Kirchenlohnsteuer

I. Grundfragen

Die Kirche.nlohnsteuer ist diejenige Form der Kircheneinkommensteuer, bei der die Steuer automatisch vom regelmäßigen Lohn abgezogen wird und die das Gros der Kirchensteuereinnahmen ausmacht. Sie wurde in Westdeutschland 1950 eingeführt und wie selbstverständlich in den Einigungsvertrag von 1990 übernommen. Die für die Kirchensteuer zuständigen neuen Bundesländer existierten damals noch gar nicht. Die verfassungsrechtlichen Grundfragen sind neben der Zulässigkeit der staatlichen Kirchensteuerverwaltung (siehe Kirchensteuerrecht) die Grundrechte der Steuerpflichtigen und der Arbeitgeber.

II. Grundsätzliche Rechtsfragen

1. Die Kirchensteuer wurde 1919 in den Zusammenhang einer weitgehenden verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche gestellt. Dieser Trennungsgebot (Art. 137 I WRV/140 GG: "Es besteht keine Staatskirche") wird heute allgemein als Verbot organisatorisch-institutioneller Verflechtungen staatlicher und kirchlicher Organe verstanden, wobei jede Ausnahme einer speziellen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf (s. insbesondere Wasmuth 2002). Trotzdem haben unter der Geltung des GG alle Kirchensteuergesetze ein Instrumentarium zumindest fakultativer sehr weitgehender Zusammenarbeit staatlicher und kirchlicher Organe geschaffen ("gemeinsame Angelegenheit"). Die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlagsteuer zur Lohn- und Einkommensteuer ist nach Ansicht der Kritiker geradezu ein Musterbeispiel einer staatskirchlichen Rechtsform.

2. Die Zulässigkeit der landesrechtlich (jeweils nur alternativ) vorgesehenen Steuerverwaltung durch die staatlichen Finanzämter wurde kaum infrage gestellt. Auch das BVerfG hat trotz einer "liberalen" grundlegenden Entscheidung von 1965 (BVerfGE 19, 206: die Einführung "staatskirchlicher Rechtsformen" sei durch das GG verwehrt) in einigen Vorprüfungs-Entscheidungen[1] wohl angesichts der Effizienz und eingefahrenen Selbstverständlichkeit des Lohnsteuerabzugsverfahrens keinerlei Rechtsproblem erkennen wollen (völlige Ignorierung in BVerfGE 20, 40 [43], B. v. 20.4.1966). Dabei unterstützt der Staat mit dem Kirchensteuereinzug eine rein religiöse Angelegenheit. Das hat BVerfGE 44, 103 f. sogar eingeräumt, sich aber auf den Standpunkt gestellt, eine solche Religionsförderung sei zulässig, wenn sie keine Identifikation mit einer bestimmten Religion bedeute. Mit diesem (ebenfalls nicht bindenden) Vorprüfungsbeschluss wird aber Art. 137 I WRV mit seiner grundsätzlichen Trennungspflicht weitgehend ausgehöhlt. Auf eine solche Aushöhlung läuft auch die spitzfindige Argumentation von Anke und Zacharias (2003) hinaus. Kurz: Zur Stützung dieser (i. d. R. nicht einmal verbal begründeten) h. M. wird vorgetragen, ein Verstoß gegen den – nicht strikten – Trennungsgrundsatz liege mangels typischer Gefährdungslage einer institutionellen Verknüpfung nicht vor. Es gebe keine verschränkten Dienstwege, die Zuständigkeiten seien klar getrennt. Das überzeugt aber nicht, weil trotz funktionaler Trennbarkeit eine zu enge Zusammenarbeit Abhängigkeiten erzeugt und der Trennungsgrundsatz dabei jede Kontur verliert (s. näher Trennungsgebot).

Der Text des Art. 137 VI WRV ist eindeutig: Er verlangt vom Staat nur die Übermittlung der erforderlichen Daten. Die staatliche Kirchensteuerverwaltung ist auch von der Sache her nicht zwingend erforderlich, wie schon die traditionell kircheneigene Verwaltung der Kircheneinkommensteuer (nicht: -lohnsteuer) in Bayern beweist. Schon 1919 erfolgte die Kirchensteuerbeitreibung durch kirchliche Organe, nicht durch staatliche. Übersteigerte Behauptungen über eine kostenwirtschaftliche Unvertretbarkeit kirchlicher Kirchensteuerverwaltung wurden noch nie belegt.

III. Arbeitgeberverpflichtung

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zum (kostenlosen!) Einbehalt der Kirche.nlohnsteuer erschien dem BVerfG – trotz damals kontroverser Debatte – so problemlos, dass es 1977 eine Verfassungsbeschwerde nicht einmal zur Entscheidung annahm. Begründung: Das Kirchenlohnsteuerverfahren sei verfassungsgemäß (eine vom BVerfG und der herrschenden Meinung noch nie überprüfte begründungslose These), die Arbeitgeber lediglich Beauftragte des Steuerfiskus. Der Arbeitgeber unterstütze dabei "im Rahmen seiner sozialstaatlich gebotenen Fürsorgepflicht zugleich seine Arbeitnehmer in der vereinfachten Erfüllung der ihnen obliegenden Kirchensteuerpflicht". Dabei werden die Mitgliedsbeiträge doch für Religionsgemeinschaften eingezogen, die frei darüber verfügen können. Eine Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben mag zwar u. U. möglich sein; aber doch nicht, wenn bei ihrer Erfüllung ein wichtiges Verfassungsprinzip (institutionelle Trennung von Staat und Religion) missachtet und sogar ein andersgläubiger oder religionsloser Arbeitgeber gezwungen wird, für eine von ihm abgelehnte Glaubensgemeinschaft kostenlos tätig zu sein, um das mit einer Tätigkeit lediglich für den Staat zu "begründen" (Wasmuth, 2001, S. 857 f.: Verstoß gegen Art. 4 GG; Felix, BB 1995, 1929 f.).

IV. Pauschalisierung der Lohnkirchensteuer

Die Rechtsprechung schreckt nicht einmal davor zurück, die Pauschalisierung der Lohnkirchensteuer zusammen mit der Pauschalisierung der Lohnsteuer zuzulassen, wobei der Arbeitgeber zur Vermeidung im Einzelfall nachweisen muss, dass der jeweilige Arbeitnehmer keiner steuerberechtigten Religionsgemeinschaft angehört, um einer unberechtigten Zahlung zu entgehen (so der Bundesfinanzhof). Dabei kann der Arbeitgeber i. d. R. bei Teilzeitbeschäftigten, weil er auf die Vorlage der Lohnsteuerkarte verzichten muss, den geforderten Nachweis nicht einmal führen. Die Aufteilung ist laut BFH nach einer Schätzung zwischen evangelischen und römisch-katholischen Steueranteilen vorzunehmen. Die Anteile der anderen berechtigten Religionsgemeinschaften (Altkatholiken, Israelitische Kultusgemeinden u. a.) fallen dabei regelmäßig unter den Tisch. Besonders pikant ist die Pauschalisierung der Kirche.nlohnsteuer in den neuen Bundesländern, wo die Kirchenzugehörigkeit ja die Ausnahme ist. Welche Fülle an Ungereimtheiten mit der Pauschalisierung verbunden ist, zeigen die Ausführungen von Meyer (1999).

V. Lohnsteuerkartenvermerk

Auf wie dünnem Eis die z.T. komplizierten Bemühungen der Rechtsprechung zur Rechtfertigung des derzeitigen Kirchensteuersystems stattfinden, zeigt besonders deutlich das Problem des Vermerks der vorhandenen oder fehlenden Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte. Art. 136 III 1 WRV/140 GG sagt klipp und klar: "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren." Zwar gilt eine Ausnahme vom Schweigerecht (s. Bekenntnisfreiheit) für ein Fragerecht der Behörde. Sie betrifft den Fall, dass von der Kenntnis Rechte oder Pflichten abhängen. Doch muss dabei selbstverständlich Art. 4 GG beachtet sein. Im Übrigen ist in Art. 136 III 1 WRV von der Zulässigkeit einer Weitergabe an Dritte (hier: Arbeitgeber) nicht die Rede. Das BVerfG hat das Problem 1978 so "gelöst": Das Kirchenlohnsteuerverfahren ist verfassungsgemäß. Es erfordert aus "Zweckmäßigkeitsgründen" einen Vermerk über die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft. Aus diesem Grund ist eine Grundrechtsverletzung "noch nicht" anzunehmen. Das nach Auffassung des BVerfG schrankenlose Grundrecht des Art. 4 I, II GG (dessen Teilaspekt Art. 136 III 1 WRV ja ist), wird also entgegen dem klaren Wortlaut der Verfassung aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen eingeschränkt: ein verfassungsrechtlicher Abgrund (BVerfGE 49, 375). Denn eine Besteuerung von Kirchenmitgliedern ist auch ohne Lohnsteuerkartenvermerk jedenfalls möglich, also nicht verfassungsrechtlich "erforderlich". Eingehend wie hier neben Schiller/Wasmuth auch der bekannte Religionsrechtler Korioth in: Maunz/Dürig, GG, Komm. zu Art. 140 GG, S. 124-126 (Rn 92).

VI. Kirchenloh.nsteuer und Arbeitslosengeld

Wegen des bis 2004 besonders in den neuen Bundesländern starken Unmut erregenden fiktiven Abzugs der Kirchenlo.hnsteuer beim Arbeitslosengeld s. Kirchensteuerrecht IV 6 c.

VII. Folgerungen

Ohne den Lohnsteuerkarten-Vermerk und die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abführung der Kirchenl.ohnsteuer wäre das wie geölt funktionierende System des derzeitigen Kirchenlohnsteuerverfahrens beendet. Die Kirchen müssten ein eigenes Erhebungsverfahren entwickeln. Über die Notwendigkeit eines kircheneigenen Steuertarifs aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit (s. Kirchensteuer Abschn. VI) wird kirchenintern seit langem unabhängig davon diskutiert. Im Übrigen gelingt es Großorganisationen wie Gewerkschaften, Volksparteien u. a. mit Hilfe der EDV ebenfalls ganz gut, ihre Mitglieder zu verwalten und zur Beitragszahlung zu veranlassen, ohne dass sie darüber klagen. Wie unnötig die Missachtung der Verfassung ist, zeigt die Tatsache, dass evangelisch-lutherische und katholische Kirche in Bayern seit eh und je bis heute ganz freiwillig die Kircheneinkommensteuer durch Kirchensteuerämter verwalten. Eine Ersetzung des staatlichen Kirchenlohnsteuereinzugs durch eine kircheneigene Steuerverwaltung würde zahlreiche, auch schwerwiegende, verfassungsrechtliche Ungereimtheiten beseitigen.

>> Kirchensteuer; Kirchensteuerrecht; Neutralität; Privilegien; Trennungsgebot; Bekenntnisfreiheit.

Literatur:

  • BVerfGE 19, 206 = NJW 1966, 147 (Badische Kirchenbausteuer);
  • BVerfGE 44, 103 = NJW 1977, 1282 B. 17.2.1977 – 1 BvR 33/76 (Kirchenloh.nsteuer und Arbeitgeberpflicht; Nichtannahmebeschluss);
  • BVerfGE 49, 375 = NJW 1979, 209 (Kirchenlohnsteuerabzugsverfahren; Lohnsteuerkartenvermerk; Nichtannahmebeschluss);
  • BVerfG NVwZ 2001, 909, B. 25.5.2001 – 1 BvR 2253/00 (Lohnsteuerkartenvermerk über Nichtmitgliedschaft in RG verfassungsgemäß);
  • BVerfG NVwZ 2002, 1496 B. 19.8.2002 – 2 BvR 443/01 (keine unterschiedlichen Kirchens.teuer-Hebesätze; Grundrechtsbindung; Nebenbemerkung: staatlicher Kirchensteuereinzug unproblematisch);
  • BFHE 159, 82 = BStBl II 1990, 993, E. vom 30. 11. 1989 (Lohnkirchensteuer-Pauschalisierung).

  • Anke, Hans Ulrich/Zacharias, Diana: Das Kirchenlohnsteuereinzugsverfahren aus der Sicht des Verfassungsrechts, DÖV 2003, 140-147 (Rechtfertigung);
  • Meyer, Christian: Die Rechtsprechung zur Kirchensteuererhebung in Fällen der Lohnsteuerpauschalierung, in: Dem Staate, was des Staates - der Kirche was der Kirche ist. FS für Joseph Listl zum 70. Geb. Berlin 1999, 699-716;
  • Wasmuth, Johannes: Verfassungsrechtliche Grenzen der institutionellen Koo.peration von Staat und Religionsgesellschaften, in: Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart. FS für Winfried Brohm zum 70. Geb., München 2002, 607, 625 f.;
  • Wasmuth, Johannes/Schiller, Gernot: Verfassungsrechtliche Problematik der Inpflichtnahme von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beim Kirchenlohnsteuereinzug, NVwZ 2001,852-859 (Grundsatzkritik).

  • [1] Die als solche keine allgemeine Bindungswirkung an die tragenden Gründe haben

© Gerhard Czermak / ifw (2017)