Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung SWH (Schmidt-Salomon)

Empfehlung:

Der Gesetzentwurf sollte abgelehnt und die ursprüngliche Fassung der Präambel der Verfassung des Landes Schleswig - Holstein beibehalten werden.

Begründung:

Die vorgeschlagene Erweiterung der Präambel "In Achtung der Verantwortung, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen universellen Quellen gemeinsamer Werte ergibt" relativiert die Bedeutung der "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte ", die in beiden Textvarianten als " Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit " bezeichnet werden. Vor allem aber untergräbt die Bezugnahme auf den "Glauben an Gott" die für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung konstitutive Idee des Gesellschaftsvertrags. Diese besagt nämlich, dass die Werte des Zusammenlebens nicht von einer " höheren Instanz " (Gott, Götter, Schicksal, karmische Gesetze etc.) vorgegeben sind, sondern unter den Gesellschaftsmitglieder n unter fairer Berücksichtigung ihrer jeweiligen Interessen ausgehandelt werden.

Es ist eine bedauerliche , aber unbestreitbare Tatsache , dass der "Glaube an Gott" in vielen Ländern der Welt dazu herangezogen wird, um die Gültigkeit der Menschenrechte abzustreiten oder in nicht hinnehmbarer Weise zu relativieren (siehe u.a. die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte", die das "Recht auf Meinungsfreiheit " nur innerhalb der Grenzen der Scharia anerkennt). Eben deshalb sollte eine verantwortungsvolle Politik, die die Prinzipien der offenen Gesellschaft verteidigt, unmissverständlich klarstellen, dass sich religiöse Traditionen im Konfliktfall den Vorgaben des säkularen Rechts staatsunter- ordnen müssen.

Der Rückgriff auf vor moderne Bekräftigungsformeln ist sicherlich nicht geeignet, die erforderliche Klarheit herzustellen. Statt der eindeutigen, unmissverständlichen Orientierung an den Menschenrechten, die im Zentrum der ursprünglichen Fassung stand, enthält der neue Gesetzentwurf schwammige, missverständliche und – je nach Deutung – in sich widersprüchliche Formulierungen. So ist völlig unklar, welcher Glaube an welchen Gott g e- meint sein soll oder was man unter den "anderen universellen Quellen gemeinsamer Werte" verstehen sollte. Entweder handelt es sich bei diesen Formulierungen um bloße Leerformeln ohne konkreten Inhalt – dann sollte man auf sie verzichten, da sie von den wesentlichen Inhalten ablenken, die später im Text folgen. Oder aber die Präambel bezieht sich tatsächlich auf spezifische Gottesvorstellungen und spezifische nichtreligiöse Quellen der Wertebildung – in diesem Fall wäre sie nicht inhaltsleer, würde aber gerade dadurch gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates verstoßen.

Tatsächlich darf der weltanschaulich neutrale Staat nicht einmal den Monotheismus gegenüber dem Polytheismus privilegieren, weshalb die Formulierung "Glaube an Gott" durch "Glaube an Gott, Götter oder Göttinnen " ersetzt werden müsste. Bei genauerer Betrachtung wäre nicht einmal dies weltanschaulich neutral, da nicht wenige Bürgerinnen und Bürger z.B. an "Engel" , "Elfen" , "Außerirdische" oder die "Geister der Verstorbenen" glauben (statt an "Gott") , während andere – etwa Zen - Buddhisten – aus religiösen Gründen jeden Glauben an supranaturale Wesen ablehnen. Weltanschaulich neutral wäre die Formulierung " In Achtung der Verantwortung, die sich aus dem Glauben oder Nichtglauben an supranaturale Wesen ergibt" – aber eine solche Formulierung würde ihre eigene Beliebigkeit so offensichtlich preisgeben, dass kein Mensch mit Verstand sie freiwillig verwenden würde.

Die Aufnahme des Gottesbezugs in die Landesverfassung wird im Übrigen auch nicht dadurch legitimiert, dass ein solcher Bezug in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland auftaucht. Denn 1949, als das Grundgesetz verabschiedet wurde, waren noch über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Kirchenmitglieder, heute sind es unter 60 Prozent. Aufgrund der damals vorherrschenden gesellschaftlichen Homogenität (bzw. fehlenden Pluralität) war den Verfassungsvätern und -müttern die zentrale Bedeutung des Prinzips der weltanschaulichen Neutralität noch nicht in vollem Umfang bewusst. Erst 1965 wurde es vom Bundesverfassungsgericht in der gebotenen Schärfe hervorgehoben: "Das Grundgesetz legt [...] dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich - religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse" (BVerfGE 19, 206 [219]). Daraus ist zu folgern: 1949 mag die Aufnahme eines Gottesbezugs in eine Verfassung noch entschuldbar gewesen sein, heute, fast 70 Jahre später, ist sie es nicht mehr.

Fazit: Die als Bekräftigung der Präambel gedachte Ergänzung führt nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer Schwächung der Bindekraft der Landesverfassung. Während in der ursprünglichen Form die Orientierung an den Menschenrechten im Mittelpunkt stand, stellt ihnen die vorgeschlagene Revision Formulierungen zur Seite, die entweder nichtssagend sind oder gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates verstoßen. Fakt ist: Der säkulare, weltanschaulich neutrale Staat kann und darf seine Normen nur in säkular er Weise begründen. Die weltanschauliche (religiöse oder nicht religiöse) Unterfütterung dieser Normen muss er den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bzw. den Bürgerinnen und Bürgern überlassen. Nur dank einer solchen weltanschaulichen Enthaltsamkeit kann der Staat seine vornehmste Aufgabe erfüllen, die Heimstatt aller Bürgerinnen und Bürger zu sein. Die ursprüngliche Eingangsformel der Verfassung hat dies berücksichtigt. Die vorgeschlagene Änderung stellt demgegenüber einen rechtspolitischen Rückschritt dar.

Dr. Michael Schmidt - Salomon , 2.6.2016  

(Drucksache 18/4107)