Stellungnahme von Prof. Dr. Holm Putzke zur Interessenkollision bei Bistumsgutachter und Erzbischofsverteidiger Prof. Dr. Björn Gercke vom 26.10.2022
Der Kölner Anwalt und Strafverteidiger Prof. Dr. Björn Gercke hatte 2021 im Auftrag des Erzbistums Köln ein Gutachten zum Missbrauchsgeschehen erstellt. Mittlerweile vertritt er Erzbischof Woelki gegen den Vorwurf, eine falsche eidesstattliche Versicherung in Bezug auf die Befassung mit dem Fall des Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz abgegeben zu haben. In der Annahme des Verteidigermandats erblickt die Strafverteidigerin Jessica Hamed eine standeswidrige Verletzung widerstreitender Interessen.
Björn Gercke hat sich in der Sache eingelassen und wendet zweierlei ein: Erstens bezögen sich die betreffenden Sachverhalte auf "gänzlich andere rechtliche Aspekte und Vorschriften", und zweitens habe es zu keinem Zeitpunkt einen "zeitlichen Gleichlauf" der Tätigkeiten gegeben. Dabei übersieht Gercke freilich, dass die eingewendeten Punkte sowohl unrichtig sind als auch für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe irrelevant.
1) "gänzlich andere rechtliche Aspekte und Vorschriften"
Hamed hatte für die Interessenkollision insbesondere angeführt: "Das Erzbistum will alle etwaigen Verfehlungen ans Licht bringen, und Woelki will sich gegen etwaige Verfehlungen verteidigt wissen. Beide Interessen stehen sich unversöhnlich gegenüber." Gercke wendet ein, dass bei seinen Tätigkeiten je andere rechtliche Aspekte und Vorschriften im Raum stehen. Daran ist vor allem beachtlich, dass das Entscheidende ungesagt bleibt: Es geht bei den widerstreitenden Interessen nämlich darum, dass dieselben Lebenssachverhalte betroffen sind. Und das ist ersichtlich der Fall. Oder will Gercke seinen Mandanten Woelki nicht gegen den Vorwurf verteidigen, die eidesstattliche Versicherung sei deshalb falsch, weil Woelki damals sogar eine Pflichtverletzung im Umgang mit dem Fall Pilz begangen hat? Das nicht zu wollen, wäre gleichbedeutend mit einer miserablen Verteidigung! Eine derartig mögliche Pflichtverletzung Woelkis war aber gerade Gegenstand des Gutachtenauftrags. Deshalb besteht eine hinreichende Teilidentität der Sachverhalte, die zu genau der Interessenkollision führt, die Hamed aufgezeigt hat. Hätte Gercke sich die Mühe gemacht, die von Hamed angeführte Entscheidung des OLG Koblenz auszuwerten, hätte sich ihm dies problemlos ergeben. Der dort entschiedene Fall liegt in den relevanten Umständen gleich: vorheriges Begutachten fürs Unternehmen und späteres Verteidigen eines Mitarbeiters. Das begründet den Interessenkonflikt, sagt das Gericht. Das muss in Bezug auf Gerckes Verteidigung Woelkis sogar erst recht gelten. Denn anders als im Falle des OLG Koblenz war Gercke sogar mit der Aufklärung etwaiger Straftaten betraut, sodass allemal eine teilweise Sachverhaltsidentität vorliegt. Die möglichen Taten durch Diözesanverantwortliche, die Gercke gutachterlich aufspüren sollte, sind nämlich nunmehr möglicher Gegenstand der Verteidigung Woelkis. Kurzum: Der von Gercke objektiv begutachtete Kardinal Woelki wird von Gercke gegen eben jene Vorwürfe verteidigt, die Gegenstand des Gutachtens waren.
2) Fehlen des "zeitlichen Gleichlaufs"
Auch für seinen zweiten Einwand, es habe nie einen zeitlichen Gleichlauf der Tätigkeiten fürs Erzbistum und für den Erzbischof gegeben, hätte ein Blick in besagtes Urteil gereicht, um die Irrelevanz von Gerckes Vorbringens zu erkennen. In dem Fall lag es ja genau so: Der Anwalt hatte seine Begutachtung für das Unternehmen abgeschlossen, und die Verteidigung des Mitarbeiters erfolgte danach. Mehr noch: Der Tatverdacht des beschuldigten Mitarbeiters bezog sich sogar auf einen Zeitraum vor der Gutachtenerstellung. Das heißt, es bedarf noch nicht einmal im Hinblick auf die beiden Sachverhalte eine zeitliche Überschneidung, sondern es kommt einzig auf die inhaltliche Identität an.
Ohnehin sollte jedem Anwalt klar sein, dass er beispielsweise nicht 2022 den einen Ehepartner in der Scheidung vertreten darf, wenn er zwei Jahre zuvor beide Ehepartner trennungsrechtlich beraten hatte. Der Zeitablauf spielt schlicht keine Rolle (vgl. Offermann-Burckart, AnwBl 2008, 446, 447 mwN.). Das ist nicht nur mit Händen zu greifen, sondern sogar für den strafbaren Parteiverrat anerkannt. Oder möchte Gercke sagen, dass der Anwalt die Interessen seines Mandanten ruhig gefährden darf, wenn nur ein wenig Zeit vergangen ist? Das wäre abwegig und wollen wir ihm zu seinen Gunsten einmal nicht unterstellen. Denn die simple Kenntnis der einschlägigen Berufsregeln darf man von einem Mitglied des Strafausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, das Gercke ist, eher noch als von anderen Anwälten erwarten.
3) Herabsetzung des Wertes der Missbrauchsaufklärung/-bekämpfung
Und ein Drittes ist dem OLG-Urteil mühelos zu entnehmen: Die Übernahme der Verteidigung des Erzbischofs mindert, wie von Hamed herausgestellt, den Wert der im Gutachten liegenden Aufklärungsarbeit. Dies stand im Jahr 2021 auch noch Björn Gercke vor Augen. Hat er es doch sogar vermieden, sich an der Umsetzung der – von ihm im Gutachten angeregten – strukturellen Reformen des Erzbistums Köln zu beteiligen; dies mit der Begründung, auch nach der Begutachtung die Unabhängigkeit des Gutachters wahren zu wollen. Um wieviel mehr beeinträchtigt da doch die Verteidigung des Erzbischofs die Unabhängigkeit des Gutachters Gercke!
Angesichts der Fakten entpuppt sich Gerckes Einlassung als hilflos. Dass er selbst seine Doppelrolle vollständig in der berufsrechtlichen Ordnung sieht, fällt schwer zu glauben. Er hätte das Mandat (Verteidigung Woelkis) unter keinen Umständen annehmen dürfen und aus eben diesen Gründen muss er es jetzt auch niederlegen.