Rezension zu Baekeun Jeong: Zur Problematik der Freiverantwortlichkeit beim Suizid

Baekeun Jeong, Zur Problematik der Freiverantwortlichkeit beim Suizid, Berlin 2019

Eine mehrfach ungenügende Arbeit zur Freiverantwortlichkeit des Suizids

Rezension von lic.iur. Ludwig A. Minelli, Rechtsanwalt, Forch-Zürich

Im einst renommierten wissenschaftlichen Verlag «Peter Lang» ist die Dissertation eines koreanischen Autors zum Thema der Freiverantwortlichkeit beim Suizid 2019 im Druck erschienen. Das ist ein Thema, welches durch den Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 aktuell geworden ist: Das Gericht hat den von Anfang an kritisierten § 217 des deutschen StGB als nichtig erklärt, und gleichzeitig die Freiverantwortlichkeit als das einzige Kriterium für die Zulässigkeit von Suizidhilfe betont.

Das Werk, welches unter der wissenschaftlichen Betreuung von Prof. Dr. Gunnar Duttge, Georg-August-Universität Göttingen, entstanden ist, ist unterteilt in vier Abschnitte:

Teil 1.: «Suizid» – eine Einführung in die Thematik»,

Teil 2.: «Juristische Bewertung des Suizids»,

Teil 3.: «Die Bestimmung der Straflosigkeit des Beteiligten am Suizid»

Teil 4.: «Freiverantwortlichkeit».

Teil 4, der das eigentliche Thema gemäss dem Titel der Publikation beschlägt, umfasst die Seiten 119-145. Der Autor weist hier zuerst auf die herrschende Meinung hin, wonach die Straflosigkeit der (Bei)hilfe zum Suizid «auf dem sog. Teilnahmeargument» beruhe: Wo es keine strafbare Haupttat gibt, kann keine strafbare Teilnahme stattfinden. Dem stehe jedoch die Kritik entgegen, diese Argumentation sei problematisch,

«weil eine solch formale, mechanische Struktur die Straflosigkeit im Falle der fahrlässigen Beteiligung am Suizid nicht begründen kann, da die allgemeinen Teilnahmeregeln nur in der vorsätzlichen Beteiligung gelten und das Prinzip des Einheitstäters im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte herrscht».

Richtigerweise tritt der Autor dafür ein, die Straflosigkeit «des am Suizid Beteiligten» werde viel eher «in Abgrenzung nicht nur zur strafbaren Mitwirkung am Suizid – i.E. die Strafbarkeit der mittelbaren Täterschaft –, sondern auch zur (unmittelbaren täterschaftlichen Tötung auf Verlangen)» durch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit überzeugend begründet.

Unter diesen Aspekt sieht er in erster Linie die Frage der Tatherrschaft, welche eine entscheidende Rolle spielt. Dann aber geht es ihm auch

«um die Abgrenzung zwischen der straflosen Beihilfe zum Suizid und der strafbaren mittelbaren Täterschaft. Mit der inneren Willensbildung des Selbstschädigenden entscheidet sich die Strafbarkeit des Beteiligten in mittelbarer Täterschaft, wenn es an der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses fehlt.»

Der Autor wägt anschliessend zwischen den beiden Kriterien für die Freiverantwortlichkeit ab, einerseits der Exkulpationslösung, andererseits der Einwilligungslösung. Die erstere betrachtet die Frage, wie sich ein Suizid im Lichte der rechtlichen Regeln in Bezug auf die Verantwortlichkeit darstellt; die zweite untersucht

«anhand der ‘strengeren’ Regeln über die Voraussetzungen der Wirksamkeit der Einwilligung bzw. des Merkmals ‘Ernstlichkeit’ im Sinne des § 216 StGB»,

ob Freiverantwortlichkeit vorgelegen hat. Da jedoch nach Ansicht des Autors des Werkes beide Ansätze «keine mängelfreien Lösungen» bieten, bemühte er sich um einen eigenen Ansatz, den er eigenartigerweise «Überwindbarkeit des Suizidenten als Herr des eigenen Lebens» bezeichnet.

Unter diesem normativen Kriterium soll mehr verstanden werden als

«das blosse, fiktive Vermögen des Suizidenten im Hinblick auf die Frage, ob er Defizite wie Nötigung, Täuschung und Fehlvorstellungen durchschauen und vermeiden kann. Im Rekurs auf die Überwindbarkeit muss daher ermittelt werden, ob er seinen Tod trotz eines solch defizitären Einflusses ohne Zweifel gewollt und solche Defizite mindestens in Kauf genommen hätte.»

Der Rezensent muss leider anmerken, dass er noch nie eine Dissertation gesehen hat, welche in einem dermassen ungenügenden Zustand angenommen und veröffentlicht worden ist, so dass er sogar den Verdacht hegt, der Doktorvater habe die Arbeit überhaupt nicht gelesen. Auf Nachfrage hat Prof. Gunnar Duttge dem Rezensenten gegenüber jedoch betont, diese sogar mehrmals sorgfältig gelesen zu haben.

So muss denn verwundern, dass darin sprachlich äusserst Ungenügendes zu finden ist, wie dies nur beispielhalber folgende drei Auszüge zeigen:

  • «Folgt man Roxins Lösung, wird die Strafbarkeit des anderen zufällig – und in gewissem Sinne sogar willkürlich – vom Willen des Suizidenten abhängig sein, und weiter die potentielle Möglichkeit macht den – rechtswidrigen – Handlungssinn des Dritten zu ‘neutralisieren’.» (S. 108)
  • «Demgegenüber ist es darüber nicht einhellig, ob die Freiverantwortlichkeit bei der Nötigung unterhalb der Schwelle des § 35 StGB auszuschliessen ist.» (S. 126)
  • «Die Vorschrift der Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB spielt die Einwilligungssperre beim Fall der täterschaftliche Fremdtötungshandlung; d.h. einerseits der freie Suizidwille von dieser Vorschrift eingeschränkt wird, andererseits zugleich das ‘ernstliche Verlangen’ des Suizidwilligen als die Selbstbestimmung respektiert wird, so dass die Strafe vom Tötungsdelikt dadurch privilegiert wird.» (S. 134)

Vor allem zufolge der sprachlichen Mängel dieser Arbeit bleiben dem Leser die Überlegungen des Autors teilweise nicht nur unverständlich; sie rufen auch nach der Frage, ob der Autor den von ihm bearbeiteten Stoff denn auch selbst verstanden hat.

Auf den Verlag sodann fällt zurück, dass es im Werk nebst den zahlreichen sprachlichen Mängeln auch von Satz- und typographischen Fehlern nur so wimmelt, als hätte das Bundesverfassungsgericht die Norm von § 20 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verlagsrecht «Der Verleger hat für die Korrektur zu sorgen» für nichtig erklärt. So wird aus einem einst angesehenen wissenschaftlichen Verlag ein beliebiger Papierbedrucker und -verkäufer.

Derart Unqualifiziertes beschädigt den wissenschaftlichen Ruf von Autor, Doktorvater, Universität und Verlag. Schade!

LINK zum Buch

Baekeun Jeong, Zur Problematik der Freiverantwortlichkeit beim Suizid,

Europäische Hochschulschriften Recht Band 6110, brosch., 166 S.

Verlag Peter Lang, Berlin etc., 2019, ISBN 978-3-631-79270-4,

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