Besonderes Kirchgeld
I. Bedeutung und Entwicklung
1. Nach 1945 bedeutete Kirchgeld ursprünglich lediglich eine ggf. gestaffelte Ortskirchensteuer, die den einzelnen Kirchengemeinden unmittelbar zugute kommt, nur sehr geringe Höhe aufweist und durch Kirchgeldbescheid völlig unabhängig von der eigentlichen Kirchensteuer geltend gemacht wird.
2. Verstärkt seit etwa 2000 gewinnt das ggf. zusätzliche sog. Besondere Kirchgeld Bedeutung, das bei den Betroffenen auf starke Ablehnung gestoßen ist. Es wurde vereinzelt schon seit Jahrzehnten erhoben, nachdem das BVerfG 1965 die Kirchen durch unnötige Nebenbemerkungen auf eine solche Möglichkeit hingewiesen hatte. Mittlerweile wird das Besondere K. in allen Bundesländern von den evangelischen Landeskirchen sowie einem Teil der katholischen Diözesen vom kirchenangehörigen Ehepartner erhoben. Es sind die Fälle, in denen das Kirchenmitglied im Gegensatz zum Ehepartner kein oder nur ein geringes Einkommen hat. Aber nicht nur. Es häufen sich auch die Fälle, in denen der kirchenangehörige Ehepartner ein eigenes Einkommen weit über dem Durchschnittseinkommen erzielt. Mit dem Besonderen K. wird mittelbar Geld von den meist konfessionsfreien Ehepartnern abgeschöpft. Das gestaffelte Besondere K. knüpft an den Lebensführungsaufwand, d. h. den vom Familieneinkommen abhängigen wirtschaftlichen Lebenszuschnitt des Kirchenmitglieds, an und kann im Gegensatz zum traditionellen ortskirchlichen K. eine durchaus beachtliche Höhe erreichen. Mit ihm soll – so die offizielle kirchliche Begründung – eine "Gerechtigkeitslücke" geschlossen werden. Zwar ist die Überlegung nachvollziehbar, dass der nichtkirchliche Ehepartner es dem anderen wirtschaftlich ermöglichen soll, seine kirchliche Beitragspflicht entsprechend dem gemeinsamen Lebenszuschnitt zu erfüllen. Das sollte aber doch eine Frage der ehelichen Einigung und nicht staatlichen Zwangs sein. Fehl geht diese Argumentation zudem in den Fällen von Doppelverdiener-Ehen.
II. Einzelheiten
1. Kritisch ist gegen das Besondere Kirchgeld zunächst anzumerken, dass dagegen alle Gründe geltend gemacht werden können, die gegen die Vereinbarkeit der Kirchensteuer mit dem GG sprechen, s. Kirchensteuer und Kirchenlohnsteuer.
2. Im Übrigen zielt das Besondere Kirchgeld eindeutig darauf ab, Kirchensteuer indirekt von Nicht-Kirchenmitgliedern zu erheben. Im Ergebnis hängt durch die Art und Weise der Berechnung des Kirchgeldes die Kirchensteuer aufgrund der Kirchgeld-Tabelle (Bemessungsgrundlage ist das gemeinsam zu versteuernde Einkommen) auch weiterhin von dem Einkommen des nicht der Kirche angehörenden Ehegatten ab (Halbteilungsgrundsatz). Den Halbteilungsgrundsatz hat das BVerfG jedoch mehrfach für verfassungswidrig erklärt.
3. Überdies gibt sehr viele grundsätzliche Punkte, v.a. aus verfassungsrechtlicher Sicht, die gegen ein Besonderes Kirchgeld im Falle eines eigenen Einkommens des kirchenangehörigen Ehegatten streiten. Materiell reicht dies vom Urteil des BVerfG vom 14.12.1965 - 1 BvR 606/60 (eigenes Einkommen des Kirchenmitglieds muss besteuert werden, kein Zusammenrechnen der Einkommen, Besteuerung nach Lebensführungsaufwand nur wenn "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei") bis zum Beschluss des BFH vom 8.10.2013 - I B 109/12 (eindeutige Rechtslage: "nur für diese Fallkonstellation" "mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei"). Formell betrifft dies v.a. die Rechtsgrundlage der sog. Vergleichsberechnung, die als operative Rechtsgrundlage der Kirchgelderhebung die vorgenannten Festlegungen des BVerfG durch einen Vergleich zweier Zahlen (Höhe des Kirchgeldes und Höhe der Kircheneinkommensteuer) aufhebt, obwohl nach dem BVerfG die Kirchen beim Ausfüllen der landesrechtlichen Vorschriften an die grundgesetzliche Ordnung gebunden sind. Zudem wird hier eine Steuer ohne Besteuerungsgrund erhoben und bemessen. Bei eigenem Einkommen des der Kirche angehörenden Ehegatten beträgt die unberechtigte Mehrzahlung gegenüber der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung an sich zu erhebenden Kircheneinkommensteuer zumeist einige hundert Euro pro Jahr. Je nach Einkommenskonstellation kann es jedoch auch zu einer Mehrzahlung von ca. 3.000 € kommen.
4. Wie es überdies juristisch gerechtfertigt werden soll, dass kirchliche Organe von Staats wegen Kenntnis von den Einkommensverhältnissen eines Kirchenfremden erhalten, ohne die eine Berechnung des Besonderen Kirchgeldes unmöglich ist, bleibt unerfindlich.
5. Nach den diversen Landesgesetzen entfällt das Besondere Kirchgeld dann, wenn der (besser) verdienende Partner einer anderen (je nach Land nicht unbedingt Kirchensteuer erhebenden) Körperschaft angehört. Diese Ausnahmeregelung verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Sie wirft nämlich die grundsätzliche Frage auf, warum etwa der Angehörige einer christlich-freikirchlichen Gemeinde oder eines islamischen Vereins, der freiwillig erheblich mehr spendet als ein vergleichbarer Kirchenangehöriger Kirchensteuer zahlt, wirtschaftlich auch noch das Besondere Kirchgeld übernehmen muss, während das im Verhältnis von Katholiken und Angehörigen von EKD-Kirchen nicht der Fall ist. In erster Linie getroffen werden (sollen) freilich zahlenmäßig die "Ungläubigen", die ja kaum körperschaftlich organisiert sind. Es ist erstaunlich, dass diese Fragwürdigkeiten bisher weder juristisch kritisch erörtert, noch gar erfolgreich vor das BVerfG gebracht bzw. von diesem eingehend untersucht worden sind.
6. Mit Beschluss vom 28. 10. 2010 (s. u.) hat eine Kammer des BVerfG mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe nicht angenommen, weil die wesentlichen Verfassungsfragen schon geklärt seien. Diese Behauptung trifft aber nicht zu (s. hierzu die Kommentierung des Nichtannahmebeschlusses in der Rubrik Entscheidungen (BVerfG) auf dieser Webseite sowie die ausführliche Darstellung bei https://kirchgeld-klage.info/3-urteile/6-bverfg-beschluss-2-bvr-59106/).
7. Und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in seiner Entscheidung vom 06.04.2017 (s.u.) nicht im Einzelnen mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Erhebung und Berechnung des besonderen Kirchgeldes befasst.
8. Die evangelisch-lutherische Landeskirche Bayern hat mit Wirkung zum 1.1.2018 das Besondere Kirchgeld rückwirkend abgeschafft. Es bestünden erhebliche Akzeptanzprobleme, die Erhebung werde als ungerecht empfunden und weiche vom Grundsatz der Individualbesteuerung ab. Das Besondere Kirchgeld habe weniger als 2% des Gesamtkirchensteueraufkommens ausgemacht und etwa 30.000 Personen betroffen. Der Image-Schaden sei groß.
>> Kirchensteuer; Kirchenlohnsteuer
Literatur:
- EGMR, 06.04.2017, Beschwerde-Nr. 10138/11 u.a.
- BVerfG 28.10.2010 – 2 BvR 591/06 u. a., NJW 2011, 365
- BVerfGE 19, 268 (282) = NJW 1966,101 (Glaubensverschiedene E he, Besonderes Kirc hgeld)
- BFH, 08.10.2013 – I B 109/12
- BFH, 26.02.2014 – I S 24/13
- Anke, Hans Ulrich: Vom Besonderen Kirchgeld in Württemberg und andernorts, ZevKR 2001,191-194
- Zacharias, Diana: Besonderes Kirc hgeld, KuR Nr. 410, S. 81-85 = KuR 2002, 33 ff.
- Neumann, Jacqueline: Konventionsgemäß, aber verfassungswidrig, LTO 15.04.2017
- Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, (Weitere) Kirchensteuern und Kirchgeld Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1953-2003
- https://kirchgeld-klage.info/
© Gerhard Czermak / ifw (2017/2024)