Kirchensteuer

I. Aktuelle Einordnung
1. „Kirchensteuer“ wird hauptsächlich von den großen („Volks“-) Kirchen erhoben, aber auch u. a. von Israelitischen Kultusgemeinden und Altkatholiken, die hier nicht weiter behandelt werden. Während die Kirchensteuer beider Kirchen 2007 einen Ertrag von ca. 8,8 Mrd. € erbrachte, waren es 2014 Rekordeinnahmen von 5,68 Mrd. und bei den EKD-Kirchen von gut 5 Mrd., zusammen ca. 10,7 Mrd., und das trotz der wiederum kräftig gestiegenen Kirchenaustrittszahlen. Begründet wurde das hervorragende Ergebnis mit der guten Konjunktur und der hohen Zahl von Katholiken und Protestanten in regulären Arbeitsverhältnissen.[1] Dabei sind nur ca. ein Drittel der Kirchenmitglieder kirchensteuerpflichtig und stellt die Kirchensteuer keineswegs die wichtigste Einkommensquelle der Kirchen dar, obwohl das selbst in der Fachliteratur meist noch behauptet wird.

2. Die Einnahmen aus Subventionen der Allgemeinheit machen selbst ohne Caritas und Diakonie einen erheblich höheren Betrag als die Kirchensteuereinnahmen aus. Die Kirchensteuern, eigentlich Mitgliedsbeiträge, werden weit überwiegend für Personalkosten verwendet. Der Kirchensteueranteil für Sozialkosten der Allgemeinheit ist so gering, dass der durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer von der Einkommensteuer als Sonderausgabe entstehende Einnahmeverlust deutlich höher ist als der soziale Eigenbeitrag der Kirchen. Die nichtkirchlichen Bürger bezuschussen indirekt die Kirchensteuerzahler. Maximal 10 % der Kirchensteuereinnahmen werden für soziale Zwecke der Allgemeinheit verwendet. Selbst für rein innerkirchliche Angelegenheiten wie Kirchentage, Bischofs- und Pfarrergehälter und Auslandsmission lassen sich die Kirchen vom Staat bezahlen. Die zu Recht kritisierten historischen Staatsleistungen machen gegenüber der Kirchensteuer nur einen kleinen Bruchteil aus (s. Kirchenfinanzierung und Kirchenvermögen, Privilegien, Religionsförderung).

II. Historische Entwicklung
1. Bis etwa Mitte des 19. Jh. war der kirchliche Finanzbedarf hauptsächlich durch Grundvermögen, dingliche Berechtigungen und staatliche Leistungen gesichert. Zentral organisierte kirchliche Vermögensverwaltungen gab es aber nicht. Es herrschte eine verwirrende Vielfalt an Leistungspflichten und Einnahmequellen. Die Säkularisationen von 1803, große Bevölkerungsverschiebungen und Städteneugründungen zwangen den mit den Kirchen stark verbundenen christlichen Staat zu Geldzahlungen (Gehaltsdotationen und Bedarfszuschüssen). Erst allmählich wurden in Deutschland im 19. Jh. Kirchensteuern eingeführt, beginnend 1827 in Lippe. Ab Mitte des 19. Jh. wurde darauf verzichtet, die Staatsbürgerrechte von der Religionszugehörigkeit abhängig zu machen. Bedeutsam für die weitere Durchsetzung des Kirchensteuerwesens wurde das preußische „Kirchenaustrittsgesetz“ von 1873, wonach (wie auch heute) der sog. Kirchenaustritt nur die bürgerlich-rechtlichen Wirkungen der Erklärung regeln konnte; er war allerdings verbunden mit einer mehrwöchigen Überlegungsfrist, die den Kirchen Einwirkungsmöglichkeiten verschaffen sollte. Die Kirchensteuerpflicht erlosch erst zum Ende des Kalenderjahrs nach dem „Kirchenaustritt“(!). Beide Erschwernisse hat erst das BVerfG in seinen Restbeständen so gut wie scheitern lassen. Weit verbreitet waren bis 1919 Kirchenbausteuern. Der Staat hatte in Preußen erhebliche Aufsichts- und Mitwirkungsrechte bei der Kirchensteuer . Die Rechtsverhältnisse waren jedoch in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. In Württemberg übernahmen die bürgerlichen Gemeinden auch nach der Trennung von Gemeinde- und Kirchenverwaltung lange die Fehlbeträge der Kirchengemeinden. Bis 1914 war das Kirchensteuerwesen überall verschieden, aber gut ausgestaltet.

2. Die Weimarer Verfassung von 1919 erfüllte die zentralen Forderungen der Protestanten zur wirtschaftlichen Sicherung der Kirchen, darunter das Recht zur Erhebung von Kirchensteuern, das nach damaliger Auffassung den Körperschaftscharakter voraussetzte. Die Kirchensteuer war damals eine wichtige Voraussetzung zur Trennung von Staat und Kirchen. Mit der Erzberger’schen Reichsfinanzreform wurden die nunmehrigen Reichssteuern, insbesondere die Einkommensteuer, zum Maßstab für die jeweils landesrechtliche Kirchensteuer (Zuschlagsteuer, Annexsteuer). Der durch die Gleichstellung der „Religionsgesellschaften“ (s. Art. 137 VII WRV) unzutreffend gewordene Begriff „Kirchensteuer“ wurde in manchen Bundesländern (auch Bayern) korrekt vermieden, im Gegensatz zu heute. Wichtig war die Ersetzung bzw. Ergänzung der Ortskirchensteuern durch die Diözesan- bzw. Landeskirchensteuern. Das in der Weimarer Zeit entwickelte System der Kirchensteuer blieb auch zur NS-Zeit im Wesentlichen erhalten. Vor und nach 1933 gab es zumindest teilweise kircheneigene Kirchensteuerämter, die die Steuern einzogen. In der Nachkriegszeit siegte nach teilweise massiven innerkirchlichen Bedenken das System des staatlichen Kirchensteuereinzugs. Einzige Ausnahme: in Bayern sind zum Einzug der Kircheneinkommensteuer (nicht: -lohnsteuer) die kirchlichen Kirchensteuerämter zuständig. In Bayern hält man diese bis heute für insgesamt vorteilhaft.

III. Das Kirchensteuersystem in der Bundesrepublik
Das ertragreiche deutsche staatlich-kirchliche System mit staatlichem Kirchensteuereinzug ist weltweit ziemlich einzigartig. Parallelen gibt es in einigen Schweizer Kantonen, in Frankreich im Bereich des früheren Reichsgebiets Elsass-Lothringen und (mit sehr geringem Steuersatz) in Schweden und Finnland. Der in Österreich ebenfalls an das Einkommen gekoppelte Kirchenbeitrag wird nicht vom Staat eingezogen und muss ggf. eingeklagt werden. Es gibt aber auch etliche staatskirchliche Modelle und solche mit pauschaler staatlicher Förderung.

Obwohl eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung die Kirchensteuer seit langem ablehnt (1993: 72 %), das Ansehen der Kirchen längst dramatisch gesunken ist und auch innerkirchlich Alternativen diskutiert werden, ist eine Änderung nicht in Sicht. Dabei lehnen nach neuesten Untersuchungen befürworten heute (2015) nur noch 16% (jedenfalls eine sehr klare Minderheit) das bisherige Kirchensteuersystem.[2]

Nach 1945 wurde das Kirchensteuersystem im Westen Deutschlands weitgehend vereinheitlicht, fast vollständig als Zuschlagsteuer zur Einkommensteuer mit staatlicher Steuerverwaltung, Eintrag der Religionszugehörigkeit in die Lohnsteuerkarte und Steuerabzug durch den Arbeitgeber ausgestaltet und durch Kirchgeld bzw. Besonderes Kirchgeld ergänzt (s. Besonderes Kirchgeld). Praktisch von größter Bedeutung ist die Kirchenlohnsteuer (s. Kirchenlohnsteuer). Ein wichtiger Teil der Ungereimtheiten, die im Widerspruch zur individuellen Religionsfreiheit standen, wurde durch das BVerfG vor allem 1965 bereinigt. Andere, z. T. fundamentale, verfassungsrechtliche Probleme blieben bestehen, insb. bezüglich des staatlichen Kirchensteuereinzugs. Die Rechtsprechung ist auch in diesem Rechtsgebiet auffallend kirchenfreundlich. Wegen der zahlreichen Einzelheiten wird auf die zusammenfassende Darstellung unter "Kirchensteuerrecht" verwiesen.

IV. Wiedervereinigung
1990 wurde den neuen Bundesländern das westdeutsche System nach h. M. bereits mit Wirksamkeit des Beitritts der DDR am 3. 10. 1990 übergestülpt, obwohl diese Länder zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierten und das westdeutsche System in den Ostkirchen zunächst auf starke Ablehnung gestoßen war. Das DDR-Kirchensteuergesetz wurde noch von der letzten Volkskammer als Bestandteil (Anlage) des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990 verabschiedet. Art. 9 V des Einigungsvertrags bestimmt, dass das (gleichzeitig mit dem Beschluss der Staatsauflösung) beschlossene Kirchensteuerrecht in den neuen Bundesländern als Landesrecht fortgilt. Die Länder mussten, wie in Art. 1 EinigungsV geregelt, mit Ausnahme von Berlin aber erst noch nach Maßgabe des Länderneubildungsgesetzes der DDR vom 22. 7. 1990 neu errichtet werden. Da die Kirchensteuer laut GG ausschließlich Ländersache ist, bleibt es ein juristisches Rätsel, wie das neue Kirchensteuerrecht als Landesrecht gelten konnte, ohne dass die neuen Länder es ausdrücklich parlamentarisch als ihr Landesrecht beschlossen haben.

Kritik an dieser Vorgehensweise haben nur vereinzelte Außenseiter wie Erwin Fischer geübt. Das beweist erneut, dass die Politik zu Gunsten der Kirchen selbst ohne Not fragwürdige Methoden anwendet. Mittlerweile ist der Mangel wohl insgesamt längst geheilt. Aber immer noch führt die von Kritikern als rechtswidrig, ja unehrlich und geldgierig angesehene Rasterfahndung nach Berliner Bürgern durch. Seit Jahrzehnten ungläubige Menschen, die oft ohne ihr Wissen getauft wurden, werden nach kirchlich erbrachtem Taufnachweis und fehlendem Nachweis des Kirchenaustritts zu DDR-Zeiten zu manchmal erheblichen Kirchensteuernachzahlungen gezwungen. Das Land Berlin ermöglicht das wohl rechtswidrige Verfahren durch fragwürdiges Zusammenspiel mit den kirchlichen Behörden. Alle Versuche, die Rasterfahndung zu beenden, sind bisher gescheitert (s. Besonderes Kirchgeld).

V. Probleme der rechtspolitischen Legitimation
Die Legitimation des deutschen Kirchensteuersystems wird schon lange in Frage gestellt. Rechtspolitisch wird vorgetragen: 1. Es ist nicht Aufgabe eines der religiös-weltanschaulichen Neutralität und der organisatorischen sowie finanziellen Trennung von Staat und Religion verpflichteten Staats, für außerstaatliche Vereinigungen mit staatlichen Zwangsmitteln Mitgliedsbeiträge einzuziehen. Keinem anderen Großverband (Gewerkschaften, Parteien) werden solche Privilegien zugestanden. Die Kirchensteuer hatte einmal, unter völlig anderen Verhältnissen, ihre Rechtfertigung angesichts einer volkskirchlichen Struktur (über 95 % der Bevölkerung Kirchenmitglied) und der Finanzprobleme im Zug einer strikteren Trennung von Staat und Religion seit 1919. Von einer Volkskirche kann aber selbst im Westen Deutschlands seit langem nicht mehr die Rede sein.

2. Nur natürlich wäre es für eine freie und privilegienfreie Gesellschaft, wenn alle Religionsgemeinschaften ihre Mitgliedsbeiträge selbst verwalten und ihren Einzug durchsetzen, wie das bei jeder anderen Organisation selbstverständlich ist. Kein Geringerer als Oskar .v. Nell-Breuning SJ hat schon 1970 zum westdeutschen Kirchensteuersystem erklärt: "...in der freiheitlichen Landschaft unseres Verfassungs- und Staatskirchenrechts ist dieser Anachronismus ein erratischer Block" (in: DÖV 1970, 148/154).

3. Die beiden Großkirchen verwenden lediglich um die 8-10 % ihrer Kirchensteuereinnahmen für allgemein-öffentliche kirchliche Sozialeinrichtungen. Die sich für die öffentliche Hand hieraus ergebenden Einsparungen betragen nur einen Teil dessen, was sich an staatlichen Mindereinnahmen allein aus der steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuern ergibt. Eine Reduzierung kirchlicher Sozialeinrichtungen auf Grund reduzierter kircheneigener Einnahmen hätte kaum Auswirkungen auf den Bestand der ohnehin weitestgehend von Staat und Kommunen sowie den Benutzern finanzierten Einrichtungen, allenfalls auf die Trägerschaft. Positive Folge einer Reduzierung der Zahl kirchlicher Träger wäre eine Verringerung der weithin vorhandenen kirchlichen (Teil-) Monopole im Sozialbereich, die verfassungsrechtlich fragwürdig sind (s. hierzu Soziale Einrichtungen).

VI. Innerkirchliche Kritik
1. Der staatliche Kirchensteuereinzug begünstigt den Zentralismus der amtskirchlichen Hierarchie mit ihrem üppig ausgestatteten Personal- und Machtapparat. Der Staat nimmt daher indirekt und illegitim Einfluss auf die innerkirchlichen Strukturen.

2. Folge eines viel geforderten kircheneigenen Beitragssystems wären ärmere, aber auch entschlacktere Kirchen, die sich mehr auf ihre ureigenen Kräfte stützen müssten und nicht auf so vielen Politikfeldern agieren, auf denen sie ohnehin keine bessere Kompetenz haben als andere Institutionen. Weniger üppig ausgestattete Kirchen könnten wegen gewonnener Glaubwürdigkeit wohl einen etwa gleichwertigen Einfluss auf die Wertebildung in der Gesellschaft nehmen. Sie müssten mehr auf ihre - nun im Durchschnitt überzeugteren - Mitglieder Rücksicht nehmen als auf politische Instanzen.

3. Ein kircheneigenes Beitragssystem würde auch aus folgendem Grund die kirchliche Glaubwürdigkeit erhöhen: Aus vielschichtigen Gründen, insbesondere auch des sozialen "Zwangs" (Rücksicht auf Familienangehörige, auf kleinere Arbeitgeber, besondere arbeitsmarktpolitische Zwänge), zahlen selbst solche Bürger Kirchgggensteuer, die keinerlei Kirchenbindung mehr haben bzw. als "nichtreligiös" zu bezeichnen sind. Besonders fragwürdig ist hierbei das Vorgehen insb. der ev. Kirche in Berlin-Brandenburg mit ihrer steuerlichen Rasterfahndung gegen Ungläubige (s. oben und Kirchenaustritt IV). Das Beharren auf der, insbesondere staatlich eingezogenen, Kirgggchensteuer sichert viele Zahler, die mit der Kirche nichts im Sinn haben. Es stellt daher - trotz der Möglichkeit des "Kirchenaustritts" - eine Sonderform der Unglaubwürdigkeit dar, die übrigens in der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanums (Art. 76) indirekt verurteilt wurde (s. Kirchenrecht II 6).

4. Einer völlig kircheneigenen Beitragsverwaltung bliebe es unbenommen, für gerechtere Beiträge und ihre gerechte Verteilung mit Regionalausgleich usw. zu sorgen. Die umfangreiche Diskussion über die zahlreichen Ungereimtheiten, die die bisherige Koppelung der Kirchensgggteuer an die Einkommensteuer zur Folge hat (Steuerungerechtigkeit), würde sich dann erübrigen. Rein rechtspolitisch motivierte umfangreiche staatliche Steuererleichterungen haben nämlich auch zur Folge, dass gerade besonders leistungsfähige Kirchenmitglieder oft wenig Kirchensteuern zahlen.

VII. Amtskirchliche Systemverteidigung
Die Vertreter der Amtskirchen verteidigen nahezu geschlossen das System der Kirchgggensteuer in seiner bisherigen Form, weil es für die Kirchen sehr effektiv und ertragreich ist und den Aufwand niedrig hält. Die oft große Aggressivität der Verteidiger des derzeitigen Systems, gar mit der unsinnigen Behauptung, ansonsten müsse das Sozialsystem zusammenbrechen (s. soziale Einrichtungen), ist rational nicht erklärbar. Selbst das Gesetzbuch der katholischen Kirche (can. 222 § 1 CIC; ferner can. 1260, 1262) spricht nur von der Pflicht der Gläubigen, die notwendigen Beiträge zu leisten. Lediglich ergänzend erwähnt can. 1263 neben einer internen institutionellen Besteuerung zugunsten der Diözesanbischöfe „partikulare Gesetze und Gewohnheiten“, die ihnen „weitergehende Rechte einräumen“. Damit wird speziell den bestehenden deutschen Verhältnissen Rechnung getragen, mehr nicht („deutsche Klausel“). Leitbild des kath. Kirchenrechts ist aber die freiwillige Unterstützung. [3] Mit dem Problem des möglichen Einflusses von Großmäzenen müssten auch Kirchen umgehen lernen und Abwehrmechanismen entwickeln. In den meisten Ländern tun sie es längst.

VIII. Alternativen
1. Ein kircheneigenes Beitragssystem, bei dem sich die Kirchen um ihre Mitglieder kümmern müssten und die Beiträge notfalls bei Gericht einklagen könnten, funktioniert in Österreich ohne größere Probleme. Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden z. B. verzichtet bewusst auf die deutsche Kirchengggsteuer und setzt erfolgreich auf freiwillige Beiträge und Spenden.[4] Nicht nur Kirchenkritiker, sondern auch mehrere christliche Initiativen, insb. der Verein „Umwidmung von Kirchensteuern e. V.“[5] und der Dietrich-Bonhoeffer-Verein fordern seit langem eine Abschaffung der staatlich eingezogenen Kirchensteuern. Der schon nach geltendem Verfassungsrecht eigentlich erforderliche Wegfall des staatlichen Kirchensteuereinzugs (Kirchenlohnsteuer) wäre eine so bedeutsame Änderung, dass sie im Ergebnis wohl beitragsähnlich wirken würde.

Reformüberlegungen in Richtung des vieldiskutierten italienischen Modells, das an die Stelle der Kirchegggnsteuer treten würde, kommen für Deutschland dagegen wohl nicht in Betracht. Nach der italienischen Reform von 1984 (in Kraft seit 1990) haben die Steuerpflichtigen die Wahl, 0,8 % der Einkommensteuerschuld entweder dem Staat (für außerordentliche Maßnahmen) oder der katholischen Kirche oder anderen Konfessionen zuzuweisen, die an dem System teilnehmen wollen. Ein Verzicht auf die Wahl führt zu einer automatischen verhältnismäßigen Aufteilung. Dieses (seinerzeit fortschrittliche) System würde eine Änderung des Grundgesetzes erfordern und den gesellschaftlichen Notwendigkeiten nur bedingt gerecht.

2. Wesentlich interessanter ist der vom Dietrich-Bonhoeffer-Verein 2002 vorgelegte Vorschlag. In einem ersten Schritt soll ein kircheneigenes Einzugsverfahren eingeführt und dann die Kirchenstgggeuer als solche, ohnehin ein "finanzverfassungsrechtliches Unikat" (Josef Isensee) abgeschafft werden. Als zweiter Schritt wird – ergänzend und an sich unabhängig davon – eine Gemeinwohlfinanzierung durch steuerliche Bürgerguthaben gefordert. Dabei geht es (insoweit ähnlich wie bei der italienischen Kultursteuer) nicht um eine neue Steuer, sondern um eine Verausgabung eines kleinen Teils der Lohn- und Einkommensteuer, ggf. Körperschaftssteuer, durch die Bürger selbst, nicht in Form einer Mandatierung des Staats wie in Italien. Es sollen auch nicht, wie dort, nur Staat und Religionsgemeinschaften mögliche Empfänger sein, sondern alle gemeinwohlorientierten Institutionen, wie sie in Anlage A der Anlage 1 zur Einkommensteuer-Durchführungsverordnung besonders herausgehoben werden. Dazu gehören neben Religionsgemeinschaften auch Wissenschaft, Kunst, Entwicklungshilfe, Umweltschutz, Denkmalschutz usw. Wer will, bekommt vom Staat mitgeteilt, welcher Anteil seiner Steuerschuld als Bürgerguthaben nach freier Wahl auch verschiedenen Institutionen zugewendet werden kann, wobei der Bürger selbst aktiv werden muss. Danach wird der Gesamtbetrag beim Steuerjahresausgleich voll berücksichtigt. Die Kirchen stünden dabei in Konkurrenz zu Anderen, hätten aber die Möglichkeit, die beim Wegfall des staatlichen Kirchensteuer-Zwangsabzugs zu erwartenden Mindereinnahmen wieder auszugleichen. In der Publikation „Abschied von der Kirchensteuer“ ist dieses Modell unter Erörterung der gesellschaftlichen und religiösen Gesamtproblematik eingehend und eindrucksvoll dargestellt. Das steuerliche Bürgerguthaben könnte ohne Änderung des GG sofort eingeführt werden.

>> Kirchenaustritt; Kirchenfinanzierung; Kirchensteuerrecht; Kirchenlohnsteuer; Besonderes Kirchgeld; Statistik; Religionsförderung; Privilegien; Sozialeinrichtungen; Staatsleistungen.

Literatur:

  • Birk, Dieter / Ehlers, Dirk, Dirk (Hrsg.): Aktuelle Rechtsfragen der Kircggghensteuer, 2012.
  • Czermak, Gerhard: Kirchensteuerrecht in kritischer Sicht. Hauptgesichtspunkte einer ideologisch heiklen Materie, KJ 2006, S. 418-429.
  • Frerk, Carsten: Violettbuch Kirchengggfinanzen, Aschaffenburg 2010.
  • Hammer, Felix: Rechtsfragen der Kirchengggsteuer, Tübingen 2002, 574 S. (Jus Eccl 66).
  • Hense, Ansgar: Grundlinien der Kirchgggenfinanzierung in Deutschland: Kirchengggsteuer und sogenannte Staatsleigggstungen, in: Jürgen Erbacher (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, 2012, 240-258.
  • Kirchhof, Ferdinand: Verwerfungen der Kirchenzuschlagsteuern wegen des Maßstabs der Einkommensteuer. In: FS für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag. Tübingen 1999, 373-384.
  • KuR - Redaktion: Auch ohne Kirchegggnsteuer "bisher gut gefahren", KuR 1999 Nr. 980, S. 225.
  • Martin, Karl (Hrsg.): Abschied von der Kirchegggnsteuer. Plädoyer für ein demokratisches Zukunftsmodell. Oberursel 2002, 176 S. (mit Reformvorschlag des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins).
  • Mösenthin, Andreas: Systeme der Kirchgggenfinanzierung in der Europäischen Union und ihre europarechtlichen Rahmenbedingungen, KuR Nr. 140, S. 69-86 = KuR 2000, 139-156.
  • www.kirchensteuern.de   (Verein „Umwidmung von Kirchensteuern“; krit. Informationen zum Gesamtbereich Kirche und Geld, Staat und Kirche - „linke Christen“).
  • www.kirchensteuer.de (kirchenkritisch).
  • www.dietrich-bonhoeffer-verein.de/.../Schaubild.pdf  (eingehende Erläuterungen eines 33-Säulen-Modells mit Bürgergutscheinen).
     

[2] www.diesseits.de/.../mehrheit-gegen-staatlichen-einz unter Hinweis auf Christoph Drösser, Wie wir Deutschen ticken, Hamburg 2015; moderatere Zahlen bei http://fowid.de/.../Kirchensteuereinzug_noch_zeitgemaess_2013.pdf
[3] vgl. HdbKathKR, 2. A. 1999, 1078/1080.
[4] KuR 1999 Nr. 980, S. 225.
[5] Er betreibt die lesenswerte Webseite http://www.kirchensteuern.de/

© Gerhard Czermak / ifw (2017)