchide", den Hufen beiläufig erwähnt (S. 712), oder beim "Fall Kalisch" nahmen islamische Verbände mithilfe der Beiratskonstruktion auf die Personalausstattung in der muslimischen universitären Theologie Einfluss. Dem Protestantismus war es eigentlich ganz fremd gewesen, dass Kirchen sich in theologische Fakultäten einmischen dürften. Evangelische Theologen, unter ihnen kein Geringerer als Rudolf Bultmann, haben solchen Tendenzen im 20. Jahrhundert immer wieder widersprochen. Andererseits beklagte die evangelische Amtskirche, sie besitze zu wenig Einfluss auf die Fakultäten und auf ihre Stellenbesetzungen. Als Ende der 1990er Jahre strittig war, ob ein Angehöriger einer Freikirche an die evangelisch-theologische Fakultät in Bochum berufen werden dürfe, warnte der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland Axel von Campenhausen davor, sich am europäischen Ausland, etwa an Skandinavien zu orientieren. Es sei abzulehnen, in "theologischen Fakultäten Juden oder Dissidenten als Lehrpersonen" einzustellen, "wenn sie nur gute Judaisten oder sonstige Fachgelehrte sind. Das berührt nun die Kirche im Innersten und führt unweigerlich zur Frage, ob sie überhaupt noch staatliche Fakultäten als passende Einrichtung für ihren theologischen Nachwuchs anerkennen will".[6]

Mittlerweile hat sich der amtskirchliche Standpunkt auch im evangelischen Bereich durchgesetzt. Für evangelisch-theologische Fakultäten gelten nun Regelungen, die an das römisch-katholische Modell angelehnt sind. Dieser Logik hat sich sogar der Staat angepasst. Dies zeigt sich z.B. am "Hochschulfreiheitsgesetz" (HFG) des Landes Nordrhein-Westfalen, das 2006 unter Federführung des Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) beschlossen worden ist. Erstmals wurde in diesem Bundesland per Gesetz der evangelischen Kirche ausdrücklich das Recht zugesprochen, zu jeder Besetzung einer Professur an einer theologischen Fakultät die "Zustimmung" zu erteilen (§ 80 Abs. 2 HFG). Zuvor hatte in der Bundesrepublik abgeschwächt nur gegolten, der evangelischen Kirche sei "Gelegenheit zu gutachtlicher Äußerung" zu geben.[7] In Österreich ist, wie oben erwähnt, ebenfalls sehr viel zurückhaltender formuliert worden ("Fühlungnahme"). Für das Bundesland Sachsen-Anhalt hatte der dortige 1993 abgeschlossene Staatskirchenvertrag festgehalten, die evangelische Kirche habe bei der Berufung von Professoren eine "Gelegenheit zur Stellungnahme". Bemerkenswert ist die explizite Einschränkung, der gemäß die Landesregierung der Stellungnahme der Kirche nicht folgen werde, wenn hierdurch "die Wissenschaftsfreiheit […] ernsthaft gefährdet" wird.[8]

Im Resümee ist zu sagen: Hufens Aufsatz macht auf ein Dilemma aufmerksam, das im Schrifttum nur noch wenig Berücksichtigung findet. Das römisch-katholische Modell des wissenschaftsfreiheitswidrigen Durchgriffs auf theologische Fakultäten hat in den letzten Jahrzehnten Schule gemacht und hat eine irritierende Sogkraft entwickelt. Zwar vermag Hufen das Problem nicht zu lösen. Aber er benennt Ansatzpunkte, um es wenigstens partiell zu entschärfen. Er weist auf die Unhintergehbarkeit der individuellen Wissenschaftsfreiheit der akademischen Theologen hin und legt darüber hinaus den Finger auf die Rechtspflicht des Staates, Maßnahmen, die die Kirche in staatlichen Einrichtungen gegen Theologen durchsetzen möchte, kritisch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen (S. 722 f.).

IV.

Der Aufsatzband bzw. die Festschrift ist unter dem Titel "Staat – Religion – Recht" erschienen. Der Band illustriert, wie stark das Spannungsverhältnis ist, in dem sich Kirche oder Religion einerseits, die liberale grundrechtsbasierte staatliche Rechtsordnung andererseits nach wie vor befinden. Zumindest implizit lässt er immer wieder deutlich werden, dass in der Bundesrepublik zum Staatskirchen-, Religions- und Weltanschauungsrecht substanzielle Reformen erforderlich sind.

Link zum Buch

Kerstin von der Decken, Angelika Günzel (Hg.), Staat – Religion – Recht. Festschrift für Gerhard Robbers zum 70. Geburtstag, Nomos, Baden-Baden 2020, 1175 Seiten, ISBN 978-3-8487-6892-9, EUR 178,-

 


[1] Gerhard Robbers, Streikrecht in der Kirche, Nomos, Baden-Baden 2010, S. 49.

[2] Gerhard Robbers, Neuere Entwicklungen des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, in: Max-Emanuel Geis et al., Von der Kultur der Verfassung, Festschrift für Friedhelm Hufen, C.H. Beck, München 2015, S. 393 ff., hier S. 396.

[3] Vgl. Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Entwurf, S. 4, online https://www.km.bayern.de/download/22196_Entwurf-zur-%C3%84nderung-von-Art.-47-BayEUG.pdf, Abruf 25.3.2021.

[4] Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Entwurf, S. 9, online https://www.km.bayern.de/download/22196_Entwurf-zur-%C3%84nderung-von-Art.-47-BayEUG.pdf, Abruf 25.3.2021.

[5] Gesichtspunkte des Rezensenten zu diesem Thema, die schon länger zurückliegen, enthält der online abrufbare Aufsatz "Wissenschaftsfreiheit – ein Grundrecht in der Krise", in: ethica 11 (2003), S. 363 ff., hier bes. S. 374 ff.; Link: https://hartmut-kress.de/data/documents/kress_wissenschaftsfreiheit_ethica2003_h.4.pdf.   

[6] Axel v. Campenhausen, Zur Konfessionalität Evangelisch-Theologischer Fakultäten, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 43 (1998), S. 99 f.

[7] So Art. 3 Abs. 3 im Loccumer Vertrag (1955) zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen, der für die Bundesrepublik Modellcharakter hatte.

[8] Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt, 15.9.1993, Schlussprotokoll zu Art. 3 Abs. 2, Abs. 4 S. 2.