Cura Religionis

I. Geschichte

Dieser historische Begriff meint die Sorge der weltlichen Obrigkeit für den christlichen Glauben und das Kirchenwesen. Diese Auffassung von staatlicher Pflicht erhielt vor allem durch die Reformation und die neuzeitlichen Fürstenstaaten ihre Ausprägung. Die weltliche Obrigkeit sollte nach der Zwei-Reiche-Lehre Luthers Werkzeug der göttlichen Erhaltungsordnung sein und durch Wahrung der göttlichen Gebote für Frieden und Recht Sorge tragen. Die wahre evangelische Lehre sollte verbreitet und durchgesetzt, Blasphemie jedoch als weltliches Delikt bestraft werden. Innerkirchlich war ein Kirchenregiment des Landesherrn nicht vorgesehen. Die Verfassungspraxis war anders. Die Landesherren erhielten nach 1555 (Augsburger Religionsfriede) bzw. 1648 (Westfälischer Friede) eine nahezu unbeschränkte Verfügungsgewalt über die Landeskirche. Es ging dem Staat aber auch um das Seelenheil der Bürger. Diese Auffassungen wurden später teilweise abgemildert. Im 18. Jh. war die Kirchenhoheit des Landesherrn in den katholischen Territorien Bayern und Österreich (Maria Theresia, Joseph II.) jedoch besonders stark ausgeprägt. Religion galt als Erziehungsmittel des Volks, die Kirche eine staatlichen Zwecken dienende Erziehungs- und Polizeianstalt, wobei auch in Kircheninterna massiv eingegriffen wurde (landesherrliches Kirchenregiment). Noch im 19. Jh. kam es zu erheblichen Übergriffen und Streitigkeiten (s. zum Ganzen unter Geschichte der Religionsfreiheit). Ungeachtet der Verhältnisse im Einzelnen war jedoch die materielle Ausstattung der Kirchen stets selbstverständliche Aufgabe eines christlichen Staats, ihm oblag die „cura religionis“.

II. Heutige Situation

Die staatliche C. gehört zwar in Deutschland theoretisch seit 1919 der Geschichte an. Das BVerfG hat diese Selbstverständlichkeit 1977 in seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit einer gesetzlichen Überlegungsfrist beim „Kirchenaustritt“ ausdrücklich bestätigt: „Der...Gedanke einer Fürsorge des Staates in Glaubensangelegenheiten mit dem Zweck, übereilten Entschlüssen...zu wehren, ist dem Grundgesetz fremd.“ Dennoch ist bei genauer Betrachtung eine große Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit speziell zu Gunsten der Kirchen festzustellen. Auch das BVerfG hat in seiner umfangreichen religionsrechtlichen Rspr. häufig zu Gunsten der Kirchen judiziert und so im Ergebnis doch C. betrieben. Manchmal ging das nur mit erstaunlichen Methoden der Rechtsanwendung (zu ideologischen Fragen s. auch unter Religionsfreiheit). Das kann an dieser Stelle nicht näher belegt werden. U. a. Kästner (s. unten) gibt hierzu einige Beispiele aus Gesetzgebung und Rspr.; eingehender G. Czermak (2004) in Aufklärung und Kritik, s. Religionsfreiheit.

>> Auslegung; Privilegien; Religionsfreiheit; Geschichte der Religionsfreiheit; Weimarer Verfassung.

Literatur:

  • BVerfGE 44, 37 = NJW 1977, 1279, B. v. 8. 2. 1977 (keine Überlegungsfrist bei Kirchenaustrittserklärung als Staatsfürsorge.)
  • Heckel, Martin, in: EvStL (1987), Art. Cura Religgggionis.
  • Kästner, Karl-Hermann: „Säkulare“ Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 1989, 260-286, insb. 268 ff.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)